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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des F, geboren 1983, bisher vertreten durch den Magistrat Linz, Amt für Jugend und Familie, 4041 Linz, Hauptstraße 1-5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 25. Juni 1998, Zl. St 118/98, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 25. Juni 1998 wurde auf Grund des Antrags des Beschwerdeführers, eines jugoslawischen Staatsangehörigen, vom 17. Oktober 1997 gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 leg. cit. bedroht sei.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Asylantrag des Beschwerdeführers sei mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. März 1998 in letzter Instanz abgewiesen worden.
Im Asylverfahren habe der Beschwerdeführer ausgeführt, er gehörte der albanischen Volksgruppe an und wäre moslemischen Religionsbekenntnisses. Sein Vater wäre seit sieben Jahren in einem Gefängnis in Dubrave inhaftiert, weil er einer ihm unbekannten Partei angehören würde. Im Juli 1997 wären uniformierte Polizisten in seinem Elternhaus im Heimatdorf erschienen und hätten seinen Großvater zu einer Polizeidienststelle eskortiert. Der Großvater des Beschwerdeführers wäre dort drei Stunden angehalten und geschlagen worden. Vier oder fünf Tage später wären wiederum uniformierte Polizisten im Elternhaus des Beschwerdeführers erschienen und hätten diesen zu einer Polizeidienststelle eskortiert. Dort wäre er etwa eine halbe Stunde angehalten und befragt worden, ob sein Großvater Schusswaffen besäße. Dies habe der Beschwerdeführer verneint. Die Polizisten hätten ihm offensichtlich nicht geglaubt. Ein Polizist hätte ihm einen Faustschlag gegen sein rechtes Auge versetzt. Er wäre aufgefordert worden, eine Woche später bei der Polizeidienststelle zu erscheinen. Dieser Aufforderung wäre er nicht nachgekommen, weil er befürchtet hätte, dort misshandelt zu werden. Bis zum 10. Oktober 1997 hätte er in seinem Elternhaus gewohnt. Etwa eine Woche nach der Anhaltung hätten uniformierte Polizisten aus unbekannten Gründen nach ihm gesucht. Am 8. Oktober 1997 wäre seiner Mutter eine Ladung zugestellt worden, wonach er sich binnen zwei Tagen bei der Polizeidienststelle in Kosovska Mitrovica hätte melden sollen. Er wüsste nicht, weshalb er geladen worden wäre. Sein Großvater hätte ihm geraten, der Ladung keine Folge zu leisten. Er wüsste nicht, ob er im Fall einer Rückkehr in den Kosovo behördlichen Nachstellungen ausgesetzt wäre.
Die belangte Behörde schloss sich den Ausführungen der erstinstanzlichen Behörde an. (Nach den im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen Feststellungen hat der Beschwerdeführer zur Begründung des gegenständlichen Antrags auf seine Angaben vor dem Bundesasylamt verwiesen. Dass die jugoslawischen Sicherheitskräfte nicht im Geringsten die Absicht hätten, den Beschwerdeführer im Sinn des § 57 FrG zu bedrohen, lasse sich schon aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers ersehen, wonach er selbst nur über einen Zeitraum von etwa 30 Minuten von der Polizei angehalten worden sei. Der Beschwerdeführer sei nach kurzer Befragung wieder entlassen worden, ohne dass weitere Zwangsmaßnahmen gegen ihn gesetzt worden seien. Der Beschwerdeführer habe selbst angegeben, dass die Befragung nicht ihm selbst, sondern den Schusswaffen seines Großvaters gegolten habe. Die behauptete Misshandlung des Beschwerdeführers durch einen einzelnen Polizisten (der ihm einen Faustschlag versetzt habe) lasse nicht darauf schließen, dass dieser Übergriff staatlich initiiert bzw. geduldet gewesen sei. Der Erhalt einer Ladung von der Polizeidienststelle stelle keine Bedrohung im Sinn des § 57 FrG dar. Aus dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers lasse sich ersehen, dass seine Befürchtung, im Sinn des § 57 FrG bedroht zu werden, lediglich auf Vermutungen basiere.)
Die belangte Behörde führte weiters aus, sollte das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er selbst zu einer Polizeidienststelle eskortiert, dort eine halbe Stunde angehalten und ihm ein Faustschlag versetzt worden sei, richtig sein, so könne daraus nicht eine Bedrohung oder Gefährdung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG abgeleitet werden. Der angeblich versetzte Faustschlag müsse als Übergriff eines Polizeiorgans gewertet werden, zumal der Beschwerdeführer nach diesem Vorfall (in der Zeit von Juli 1997 bis 10. Oktober 1997) weiterhin in seinem Elternhaus unbehelligt hätte wohnen können.
Der Beschwerdeführer habe überdies die von ihm vorgebrachte Gefährdung bzw. Bedrohung in seiner Berufungsschrift auf den Bereich des Kosovo eingeschränkt, weshalb in seinem Fall eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 20. Juni 2002, Zl. 2002/18/0097, mwN.)
Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt allerdings nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. April 1998, Zl. 98/18/0120).
2.1. Der Beschwerdeführer hat seinen Antrag im Wesentlichen damit begründet, dass er im Kosovo von Polizeiorganen darüber befragt worden sei, ob sein Großvater Waffen besitze. Im Zuge dieses Verhörs sei ihm ein Faustschlag auf das Auge versetzt worden. (Eine daraus resultierende Verletzung des rechten Auges wurde entgegen dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot erstmals in der Beschwerde behauptet.) Er sei anlässlich dieses Vorfalls etwa eine halbe Stunde von der Polizei angehalten worden. In seiner Berufung vom 5. Juni 1998 hat er weiters vorgebracht, er stamme aus dem unmittelbaren Krisengebiet des Kosovo, nämlich aus dem Dorf Shipolje in der Umgebung von Mitrovica, welches in unmittelbarer Nähe von Pristina liege. Die serbische Polizei halte "die 'verfassungsrechtliche' Ordnung in der Provinz Kosovo mit repressiven Mitteln aufrecht", schlage immer wieder Massendemonstrationen brutal nieder, führe Hausdurchsuchungen durch und nehme Verhaftungen vor. Seit dem Friedensabkommen in Bosnien verstärke sich der unmittelbare Druck gegen die Albaner drastisch. Die Eskalation der letzten Monate und insbesondere der letzen Tage und Wochen stelle einen neuen Höhepunkt der Repression dar.
2.2. Der Verwaltungsgerichtshof sieht es insbesondere auf Grund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hat. Diese Auseinandersetzungen gehen auch mit vermehrten Übergriffen insbesondere auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Es ist gleichfalls allgemein bekannt, dass sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo erstreckten, sondern sich im Wesentlichen auf das Gebiet Zentralkosovo (Region Drenica bzw. "Drenicadreieck", wobei sich die Vorfälle von Srbica und Logovac bis Klina ausgedehnt haben) sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decani und Djakovica, erstreckten, wobei im September 1998 eine weitere gebietsmäßige Ausdehnung in Richtung Nordosten (Region Podujevo, Kosovska Mitrovica und Vucitrn) sowie Richtung Suha Reka erfolgte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, Zl. 99/01/0127). In Anbetracht des Vorbringens des Beschwerdeführers in der Berufung hätte die belangte Behörde derartige Vorgänge auch von Amts wegen zu berücksichtigen gehabt.
Eine Verfolgungsgefahr kann nicht nur aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, sie kann vielmehr auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. das zitierte Erkenntnis Zl. 99/01/0127). Bei einem ethnischen Albaner, der aus der oben genannten Region bzw. aus einem angrenzenden Gebiet kommt, auf das eine Ausweitung der Aktionen nicht auszuschließen ist, kann daher - anders als für den Zeitraum vor dem 28. Februar 1998 - nicht von vornherein gesagt werden, dass die bloße Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreicht, eine Verfolgungsgefahr iS des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG zu begründen. In einem solchen Fall ist es erforderlich, bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Refoulement auch das genannte Amtswissen einzubeziehen. Eine relevante Bedrohung wäre bereits dann zu bejahen, wenn sich dabei herausstellt, dass der Beschwerdeführer aus einer Gegend stammt, in der Aktionen der genannten Art mit der für die Beurteilung nach § 57 FrG maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind und keine besonderen Umstände vorliegen, die es unwahrscheinlich machen, dass der Beschwerdeführer davon betroffen sein könnte.
Der Beschwerdeführer stammt nach seinen Angaben aus einem Ort im Bereich des von den Vorgängen bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides betroffenen Gebietes. Es ist daher offensichtlich, dass die belangte Behörde, hätte sie auf die genannten Vorfälle ab 28. Februar 1998 in der dargestellten Weise von Amts wegen Bedacht genommen, zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
2.3. Zu der im vorliegenden Fall nicht anzunehmenden innerstaatlichen Fluchtalternative wird auf das hg. Erkenntnis vom 8. September 1999, Zl. 99/01/0126, verwiesen.
3. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Wien, am 25. September 2003
Schlagworte
Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:1998180263.X00Im RIS seit
27.10.2003