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41/01 Sicherheitsrecht;Norm
SPG 1991 §65 Abs1 idF 2000/I/085;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Thoma und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde der E in R, vertreten durch Dr. Hans Jalovetz und Dr. Paul Wachschütz, Rechtsanwälte in 9500 Villach, Postgasse 6/IV, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau vom 31. März 2003, Zl. SP21-ALL-221/1-2003, betreffend Verpflichtung zu erkennungsdienstlicher Behandlung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nachdem die Beschwerdeführerin von ihrem ehemaligen Lebensgefährten wegen des Verdachtes des Betruges und der Verleumdung angezeigt worden war, erhielt sie vom Gendarmerieposten S die Aufforderung, sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen, der sie jedoch keine Folge leistete.
Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die Bezirkshauptmannschaft S (die belangte Behörde) wie folgt ab:
"Da Sie der Aufforderung, sich der erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen, nicht nachgekommen sind, wird Ihnen die hierzu nach § 65 Absatz 1 und Absatz 4 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) in Verbindung mit § 96 Absatz 3 SPG bestehende Verpflichtung gem. § 77 Absatz 2 SPG auferlegt. Die erkennungsdienstliche Behandlung, der Sie sich zu unterziehen haben, umfasst gem. § 67 Absatz 1 SPG in Verbindung mit § 96 Absatz 3 SPG auch die Abnahme eines Mundhöhlenabstriches oder die Durchführung anderer geeigneter Maßnahmen zum Zwecke der Ermittlung von genetischer Information.
Zur Durchsetzung Ihrer festgestellten Mitwirkungsverpflichtung kann gem. § 77 Absatz 4 SPG Ihre Vorführung erfolgen und gemäß § 78 SPG unmittelbare Zwangsgewalt angewandt werden.
Sie haben sich daher längstens bis zum 22. April 2003
beim Gendarmerieposten Serkennungsdienstlich behandeln zu lassen und sich zu diesem Zweck beim Gendarmerieposten S einzufinden."
Begründend führte die belangte Behörde aus, ihr sei mit Bericht des Gendarmeriepostens S vom 1. März 2003 der folgende, in seinen wesentlichen Teilen wiedergegebene Sachverhalt zur Kenntnis gebracht worden:
"Die Beschwerdeführerin wurde vom GP S wegen des Verdachtes des schweren Betruges, Vergehen nach § 147 Abs. 1 lit. 1 StGB und wegen des Verdachtes der Verleumdung, Vergehen nach § 297 StGB, der StA Klagenfurt angezeigt."
Im Hinblick auf die erwähnten Straftaten bzw. im Hinblick auf den Verdacht, die erwähnten, mit Strafe bedrohten Handlungen begangen zu haben, sei zu erwarten, dass die Beschwerdeführerin im Fall der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe Spuren hinterlassen werde, die ihre Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Information ermöglichen würden. Sie sei am 27. Februar 2003 unter Hinweis auf die maßgeblichen Gründe für die beabsichtigte erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 77 Abs. 1 SPG formlos aufgefordert worden, sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zum Zweck der Ermittlung ihrer genetischen Information zu unterziehen. Sie habe diese erkennungsdienstliche Behandlung verweigert. Gemäß § 65 Abs. 1 leg. cit. seien die Sicherheitsbehörden ermächtigt, einen Menschen, der in Verdacht stehe, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn der Betroffene im Rahmen krimineller Verbindungen tätig geworden sei oder dies sonst zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheine. Aus diesem Grund komme nach Prüfung der oben erwähnten Tatsachen ein Absehen von der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht in Betracht.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Beschwerdeführerin sieht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, dass keine Feststellungen zu ihrer Person getroffen worden seien. Dies wäre insbesondere im Hinblick auf § 65 Abs. 1 SPG notwendig gewesen, zumal gerade Schlussfolgerungen auf die Persönlichkeit der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass sie gefährliche Angriffe begehen werde, zu ziehen seien, und auch die damit zusammenhängende Frage des abzuleitenden Erfordernisses einer Vorbeugung durch eine erkennungsdienstliche Behandlung zu beurteilen sei. Die belangte Behörde habe sich mit den Voraussetzungen nach § 65 Abs. 1 SPG und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer "Vorbeugung" durch eine erkennungsdienstliche Behandlung überhaupt nicht auseinander gesetzt.
Damit zeigt die Beschwerde Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen, von der belangten Behörde herangezogenen Bestimmungen des § 65 Abs. 1 sowie des § 67 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes wurden durch die Sicherheitspolizeigesetz-Novelle 2002, BGBl. I Nr. 104, wie folgt neu gefasst:
"Erkennungsdienstliche Behandlung
§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies sonst auf Grund von Umständen in der Person des Betroffenen oder nach der Art der begangenen mit Strafe bedrohten Handlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint."
"DNA-Untersuchungen
§ 67. (1) Die DNA eines Menschen darf im Rahmen seiner erkennungsdienstlichen Behandlung ermittelt werden, wenn der Betroffene in Verdacht steht, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, und wenn in Hinblick auf diese Tat oder die Persönlichkeit des Betroffenen erwartet werden kann, dieser werde bei Begehung weiterer gefährlicher Angriffe Spuren hinterlassen, die seine Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Information ermöglichen würden. Eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 65 Abs. 2 darf auch in Bezug auf die DNA von Menschen erfolgen, soweit dies zur Auswertung vorhandener DNA-Spuren erforderlich ist."
Die ErläutRV zur Sicherheitspolizeigesetz-Novelle 2002, 1138 BlgNR XXI GP. 33 f, führen zur Neufassung des § 65 Abs. 1 sowie des § 67 Abs. 1 SPG aus:
"Zu § 65 Abs. 1:
Durch die SPG-Novelle 1999, BGBl. I Nr. 146/1999, wurde der Zweck der erkennungsdienstlichen Behandlung, nämlich die Vorbeugung einzelner gefährlicher Angriffe oder gefährlicher Angriffe, die im Rahmen einer kriminellen Verbindung begangen werden, stärker hervorgehoben. Eine erkennungsdienstliche Behandlung bei Verdacht einer Einzelstraftat ist daher nach dieser Bestimmung auf jeden Fall zulässig, wenn beim Betroffenen konkrete Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr oder der Gefahr der Begehung anderer gefährlicher Angriffe bestehen. Für bestimmte Deliktsbereiche ist jedoch darüber hinaus eine allgemeine (statistische) Rückfallsgefahr typisch (vgl. die EB zum Erkennungsdienst zur RV 1991, 148 BlgNR, XVIII. GP, die die Rückfallsgefahr jedoch nicht auf bestimmte Deliktsbereiche bezogen). Durch die vorgeschlagene Einfügung soll nunmehr klargestellt werden, dass nicht nur Umstände beim Betroffenen sondern auch die Art des Deliktes, dessen der Betroffene verdächtig ist, eine Vorbeugungsaufgabe durch Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung begründen können. Hierbei kommen die Art des begangenen Delikts sowie konkrete Umstände bei der Tatbegehung als Maßstab für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe in Frage. Selbstverständlich ist stets auch die Verhältnismäßigkeit (vgl. die §§ 51 und 29) in die Beurteilung der Zulässigkeit der Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung einzubeziehen.
...
Zu den §§ 65a, 67 Abs. 1 und 67 Abs. 1a:
Mit diesen Bestimmungen soll die gesetzliche Grundlage für die Ermittlung erkennungsdienstlicher Daten - die auch die Ermittlung der DNA umfasst - an abgängigen Menschen geschaffen werden, wenn der Verdacht besteht, dass diese Selbstmord begangen haben oder Opfer einer Gewalttat oder eines Unglückfalles geworden sind. In der Praxis sind zum Zeitpunkt der Erstattung einer Vermisstenanzeige ein Photo oder häufig auch noch DNA-Untersuchungsmaterial der Vermissten vorhanden, das den Sicherheitsbehörden die Suche nach den Abgängigen erleichtert. Vor allem vorhandenes DNA-Untersuchungsmaterial kann in weiterer Folge zur Vergleichsuntersuchung mit DNA-Material von aufgefundenen Toten herangezogen werden kann. Zur Erleichterung der bundesweiten Suche nach den Vermissten sollen deren erkennungsdienstliche Daten in die Zentrale erkennungsdienstliche Evidenz aufgenommen werden (vgl. § 75 Abs. 1 des Entwurfes). Auf diese Weise kann die Identität zwischen vermissten Personen und aufgefundenen Toten entweder ausgeschlossen oder im Falle der Übereinstimmung der DNA-Profile geklärt werden. Das für die kriminalpolizeilichen Ermittlungen erforderliche DNA-Untersuchungsmaterial der vermissten Person befindet sich meist in der Privatsphäre von Angehörigen oder nahe stehenden Personen, weshalb in diesem Fall auf die freiwillige Mitwirkung und auf den amtlichen Charakter der Ermittlung hinzuweisen ist.
Eine weitere Verbesserung im Bereich des Erkennungsdienstes soll dadurch geschaffen werden, dass eine erkennungsdienstliche Maßnahme auch in Form einer DNA-Untersuchung an Leichen vorgenommen werden darf. Damit soll gewährleistet werden, dass die DNA-Untersuchung an Leichen auch zum Zwecke der Identitätsfeststellung und zur Auswertung vorhandener Spuren eines gefährlichen Angriffs durchgeführt werden kann.
Im Zuge der kriminalpolizeilichen Vollzugspraxis hat die erfolgreiche Anwendung von DNA-Untersuchungen durch die Sicherheitsbehörden mit sich gebracht, dass von Personen, die nicht im Verdacht stehen, den gefährlichen Angriff begangen zu haben (Gelegenheitspersonen), häufig Spurenmaterial am Tatort hinterlassen wurde, das in weiterer Folge von dem Spurenmaterial Verdächtiger abzusondern war. In diesem Zusammenhang ist auf die in der Praxis auftretende Problematik der Mischspuren - vor allem bei Sexualdelikten - hinzuweisen, wo eine Unterscheidung der gesicherten DNA-Profile von Täter und anderen Personen notwendig ist. Mit der neuen Bestimmung soll eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden, dass die Durchführung einer DNA-Untersuchung an den genannten Gelegenheitspersonen vorgenommen werden darf, sofern dies zur Auswertung der vorhandenen Spuren erforderlich ist.
Durch die Einfügung der weiteren Fälle der Untersuchung von DNA-Material und zur Verarbeitung der daraus gewonnenen erkennungsdienstlichen Daten in § 67 werden die bereits in den Abs. 2 und 3 vorgesehenen besonderen Vorkehrungen für die Behandlung dieser Daten anwendbar."
Auch in der nunmehr zu beurteilenden neuen Fassung des § 65 Abs. 1 SPG kommt es - unter anderem - darauf an, dass die erkennungsdienstliche Behandlung "zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint". Die Anordnung des § 65 Abs. 5 zweiter Satz SPG ihrerseits blieb unverändert aufrecht. Ungeachtet der zitierten Erläuterungen sieht der Verwaltungsgerichtshof - wie er in seinem Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0592, auf das im Übrigen gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausführte - daher keinen Anlass, von seiner bisherigen Judikatur abzugehen. Für die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 65 Abs. 1 SPG ist es demnach weiterhin erforderlich, dass eine konkrete fallbezogene Prognose getroffen wird, wobei sich die Behörde mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer "Vorbeugung" durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinander zu setzen hat. Im Rahmen dieser so anzustellenden Überlegungen wird es immer auch auf die Art des Deliktes, dessen der Betroffene verdächtig ist, ankommen. Das stellt der neue Wortlaut des § 65 Abs. 1 SPG ausdrücklich klar.
Der Verwaltungsgerichtshof sprach zur erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 67 Abs. 1 SPG in der Fassung vor der Sicherheitspolizeigesetz-Novelle 2002 aus, dass sich diese gegenüber jener nach § 65 Abs. 1 SPG als lex specialis erweise und sich von letzterer im Hinblick auf die besondere Sensibilität der derart gewonnenen Informationen sowie auf Art und Umfang der Verpflichtung des Betroffenen zur Mitwirkung durch zusätzliche Tatbestandselemente unterscheide und an zwei Voraussetzungen anknüpfe: einerseits müsse der Betroffene in Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, andererseits müsse im Hinblick auf diese Tat oder die Persönlichkeit des Betroffenen erwartet werden können, dieser würde bei Begehung weiterer gefährlicher Angriffe Spuren hinterlassen, die seine Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Information ermöglichen würden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2003, Zl. 2001/01/0098, mwN).
Wie den zitierten ErläutRV zur Neufassung des § 67 Abs. 1 SPG durch die Sicherheitspolizeigesetz-Novelle 2002 zu entnehmen ist, sollte durch die genannte Novelle der Anwendungsbereich der erkennungsdienstlichen Behandlung mittels DNA-Untersuchung auf vermisste Personen und aufgefundene Leichen sowie auf unverdächtige Menschen, die Gelegenheit hatten, Spurenmaterial am Tatort zu hinterlassen, erweitert werden, im Übrigen jedoch an den Voraussetzungen für die DNA-Untersuchung an einem Betroffenen nach § 67 Abs. 1 SPG keine Änderung erfolgen, weshalb für den Verwaltungsgerichtshof insoweit kein Anlass besteht, von seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen für eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 67 Abs. 1 SPG abzugehen.
Da sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid weder mit der nach § 65 Abs. 1 SPG notwendigen Prognose noch mit den besonderen Voraussetzungen für eine DNA-Untersuchung im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 67 Abs. 1 SPG im dargelegten Sinn auseinander setzte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 7. Oktober 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2003010191.X00Im RIS seit
06.11.2003