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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Hubert Sacha, Rechtsanwalt in 3500 Krems an der Donau, Gartenaugasse 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 6. Februar 2002, Zl. Fr 5722/01, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie im Wesentlichen auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht Krems an der Donau vom 22. Dezember 1999 wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Nötigung nach dem § 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 30 Monaten, davon 20 Monate bedingt nachgesehen. Der Beschwerdeführer sei schuldig gesprochen worden, er habe zumindest ab Jänner 1996 bis 3. August 1996 die am 2. August 1986 geborene und sohin unmündige S dadurch, dass er sie wiederholt an Brust und Scheide betastet, sie an der Scheide abgeschleckt und von ihr sein Glied reiben und es abschlecken habe lassen, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, weiters sie wiederholt durch gefährliche Drohungen, nämlich durch die Ankündigungen, er werde sie umbringen und schlagen, wenn sie jemandem von den geschilderten Übergriffen erzählen würde, zur diesbezüglichen Unterlassung genötigt.
Der Beschwerdeführer sei 1992 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin nach Österreich geflüchtet und sei für seine Nichte S zur Bezugsperson geworden. S habe erstmals im April 1996 mit ihrer Mutter und 1999 mit anderen Personen über die Vorfälle mit dem Beschwerdeführer gesprochen. Auf Grund der näher bezeichneten sexuellen Übergriffe benötige das Kind eine psychotherapeutische Behandlung.
Weiters zitierte die belangte Behörde aus dem Strafurteil, wegen der relativ hohen Dunkelziffer bei Gewalt und sexuellem Missbrauch insbesondere in der Familie wäre aus generalpräventiven Überlegungen die Vollstreckung von Strafen erforderlich; da seit der Tat rund drei Jahre vergangen wären und der Beschwerdeführer auch die sozialen Folgen durch Ächtung innerhalb der Familie zu spüren bekommen hätte, wäre von einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass er keine weiteren strafbaren Handlungen begehen würde, auszugehen; daher wären 20 Monate der Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen worden.
Auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes stelle - so die belangte Behörde - das Verhalten des Beschwerdeführers eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nach § 36 (Abs. 1) FrG dar. Diese Gefährlichkeitsprognose sei zu treffen, auch wenn das Strafgericht zu dem Schluss gekommen sei, dass mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, dass der Beschwerdeführer keine weiteren strafbaren Handlungen mehr begehen würde, und obwohl auch das Oberlandesgericht Wien in seiner Berufungsentscheidung hervorgehoben habe, dass die hohe Wahrscheinlichkeit hinreichender Abschreckung vor weiteren strafbaren Handlungen bestehe. Der Beschwerdeführer habe bereits ab 1995 an S die festgestellten Missbrauchshandlungen begonnen und zumindest bis 3. August 1996 fortgesetzt. Wegen des geringen Alters des Tatopfers seien diese sexuellen Übergriffe umso schwerer zu gewichten. Dazu komme, dass er bei diesem Kind über Jahre hindurch ein Vertrauensverhältnis gröblichst missbraucht habe. Er habe diese Vertrauensposition schamlos für seine verwerflichen sexuellen Aktivitäten ausgenützt, weshalb sein Verhalten auch für die Zukunft die Gefahr verbrecherischer Handlungen dieser Art befürchten lasse. Er stelle somit unbestreitbar eine Gefahr im Sinn des § 36 Abs. 1 Z. 1 FrG dar. Dies sei insbesondere vom Sondertatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG ableitbar, wobei die dort vorgesehene Urteilshöhe eindeutig überschritten worden sei. Dazu komme, dass es sich bei dem vorliegenden strafbaren Verhalten um ein besonders verwerfliches bzw. sozialschädliches handle.
Der Beschwerdeführer sei im Juni 1992 mit seiner damaligen Lebensgefährtin und jetzigen Ehefrau nach Österreich gekommen; hier seien in den Jahren 1993 und 1997 seine Kinder zur Welt gekommen. Der Beschwerdeführer habe Sichtvermerke, Aufenthaltsbewilligungen und Niederlassungsbewilligungen erhalten. Weiters sei ihm ein Befreiungsschein mit Gültigkeit bis 23. Jänner 2005 ausgestellt worden. Auch seine Familienmitglieder seien im Besitz von Aufenthaltsberechtigungen. Mit dem Aufenthaltsverbot sei somit ein wesentlicher Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden. Diese privaten und familiären Interessen müssten jedoch auf Grund der besonderen Deliktsform hinter den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zurücktreten. Zum Zeitpunkt der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes habe sich der Beschwerdeführer noch nicht einmal fünf Jahre in Österreich befunden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer tritt der behördlichen Ansicht, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt sei, (zu Recht) nicht entgegen, verweist jedoch im Wesentlichen darauf, dass die dem Urteil zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen schon rund sechs Jahre zurücklägen und er sich in der Zwischenzeit wohlverhalten habe. Sowohl das Landesgericht Krems an der Donau als auch das Oberlandesgericht Wien seien mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde. Sein weiterer Aufenthalt laufe deshalb nicht den im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider.
Mit diesen Ausführungen zeigt der Beschwerdeführer eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Bei der Beurteilung der Frage, ob die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährde. Zweifellos ist ein Verhalten wie das vom Beschwerdeführer gesetzte gegen das öffentliche Interesse an der Verhinderung sexueller Straftaten insbesondere gegen Minderjährige gerichtet. Es ist der belangten Behörde auch zuzustimmen, wenn sie das Verhalten des Beschwerdeführers als besonders verwerflich bezeichnet hat. Für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist aber die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Gefährdung öffentlicher Interessen erforderlich, die im Fall des Beschwerdeführers mangels anderer Anhaltspunkte nur darin liegen könnte, dass er auch in Zukunft derartige strafbare Handlungen begehen werde. Dies begründete die belangte Behörde allein mit dem Hinweis auf die besondere Verwerflichkeit der von ihm verübten strafbaren Handlungen. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass die strafbaren Handlungen im Jahr 1996, allenfalls bereits 1995 gesetzt wurden und sich der Beschwerdeführer bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen - wohlverhalten hat. Dieses Wohlverhalten über einen Zeitraum von fünfeinhalb Jahren spricht gegen die von der belangten Behörde aufgestellte Gefährlichkeitsprognose. Die Strafgerichte erster und zweiter Instanz sind davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit keine weiteren strafbaren Handlungen mehr begehen werde. Wenn auch die belangte Behörde das Fehlverhalten des Beschwerdeführers eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den Erwägungen des Gerichts betreffend die Strafbemessung bzw. die Gewährung einer bedingten Strafnachsicht zu beurteilen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. Oktober 2001, Zl. 99/21/0129), kann angesichts der seither verstrichenen Zeit des Wohlverhaltens (aus der im Übrigen die Richtigkeit der gerichtlichen Erwägungen abgeleitet werden muss) allein aus der Art und Weise der vom Beschwerdeführer verübten strafbaren Handlungen und deren Verwerflichkeit ohne weitere Anhaltspunkte nicht auf seine weitere Gefährlichkeit geschlossen werden.
Indem die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Ihre Beurteilung nach § 37 FrG ist damit nicht mehr zu überprüfen.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2
Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der
VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 15. Oktober 2003
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002210091.X00Im RIS seit
12.11.2003