TE Vwgh Beschluss 2003/10/20 2003/04/0134

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Veröffentlicht am 20.10.2003
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E3L E06302000;
E3L E06303000;
E6J;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
59/04 EU - EWR;
97 Öffentliches Auftragswesen;

Norm

11997E234 EG Art234 Abs3;
31989L0665 Rechtsmittel-RL Art2 Abs1;
31989L0665 Rechtsmittel-RL Art2 Abs8;
61989CJ0213 Factortame VORAB;
61997CJ0103 Köllensperger VORAB;
BVergG 2002 §135;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
EURallg;
VwGG §62 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Gruber, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, in der Beschwerdesache der F. Straßenbau GmbH & Co KG in L, vertreten durch Schramm Partner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Bartensteingasse 2, gegen den Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 8. Juli 2003, Zl. 14N-64/03-11, (mitbeteiligte Partei: Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs- Aktiengesellschaft (ASFINAG), in 1011 Wien, Rotenturmstraße 5-9), über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Antrag und dem Eventualantrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Der vorliegenden Beschwerde und der dieser angeschlossenen Bescheidausfertigung zufolge wurden mit Bescheid der belangten Behörde vom 8. Juli 2003 die (am 3. Juli 2003 beim Bundesvergabeamt eingelangten) Anträge der Beschwerdeführerin

"das Bundesvergabeamt möge die Entscheidung der Autobahnen- und Schnellstraßen- Finanzierungs- Aktiengesellschaft, vertreten durch die ausschreibende Stelle Österreichische Autobahnen- und Schnellstraßengesellschaft mbH unser Angebot im Vergabeverfahren 'Austausch von Aluleitschienen, Ausschreibungsblock 2 Rand' Bekanntmachung im Amtsblatt der EG 2002/S 252-201866 ausscheiden, für nichtig zu erklären"

und

"die Entscheidung der Autobahn- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft, vertreten durch die ausschreibende Stelle Österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen GmbH das Vergabeverfahren 'Austausch von Aluleitschienen, Ausschreibungsblock 2 Rand' (Bekanntmachung im Amtsblatt der EG 2002/S 252-201866) zu widerrufen, für nichtig erklären", zurückgewiesen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen auf Art. 131 Abs. 1 Z 1 B-VG gestützten Beschwerde wird auch der Antrag gestellt eine einstweilige Anordnung folgenden Inhalts zu erlassen:

"Der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft wird bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die gegenständliche Beschwerde untersagt, den Leistungsgegenstand des Vergabeverfahrens 'Austausch von Aluleitschienen, Ausschreibungsblock 2 Rand' (Bekanntmachung im Amtsblatt der EG 2002/S 252-201866) zu vergeben oder eine Zuschlagsentscheidung über die Vergabe des Leistungsgegenstands zu treffen.

In eventu:

Der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft wird bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die gegenständliche Beschwerde untersagt, im Vergabeverfahren 'Anbringung von Leitplanken. Bau. Ausschreibungsblock 2 NEU 'Rand'. Demontage bestehender Aluleitschienen, Lieferung von Stahlleitschienen und Fertigbetonleitwänden. CPV: 45233280.' (Bekanntmachung im Amtsblatt der EG 2003/S 139-125903) weiter fortzufahren."

Begründend wird ausgeführt, dass der antragstellenden Gesellschaft durch die Rechtswidrigkeit der Entscheidung des BVA sowie durch die zu erwartende Dauer des Verfahrens über die Beschwerde ein bedeutender Schaden drohe, welcher darin bestehe, dass die ASFINAG trotz des anhängigen Beschwerdeverfahrens den Leistungsgegenstand des Vergabeverfahrens neuerlich zu vergeben versuchen werde (siehe die Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der EG 2003/S 139-125903 vom 23. Juli 2003). Die Möglichkeit, im "alten" Vergabeverfahren den Zuschlag zu erhalten, wäre selbst bei Aufhebung des bekämpften Bescheides und bei erfolgreichem Nachprüfungsverfahren vor dem BVA de facto dann nicht mehr vorhanden. Die Rechtsmittelrichtlinie verpflichte indes die Mitgliedsstaaten zur Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz im Nachprüfungsverfahren (Art. 2 Abs. 1). Diese Bestimmung über die Notwendigkeit der Ergreifung vorläufiger Maßnahmen im Wege einer einstweiligen Verfügung sei hinreichend genau und unbedingt, sodass es daher Pflicht des Verwaltungsgerichtshofes sei, "den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt". Eine unzulässige Abschwächung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts würde es bedeuten, wenn der Verwaltungsgerichtshof durch "eine Vorschrift des nationalen Rechts daran gehindert werden könnte, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen".

In der Folge wird von der antragstellenden Gesellschaft dargetan, dass ihre Interessen jene der ASFINAG überwiegen und auch die öffentlichen Interessen, insbesondere auf Einhaltung der vergaberechtlichen Vorschriften und Hintanhaltung eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen "Schlechtumsetzung der Richtlinie bzw. der Verhinderung von effektiven Rechtschutz", für die Erlassung der begehrten Anordnung sprächen.

Weder die Bundesverfassung noch eine andere Verfassungsbestimmung noch das VwGG oder die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nach § 62 Abs. 1 VwGG - soweit das VwGG nicht anderes bestimmt - anzuwendenden Bestimmungen des AVG enthalten Regelungen, die die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Erlassung einer von einer antragstellenden Partei begehrten einstweiligen Verfügung begründen könnten.

Eine Ermächtigung zur Setzung entsprechender Akte eines Provisorialrechtsschutzes könnte nur aus der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechtes abgeleitet werden. Grundvoraussetzung dafür ist jedoch die Sicherung von gemeinschaftsrechtlich begründeten Rechtspositionen.

Selbst unter der Annahme, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Erlassung entsprechender einstweiliger Anordnungen zur Sicherung von gemeinschaftsrechtlich begründeten Rechtspositionen auch ohne innerstaatliche gesetzliche Kompetenzzuweisung allein kraft Gemeinschaftsrechtes berufen sein sollte, fehlt es hier am Erfordernis zur Sicherung von gemeinschaftsrechtlich begründeten Rechtspositionen:

Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG (Rechtsmittelrichtlinie) haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass für die Nachprüfungsverfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Vergabeverfahren "die erforderlichen Befugnisse" bestehen.

Die hier belangte Behörde, das Bundesvergabeamt, ist ein "Gericht" im Sinne des Art. 2 Abs. 8 der Rechtsmittelrichtlinie. Für den Verwaltungsgerichtshof ist es nicht zweifelhaft, dass die Aussage des EuGH in der Entscheidung vom 4. Februar 1999 in der Rechtssache C-103/97, Köllensperger, und die darin verwiesenen Anforderungen für ein "Gericht" im Sinne des Art. 234 Abs. 3 EG, auch auf das Bundesvergabeamt im Sinne des BVergG 2002 zutrifft. Auch ist nicht zu bezweifeln, dass dem Bundesvergabeamt als "Gericht" im Sinne des Art. 234 Abs. 3 EGVG die gemeinschaftsrechtlich gebotenen Befugnisse (Nichtigerklärung vergaberechtlicher Entscheidungen, Erlassung einstweiliger Verfügungen) eingeräumt sind. Über den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung hat sohin ein dieser gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzung entsprechendes Organ zu entscheiden; es ist damit nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ein Zweifel an der Gewährleistung des gemeinschaftsrechtlich gebotenen Rechtsschutzes nicht gegeben.

Dass die Entscheidungen des Bundesvergabeamtes nach Art. 131 Abs. 1 B-VG der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof - wobei der Verwaltungsgerichtshof nicht im Instanzenzug entscheidet, sondern nur eine nachträgliche (kassatorische) Kontrolle des Nachprüfungsverfahrens durch ein"Gericht" im Sinne der Rechtsmittelrichtlinie (siehe oben) ausübt -  unterliegen, ist durch keine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift gefordert. Es ist daher zur Durchsetzung der Effektivität des gemeinschaftsrechtlich geforderten Rechtsschutzes - im hier in Frage stehenden Bereich - auch ein einstweiliger Rechtsschutz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zur Kontrolle der Bescheide des Bundesvergabeamtes insoweit nicht erforderlich; dies auch nicht unter dem Aspekt der Rechtsprechung des EuGH (vgl. etwa das Urteil vom 19. Juni 1990 in der Rechtssache C- 213/89, Factortame, Slg. 1990, I-2433) zur Sicherstellung der vollen Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte. Es trifft nun wohl zu, dass es im Hinblick auf die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechtes und des von Art. 234 EG geschaffenen Systems einem nationalen Gericht, welches in einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit das Verfahren bis zur Beantwortung seiner Vorlagefrage durch den Gerichtshof aussetzt, stets möglich sein muss, einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, bis es auf der Grundlage der Antwort des Gerichtshofs seine eigene Entscheidung erlässt. Zweifel an der Vereinbarkeit von staatlichem Recht mit Gemeinschaftsrecht sind (im derzeitigen Verfahrensstadium) nicht entstanden.

Der Verwaltungsgerichtshof ist daher der Auffassung, dass - auch wenn er dazu berufen ist, Bescheide ganz allgemein auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen (und insofern die Rechtslage anders ist als hinsichtlich der Prüfungsbefugnis des VfGH; vgl. den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 22. September 2003, B 1105/03, sowie VfSlg 15.788/2000 und 15.982/2000) - dem Antrag zur Erlassung einstweiliger Anordnungen vorliegend nicht Folge zu geben ist.

Den auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung durch den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Anträgen war daher in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat nicht Folge zu geben.

Wien, am 20. Oktober 2003

Gerichtsentscheidung

EuGH 61989J0213 Factortame VORAB
EuGH 61997J0103 Köllensperger VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Terminologie Definition von Begriffen EURallg8Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003040134.X00

Im RIS seit

09.03.2004

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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