TE Vwgh Erkenntnis 2003/10/22 2003/20/0222

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Veröffentlicht am 22.10.2003
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Index

25/02 Strafvollzug;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
StVG §10 Abs1 Z2;
StVG §119;
StVG §134 Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des R in G, vertreten durch Dr. Walter Niederbichler, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Grazbachgasse 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 21. März 2003, Zl. 424.179/188-V.4/2003, betreffend eine Angelegenheit des Strafvollzuges (Änderung des Strafvollzugsortes), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verbüßt in der Justizanstalt Graz-Karlau wegen Verurteilungen gemäß §§ 75, 83 und 127 ff StGB und anderer (zum Teil während der Strafhaft begangener) Delikte eine langjährige Freiheitsstrafe. Das urteilsmäßige Strafende fällt auf den 1. April 2006. Die Stichtage für eine bedingte Entlassung fielen auf den 16. Mai 1996 (§ 46 Abs. 1 StGB) bzw. auf den 10. September 1999 (§ 46 Abs. 2 StGB). Eine bedingte Entlassung des Beschwerdeführers wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz vom 28. Juni 2001 abgelehnt.

Mit Eingabe vom 10. Februar 2003 stellte der Beschwerdeführer an den Bundesminister für Justiz (belangte Behörde) einen "Antrag auf Strafvollzugsortsänderung in die Justizanstalt-Favoriten". Er begründete diesen Antrag damit, dass er auf Grund seines "Suchtproblems (Drogen- bzw. Alkoholproblem), weswegen er sich in der JA Graz-Karlau in psychiatrischer Behandlung befindet, ... speziell durch die entsprechenden Vollzugseinrichtungen in der JA Wien-Favoriten noch besser auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereitet" werden könne. Er sei bestrebt, "an sich zu arbeiten" und meine, "dass gerade durch entsprechende gezielte Maßnahmen/entsprechende Therapierung und Ausnützung der vorhandenen Vollzugseinrichtungen in der JA Wien-Favoriten er sich eine bessere Vorbereitung der Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach Haftende erwarten kann".

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde nach Einholung einer Stellungnahme des Anstaltsleiters der Justizanstalt Wien-Favoriten dem Ansuchen um Änderung des Vollzugsortes gemäß § 134 Abs. 6 StVG nicht Folge.

Die erwähnte Stellungnahme des Anstaltsleiters vom 27. Februar 2003 - zu der dem Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde - hat folgenden Wortlaut:

"Aufgrund seines Ansuchens wurde Hr. R. im Zuge von Bewerbungsgesprächen für die JA Wien-Favoriten am 19.02.2003 in der JA Graz-Karlau vorgeführt.

Im Gespräch mit Hrn. R. wurde mangelnde Kooperationsbereitschaft und ungenügendes Reflexionsvermögen deutlich. Daher wird eine Überstellung in die ho. Anstalt nicht in Aussicht genommen. Darüber hinaus darf auf die fehlende Platzkapazität in der Langstrafigen-Abteilung verwiesen werden."

Die belangte Behörde begründete den angefochtenen Bescheid mit einem Hinweis auf diese Stellungnahme sowie damit, dass beim Beschwerdeführer noch ein relativ hoher Strafrest (bis 1. April 2006) bestehe und der Beschwerdeführer während der Strafhaft neuerlich verurteilt worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Gemäß § 134 Abs. 1 StVG bestimmt das Bundesministerium für Justiz nach der Aufnahme des Strafgefangenen, in welcher Strafvollzugsanstalt, in welcher Form und nach welchen Grundsätzen innerhalb des durch die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes geschaffenen Rahmens die Strafe im Einzelfall zu vollziehen ist (Klassifizierung). Die weiteren, im Zusammenhang mit dem angefochtenen Bescheid maßgeblichen Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969 (StVG), in ihrer hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 424/1974 lauten:

"Strafvollzugsortsänderung

§ 10. (1) Das Bundesministerium für Justiz hat allgemein oder im Einzelfall die Zuständigkeit einer anderen als der nach § 9 zuständigen Anstalt anzuordnen,

1. wenn dies unter Bedachtnahme auf die Grundsätze des Strafvollzuges (§ 20) zur besseren Ausnützung der Vollzugseinrichtungen oder aus Gründen der Sicherheit des Strafvollzuges zweckmäßig ist oder

2. wenn dadurch die Wiedereingliederung des Verurteilten in die Gesellschaft gefördert wird und weder das Erfordernis einer zweckmäßigen Ausnützung der Vollzugseinrichtungen noch Gründe der Sicherheit des Strafvollzuges entgegenstehen.

(2) ...

Ansuchen und Beschwerden

Ansuchen

§ 119. Die Strafgefangenen haben das Recht, hinsichtlich des ihre Person betreffenden Vollzuges in angemessener Form mündlich oder schriftlich Ansuchen zu stellen. Zu diesem Zweck haben sie sich in Fällen, die keinen Aufschub dulden, an den zunächst erreichbaren Strafvollzugsbediensteten, sonst zu der in der Hausordnung festzusetzenden Tageszeit an den hiefür zuständigen Strafvollzugsbediensteten zu wenden.

Vollzugsplan

Klassifizierung

§ 134. (1) ...

(2) Bei der Bestimmung ist auf die Wesensart des Strafgefangenen, sein Vorleben, seine persönlichen Verhältnisse und die Beschaffenheit der Straftat, deren er schuldig erkannt worden ist, insoweit Bedacht zu nehmen, als es erforderlich ist, um die Erreichung der Zwecke des Strafvollzuges unter bestmöglicher Ausnützung der Vollzugseinrichtungen zu gewährleisten.

(3) Zur Vorbereitung der Entscheidung ist in den Strafakt über das der Verurteilung zu Grunde liegende Verfahren und, soweit die Beischaffung der sonstigen über den Verurteilten vorhandenen Strafakten und früher beim Vollzuge von Freiheitsstrafen oder mit Freiheitsentziehung verbundenen Maßnahmen der Sicherung und Besserung angelegten Personalakten zeitgerecht möglich ist, auch in diese Akten Einsicht zu nehmen. Soweit es darüber hinaus der Kenntnis weiterer Umstände des Einzelfalles bedarf, sind diese auf geeignete Weise zu erheben. Erforderlichenfalls kann auch angeordnet werden, dass der Strafgefangene zum Zwecke der Beobachtung durch sachverständige Personen vorübergehend in einer hiezu besonders eingerichteten Anstalt angehalten wird.

(4) Ist die nähere Erforschung der Wesensart eines Strafgefangenen erforderlich, so ist er einer besonderen psychiatrischen oder psychologischen Beobachtung und Untersuchung zu unterziehen. Das hierüber erstellte Gutachten hat auch Vorschläge darüber zu enthalten, wie die Strafe vollzogen werden soll.

(5) Vom Ergebnis der Klassifizierung sind die Leiter der zur Einleitung und Durchführung des Strafvollzuges zuständigen Anstalten zu verständigen. Der Strafgefangene ist davon insoweit in Kenntnis zu setzen, als es sich auf den unmittelbar anschließenden Strafvollzug bezieht, und in die zur Durchführung des weiteren Strafvollzuges zuständige Anstalt zu überstellen.

(6) Erscheint es im späteren Verlaufe des Strafvollzuges unter Bedachtnahme auf die im Abs. 2 angeführten Umstände und zur Erreichung der dort genannten Zwecke erforderlich, den Strafvollzug in einer anderen Anstalt, in anderer Form oder nach anderen Grundsätzen fortzusetzen, so hat das Bundesministerium für Justiz die entsprechenden Änderungen anzuordnen. Die Abs. 3 bis 5 sind hiebei dem Sinne nach anzuwenden."

Begehrt ein Strafgefangener, der eine mehr als einjährige Freiheitsstrafe verbüßt, aus dem Grunde des § 10 Abs. 1 Z 2 StVG eine Änderung des Vollzugsortes und somit der Klassifizierung, so macht er ein subjektives Recht geltend; über diesen Antrag hat der Bundesminister für Justiz mit Bescheid abzusprechen (vgl. dazu grundlegend das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. September 1996, Zl. 95/20/0750; siehe im Zusammenhang mit der Klassifizierung auch das Erkenntnis vom 30. November 2000, Zl. 99/20/0439).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde über den gemäß § 119 StVG gestellten Antrag des Beschwerdeführers richtigerweise mit Bescheid entschieden. Der angefochtene Bescheid kann jedoch aus folgenden Gründen keinen Bestand haben:

Gemäß § 45 AVG ist den Parteien des Verwaltungsverfahrens Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Wird das Recht auf Parteiengehör (das durch die Möglichkeit zur - auch schriftlichen - Stellungnahme zu den Ergebnissen des Verwaltungsverfahrens innerhalb einer angemessenen Frist jedenfalls gewahrt wäre) verletzt, so begründet dies eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, wenn die Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, wiedergegebene Rechtsprechung zu § 45 AVG, E 297 ff und 536 ff).

Die belangte Behörde hat einen Bericht des Leiters der Justizanstalt Wien-Favoriten eingeholt, sie hat es jedoch verabsäumt, dem Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides Gelegenheit zu geben, von diesem Bericht Kenntnis zu nehmen und dazu eine Stellungnahme abzugeben.

In seiner Beschwerde führt der Beschwerdeführer u.a. aus, dass er sich in psychiatrischer Behandlung befinde und sein Ansuchen auch unter Berücksichtigung seines Wunsches, seinen psychischen Zustand durch Therapien und einen anhaltenden Drogenentzug zu verbessern, zu prüfen gewesen wäre. Die dem Bescheid zu Grunde liegenden Ausführungen des Anstaltsleiters seien nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer legte somit in seiner Beschwerde dar, welches Vorbringen er im Falle der Einräumung des Parteiengehörs erstattet hätte und inwiefern die belangte Behörde dadurch zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Für den Verwaltungsgerichtshof ist auch nicht nachvollziehbar, inwiefern auf Grund des bloßen Hinweises des Anstaltsleiters auf "die fehlende Platzkapazität in der Langstrafigen-Abteilung" eine Überstellung des Beschwerdeführers (dessen Strafe spätestens am 1. April 2006 endet, wobei jedoch dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist, warum eine bedingte Entlassung vor diesem Zeitpunkt voraussichtlich nicht zu erwarten ist) jedenfalls ausgeschlossen wäre (zur mangelnden Begründung der Abweisung eines Ansuchens um Strafvollzugsortsänderung durch den bloßen Hinweis auf "Belagsgründe" siehe das Erkenntnis vom 25. Februar 1987, Zl. 86/01/0206).

Da somit nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Einhaltung der außer Acht gelassenen Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 22. Oktober 2003

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003200222.X00

Im RIS seit

14.11.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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