TE Vwgh Erkenntnis 2003/10/7 2002/01/0266

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Veröffentlicht am 07.10.2003
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Index

L00060 Landesbürger;
L42000 Staatsbürgerschaft;
10/10 Grundrechte;
19/01 Staatsvertrag von St. Germain;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

ABGB §28;
Regelung der Heimatverhältnisse 1863 §1;
Regelung der Heimatverhältnisse 1863 §2;
Regelung der Heimatverhältnisse 1863 §5;
StbG 1918 §1 Abs1;
StbG 1965 §7 Abs1;
StGG Art1;
StV 1919 Art64;
StV 1919 Art65;
StV 1919 Art70;
StV 1919 Art71;
StV 1919 Art72 lita;
StV 1919 Art72;
StV 1919 Art74;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des B in Buenos Aires, Argentinien, vertreten durch Dr. Daniel Charim, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Wasagasse 4, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 19. Oktober 2001, Zl. MA 61/III-B 29/2000, betreffend Feststellung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus den unbekämpften Feststellungen im angefochtenen Bescheid und der unstrittigen Aktenlage ergibt sich folgender Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wurde 1977 als ehelicher Sohn des Raul B. geboren. Dieser wurde 1949 als ehelicher Sohn des Juan Ernesto B. geboren. Dieser wiederum wurde 1908 als ehelicher Sohn des Antonio B. geboren, der 1880 als ehelicher Sohn des Joseph B. geboren wurde. Letzterer schließlich wurde 1845 in Romans bei Görz (Gorizia) geboren und ist am 28. Dezember 1878 nach Argentinien ausgewandert, wo er 1922 gestorben ist. Außer Joseph B. wurden alle Genannten in Argentinien geboren. Der Geburtsort von Joseph B. (Romans) lag bis zu deren Auflösung im Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie und fiel dann an Italien. Joseph B. besaß die (alt)österreichische Staatsbürgerschaft.

Nach mehreren Anfragen an die belangte Behörde beantragte der Beschwerdeführer die Feststellung, dass er kraft Abstammung österreichischer Staatsbürger sei. Begründend führte er aus, sein 1845 im Gebiet der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie geborener Vorfahre Joseph B. habe auf Grund näher genannter Bestimmungen des Staatsvertrages von St. Germain die Staatsbürgerschaft der Republik Österreich erhalten; sämtliche männlichen ehelichen Nachkommen des Genannten seien demnach ebenfalls österreichische Staatsbürger geworden. Daraus folge, dass der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerschaft kraft Abstammung von seinem Vater erworben habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer habe "weder kraft Abstammung gemäß § 7 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1965 idF der StbG-Novelle 1974 noch auf andere Art die österreichische Staatsbürgerschaft erworben. Er ist nicht österreichischer Staatsbürger".

In der Begründung stellte die belangte Behörde die einschlägige Rechtslage dar und kam zusammengefasst zu dem Ergebnis, Joseph B. sei wegen des Fehlens eines Heimatrechtes bzw. mangels Geburt im Gebiet der der österreichisch-ungarischen Monarchie nachfolgenden Republik Österreich nicht (neu)österreichischer Staatsbürger geworden. Der Beschwerdeführer könne daher von diesem Vorfahren seine österreichische Staatsbürgerschaft nicht ableiten. Ebenso wenig könnten die bereits in Argentinien geborenen Nachkommen von Joseph. B., Antonio B. (geboren 1880) und Juan Ernesto B. (geboren 1908), nach den genannten Bestimmungen österreichische Staatsbürger geworden sein.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 26. Juni 2002, B 1611/01, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Über die - ergänzte - Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 des im Zeitpunkt der Geburt des Beschwerdeführers (1977) in Kraft gewesenen Staatsbürgerschaftsgesetzes 1965, BGBl. Nr. 250, erwarb ein eheliches Kind mit seiner Geburt die (österreichische) Staatsbürgerschaft, wenn sein Vater in diesem Zeitpunkt Staatsbürger war oder die Staatsbürgerschaft im Zeitpunkt seines vor der Geburt des Kindes erfolgten Ablebens besessen hat.

Der Beschwerdeführer leitet die österreichische Staatsbürgerschaft seines Vaters, die ihm selbst zur österreichischen Staatsbürgerschaft kraft Abstammung verholfen haben soll, von einer ununterbrochenen Reihe männlicher ehelicher Vorfahren her, an deren Anfang der 1845 in einem damals zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörenden Ort geborene Joseph B. steht.

Im Zeitpunkt der Geburt von Joseph B. galten im Kreis Görz die staatsbürgerschaftsrechtlichen Bestimmungen des am 1. Oktober 1815 dort in Kraft getretenen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches. Nach dessen § 28 war "die Staatsbürgerschaft in diesen Erbstaaten ... Kindern eines österreichischen Staatsbürgers durch die Geburt eigen". Durch diesen Erwerbstatbestand wurde zwischen dem Kind und dem die Staatsbürgerschaft vermittelnden Vorfahren eine Verbindung begründet, die bis zur Erlangung der Eigenberechtigung des Kindes (damals gemäß § 21 ABGB mit Vollendung des 24. Lebensjahres) andauerte, sodass das Kind staatsbürgerschaftsrechtliche Veränderungen des Vaters bis zu diesem Zeitpunkt mit vollzog (vgl. die genannten Bestimmungen in Stubenrauch, Kommentar zum österreichischen ABGB I7, 1898; Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft I, 39f; die bei Goldemund/Ringhofer/Theuer, Das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht, auf Seite 473 und 488 abgedruckten Teile des Erlasses des Ministeriums des Innern vom 6. Dezember 1850, Zl. 25.418, sowie das auf Seite 488 abgedruckte Hofkanzleidekret vom 30. August 1832, Zl. 19.542).

Art. 1 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (RGBl Nr. 142/1867) normierte ein einheitliches ((alt)österreichisches) Staatsbürgerschaftsrecht für alle Angehörigen der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder, wozu auch der Geburtsort von Joseph B. im Kreis Görz gehörte.

Die am 16. Juli 1920 in Kraft getretenen, im Beschwerdefall maßgeblichen staatsbürgerschaftsrechtlichen Bestimmungen des Staatsvertrages von Saint-Germain-en-Laye vom 10. September 1919, StGBl. Nr. 303/1920, lauten:

Artikel 64. Österreich erkennt von Rechts wegen und ohne irgendeine Förmlichkeit als österreichische Staatsangehörige alle Personen an, die zur Zeit des Inkrafttretens des gegenwärtigen Vertrages das Heimatrecht (pertinenza) auf dem österreichischen Staatsgebiet besitzen und nicht Angehörige eines anderen Staates sind.

Artikel 65. Die österreichische Staatsangehörigkeit wird von Rechts wegen durch die bloße Tatsache der Geburt auf österreichischem Staatsgebiete von jeder Person erworben, die nicht vermöge ihrer Geburt eine andere Staatsangehörigkeit geltend machen kann.

Artikel 70. Alle Personen, die das Heimatrecht (pertinenza) in einem Gebiete besitzen, dass früher zu den Gebieten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte, erwerben ohne weiteres und unter Ausschluss der österreichischen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit desjenigen Staates, der auf dem genannten Gebiete die Souveränität ausübt.

Artikel 71. Unbeschadet der Bestimmung des Artikel 70 erwerben nicht ohne weiteres die italienische Staatsangehörigkeit in dem Falle, wo Gebiete an Italien übergehen:

1. Personen, die in diesen Gebieten heimatberechtigt, jedoch nicht da selbst geboren sind;

2. Personen, die das Heimatrecht in den genannten Gebieten nach dem 24. Mai 1915 erworben haben oder die es nur vermöge ihres ständigen Amtssitzes erworben haben.

Artikel 72. Die im Artikel 71 bezeichneten Personen sowie diejenigen:

a) welche früher in an Italien übergegangenen Gebieten heimatberechtigt waren oder deren Vater oder - wenn der Vater unbekannt ist - deren Mutter in den genannten Gebieten heimatberechtigt war;

b) oder welche während des gegenwärtigen Krieges in der italienischen Armee gedient haben sowie ihre Nachkommen können unter den in Artikel 78 für das Optionsrecht vorgesehenen Bedingungen auf die italienische Staatsangehörigkeit Anspruch erheben.

Artikel 74. Wenn der Anspruch auf die italienische Staatsangehörigkeit aufgrund des Artikels 72 nicht erhoben wurde oder wenn er abgewiesen wurde, erwerben die Beteiligten ohne weiteres die Staatsangehörigkeit jenes Staates, der auf dem Gebiete, in welchem sie vor der Erlangung des Heimatrechtes in dem an Italien abgetretenen Gebiete das Heimatrecht besaßen, die Souveränität ausübt.

Gemäß § 2 des Gesetzes vom 3. Dezember 1863, RGBl. Nr. 105, betreffend die Regelung der Heimatverhältnisse (Heimatrechtsgesetz - HRG) konnten nur Staatsbürger das Heimatrecht in einer Gemeinde erwerben. Das Heimatrecht in einer Gemeinde gewährte in derselben das Recht des ungestörten Aufenthaltes und den Anspruch auf Armenversorgung (§ 1 leg. cit.). Das Heimatrecht wurde durch die Geburt, durch die Verehelichung, durch die Aufnahme in den Heimatverband oder durch die Erlangung eines öffentlichen Amtes begründet (vgl. § 5 leg. cit.).

Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage, nach der im gegebenen Zusammenhang als maßgeblicher Zeitpunkt für den Erwerb der Staatsbürgerschaft der Republik Österreich jener des Inkrafttretens des Staatsvertrages von St. Germain in Frage kommt (16. Juli 1920), kann dahin stehen, ob Joseph B. in diesem Zeitpunkt oder danach noch die österreichische Staatsbürgerschaft erworben hat, weil der staatsbürgerschaftsrechtliche Status des Nachkommen - wie dargestellt - von jenem des gesetzlichen Vertreters nur bis zur Volljährigkeit des Nachkommen abhängig war. Deshalb konnte - anders als der Beschwerdeführer und offenbar auch die belangte Behörde meinen - Joseph B. seinem im Jahre 1880 geborenen Sohn Antonio B. die (im Jahre 1920 zu erwerbende) Staatsbürgerschaft der Republik Österreich nicht (mehr) vermitteln; Antonio B. war zum Stichtag schon eigenberechtigt, eine allfällige staatsbürgerschaftsrechtliche Änderung bei seinem Vater hätte er nicht mehr mit vollzogen.

Wesentlich ist somit, ob zum genannten Stichtag (16. Juli 1920) oder danach allenfalls ein Nachfahre von Joseph. B. die (neu)österreichische Staatsbürgerschaft erworben und in der Folge dem Vater des Beschwerdeführers, dem 1949 geborenen Raul B., übertragen hat. Dafür kommen der 1880 geborene Antonio B. und sein am Stichtag noch minderjähriger Sohn Juan Ernesto B., geboren 1908, in Frage.

Geht man davon aus, dass Antonio B. und Juan Ernesto B. - Letzterer aufgrund seiner ehelichen Abstammung von Antonio B., dieser wiederum abgeleitet von Joseph B. - sogenannte "Altösterreicher" waren, haben sie mit dem Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie die mit ihrem Bestand verknüpfte "altösterreichische" Staatsbürgerschaft verloren (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1981, Zl. 1106/79).

Ein Erwerb der (neu)österreichischen Staatsbürgerschaft zu dem erwähnten Stichtag war jedoch beiden aus folgenden Gründen nicht möglich:

Antonio B. wurde im Jahre 1880 nicht im Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie bzw. der Republik Österreich geboren; ein ihm zustehendes Heimatrecht in einer zu diesem Gebiet gehörigen Gemeinde wurde nicht behauptet. Mangels eines solchen Heimatrechtes kommt für ihn aber ein Erwerb der Staatsbürgerschaft der Republik Österreich auch nach Artikel 74 iVm Artikel 72 lit. a des Staatsvertrages von St. Germain (abgeleitet von einem Heimatrecht des Vaters Joseph B.) nicht in Frage.

Es wurde auch nicht behauptet, dass der im Jahre 1908 ebenfalls in Argentinien geborene Juan Ernesto B. irgendwann bis zum genannten Stichtag ein Heimatrecht im besagten Gebiet besaß, sodass auch auf ihn die Voraussetzungen für einen eigenständigen Erwerb der (neu)österreichischen Staatsbürgerschaft zu diesem Zeitpunkt nicht zutrafen. Somit konnten insoweit auch sein 1949 geborener Sohn Raul B. und in der Folge der Beschwerdeführer als dessen Sohn die österreichische Staatsbürgerschaft kraft Abstammung nicht erwerben. Hinweise auf die Erfüllung nach dem genannten Stichtag - entsprechend der weiteren Rechtsentwicklung - maßgeblicher Erwerbstatbestände durch einen der Vorfahren des Beschwerdeführers, die in der Folge auch zu dessen Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Abstammung geführt haben könnte, oder auf die Erfüllung anderer Erwerbstatbestände durch den Beschwerdeführer selbst ergeben sich aus den Verfahrensergebnissen nicht und werden auch in der Beschwerde nicht behauptet.

Im Ergebnis hat die belangte Behörde die Rechtsfrage zutreffend gelöst, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 7. Oktober 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002010266.X00

Im RIS seit

31.10.2003

Zuletzt aktualisiert am

02.04.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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