TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/25 2003/18/0218

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Veröffentlicht am 25.09.2003
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Index

24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
StGB §206 Abs1;
StGB §207 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des G, geboren am 1939, vertreten durch Dr. Thomas Brückl und Mag. Christian Breit, Rechtsanwälte in 4910 Ried im Innkreis, Parkgasse 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 28. Mai 2003, Zl. St 57/03, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 28. Mai 2003 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der USA, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 9. Jänner 1989 nach Österreich eingereist und habe in der Folge Sichtvermerke bis 25. März 1993 erhalten. Im "Juli/August" 1993 habe er aus beruflichen Gründen den Haushalt in Österreich aufgegeben und sei in die USA gezogen. Im Jahr 1994 sei er wieder nach Österreich gekommen und habe am 2. September 1994 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt. In der Folge seien ihm Aufenthaltsbewilligungen und im Anschluss daran Niederlassungsbewilligungen jeweils für private Aufenthaltszwecke bis 27. Juli 2002 erteilt worden.

Der Beschwerdeführer sei am 27. März 1995 wegen Übertretung des Meldegesetzes und am 3. April 1995 wegen Übertretung des Kraftfahrgesetzes bestraft worden.

Am 30. November 2001 sei der Beschwerdeführer in Untersuchungshaft genommen worden. Es sei ihm zur Last gelegt worden, im Zeitraum von etwa 1995 bis Sommer 2000 ein unmündiges, am 29. Juni 1991 geborenes Mädchen mehrfach sexuell missbraucht und in zwei Fällen schwer sexuell missbraucht zu haben. Am 1. Dezember 2001 sei der Beschwerdeführer wieder enthaftet worden. Am 4. März 2002 sei er vom Landesgericht Ried im Innkreis wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB und wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs. 1 leg. cit. zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt worden. Der dagegen gerichteten Berufung des Beschwerdeführers sei mit Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 13. Mai 2002 nicht Folge gegeben worden. Mit diesem Datum sei die Verurteilung in Rechtskraft erwachsen. Das Gericht habe den Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten als hoch bewertet. Dabei habe insbesondere eine Rolle gespielt, dass der Missbrauch der Unmündigen über mehrere Jahre wiederholt durchgeführt worden sei sowie dass der Beschwerdeführer die Tat verdrängt und seine pädophile Neigung in Abrede gestellt habe. Weiters seien vom Gericht die psychischen Auswirkungen der Tat auf das Opfer als gravierend gewertet worden.

In Anbetracht der gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt.

Der Beschwerdeführer sei verheiratet. Seine Gattin lebe in Ried im Innkreis. Die drei Kinder des Beschwerdeführers lebten in der Schweiz. Eine der Töchter sei mit einem Österreicher verheiratet, halte sich jedoch aus beruflichen Gründen in der Schweiz auf. Alle übrigen Verwandten des Beschwerdeführers, zu denen dieser noch regelmäßigen Kontakt habe, lebten in Amerika und in der Bundesrepublik Deutschland. Von Jänner 1989 bis Dezember 2001 sei der Beschwerdeführer als Seelsorger für eine freie Christengemeinde tätig gewesen. In dieser Funktion habe er sich in den Jahre 1999 bis 2001 auch zu kürzeren Seelsorgseinsätzen im Kosovo aufgehalten.

In der Berufungsschrift vom 11. Februar 2003 habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass sein Schwiegersohn und die beiden Enkelsöhne die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen, jedoch derzeit in der Schweiz lebten. Er hätte enge freundschaftliche Beziehungen zu den Eltern und Geschwistern dieses Schwiegersohnes. Seine Tante würde in Deutschland leben. Auf Grund des Aufenthaltsverbots könnte er nach dem Tod der Tante nicht am Begräbnis teilnehmen. Sein älterer Bruder wäre in Deutschland begraben. Auf Grund des Aufenthaltsverbots wäre er gehindert, das Grab zu besuchen und zu pflegen. Weiters habe er auf seine 50-jährige seelsorgerische Tätigkeit hingewiesen und ausgeführt, dass er bei der "Männerberatung des Landes Oberösterreich" bis zu seinem Haftantritt am 3. Juli 2002 in Behandlung gewesen wäre. Bezüglich des Missbrauchs einer unmündigen Person habe er darauf hingewiesen, dass der lange Tatzeitraum eine Erfindung und Unterstellung der Gendarmerie wäre. In Wahrheit wäre der Missbrauch "weder zeitlich lang gewesen, noch sei er tatsächlich geschehen".

Auf Grund des langjährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich und seiner seelsorgerischen Tätigkeit sei das Aufenthaltsverbot zweifellos mit einem gravierenden Eingriff in das Privat- und Familienleben verbunden. Dem Beschwerdeführer sei eine der Dauer seines Aufenthalts entsprechende Integration zuzubilligen, dies auch in beruflichen Hinsicht, weil er den Beruf des Seelsorgers regelmäßig ausgeübt habe.

Dem sei jedoch gegenüber zu stellen, dass der Beschwerdeführer über einen sehr langen Zeitraum Verbrechen an einer unmündigen Person begangen habe. Er habe von etwa 1995 bis Sommer 2000 eine zu Beginn des Tatzeitraumes erst vierjährige Unmündige sexuell missbraucht. Dies sei entsprechend der gerichtlichen Verurteilung bis zum Sommer 2000 in mehreren Fällen geschehen. In zwei Fällen habe er die Unmündige schwer sexuell missbraucht. Verbrechen dieser Art seien sehr schwer zu gewichtigen, zumal sich Unmündige in diesem Alter kaum zur Wehr setzen könnten und neben körperlichen Verletzungen auch schwerste seelische Schäden davontragen würden. Es bedürfe keiner weiteren Erörterung, dass dieses Verbrechen eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle.

Aus diesem Grund sei nicht nur die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, sondern das Aufenthaltsverbot auch im Licht des § 37 Abs. 1 FrG gerechtfertigt. Zudem sei das Gesamtfehlverhalten "doch schwerwiegenderer Art, weshalb nicht mehr nur mit einer bloßen niederschriftlichen Ermahnung das Auslangen gefunden werden konnte, sondern von der Ermessensbestimmung des § 36 Abs. 1 FrG Gebrauch gemacht werden mußte".

Unter Abwägung aller oben angeführten Tatsachen und im Hinblick auf die für den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers zu stellende negative Verhaltensprognose wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Das Aufenthaltsverbot sei daher auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig. Daran könne die jahrlange seelsorgerische Tätigkeit des Beschwerdeführers nichts ändern. Zum Hinweis in der Berufung, wonach der Beschwerdeführer bei einem Todesfall an der Beerdigung nicht teilnehmen bzw. das Grab seines Bruders nicht pflegen könnte, sei darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit bestehe, einen Wiedereinreiseantrag zu stellen. Dieser werde in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auch erteilt.

Auf Grund der Schwere des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers könne nicht abgesehen werden, wann die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbots geführt hätten, weggefallen sein würden. Das Aufenthaltsverbot sei daher unbefristet zu erlassen gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf Grundlage der unstrittig feststehenden gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer - unbedingten - Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten begegnet die - nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG sei erfüllt, keinen Bedenken.

2. Der Beschwerdeführer hat über einen Zeitraum von fünf Jahren ein zu Beginn dieses Zeitraumes erst vier Jahre altes Mädchen mehrmals sexuell missbraucht. In zwei Fällen hat er an diesem unmündigen Mädchen einen schweren sexuellen Missbrauch gemäß § 206 Abs. 1 StGB begangen, also den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen. Dabei handelt es sich um ein besonders verwerfliches und öffentliche Interessen stark beeinträchtigendes Verhalten, zumal gerade bei jüngeren Kindern daraus tiefsitzende Verletzungen resultieren, welche zur Störung der gesamten späteren Entwicklung führen können. Von daher kann die Ansicht der belangten Behörde, dass die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Soweit der Beschwerdeführer ins Treffen führt, es sei ihm vom Landesgericht Ried angekündigt worden, dass er am 1. Oktober 2003 bedingt aus der Strafhaft entlassen werde, ist ihm zu entgegnen, dass die Behörde bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbots an die gerichtlichen Erwägungen bei der bedingten Entlassung nicht gebunden ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. Mai 2003, Zl. 2003/18/0097).

Das Vorbringen, der Beschwerdeführer habe sich einer Therapie unterzogen, ist schon mangels jeglicher Konkretisierung nicht geeignet, die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr als gemindert anzusehen. Die nach dem Berufungsvorbringen bis zum Haftantritt am 3. Juli 2002 bei der "Männerberatung des Landes Oberösterreich" durchgeführte Behandlung hat jedenfalls zu keiner Schuldeinsicht des Beschwerdeführers geführt, hat er doch unstrittig in der Berufung vom 11. Februar 2003 ausgeführt, dass der Missbrauch des Kindes "weder zeitlich lang gewesen, noch (...) tatsächlich geschehen" sei.

3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde den inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers seit 1989 - mit einer etwa einjährigen Unterbrechung von 1993 bis 1994 - den inländischen Aufenthalt seiner Gattin und die Berufstätigkeit als Seelsorger für eine freie Christengemeinde von 1989 bis 2001 berücksichtigt. Hiezu ist allerdings festzuhalten, dass die aus der langen Aufenthaltsdauer ableitbare Integration in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch das gravierende Fehlverhalten des Beschwerdeführers deutlich gemindert wird. Unstrittig leben alle drei Kinder des Beschwerdeführers, wovon eine Tochter mit einem Österreicher verheiratet ist, in der Schweiz. Der in der Beschwerde vorgebrachte Umstand, dass sich die Gattin des Beschwerdeführers bereits seit 1994 in Österreich aufhalte und hier in das soziale Leben integriert sei, führt zu keiner entscheidenden Verstärkung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet. Dennoch kommt diesen Interessen in ihrer Gesamtheit ein großes Gewicht zu.

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers steht die aus seinen Straftaten resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Im Hinblick auf das überaus große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Sexualverbrechen zum Nachteil von Kindern begegnet die Ansicht der belangen Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), keinen Bedenken.

4. Unter Zugrundelegung der vorstehenden Erwägungen kann der Verwaltungsgerichtshof nicht finden, dass die belangte Behörde von dem ihr gemäß § 36 Abs. 1 FrG eingeräumten Ermessen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand zu nehmen, Gebrauch zu machen gehabt hätte, zumal weder aus der Beschwerde noch aus dem angefochtenen Bescheid besondere Umstände ersichtlich sind, die für eine derartige Ermessensübung sprächen.

5. Schließlich wendet sich die Beschwerde gegen die unbefristete Erlassung des Aufenthaltsverbots.

Nach der hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. Februar 2002, Zl. 2002/18/0002) ist ein Aufenthaltsverbot - unter Bedachtnahme auf § 39 Abs. 1 FrG - für jenen Zeitraum, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann.

Auf Grund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer über den langen Zeitraum von fünf Jahren ein zu Beginn dieses Zeitraumes erst vier Jahre altes Mädchen mehrmals sexuell missbraucht hat, wobei er zweimal den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen hat, kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie angesichts dieses besonders verwerflichen Verbrechens die Auffassung vertreten hat, dass der Zeitpunkt des Wegfalls der für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Umstände, nämlich der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, nicht vorhergesehen werden könne, und deshalb das Aufenthaltsverbot unbefristet erlassen hat.

6. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 25. September 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003180218.X00

Im RIS seit

27.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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