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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des A in S, geboren 1979, vertreten durch Mag. Rainer Hessenberger, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Alter Markt 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Juli 2000, Zl. 214.706/0-X/31/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem zweiten, die Refoulement-Entscheidung betreffenden Spruchteil wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991, 20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan und tadschikischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am 14. August 1999 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Vor dem Bundesasylamt gab er an, er habe, obwohl sein Bruder Kommandant bei den Mujaheddin gewesen sei, nicht mit diesen gegen die Taliban kämpfen wollen, weshalb ihn die Mujaheddin mehr als zwei Monate lang inhaftiert hätten. Als die Taliban die Macht errungen hätten, hätten sie den Beschwerdeführer im August 1997 zunächst freigelassen. Schon am Tag darauf sei der Beschwerdeführer neuerlich, dieses Mal aber von den Taliban, die ihn mit seinem Bruder verwechselt hätten, inhaftiert und bis zum Verlassen seines Heimatstaates Mitte 1999 in einer großen Halle mit etwa 500 Leuten gefangen gehalten worden. Dort sei er einige Male geschlagen, jedoch (von den Taliban) nie verhört oder etwas gefragt worden. Im August 1998 habe er, als der Wächter des Gefängnisses eingeschlafen sei, gemeinsam mit einem zweiten Gefängnisinsassen einen Fluchtversuch unternommen. Da der Wächter vergessen hätte, die Türe zu versperren, hätten der Beschwerdeführer und sein Freund die Tür der Halle geöffnet. Sein Freund habe weglaufen können und als ein anderer Wächter vor dem Ausgang auf den Freund habe schießen wollen, habe der Beschwerdeführer den Wächter gestoßen und am Boden festgehalten. Bei dieser Rauferei sei der Beschwerdeführer mit einem Messer am linken Unterarm verletzt worden. Da der Vater des Beschwerdeführers tags darauf die Grundbuchsrolle des Grundstückes der Familie hinterlegt habe, sei dem verletzten Beschwerdeführer erlaubt worden, sich ärztlich behandeln zu lassen. Nach einem Tag habe der Beschwerdeführer jedoch wieder ins Gefängnis zurück müssen, da dem Vater sonst das Haus weggenommen worden wäre. Als der Beschwerdeführer nach fast einem Jahr im Gefängnis Rheumatismus bekommen habe, habe sein Vater zum Zweck einer weiteren ärztlichen Behandlung des Beschwerdeführers die Grundbuchsrolle neuerlich hinterlegt. Beim Krankenhaus habe der Beschwerdeführer über Hilfe seines Vaters mit einem Schlepper Kontakt aufgenommen, der dem Beschwerdeführer zur Flucht verholfen habe. Würden die Taliban den Beschwerdeführer ergreifen, würden sie ihn wegen seiner Flucht aus dem Gefängnis umbringen.
Mit Bescheid vom 2. Dezember 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Begründend führte die Erstbehörde aus, die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen seien unglaubwürdig. So sei es äußerst unwahrscheinlich, dass nur der Beschwerdeführer und ein zweiter Gefängnisinsasse die nicht versperrte Türe der Gefängniszelle zu einem Fluchtversuch genutzt hätten. Mit Sicherheit hätte dies eine Massenflucht der nach den Angaben des Beschwerdeführers im selben Raum befindlichen 500 Häftlinge bewirkt. Ebenso unglaubwürdig sei es, dass dem Beschwerdeführer nach dem missglückten Fluchtversuch auf Grund einer Kautionshinterlegung durch seinen Vater erlaubt worden sei, sich in einem Krankenhaus ärztlich versorgen zu lassen. Überdies sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Vater des Beschwerdeführers nicht schon früher vom Mittel der Kautionshinterlegung Gebrauch gemacht habe und warum er den Beschwerdeführer auf diesem Weg erst nach etwa zwei Jahren aus dem Gefängnis geholt habe. Was die tadschikische Nationalität des Beschwerdeführers betrifft, so gelangte die Erstbehörde, ausgehend von der Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers und unter Bezugnahme auf Länderberichte, deren letzter vom 14. Juli 1998 stammte, zur Ansicht, dass eine gruppengerichtete Verfolgung von Tadschiken in Afghanistan durch die Taliban nicht feststellbar sei.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde nach durchgeführter mündlicher Berufungsverhandlung mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in den nicht von den Taliban beherrschten Teil Afghanistans" zulässig sei. Begründend verwies die belangte Behörde auf die "Feststellungen und rechtlichen Konklusionen" im Bescheid des Bundesasylamtes und ergänzte die Beweiswürdigung der Erstbehörde zur Unglaubwürdigkeit der behaupteten Fluchtgründe des Beschwerdeführers. Zur Entscheidung nach § 8 AsylG und zur Abänderung des diesbezüglichen Spruchteiles des Bescheides des Bundesasylamtes führte die belangte Behörde begründend aus, es lägen bei ihr weder Informationen noch Anhaltspunkte darüber vor, dass der der tadschikischen Volksgruppe angehörende Beschwerdeführer "in dem nicht von den Taliban beherrschten Gebieten" Afghanistans (diese präzisierte die belangte Behörde auch in der Bescheidbegründung lediglich mit dem Territorium "der Nordallianz"), eine Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG zu befürchten hätte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Soweit der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde den Ausführungen der belangten Behörde zur Beweiswürdigung entgegentritt, vermag der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund der ihm zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) in den dargestellten Argumenten gegen die Glaubwürdigkeit des Fluchtgeschehens des Beschwerdeführers eine Unschlüssigkeit nicht zu erkennen. Die Beschwerde war daher in Bezug auf die Asylentscheidung als unbegründet abzuweisen.
Zutreffend führt die Beschwerde allerdings gegen die Entscheidung nach § 8 AsylG ins Treffen, dass die belangte Behörde, indem sie auf die Feststellungen der Erstbehörde verwies, der Refoulemententscheidung ausschließlich Berichte zugrunde gelegt hat, deren aktuellster vom Juli 1998 stammt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat sich der unabhängige Bundesasylsenat jedoch laufend über asylrechtlich maßgebliche Entwicklungen auf dem neuesten Stand zu halten. Die belangte Behörde hat daher ihren Bescheiden die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Beweismittel zugrunde zu legen. Dem wird die belangte Behörde nicht gerecht, wenn die herangezogenen Berichte, wie im vorliegenden Fall, im maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung (auf den sich auch die Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zu beziehen hat) durchwegs schon älter als ein Jahr waren (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0197, vom 3. Juli 2003, Zl. 2001/20/0040 und - ebenfalls Afghanistan betreffend - vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0177). Mit Rücksicht auf die in der Beschwerde zitierten Äußerungen eines Sachverständigen in einer Verhandlung vor der belangten Behörde am 13. Juni 2000 ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Heranziehung aktuelleren Berichtsmaterials zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Darüber hinaus hat sich die belangte Behörde aber auch nicht mit der Frage befasst, ob eine Abschiebung in die von ihr als sicher erachteten, im Zeitpunkt ihrer Entscheidung nicht von den Taliban beherrschten Restgebiete Afghanistans möglich war (vgl. in diesem Zusammenhang etwa die hg. Erkenntnisse vom 27. November 1998, Zl. 95/21/0344, und vom 27. Februar 2001, Zl. 99/21/0007).
Der angefochtene Bescheid war daher in seinem zweiten Spruchteil wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 22. Oktober 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000200355.X00Im RIS seit
13.11.2003