Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Thoma und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des 1970 geborenen O in F, vertreten durch Dax, Klepeisz & Partner, Rechtsanwaltspartnerschaft GmbH in 7000 Eisenstadt - Techno-Park, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. Oktober 2002, Zl. 232.124/0-XI/38/02, betreffend §§ 7 und 8 des Asylgesetzes 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger Nigerias, gelangte am 4. September 2002 in das Bundesgebiet und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Im Rahmen seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt (die Erstbehörde) am besagten Tag gab er auf Befragen zum "Ausreisegrund" aus seinem Heimatstaat an, aus Furcht vor der geheimen Gesellschaft namens "Owebe" geflohen zu sein. Sein verstorbener Vater sei Mitglied dieser Gesellschaft gewesen. Der Beschwerdeführer habe sich geweigert, dieser Gesellschaft beizutreten, und sei deshalb mit dem Umbringen oder dem Wahnsinn bedroht worden.
Mit Bescheid vom 27. September 2002 wies die Erstbehörde den Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung (des Beschwerdeführers) nach Nigeria zulässig sei. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges, insbesondere der Angaben des Beschwerdeführers vor der Erstbehörde, und Darlegung von "Grundanforderungen" an ein Vorbringen als glaubhaft, traf sie Negativfeststellungen über Identität, Nationalität und Fluchtgrund des Beschwerdeführers. Begründend führte sie zusammengefasst weiter aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei den genannten Anforderungen nicht gerecht geworden. Es lägen keine entsprechenden Hinweise vor, dass eine "Owebe-Geheimgesellschaft" die gesamte Polizei des Heimatlandes des Beschwerdeführers in ihrer Hand hätte. Das Vorbringen des Beschwerdeführers stehe im Widerspruch zu den tatsächlichen Verhältnissen in Nigeria und sei somit nicht geeignet, seine Flüchtlingseigenschaft zu indizieren. Die Erstbehörde ziehe das Vorbringen des Beschwerdeführers auch im Hinblick auf weitere - im Erstbescheid näher dargelegte - Ungereimtheiten in Zweifel. Nebenbei sei noch zu erwähnen, dass weder aus den der Erstbehörde zur Verfügung stehenden Unterlagen und Dokumenten noch aus dem Internet irgendetwas über eine "Owebe-Geheimgesellschaft", die in Nigeria ansässig sein sollte, hervorgegangen sei. Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohungssituation in Nigeria (vermutete Übergriffe dieser Geheimgesellschaft, um ihn zum Beitritt zu zwingen) sei auf Grund der Ungereimtheiten, der vagen und unsubstantiierten Aussagen sowie mangelnder Plausibilität nicht einmal ansatzweise glaubwürdig gewesen. Da der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sei, der Erstbehörde eine relevante Verfolgungsgefahr im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention für Nigeria glaubhaft darzulegen, könne ihm kein Asyl gewährt werden. Weiters begründete die Erstbehörde ihren Abspruch nach § 8 AsylG.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er sich gegen die Beweiswürdigung der Erstbehörde wandte und ausdrücklich die Abänderung des Erstbescheides nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung dahingehend begehrte, dass ihm Asyl gewährt werde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes 1997 die Feststellung aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Nach Darstellung des Verfahrensganges unter wörtlicher Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers vor der Erstbehörde und der Berufung traf die belangte Behörde - auf der Grundlage der Einvernahme des Beschwerdeführers durch die Erstbehörde sowie der Berufung - die wesentliche Feststellung, seine Identität, Staatsangehörigkeit, sein Fluchtweg - und damit zusammenhängend das Datum der illegalen Einreise in das Bundesgebiet - sowie die Fluchtgründe hätten nicht festgestellt werden können. Zur Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, betreffend die Identität des Beschwerdeführers sowie dessen Staatsangehörigkeit sei festzuhalten, dass er keinerlei Lichtbildausweise oder sonstige Dokumente zur Bescheinigung seiner Identität habe vorlegen können. Was nun die von ihm behauptete Fluchtgeschichte betreffe, sei vorweg darauf hinzuweisen, dass die den Beschwerdeführer seinen Angaben nach verfolgende " "Owebe-Geheimgesellschaft" - wie bereits von der Erstbehörde ausgeführt - auch seitens der belangten Behörde nicht habe verifiziert werden können. Eine "Geheimgesellschaft" dieses Namens sei weder durch "diverse Suchmaschinen (altavista, excite, lycos, yahoo)" noch durch Nachforschung in sämtlichen der belangten Behörde bekannten und zugänglichen Länderberichten und Dokumentationen über Nigeria feststellbar. Die über Internet mittels diverser Suchmaschinen erzielten - überaus spärlichen - Treffer hinsichtlich des Begriffes Owebe hätten sich auf einen in Nigeria tatsächlich existierenden Ort Namens "Afaw Owebe" (etwa 300 km von Benin City, dem behaupteten Herkunftsort des Beschwerdeführers, entfernt gelegen) sowie etwa auf einen Begriff, der Bestandteil einer - allerdings nicht Nigeria zuzuordnenden - "Kunstsprache Ebubo" sei, oder andere, nicht mit Nigeria in Verbindung stehenden Web-Seiten beschränkt.
Nach weiterer Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers vor der Erstbehörde und in der Berufung führte die belangte Behörde weiter aus, es sei für sie nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer einerseits nichts Näheres über die ihn angeblich verfolgende Gesellschaft erzählen könne, andererseits aber angebe, seines Wissens nach handle es sich bei der ihn verfolgenden Sekte um eine der einflussreichsten in Nigeria. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, wäre es nach Ansicht der belangten Behörde einerseits mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr wohl möglich gewesen, die Existenz dieser angeblich immens einflussreichen Sekte in Nigeria zu verifizieren (so gebe es etwa, dies sei nur angemerkt, bei einer Suche im Internet über altavista etwa zu dem Begriff "Ogboni" allein 161 Treffer und finde diese Gesellschaft, auch wenn es sich bei dieser keineswegs um ein Massenphänomen handle, durchaus auch in diversen sonstigen Länderberichten über Nigeria Erwähnung), andererseits wäre der Beschwerdeführer wohl in der Lage gewesen, über diese seiner Behauptung nach sehr einflussreiche Sekte in Nigeria detailliertere Angaben machen zu können, zumal er seinen Angaben zufolge dieser Sekte hätte beitreten sollen und anzunehmen wäre, dass sich der Beschwerdeführer schon auf Grund der persönlichen Betroffenheit über diese so einflussreiche Sekte kundig gemacht hätte. Da im gegenständlichen Fall trotz amtswegiger Ermittlungen der Erstbehörde und der belangten Behörde die Existenz der " Owebe"-Geheimgesellschaft nicht verifizierbar gewesen sei und sich die Angaben des Beschwerdeführers in allgemeinen und unkonkreten Behauptungen erschöpft hätten, könne unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es nur der Beschwerdeführer selbst in der Hand gehabt hätte, seinen Angaben durch eigene Initiative Glaubwürdigkeit zu verleihen, nicht davon ausgegangen werden, er sei seiner Mitwirkungspflicht ausreichend nachgekommen. Es könne daher nicht von einer Glaubhaftmachung des behaupteten Fluchtgrundes ausgegangen werden. Aus einer Gesamtbetrachtung dieser Ausführungen ergebe sich die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers. Selbst wenn man hypothetisch - entgegen den Feststellungen der belangten Behörde - von der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ausgehen sollte, wäre der Berufung dennoch kein Erfolg beschieden. Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers werde ein Anknüpfungspunkt zu einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe nicht konkret dargetan. Nach weiterer Begründung ihres Abspruches nach § 8 AsylG führte die belangte Behörde abschließend aus, von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil im Sinn des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG der Sachverhalt im Verfahren vor der belangten Behörde dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen sei, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt worden sei und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehen eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet werde. Diese Voraussetzungen lägen im gegenständlichen Fall vor. Was das Berufungsvorbringen betreffe, finde sich hierin kein neues bzw. kein konkretes Tatsachenvorbringen hinsichtlich der Fluchtgründe des Beschwerdeführers. Zur Rüge, er habe keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu den von der Erstbehörde herangezogenen Dokumentationsmaterialien gehabt, sei darauf hinzuweisen, dass er jedenfalls seit Zustellung des Erstbescheides ohnedies in Kenntnis dieser Feststellungen gewesen sei. Darüber hinaus sei sein Vorbringen unabhängig von den seitens der Erstbehörde allgemein zur politischen Situation, Religionsausübung sowie zum Sektenunwesen in Nigeria getroffenen Feststellungen als nicht glaubwürdig anzusehen.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Beschwerde sieht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften unter anderem im Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung. Gerade wenn es der belangten Behörde nicht möglich sei, unter dem vom Beschwerdeführer angegebenen Namen "Owebe" Informationen über den Geheimkult zu erlangen, wäre es notwendig und erforderlich gewesen, anhand seines persönlichen Eindruckes dessen Glaubwürdigkeit zu überprüfen.
Die belangte Behörde habe ihre Entscheidung damit begründet, dass sie die Sekte "Owebe" nicht habe verifizieren können. Sie hätte diesen Umstand dem Beschwerdeführer zur Kenntnis zu bringen und vorzuhalten gehabt. In Kenntnis dieses Ermittlungsergebnisses hätte der Beschwerdeführer darauf hinweisen können, dass für die Sekte auch ein anderer Name, nämlich "AMOC" existiere. Weiters hätte er die belangte Behörde darauf hinweisen können, dass unter der Schreibweise "Owegbe" sehr wohl Hinweise auf eine Kult- oder Geheimgesellschaft eruierbar seien. Zur Verifizierung seiner Angaben lege er ein Schreiben von "Accord" (betreffend einen "Owegbe"-Kult in Edo State) vor.
Zur Darstellung der im Beschwerdefall maßgeblichen Rechtslage nach der Verwaltungsverfahrensnovelle 2001, BGBl. I Nr. 137, sei zunächst gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533, verwiesen.
Im vorliegenden Fall hatte der Beschwerdeführer in der Berufung ausdrücklich die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlungen begehrt. Die Beschwerde weist nun zutreffend darauf hin, dass die Voraussetzungen für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung schon deshalb nicht vorlagen, weil die belangte Behörde - offenbar in Anbetracht des ihrer Ansicht nach noch klärungsbedürftigen Berufungsvorbringens - selbst Ermittlungen in Form von Nachforschungen im Internet über die Existenz der vom Beschwerdeführer genannten Geheimgesellschaft durchführte und gestützt auf deren Ergebnisse dem Vorbringen des Beschwerdeführers letztendlich die Glaubwürdigkeit absprach. Auch legt die Beschwerde die Relevanz der Verletzung der Verhandlungspflicht insofern dar, als sie vorbringt, der Beschwerdeführer hätte - bei gebotener Gelegenheit -
auf das (negative) Ermittlungsergebnis der belangten Behörde mit einem Hinweis auf einen weiteren gebräuchlichen Namen und auf eine andere Schreibweise des Namens dieser Geheimgesellschaft reagiert.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde unter Beachtung der Verhandlungspflicht zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 7. Oktober 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002010595.X00Im RIS seit
03.11.2003