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E2D Assoziierung Türkei;Norm
ARB1/80 Art6 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des C, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh und Dr. Hanno Lecher, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 26. April 2000, Zl. Fr-4250a-170/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 26. April 2000 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 und 7 iVm den §§ 37, 38 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von sechs Jahren erlassen.
Zur Begründung dieser Maßnahme stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer lebe nach seinen Angaben seit Juli 1990 durchgehend in Österreich. Von Oktober 1990 bis September 1994 sei er "zeitweise" einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen; seither habe er keine Beschäftigung mehr. Der Beschwerdeführer habe - abgesehen von näher angeführten, zum Teil mehrmonatigen Unterbrechungen - vom 7. September 1990 bis 31. Jänner 1994 über Sichtvermerke und danach bis 13. November 1996 über Aufenthaltsbewilligungen verfügt. Der nach Ablauf der letzten Aufenthaltsbewilligung erst am 18. November 1996 eingebrachte Verlängerungsantrag sei mit Bescheid vom 28. Jänner 1997 - nach der Aktenlage: wegen verspäteter Antragstellung und auch mangels Nachweises der Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes - abgewiesen worden. Auf Grund der dagegen eingebrachten Berufung habe das Bundesministerium für Inneres am 15. September 1998 "eine Mitteilung gemäß § 15 Abs. 1 FrG" erlassen.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sei er auch nicht nach Art. 6 oder Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 (ARB) zum Aufenthalt berechtigt. Das begründete die belangte Behörde unter anderem damit, dass der Beschwerdeführer nur bis September 1994 beschäftigt gewesen sei und mit seinem Vater in Österreich bislang keinen gemeinsamen Wohnsitz gehabt habe. Der Beschwerdeführer halte sich somit seit 14. November 1996 unrechtmäßig in Österreich auf.
Im Hinblick auf - durch die Angabe der Aktenzahl, der übertretenen Norm, des Zeitpunktes der Bestrafung und der Strafhöhe - im Einzelnen aufgelistete Bestrafungen wegen Verwaltungsübertretungen im Zeitraum 19. März 1996 bis 19. Jänner 1999, wovon fünf rechtskräftige Übertretungen nach dem Fremdengesetz hervorgehoben wurden, erachtete die belangte Behörde den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 2 FrG und wegen des Fehlens eines eigenen Einkommens und einer "Arbeitserlaubnis" auch den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 7 FrG für erfüllt. Beide Tatbestände stellten bestimmte Tatsachen im Sinne des § 36 Abs. 1 FrG dar, welche die Annahme rechtfertigten, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Das Aufenthaltsverbot werde auf Grund des strafbaren Verhaltens des Beschwerdeführers seit 1996 - im angefochtenen Bescheid auch erwähnte Bestrafungen wegen Verwaltungsübertretungen im Zeitraum 1992 bis 1995 sollten demnach offenbar nur zur Illustration dienen - erlassen. Vor diesem Zeitpunkt sei der Beschwerdeführer erst drei Jahre ununterbrochen und rechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen, sodass auf ihn "keine Aufenthaltsverfestigung" zur Anwendung komme.
Die belangte Behörde ging im Hinblick auf den langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers und wegen seiner familiären Bindungen (Aufenthalt seines Vaters im Bundesgebiet und seines 1997 in Österreich geborenen Kindes, welches allerdings bei der Mutter, getrennt vom Beschwerdeführer lebe) von einem "relevanten Eingriff" in sein Privat- und Familienleben aus. Ein geordnetes Fremdenwesen sei für den österreichischen Staat aber von eminentem Interesse. Somit gefährde allein schon der unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich die öffentliche Ruhe und Ordnung. Im Hinblick darauf und auf Grund der zahlreichen schweren Verwaltungsübertretungen sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, vor allem zur Aufrechterhaltung bzw. zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie zur Verhinderung von strafbaren Handlungen dringend geboten. Dazu komme, dass der Beschwerdeführer seinen Unterhalt nicht selbst "sichern" könne und damit eine Gefahr im Hinblick auf wirtschaftliche Belastungen für den Staat (Sozialhilfe, Notstandshilfe) darstelle. Dem gegenüber sei "die soziale Komponente seiner Integration" durch sein schweres Fehlverhalten gemindert. Er lebe mit seinem Vater nicht zusammen und befinde sich in einem Alter, wo er nicht mehr auf die Eltern als Bezugspersonen angewiesen sei. Seinen Unterhaltspflichten könne er auch aus dem Ausland nachkommen. Im Übrigen sei der Beschwerdeführer seit 1994 nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt integriert. Die belangte Behörde ging daher zusammenfassend davon aus, dass das in hohem Maß bestehende öffentliche Interesse, den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu untersagen, dessen privates Interesse in den Hintergrund dränge. Die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes würden schwerer wiegen als dessen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof hatte in seinem Erkenntnis vom 17. Juni 2003, Zl. 2000/21/0100, einen Bescheid der auch hier belangten Behörde vom 2. März 2000 zu beurteilen, dem ein im Wesentlichen gleich gelagerter Sachverhalt zu Grunde lag. In dem zitierten Fall war gegen einen seit 1989 überwiegend rechtmäßig in Österreich aufhältigen türkischen Staatsangehörigen gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 und 7 FrG ein befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden, das ebenfalls (vorrangig) auf Bestrafungen nach dem Fremdengesetz und die Mittellosigkeit des Beschwerdeführers gestützt wurde. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen. Aus den dort angeführten Gründen reichen auch im vorliegenden Fall - im Hinblick auf die beträchtlichen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers - die Feststellungen zu den Verwaltungsübertretungen des Beschwerdeführers jedenfalls nicht aus, um ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes annehmen zu können (vgl. auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/21/0026, mwN). Dabei wird die belangte Behörde insbesondere auch zu prüfen haben, inwieweit den Bestrafungen nach dem Fremdengesetz die (noch nicht rechtskräftig erledigte) Abweisung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu Grunde lag (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 18. September 2001, Zl. 2000/18/0078), und sie wird darauf bei der Gewichtung des dem Beschwerdeführer insoweit vorgeworfenen Verhaltens Bedacht zu nehmen haben.
Der angefochtene Bescheid war somit schon angesichts seiner Begründungsmängel wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Zu der im Mittelpunkt der Beschwerdeausführungen stehenden Auffassung, der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 bzw. nach Art. 7 ARB ist noch ergänzend anzumerken, dass aus den in der Beschwerde wörtlich zitierten Passagen von Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) fallbezogen nichts zu gewinnen ist, weil sie anders gelagerte Sachverhalte betreffen. Dies gilt vor allem für das Urteil vom 22. Juni 2000 in der Rechtssache C-65/98 (Eyüp), wo die Frau eines im Arbeitsmarkt integrierten türkischen Arbeitnehmers im Rahmen der Familienzusammenführung die Genehmigung erhalten hatte, zu ihrem Ehegatten zu ziehen. Weder dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch den vorgelegten Verwaltungsakten sind aber ausreichende Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer im Sinne des Art. 7 ARB die Genehmigung erhalten hätte, zu einem in Österreich bereits dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden Familienangehörigen zu ziehen. Im Übrigen kommt Art. 7 ARB in Bezug auf den Vater des Beschwerdeführers als Ankerperson auch deshalb nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer (nach den unbekämpften Feststellungen im angefochtenen Bescheid) mit diesem nie zusammen gelebt hat (vgl. zu diesem Erfordernis etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1997, Zl. 96/09/0334, und zuletzt das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2003, Zl. 98/21/0167, jeweils mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH). Die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 ARB sind aber schon deshalb nicht gegeben, weil der Beschwerdeführer dem regulären Arbeitsmarkt seit Oktober 1994 nicht mehr angehört (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 27. März 2003, Zl. 2000/09/0181; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2002, Zl. 99/09/0100).
Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG unterbleiben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 15. Oktober 2003
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000210125.X00Im RIS seit
09.12.2003