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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durchdie Streichung eines Rechtsanwaltes von der Liste der Rechtsanwälteaufgrund von - teilweise auch strafrechtlich bereits abgeurteilten -Sittlichkeitsdelikten gegen jugendliche Mädchen; keine Bedenken gegendie disziplinarrechtlichen Grundlagen dieser Maßnahme; keineUnsachlichkeit und keine Verletzung des Determinierungsgebotes; keineVerletzung des Rechts auf ein faires Verfahren und auf eineöffentliche Verhandlung; kein Verstoß gegen dasDoppelbestrafungsverbotSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Mit Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 31. Juli 1997 wurde der Beschwerdeführer - ein (ehemaliger) Rechtsanwalt - wegen teils versuchter, teils vollendeter geschlechtlicher Nötigung nach den §§202 Abs1 iVm. 15 StGB sowie wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach §207 Abs1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten (davon vier Monate unbedingt) verurteilt. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer von weiteren sieben Anklagepunkten freigesprochen. Dieses Urteil wurde mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes vom 22. April 1998, 13 Os 17/98, sowohl hinsichtlich des Schuldspruches als auch hinsichtlich des Ausspruches über die Strafe bestätigt. Mit Beschluß des Landesgerichtes Leoben vom 2. September 1999 wurde gemäß §31a Abs1 StGB die über den Beschwerdeführer verhängte teilbedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten auf zehn Monate gemildert, wobei ihm ein Teil der Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten für eine Probezeit von drei Jahren gemäß §43a Abs3 StGB bedingt nachgesehen wurde.
1.2. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer (im folgenden: Disziplinarrat) vom 30. September 1998 wurde der Beschwerdeführer u.a. hinsichtlich jener Fakten für schuldig gesprochen, hinsichtlich welcher er auch durch das Strafgericht rechtskräftig verurteilt worden war. Über diese Fakten hinausgehend wurden noch folgende Handlungen des Beschwerdeführers disziplinarrechtlich geahndet: Das Niederreißen eines jugendlichen Mädchens und das sich Fallenlassen auf ihren Körper sowie das anschließende Mißhandeln mit Faustschlägen (Faktum 4 des Spruches des Erkenntnisses des Disziplinarrates); das wiederholte Beschimpfen jugendlicher Mädchen (Faktum 5); die wiederholte Aufforderung an jugendliche Mädchen, an ihm sexuelle Handlungen vorzunehmen, wobei dies teilweise auch in Anwesenheit dritter Personen geschah (Faktum 6); das Eindringen zur Nachtzeit durch ein Fenster eines Wohnwagens, wobei der Beschwerdeführer einem damals noch nicht vierzehnjährigen Mädchen sexuell nahezutreten versuchte und ihr in der Folge eine Ohrfeige versetzte (Faktum 7); das Beschädigen einer Türe eines Fremdenzimmers eines Gasthauses, wodurch das Türblatt durchschlagen wurde, sowie das Stören der Nachtruhe durch Beschimpfungen anwesender Personen (Faktum 8).
All diese Handlungen wurden bereits in der Sachverhaltsdarstellung des Urteils des Landesgerichtes Leoben als erwiesen angenommen bzw. in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Leoben vom Beschwerdeführer zugestanden: Der Beschwerdeführer wurde aber aus folgenden Gründen für diese Handlungen strafrechtlich nicht verurteilt: Zum Faktum 4: Es erfolgte deswegen keine gerichtliche Verurteilung wegen Körperverletzung, weil nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte, ob die von der Zeugin behaupteten Folgen des festgestellten Verhaltens (blaue Flecken verbunden mit Schmerzen) "Verletzungen im Sinne des §83 StGB darstellen"; auch konnte ein Nötigungsvorsatz iS des §105 StGB nicht nachgewiesen werden. Zu den Fakten 5 und 6: Diese Handlungen waren insofern für das Strafverfahren nicht von Bedeutung, als sie zwar in den Sachverhaltsfeststellungen, aber nicht im Spruch des Urteils (weder im Freispruch noch in der Verurteilung) aufschienen. Zum Faktum 7: Das festgestellte Verhalten diente der Argumentation für die Annahme des Nichtvorliegens des Nötigungsvorsatzes für die im Faktum 4 vorgeworfene Handlung. Zum Faktum 8: Hier wurde die zur strafrechtlichen Verfolgung des versuchten Hausfriedensbruchs erforderliche Ermächtigung rechtzeitig zurückgezogen.
Über den Beschwerdeführer wurde nach §16 Abs1 Z4 Disziplinarstatut 1990, BGBl. 1990/474 (im folgenden: DSt 1990; auch die in weiterer Folge getätigten Bezugnahmen auf das DSt 1990 beziehen sich auf die hier maßgebliche Stammfassung), die Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste der Rechtsanwälte der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer verhängt.
2. Der Beschwerde gegen dieses Erkenntnis gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) mit Erkenntnis vom 27. September 1999 keine Folge.
3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes sowie eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, sowie die Verletzung der durch Art6 EMRK und Art4 des
7. ZPEMRK garantierten Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird. Zudem wird der Antrag gestellt, der Beschwerde iS des §85 Abs2 VerfGG 1953 die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Zu den aufgeworfenen Normbedenken:
1.1. Die Beschwerde rügt die Verfassungswidrigkeit der §§1 Abs1, 16, 28 und 32 Abs1 DSt 1990:
1.1.1. §1 Abs1 DSt 1990 und §16 DSt 1990 verstoßen nach Ansicht des Beschwerdeführers sowohl gegen Art18 als auch gegen Art7 B-VG. So lege §16 Abs6 DSt 1990 - wonach bei Verhängung der Strafe insbesondere auf die Größe des Verschuldens und der daraus entstandenen Nachteile, vor allem für die rechtsuchende Bevölkerung, bei Bemessung der Geldbuße auch auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse Bedacht zu nehmen ist - nicht dem Gebot des Art18 B-VG entsprechend fest, für welche der möglichen Deliktsarten - Berufspflichtenverletzung einerseits, Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes anderseits - welche der einzelnen in §16 Abs1 leg.cit. aufgezählten Strafen konkret in Betracht kämen. Es ergebe sich bloß aus der Spruchpraxis der OBDK, daß tendenziell berufliches Fehlverhalten von Rechtsanwälten gegenüber Fehlverhalten im außerberuflichen Bereich strenger bestraft werde.
1.1.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt keine Bedenken gegen die Bestimmungen des §1 Abs1 und §16 Abs6 DSt 1990 (iVm. §16 Abs1 DSt 1990). Der Gerichtshof ist in ständiger Rechtsprechung von der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des §1 DSt 1990 ausgegangen (siehe VfSlg. 13260/1992, 13526/1993, 14237/1995 sowie zu der mit dieser Norm vergleichbaren Bestimmung des §2 DSt 1872 VfSlg. 3290/1957, 5643/1967, 5967/1969, 7494/1975, 7905/1976, 9160/1981, 11007/1986, 11350/1987, 11776/1988, 11840/1988, 12032/1989). Aber auch gegen die Bestimmung des §16 Abs6 DSt 1990 (iVm. §16 Abs1 DSt 1990) bestanden schon bisher keine verfassungsrechtlichen Bedenken (zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des §16 DSt 1990, vgl. VfSlg. 14237/1995; zur Unbedenklichkeit des §12 Abs2 DSt 1872 - der noch weniger determinierten Vorgängerbestimmung des §16 Abs6 DSt 1990, vgl. etwa VfSlg. 12586/1990) und sind auch aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden.
1.2.1. Gemäß §28 Abs1 DSt 1990 wird der Einleitungsbeschluß von einem Senat des Disziplinarrates gefaßt, wobei der Kammeranwalt bei der Beratung und Abstimmung des Senates nicht anwesend sein darf. Der Beschwerdeführer erblickt in dieser Bestimmung eine Verletzung des Art6 EMRK, weil nicht der Kammeranwalt Träger des Anklagerechtes ist, sondern der Einleitungsbeschluß von Disziplinarrichtern gefaßt wird, die mit Ausnahme des Untersuchungskommissärs im späteren Hauptverfahren Mitglieder des erkennenden Senates sein können. Die damit fehlende organisatorische Trennung von Ankläger und Richter bewirke eine Beeinträchtigung des "äußeren Anscheins" eines fairen Verfahrens.
1.2.2. Diese Auffassung ist schon vom Ansatz her verfehlt. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, handelt es sich beim Einleitungsbeschluß um eine bloße Verfahrensanordnung (vgl. VfSlg. 10944/1986, 11448/1987 und 11608/1988), die lediglich die Voraussetzung dafür bildet, daß ein Disziplinarverfahren überhaupt in Gang gesetzt werden kann. Im Vordergrund steht die rechtzeitige Information des Beschuldigten über die ihm zur Last gelegten Disziplinarvergehen (vgl. VfSlg. 9425/1982). Das künftige Erkenntnis des Disziplinarrates wird durch den Einleitungsbeschluß in keiner Weise präjudiziert (vgl. VfSlg. 12962/1992, 13731/1994), sodaß aus der Mitwirkung an einem solchen Beschluß nicht auf die Befangenheit der Mitwirkenden in der Hauptsache geschlossen werden kann. Es gibt daher keine Grundlage für die Ansicht, daß jene Mitglieder des Disziplinarrates, die an der Fassung des Einleitungsbeschlusses teilgenommen haben, aus Sicht des Art6 EMRK von der Entscheidung in der Disziplinarsache in erster (bzw. zweiter) Instanz auszuschließen sind (VfSlg. 13731/1994).
1.3.1. Der Beschwerdeführer erblickt weiters in der Bestimmung des §32 Abs1 DSt 1990, welche im Verfahren vor dem Disziplinarrat die Abhaltung einer nichtöffentlichen mündlichen Verhandlung vorsieht, einen Verstoß gegen Art6 Abs1 EMRK.
1.3.2. Dieser Vorwurf entbehrt schon deswegen jeder Begründung, als die Öffentlichkeit des Verfahrens nur vor dem die Tat- und Rechtsfrage entscheidenden Gericht (Tribunal) gegeben sein muß (vgl. EGMR 23.2.1994, Fredin gg. Schweden, ÖJZ 1994, 565 mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung; Mayer, B-VG2 Art6 EMRK, D.II.1.) Der Disziplinarrat stellt aber - im Gegensatz zur OBDK - kein Tribunal iS des Art6 EMRK dar.
1.4. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlage ist es somit ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
2. Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:
2.1.1. Der Beschwerdeführer hat für die mündliche Verhandlung vor der OBDK den Beweisantrag gestellt, Herrn Prim. Dr. H sowie Frau Dr. S-M zu laden und zeugenschaftlich zu vernehmen, um zu beweisen, daß die Ursache der Verfehlungen auf eine hirnorganische Störung, welche unter Alkoholeinfluß des Beschwerdeführers eine mittelgradige Einschränkung seiner Dispositionsfähigkeit in den Tatzeitpunkten bewirkte, zurückzuführen wäre. Diese Zusammenhänge habe der Beschwerdeführer erst nach Durchführung medizinischer Untersuchungen erkennen können, denen er sich nach rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens unterzogen hatte. Konkret wollte der Beschwerdeführer durch Einvernahme der genannten Personen nachweisen, daß er früher nicht in der Lage war, diese Zusammenhänge zu erkennen. Die beantragten Zeugen könnten auch bestätigen, daß er mittlerweile jeden Alkoholkonsums entsage und sich ständig in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Unter diesen Umständen sei ein Begehen vergleichbarer Taten für die Zukunft auszuschließen. Der Beschwerdeführer wirft der OBDK unter dem Aspekt des Art6 Abs1 und Abs3 litd EMRK vor, dem Beweisantrag nicht Folge gegeben zu haben, sodaß es ihm unmöglich gemacht wurde, das Hauptaugenmerk im Verfahren auf die Verschuldensfrage zu lenken, was zumindest für die Bemessung der Strafe von entscheidendem Einfluß gewesen wäre. Der Beschwerdeführer vermißt auch eine Begründung für die Verweigerung der Stattgabe dieses Antrages.
2.1.2. Diesem Vorwurf ist entgegenzuhalten, daß die zeugenschaftliche Einvernahme der beantragten Personen im Hinblick auf Art6 EMRK aufgrund folgender Umstände nicht erforderlich war:
Nachdem der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 22. April 1998 der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben hatte, stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und stützte diesen Antrag auf ein (Privat-)Gutachten des Univ. Prof. Dr. A, der eine hirnorganische Störung beim Beschwerdeführer feststellte. Der Gutachter konstatierte, daß aufgrund dieser Störung Alkoholkonsum einen erhöhten Triebdruck beim Beschwerdeführer auslöse. Dieser Umstand war dem Beschwerdeführer im Zeitraum des Verfahrens erster Instanz nicht bekannt gewesen. Der Beschwerdeführer zog daraus den Schluß, daß er sich zum Zeitpunkt der Taten offenbar in einem Zustand der Zurechnungsunfähigkeit iS des §11 StGB befunden habe. Das zuständige Landesgericht Leoben bestellte im Wiederaufnahmeverfahren Univ. Prof. Dr. H als gerichtlichen Sachverständigen, welcher aufgrund nachgewiesener Persönlichkeitsstörungen eine Neigung zu sexuell enthemmtem Reagieren unter Alkoholeinfluß diagnostizierte, wodurch das Dispositionsvermögen zwar mittelgradig eingeschränkt, aber nicht aufgehoben war, somit Störungen im Sinne des §11 StGB beim Beschwerdeführer nicht vorlagen. Dem Antrag auf Wiederaufnahme wurde, "zumal keine neuen Tatsachen oder Beweismittel beigebracht wurden, die für sich allein oder im Zusammenhang mit den früher erhobenen Beweisen geeignet waren, einen Freispruch oder eine Verurteilung nach einem milderen Strafgesetz zu begründen", mit Beschluß des Landesgerichtes Leoben vom 7. Juni 1999 keine Folge gegeben. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 5. August 1999 ebenfalls keine Folge gegeben.
Nach der Rechtsprechung der europäischen Instanzen kann der Tatrichter die Befragung oder Ladung und Anhörung von Zeugen ablehnen, wenn er die zu erwartende Antwort bzw. Aussage nach seiner freien Ermessensentscheidung nicht für beachtlich hält (Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar2, Art6, Rz 202, unter Verweisung auf die Entscheidung des EGMR im Fall Bricmont GH 158, 31 Ziff. 39). Die OBDK war im Zeitpunkt ihrer Entscheidung in Kenntnis dieses unter den Garantien des Art6 EMRK stehenden Wiederaufnahmeverfahrens und damit auch in Kenntnis der Ergebnisse der medizinischen Gutachten (vgl. Begründung des angefochtenen Bescheides, S 9 f.). Es kann ihr unter dem Blickwinkel des Art6 Abs1 iVm. Abs3 litd EMRK nicht vorgeworfen werden, wenn sie eine neuerliche Beweisaufnahme zum Beweisthema - gesundheitliche Beeinträchtigung des Beschwerdeführers und deren Einfluß auf seine Dispositions- und Diskretionsfähigkeit - als für die Entscheidungsfindung nicht mehr notwendig erachtete und die zeugenschaftliche Einvernahme der genannten Personen ohne Angabe von Gründen verweigerte (vgl. EGMR 7.7.1989, Bricmont GH 158, 31 Ziff. 39).
2.1.3. Ebenfalls unter dem Titel der Verletzung des durch Art6 EMRK gewährleisteten Rechts wirft der Beschwerdeführer sowohl dem Disziplinarrat als auch der OBDK vor, die abgehaltenen mündlichen Verhandlungen nicht öffentlich durchgeführt zu haben.
2.1.4. Auch dieser Vorwurf ist nicht begründet. Wie bereits unter Punkt II.1.3.2. dargelegt, vermag das Unterbleiben einer öffentlich abgehaltenen Verhandlung vor dem Disziplinarrat in das Grundrecht des Art6 Abs1 EMRK nicht einzugreifen. Von verfassungsrechtlicher Relevanz kann jedoch der Ausschluß der Öffentlichkeit in der Verhandlung vor der OBDK sein. In der dafür maßgeblichen Bestimmung des §51 Abs1 DSt 1990 iVm. §229 StPO ist die Verhandlung vor der OBDK auf Antrag des Disziplinarbeschuldigten grundsätzlich öffentlich. Ein Ausschluß der Öffentlichkeit ist in Entsprechung der Rechtfertigungsgründe des Art6 Abs1 EMRK nur aus Gründen der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung sowie im überwiegenden Interesse eines Zeugen oder eines Dritten gerechtfertigt. Wenn nun die OBDK im vorliegenden Fall, trotz des entgegengerichteten Antrages des Beschwerdeführers, von einer öffentlich abgehaltenen Verhandlung Abstand genommen hat, kann sie sich in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise auf den gesetzlichen Rechtfertigungsgrund "aus Gründen der Sittlichkeit" berufen. Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf Fragen der Anwendbarkeit des österreichischen Vorbehaltes zu Art6 EMRK im konkreten Fall.
Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinen durch Art6 EMRK gewährleisteten Rechten verletzt.
2.2.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich dadurch, daß er wegen derselben Handlung zunächst von einem Strafgericht und nachfolgend von der Disziplinarbehörde verurteilt wurde, in dem durch Art4 Abs1 des 7. ZPEMRK garantierten Recht auf das "Verbot der Doppelbestrafung" verletzt.
2.2.2. Im Erkenntnis VfGH B191/99 vom 24. Juni 1999 ging der Verfassungsgerichtshof ua. auch auf die Frage ein, ob §95 Abs2 Z1 Ärztegesetz 1984 dem Verbot der Doppelbestrafung entgegensteht. Nach dem Wortlaut des §95 Abs2 Z1 Ärztegesetz 1984 machen sich Ärzte jedenfalls eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie eine oder mehrere strafbare Handlungen vorsätzlich begangen haben und deswegen von einem in- oder ausländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder zu einer Geldstrafe von zumindest 360 Tagsätzen verurteilt worden sind. Der Verfassungsgerichtshof führte dazu aus:
"Es kann dahingestellt bleiben, ob und in welchem Umfang das genannte Verbot auf Disziplinarverfahren überhaupt Anwendung findet (vgl. zu dieser Frage Grabenwarter, Entscheidungsbesprechung zu EGMR vom 23.10.1995, Gradinger gegen Österreich, JBl. 1997, 577 (582)). Es erscheint nämlich als legitimes Interesse der Standesgemeinschaft, sich im Falle schwerwiegender gerichtlicher Verurteilungen, denen - wie im hier vorliegenden Fall - Verhaltensweisen des Betroffenen zugrundeliegen, von denen regelmäßig auch eine Gefährdung des Ansehens des Standes oder der ordnungsgemäßen Erfüllung bestimmter standesspezifischer Berufspflichten ausgeht, sich in Wahrnehmung des sogenannten "disziplinären Überhanges" disziplinarrechtliche Reaktionen vorzubehalten. Es ist dies nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ein eigener, eine gesonderte disziplinäre Bestrafung rechtfertigender Aspekt, weswegen §95 Abs2 Z1 ÄrzteG 1984 auch nicht gegen Art4 des 7. ZP zur EMRK verstößt (vgl. auch den Explanatory Report, Human Rights Law Journal 1985, 82 (86), wo jedenfalls die disziplinarrechtliche Verfolgung eines Beamten neben einer strafrechtlichen Verfolgung ausdrücklich als zulässig bezeichnet wird)."
Im Erkenntnis VfGH 4.10.1999, B2447/97, hielt der Verfassungsgerichtshof fest, es könne nichts anderes auch für das Disziplinarrecht der Rechtsanwälte gelten. Der Verfassungsgerichtshof sieht angesichts des vorliegenden Beschwerdefalles keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen.
Daran kann insbesondere auch der Umstand nichts ändern, daß der Beschwerdeführer disziplinarrechtlich nicht nur wegen jener Handlungen für schuldig gesprochen wurde, deretwegen er zuvor schon strafrechtlich verurteilt wurde, sondern vom Disziplinarrat darüber hinaus in fünf weiteren Fakten für schuldig erkannt wurde (Faktum 4 - 8 des Spruches des Disziplinarrates). Die dem Beschwerdeführer darin vorgeworfenen Handlungen wurden bereits in der Sachverhaltsdarstellung des Urteils des Landesgerichtes Leoben als erwiesen angenommen (bzw. in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Leoben vom Beschwerdeführer zugestanden). Der Beschwerdeführer wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinarrat vom 30. September 1998 mit diesen Fakten konfrontiert. Dabei bestritt er das Vorliegen der Handlungen nicht. Es liegt nun im legitimen Interesse der Standesbehörde, wenn sie den Beschwerdeführer auch für jene Handlungen, die zwar vor dem Straflandesgericht Leoben nicht zu einem Schuldspruch geführt haben (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt I.1.2.), in disziplinarrechtlicher Hinsicht für schuldig erkannte, weil jede einzelne dieser Handlungen zweifelsfrei geeignet war, "Ehre und Ansehen des Standes" zu beeinträchtigen.
Der Beschwerdeführer wurde sohin nicht in dem gemäß Art4 des
7. ZPEMRK gewährleisteten Recht verletzt.
2.3.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, weil die Behörde über Anschuldigungen abgesprochen hat, die nicht Gegenstand des Einleitungsbeschlusses waren. Gegenstand des Einleitungsbeschlusses seien nur jene Tathandlungen gewesen, deretwegen er strafgerichtlich mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Leoben für schuldig erkannt wurde, nicht jedoch die Fakten 4 - 8 des Schuldspruchs des Disziplinarrates. Der Einleitungsbeschluß sei auch nicht anläßlich der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinarrat am 30. September 1998 sowie auch nicht anläßlich der mündlichen Verhandlung vor der OBDK am 27. September 1999 modifiziert oder erweitert worden.
2.3.2. Der Beschwerdeführer ist insofern im Recht, als die in den Fakten 4 - 8 des Spruches des Disziplinarrates enthaltenen Schuldvorwürfe im Einleitungsbeschluß nicht enthalten waren.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Beschluß VfSlg. 9425/1982 mit eingehender Begründung dargelegt, daß das unter dem Aspekt des Verfahrens vor dem gesetzlichen Richter maßgebende Kriterium die rechtzeitige Information des Disziplinarbeschuldigten über die ihm konkret zur Last gelegten Disziplinarverfehlungen ist, wobei zB eine Erweiterung der Anschuldigungspunkte in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeschlossen ist (VfSlg. 13762/1994). In diesem Sinn wurde auch schon im Erkenntnis VfSlg. 5523/1967 ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Erweiterung der Anschuldigungspunkte in der mündlichen Disziplinarverhandlung vor dem Disziplinarrat hingewiesen. Von entscheidender Bedeutung ist, daß die Disziplinarbehörde keinesfalls ohne entsprechende Anschuldigung entscheiden darf (VfSlg. 5523/1967, 12698/1991).
Aus dem Verwaltungsakt des Disziplinarrates ergibt sich, daß der Beschwerdeführer mit den in den Fakten 4 - 8 des Schuldspruchs enthaltenen Vorwürfen in der mündlichen Verhandlung vom 30. September 1998 konfrontiert wurde, sodaß die Information des Beschwerdeführers unter dem Aspekt des Art83 Abs2 B-VG rechtzeitig erfolgte. Es wurde nicht ohne entsprechende Anschuldigung entschieden.
Der Beschwerdeführer wurde daher nicht im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
2.3.3. Ob für die Ausdehnung des Einleitungsbeschlusses die erforderlichen Zustimmungen iS des §36 Abs2 DSt 1990 vom Kammeranwalt bzw. vom Disziplinarbeschuldigten vorlagen, stellt eine einfachgesetzliche Frage dar. Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 4. Oktober 1999, B2347/97, bereits aus diesem Grund keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Rechtsauffassung der OBDK geäußert, in der eine konkludente Zustimmung bereits dann als vorliegend angenommen wurde, wenn sich der Beschuldigte zum ausgedehnten Faktum einläßt bzw. sich dazu verantwortet und sich nicht ausdrücklich gegen die Ausdehnung der Verhandlung und Entscheidung auf die neue Tat ausspricht.
2.4.1. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, Willkür geübt zu haben. Die Behörde habe entgegen der ausdrücklichen Anordnung des §16 Abs6 DSt 1990, wonach bei der Strafzumessung ua. auch auf die Größe des Verschuldens Bedacht zu nehmen sei, den Umstand nicht berücksichtigt, daß im Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Taten sein Dispositionsvermögen eingeschränkt gewesen sei. Selbst die belangte Behörde habe in ihrem Erkenntnis eine mittelgradige Einschränkung des Dispositionsvermögens zu den Tatzeitpunkten angenommen. Auch liege durch die Verhängung der Strafe der Streichung von der Liste der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer insofern ein Bruch mit der bisherigen Spruchpraxis der OBDK vor, als bisher tendenziell berufliches Fehlverhalten gegenüber Fehlverhalten im außerberuflichen Bereich strenger bestraft worden sei.
2.4.2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).
2.4.3. All dies liegt nicht vor. §16 Abs6 DSt 1990 räumt den Disziplinarbehörden bei der Festlegung der Strafe (Auswahl-)Ermessen ein, wobei insbesondere u.a. auch die Größe des Verschuldens Berücksichtigung finden soll. Die belangte Behörde ging davon aus, daß Störungen im Sinn des §11 StGB beim Beschwerdeführer nicht vorlagen. Laut Begründung des angefochtenen Bescheides war auch das "Vorliegen eines qualitativ oder quantitativ abnormen Rauschzustandes" iS des §287 StGB für die Tatzeitpunkte auszuschließen; es sei zwar durch die im Zuge des strafgerichtlichen Wiederaufnahmeverfahrens nachgewiesenen Persönlichkeitsstörungen das Dispositionsvermögen des Beschwerdeführers zu den Tatzeitpunkten mittelgradig eingeschränkt, keinesfalls jedoch aufgehoben gewesen.
Ob im konkreten Fall eine Streichung von der Liste der Rechtsanwälte der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer angemessen ist oder aber die Verhängung einer milderen Strafe angemessener wäre, darüber hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu befinden. Die belangte Behörde hat jedenfalls keinen Ermessensexzeß und damit keinen so schweren Fehler begangen, daß ihr Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage mit Willkür belastet wäre. Da es für die Frage, welche Strafe zu verhängen ist, allein auf das Ermessen der Disziplinarbehörden im Einzelfall ankommt - wobei die Behörde an die Kriterien des §16 Abs6 DSt 1990 gebunden ist -, ist auch der Versuch eines Nachweises einer tendenziell strengeren Bestrafung von beruflichem gegenüber außerberuflichem Fehlverhalten von Rechtsanwälten durch die OBDK nicht geeignet, der Behörde Willkür nachzuweisen.
Der Beschwerdeführer wurde nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
2.5. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann.
2.6. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
3. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte Disziplinarrecht, Strafen, Zusammentreffenstrafbarer Handlungen, Strafrecht, fair trial,Öffentlichkeitsprinzip, BefangenheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B578.2000Zuletzt aktualisiert am
13.08.2010