RS OGH 1985/11/20 10Os211/84, 12Os61/86, 12Os26/87, 15Os4/88, 12Os161/98, 14Os116/05y, 13Os1/07g

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 20.11.1985
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Norm

StGB §28 D
StPO HauptstückXX
StPO §57
StPO §260 Abs1 Z1
StPO §263 Abs2 D
StPO §281 Abs1 Z8 D

Rechtssatz

1) Auch in den Fällen eines fortgesetzten Delikts werden durch eine Verurteilung nur dann alle Einzelakte erfaßt und abgegolten, wenn die betreffende Taten-Gesamtheit auf Grund ihrer (taxativ oder) pauschalen Individualisierung Gegenstand der Entscheidung ist; denn die prozessuale Sperrwirkung eines Urteils erstreckt sich auch in diesen Fällen ausschließlich auf jene Einzelakte, die darin als historische Ereignisse individualisiert sind.

2) Bei nur teilweiser Aburteilung eines fortgesetzten Delikts sind dessen noch nicht erfaßten Teilakte weiterhin sowohl materiellrechtlich als auch prozessual vollauf erfaßbar, und zwar ebenfalls in ihrer Qualität als Einzelakte, diesfalls unter Beachtung allenfalls aktueller materiellrechtlicher Konsequenzen des Fortsetzungszusammenhangs, oder aber durch eine Entscheidung über das restliche fortgesetzte Delikt in seiner verbliebenen Gesamtheit (im Wege einer nunmehr pauschalierenden Teilakte): materiellrechtliche Doppelnatur des Teilaktes eines fortgesetzten Delikts.

3) Die Aburteilung eines fortgesetzten Delikts in seiner Gesamtheit trotz einer Beschränkung der Anklage auf Einzelfakten kann auch vom öffentlichen Ankläger nach § 281 Abs 1 Z 8 StPO angefochten werden; Ausscheidung (§ 57 StPO) und Verfolgungsvorbehalt (§ 263 Abs 2 StPO) sind trotz Fortsetzungszusammenhangs zulässig und wirksam.

Entscheidungstexte

  • 10 Os 211/84
    Entscheidungstext OGH 20.11.1985 10 Os 211/84
    Veröff: SSt 56/88 = EvBl 1986/123 S 465; hiezu kritisch Schindler ÖJZ 1987,323 = JBl 1986,397
  • 12 Os 61/86
    Entscheidungstext OGH 09.10.1986 12 Os 61/86
    Vgl auch
  • 12 Os 26/87
    Entscheidungstext OGH 03.12.1987 12 Os 26/87
    Vgl auch
  • 15 Os 4/88
    Entscheidungstext OGH 06.12.1988 15 Os 4/88
    Vgl auch; nur: Eine Verurteilung nur dann alle Einzelakte erfaßt und abgegolten, wenn die betreffende Taten-Gesamtheit auf Grund ihrer (taxativ oder) pauschalen Individualisierung Gegenstand der Entscheidung ist. (T1) Beisatz: Durch die (mit Bezug auf § 260 Abs 1 Z 1 StPO zulässige) pauschale Aburteilung einer unbestimmten Zahl von Betrugstaten bestimmter Art zu Lasten von zum Teil unbekannten Geschädigten werden alle vom Angeklagten im Tatzeitraum realisierten, der individualisierenden Tatenbeschreibung entsprechenden Fakten erfaßt und abgegolten. (T2)
  • 12 Os 161/98
    Entscheidungstext OGH 09.12.1998 12 Os 161/98
    Vgl auch; Beisatz: Auch bei Annahme eines fortgesetzten Delikts erstreckt sich die Rechtskraft eines Schuldspruchs nur auf die vor der Urteilsverkündung liegenden Einzelakte. Dagegen können nach diesem Zeitpunkt begangene gleichartige strafbare Handlungen in einem neuen Verfahren abgeurteilt werden. (T3)
  • 14 Os 116/05y
    Entscheidungstext OGH 22.11.2005 14 Os 116/05y
    Vgl aber; Beisatz: Hinweis, wonach in jüngerer Rechtsprechung die Rechtsfigur des fortgesetzten Deliktes zugunsten der deliktsspezifisch angelegten tatbestandlichen Handlungseinheit aufgegeben wurde. (T4)
  • 13 Os 1/07g
    Entscheidungstext OGH 11.04.2007 13 Os 1/07g
    Verstärkter Senat; Vgl aber; Beisatz: Soweit in früherer Rechtsprechung unter dem Begriff des „fortgesetzten Delikts" (nach Maßgabe zuweilen geforderter, indes uneinheitlich gehandhabter weiterer Erfordernisse) mehrere den gleichen Tatbestand (ob versucht oder vollendet) erfüllende, mit einem „Gesamtvorsatz" begangene Handlungen zu einer dem Gesetz nicht bekannten rechtlichen Handlungseinheit mit der Konsequenz zusammengefasst wurden, dass durch die je für sich selbständigen gleichartigen Straftaten doch nur eine einzige strafbare Handlung begründet würde, hat der Oberste Gerichtshof diese Rechtsfigur der Sache nach bereits mit der Bejahung ihrer prozessualen Teilbarkeit durch die Grundsatzentscheidung SSt 56/88 = EvBl 1986/123 aufgegeben. Seither reduziert er deren Bedeutung auf den unverzichtbaren Kernbereich der der Rechtsfigur zugrunde liegenden Vorstellung, den er als tatbestandliche Handlungseinheit bezeichnet.In der Anerkennung des Fortsetzungszusammenhangs bloß nach Maßgabe tatbestandlicher Handlungseinheiten liegt gezielte Ablehnung einer absoluten Sicht des fortgesetzten Delikts und ein Bekenntnis zur deliktsspezifischen Konzeption. Denn der Unterschied zwischen der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts und der tatbestandlichen Handlungseinheit besteht darin, dass die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts aus dem allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts abgeleitet wird, die der tatbestandlichen Handlungseinheit aber gleichartige Handlungen nach Maßgabe einzelner Tatbestände zusammenfasst. Die Kriterien einer Zusammenfassung können demnach durchaus deliktsspezifisch verschieden sein, ohne dass daraus das ganze Strafrechtssystem erfassende Widersprüche auftreten. Von einer tatbestandlichen Handlungseinheit spricht man im Anschluss an Jescheck/Weigend5 (711 ff) bei einfacher Tatbestandsverwirklichung, also der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands, insbesondere bei mehraktigen Delikten und Dauerdelikten (tatbestandliche Handlungseinheit ieS) und dort, wo es nur um die Intensität der einheitlichen Tatausführung geht (SSt 56/88), demnach bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld), auch wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger verletzt werden, sowie bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung, also der Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch mehrere Einzelakte im Fall einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage, etwa beim Übergang vom Versuch zur Vollendung oder bei einem Einbruchsdiebstahl in zwei Etappen (tatbestandliche Handlungseinheit iwS). (T5)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:RS0090794

Dokumentnummer

JJR_19851120_OGH0002_0100OS00211_8400000_006
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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