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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des A in L, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Februar 2002, Zl. 221.812/0-II/39/01, betreffend § 6 Z 1 und 2 sowie § 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 31. Oktober 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte an diesem Tag einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 9. Jänner 2001 erklärte er im Wesentlichen, er sei zuletzt im Krankenhaus Kovancilar als Koch tätig und sodann arbeitslos gewesen. Auf der Fahrt von Kovancilar in sein Dorf sei es zu zehn bis fünfzehn Durchsuchungen gekommen. Die Fahrtdauer hätte dadurch statt sechs Stunden zehn Stunden betragen. Er habe keinen Versicherungsschutz gehabt und sein Gehalt nicht regelmäßig erhalten. Auch sei er ständig unter Beobachtung und Kontrolle gewesen. Im Falle der Rückkehr befürchte er seine Inhaftierung, da man inhaftiert werde, wenn man die Türkei ohne Reisepass verlasse und ohne Dokument zurückkehre. Im Jahr 1992 habe die PKK seinen Onkel und seinen Schwager erschossen. Seine Familie habe damals das Dorf verlassen.
In einer schriftlichen Stellungnahme vom 23. Jänner 2001 erklärte der Beschwerdeführer, seine Rückkehrbefürchtung basiere primär auf einer Inhaftierung auf Grund seiner illegalen Ausreise. Weiters befürchte er, dass es ihm genauso ergehe wie seinem Onkel und seinem Schwager, die durch Angehörige der PKK im Jahr 1992 einzig und allein auf Grund der Weigerung, mit der PKK zu kollaborieren, erschossen worden seien. Eine innerstaatliche Schutzalternative habe gefehlt.
Mit Bescheid vom 9. März 2001 (im Kopf: 5. Februar 2001) wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe nur Probleme vorgebracht, die jede in seinem Heimatgebiet lebende Person beträfen. Über weite Teile hätten seine Ausführungen nur die schlechte wirtschaftliche Situation in seinem Heimatland zum Inhalt gehabt. Die Vorfälle betreffend den Onkel und den Schwager des Beschwerdeführers seien nicht mit seiner Person im Zusammenhang zu sehen und lägen außerdem bereits acht Jahre zurück. Die türkischen Behörden hätten sicherlich alles unternommen, um der Mörder habhaft zu werden. Auf Grund der Änderung der Situation in der Türkei und des langen Zeitabstandes zu diesen Vorfällen sowie auf Grund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer von diesen Vorfällen selbst nicht individuell betroffen gewesen sei, könne diesen Ausführungen kein Asylgrund entnommen werden. Der Beschwerdeführer habe außerdem nunmehr einen Personalausweis vorgelegt, weshalb seine Befürchtungen hinsichtlich einer Rückkehrgefährdung ins Leere gingen. Die Bedrohung durch eine gegen den Beschwerdeführer selbst konkret gerichtete Verfolgungshandlung habe er nicht vorgebracht. Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, Benachteiligungen, mangelnde Aufstiegschancen sowie eingeschränkte Berufsmöglichkeiten etc. könnten, auch wenn sie aus politischen, weltanschaulichen oder religiösen Gründen erfolgen sollten (was jedoch beim Beschwerdeführer nicht der Fall sei), nicht zur Asylgewährung führen, mangle es solchen Problemen doch an der erforderlichen Intensität. Der Beschwerdeführer habe auch nicht dargetan, dadurch einer massiven Bedrohung seiner Lebensgrundlage ausgesetzt gewesen zu sein, sodass sein Verbleib in der Türkei aus objektiver Sicht unerträglich geworden wäre.
Vor der belangten Behörde fand am 10. Juli 2001 eine mündliche Berufungsverhandlung statt. Der Beschwerdeführer legte im Wesentlichen neuerlich dar, sein Gehalt nie voll ausbezahlt bekommen zu haben und auf seiner Fahrt von seinem Arbeitsplatz in seine Heimatgemeinde andauernd durchsucht worden zu sein. Er wiederholte auch, dass sein Onkel und vier andere Personen von der PKK erschossen worden seien. 1987 habe er sein Heimatdorf verlassen, aber dann sei er zwei bis drei Mal pro Jahr wieder in dieses Dorf gefahren. Weil der Beschwerdeführer Kurde sei, werde er wieder das erleben, was er vorher erlebt habe, sollte er in die Türkei zurückkehren. Er würde wieder Probleme haben, einen Job zu finden, und auf Grund seiner Identität würde er als Kurde beschuldigt werden. Nach dem Protokoll über die mündliche Berufungsverhandlung wurde bei dieser ferner der Bericht des Auswärtigen Amtes Berlin vom 22. Juni 2000 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei teilweise übersetzt und erörtert. Der Beschwerdeführer führte aus, dass der erste Satz zu Punkt 3.b. dieses Berichtes auf ihn zutreffe. Damit ist offenbar folgender Satz aus dem im Akt einliegenden Bericht vom 22. Juni 2000 gemeint: "In einigen Großstädten der Türkei (z.B. Adana, Mersin) haben sich Siedlungen von Türken kurdischer Volkszugehörigkeit gebildet, die zunächst wegen des wirtschaftlichen Gefälles, in den letzten Jahren aber hauptsächlich in der Folge von PKK-Terror und staatlicher Repression ihre Dörfer im Südosten verlassen haben." Der Beschwerdeführer führte aus, sie hätten aus denselben Gründen ihr Heimatdorf im Jahr 1987 verlassen. Damals sei sein Bruder Dorfhüter gewesen. Er sei sowohl von der PKK als auch von den Sicherheitskräften unter Druck gesetzt worden. Die PKK habe gesagt, er dürfe nicht als Dorfhüter arbeiten, sonst brächten sie ihn um. Die Sicherheitskräfte hätten gesagt, er müsse als Dorfhüter arbeiten.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 und 2 Asylgesetz abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig erklärt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sein Dorf 1987 verlassen und sei nach Elazig gezogen. Im Jahr 1992/1993 habe die Familie das Dorf verlassen, nachdem die PKK den Onkel und den Schwager des Beschwerdeführers erschossen hätte. Der Beschwerdeführer habe sein Heimatland aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, da er Probleme betreffend die Ausbezahlung seines Gehaltes gehabt hätte. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers lasse sich offenbar nicht entnehmen, dass ihm eine konkrete Verfolgungsgefahr drohe. Es hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die wirtschaftliche Lage des Beschwerdeführers mit einer Verfolgung durch staatliche Stellen aus asylrechtlich relevanten Gründen in Zusammenhang stehe. Insgesamt lasse sich dem Vorbringen des Beschwerdeführers somit offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen, ihm drohe im Heimatland Verfolgung. Der Tatbestand des § 6 Z 1 Asylgesetz sei daher erfüllt. Selbst wenn man jedoch die Vermutung des Beschwerdeführers heranziehe, dass er als Kurde nicht sein volles Gehalt ausbezahlt bekommen hätte und die Personendurchsuchungen auf seinem Arbeitsweg ethnisch motiviert gewesen seien, so sei daraus nicht ableitbar, dass der Staat eine asylrelevante Verfolgungshandlung gesetzt habe, zumal der Beschwerdeführer auch nicht habe dartun können, dass ihm in seinem Heimatland der völlige Verlust seiner Existenzgrundlage drohte. Mangels jeglichen zeitlichen Zusammenhangs und auch mangels Vorbringens einer damit zusammenhängenden Verfolgungshandlung seien auch die Ausführungen betreffend die Ereignisse um die Familienangehörigen des Beschwerdeführers im Jahr 1992/1993 der Entscheidung nicht zu Grunde zu legen gewesen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 6 Asylgesetz lautet:
"Offensichtlich unbegründete Asylanträge
§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat
1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen läßt, daß ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder
2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder
3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder
4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts trotz Aufforderung nicht mitwirken oder
5. im Herkunftsstaat auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen besteht."
Bei der Prüfung, ob ein Anwendungsfall des § 6 Z 1 oder Z 2 Asylgesetz vorliegt, ist von den Behauptungen des Asylwerbers auszugehen. Auf die Frage der Glaubwürdigkeit der Angaben kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0071).
Der Beschwerdeführer hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 23. Jänner 2001 ausgeführt, er befürchte, dass es ihm genauso ergehe, wie seinem Onkel und seinem Schwager, die durch Angehörige der PKK im Jahre 1992 einzig und allein auf Grund der Weigerung, mit der PKK zu kollaborieren, erschossen worden seien.
Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, dass diese Ausführungen des Beschwerdeführers mangels jeglichen zeitlichen Zusammenhanges und auch mangels Vorbringens einer damit zusammenhängenden Verfolgungshandlung der Entscheidung nicht zu Grunde zu legen gewesen seien. Diese Auffassung ist schon insofern unzutreffend, als der Beschwerdeführer nicht nur auf die Ereignisse des Jahres 1992 hingewiesen hat, sondern die - zeitlich nicht definierte - Befürchtung vorgebracht hat, dass es ihm genauso ergehe wie seinem Onkel und seinem Schwager. Damit hat der Beschwerdeführer zum Ausdruck gebracht, dass er im Falle der Weigerung mit der PKK zu kollaborieren, erschossen werden könnte. Entgegen der Meinung der belangten Behörde kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass sich den Darlegungen des Beschwerdeführers offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung drohe.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer auch bei der mündlichen Berufungsverhandlung durch seine Äußerung, der erste Satz des Punktes 3.b. des Berichtes des auswärtigen Amtes Berlin vom 22. Juni 2000 treffe auf ihn zu, zum Ausdruck gebracht hat, dass er von PKK-Terror und staatlicher Repression bedroht sei. Mit dieser Äußerung des Beschwerdeführers hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt.
Ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers kann auch nicht gesagt werden, die von ihm befürchteten Maßnahmen knüpften offensichtlich nicht an einen Konventionsgrund an, wobei hier in erster Linie die - dem Beschwerdeführer zumindest unterstellte - "politische Gesinnung" in Betracht kommt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2003, Zl. 2000/20/0051).
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass weder der Umstand, dass die Verfolgung nicht vom Staat ausgeht und dagegen allenfalls staatlicher Schutz gewährt wird, noch das Vorliegen einer innerstaatlichen Schutzalternative im Rahmen des § 6 Asylgesetz von Bedeutung ist (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 12. Dezember 2002, Zl. 2001/20/0035, vom 12. Juni 2003, Zl. 2000/20/0100, und vom 17. September 2003, Zl. 2000/20/0152). Beide Aspekte können nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur bei einer Prüfung gemäß § 7 Asylgesetz Bedeutung erlangen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 22. Oktober 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002200151.X00Im RIS seit
11.11.2003