Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Thoma und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde der D in Wien, geboren 1968, vertreten durch Neumayer & Walter, Rechtsanwälte in 1030 Wien, Baumannstraße 9/11, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Juni 2001, Zl. 215.880/0-XII/36/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem zweiten, § 8 AsylG betreffenden Spruchpunkt wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine aus dem Kosovo stammende, der albanischen Volksgruppe angehörende Staatsangehörige der (damaligen) Bundesrepublik Jugoslawien, reiste am 30. Mai 1999 zusammen mit ihren 1992, 1993 und 1996 geborenen drei Kindern in das Bundesgebiet ein und beantragte am 10. Juni 1999 Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 29. Februar 2000 gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Kosovo sei zulässig. Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde - nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - die von der Beschwerdeführerin bekämpfte Entscheidung des Bundesasylamtes.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Die auf dem Höhepunkt der Kosovo-Krise eingereiste, vor dem Bundesasylamt aber erst am 13. Jänner 2000 einvernommene Beschwerdeführerin hat ihren Asylantrag im Hinblick auf die inzwischen geänderte Lage im Kosovo vor dem Bundesasylamt auf die Befürchtung gestützt, "von Rebellen, die aus Albanien kommen könnten, verletzt oder umgebracht zu werden". In der Berufung machte sie geltend, auf Grund näher dargestellter Vorgänge im Zusammenhang mit ihrer Flucht vor den Serben drohe ihr im Falle ihrer Rückkehr in den Kosovo die Gefahr einer Verfolgung durch frühere UCK-Kämpfer. Da ihr Ehegatte von den Serben verschleppt worden und nicht wieder aufgetaucht sei, würde sie dieser Bedrohung zusammen mit ihren Kindern schutzlos ausgeliefert sein. In der Berufungsverhandlung am 3. Mai 2001 beschrieb sie ihre Gefährdung im Fall einer Rückkehr im Wesentlichen wie folgt:
"(Verhandlungsleiter): Was hätten Sie zu befürchten, wenn Sie in den Kosovo zurückkehren müssten?
(Beschwerdeführerin): Ich habe keinen Ehemann, ich habe drei Kinder.
(Verhandlungsleiter): Hätten Sie sonst weitere Probleme? (Beschwerdeführerin): Andererseits sind die Lebensbedingungen
an der Grenze dort wo wir wohnen, sehr schlecht, es herrscht Unsicherheit. Außerdem habe ich Angst vor der UCK, weil ich als Frau allein in meinem Haus wäre."
Der Vertreter der Beschwerdeführerin brachte im Anschluss an deren Aussage u.a. vor, ein Leben in ihrem Heimatort wäre für sie als allein stehende Frau "im Hinblick auf die traditionellen patriarchalischen Strukturen" nicht möglich. Er verwies weiters auf einen von ihm vorgelegten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom März 2001 (Rahel Bösch, Kosova: Situation der albanischen Frauen - Rückkehrperspektive für allein stehende Frauen und Mütter).
2. Der Verwaltungsgerichtshof kann der belangten Behörde - auch bei Bedachtnahme auf das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin in einer ergänzenden Stellungnahme vom 14. Mai 2001 - nicht entgegen treten, wenn sie in den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens keine ausreichenden Hinweise auf eine der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Kosovo drohende asylrelevante Verfolgung fand. Der einzige dafür in Betracht kommende Teil des Vorbringens, nämlich die in der Berufung erhobene Behauptung, als Zeugin eines die UCK betreffenden Vorfalls gefährdet zu sein, ist von der belangten Behörde mit Argumenten, die der auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof standhalten, nicht als glaubwürdig erachtet worden. Insoweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Asylantrages richtet, war sie daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ablehnung der Beschwerde des Schwiegervaters der Beschwerdeführerin, der gleichfalls Zeuge des Vorfalls gewesen sein soll, mit dem hg. Beschluss vom heutigen Tag, Zl. 2001/01/0294).
3. Die vorliegende Beschwerde wendet sich aber auch - unter auszugsweiser Wiedergabe des in der Berufungsverhandlung vorgelegten Berichtes der Schweizerischen Flüchtlingshilfe - im Einzelnen gegen die Begründung des zweiten, § 8 AsylG betreffenden Spruchteils der angefochtenen Entscheidung. Diese lautet, soweit hier wesentlich, wie folgt:
"Insoweit sich die Berufungswerberin auf die angeblich fehlende Lebensgrundlage im Kosovo stützt, ist ihr entgegenzuhalten, dass umfangreiche Hilfsprogramme zur Lebensmittelversorgung, Gesundheitsversorgung und für den Wiederaufbau bestehen, eine Mindestversorgung sohin gewährleistet ist. Im Übrigen weder ist das bloß allgemein behauptete Fehlen der 'Existenzgrundlage' noch die allgemein behauptete Unsicherheit geeignet, eine Gefährdung im Sinne von § 57 Abs. 1 oder 2 FrG iVm § 8 AsylG darzutun (vgl. VwGH 27.11.1998, 97/21/0626, 4.4.1997, 97/18/0146). Insoweit sich die Berufungswerberin auf eine mögliche Gefährdung beruft, da sie - infolge Verschleppung ihres Ehegatten -
quasi eine alleinstehende Frau sei, ist ihr entgegenzuhalten, dass einer Rückkehr gemeinsam mit dem Schwiegervater D.M., dessen Asylantrag rechtskräftig abgewiesen wurde, oder dem in Österreich lebenden Schwager keine Hindernisse entgegenstehen würden, sodass nicht davon auszugehen ist, dass die Berufungswerberin zwingend ohne männliche Angehörige im Kosovo leben müsste."
Diese Ausführungen enthalten keinerlei Auseinandersetzung mit den konkreten Inhalten des von der Beschwerdeführerin vorgelegten Berichtes der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, der auch in den allgemein gehaltenen Sachverhaltsfeststellungen über die Lage im Kosovo und in den Ausführungen der belangten Behörde zur Beweiswürdigung keine Erwähnung findet. In der Beweiswürdigung ist bloß (in teilweiser Übernahme von Formulierungen aus dem den Schwiegervater der Beschwerdeführerin betreffenden Bescheid) davon die Rede, die "vom Berufungswerber vorgelegten Berichte" würden "nur auf die angeblich fortbestehende Bedrohung durch ehemalige UCK-Kämpfer und ein angebliches Klima der 'Gesetzlosigkeit' im Herkunftsort der Berufungswerberin" verweisen. Hingegen werde "nicht bestritten, dass die internationale Verwaltung eingerichtet wurde und serbische bzw. jugoslawische Einheiten auf den Kosovo und dessen Bewohner keinen Zugriff mehr haben". Ein weiterer Satz in der Beweiswürdigung bezieht sich (nur) auf die von der Beschwerdeführerin mit ihrer ergänzenden Stellungnahme vorgelegte Berichte. Aus diesen ergebe sich "nicht, dass die internationale Verwaltung nicht funktionsfähig wäre".
Damit ist die belangte Behörde ihrer Verpflichtung, im Zusammenhang mit der gemäß § 8 AsylG zu treffenden Entscheidung konkret auf die Situation der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder im Falle einer Rückkehr in den Kosovo einzugehen, nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht gerecht geworden (vgl. zu dieser Verpflichtung aus jüngerer Zeit etwa die - jeweils den Kosovo betreffenden - Erkenntnisse vom 9. Juli 2002, Zl. 2001/01/0164, vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0474, vom 16. Juli 2003, Zl. 2003/01/0059, und vom selben Tag, Zl. 2003/01/0021). Im Besonderen blieb ungeklärt, ob die Beschwerdeführerin - wie die zuvor zitierte Stelle ihrer Aussage nahe zu legen scheint - in ihrem Heimatort ein Haus besitzt, das sie mit ihren Kindern bewohnen könnte, oder ob dieses Haus, wie vor dem Bundesasylamt ausgesagt, bei einem Granatenangriff schwer beschädigt wurde und die Wohnsituation der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder, wie in der ergänzenden Stellungnahme vom 14. Mai 2001 vorgebracht, u.a. deshalb ungesichert wäre, weil neu Zurückkehrende in Wiederaufbauprogramme nicht mehr aufgenommen würden, die Notquartiere belastet seien und sich andere Unterkunftsmöglichkeiten im Familienverband der Beschwerdeführerin nicht organisieren ließen (vgl. zur Relevanz dieser Fragen für die Entscheidung nach § 8 AsylG die Hinweise in den schon erwähnten Erkenntnissen).
Die belangte Behörde verweist - erstmals im angefochtenen Bescheid und somit unter Verstoß gegen den Grundsatz des Parteiengehörs - auf die von ihr angenommene Möglichkeit, dass die Beschwerdeführerin und ihre Kinder in Begleitung des Schwiegervaters oder des in Österreich lebenden Schwagers in den Kosovo zurückkehren könnten. Dem steht in Bezug auf Letzteren das in der Beschwerde - zulässigerweise - erstattete Vorbringen entgegen, wonach der Schwager der Beschwerdeführerin österreichischer Staatsbürger sei und hier eine Großfamilie zu versorgen habe. Dem angefochtenen Bescheid ist aber auch nicht entnehmbar, welche Hilfe die Beschwerdeführerin von ihrem Schwiegervater - ein seinem Vorbringen zufolge "alter Mann mit einer schwer kranken Frau" - realistischerweise zu erwarten hätte.
Der angefochtene Bescheid war daher in seinem zweiten, § 8 AsylG betreffenden Spruchpunkt gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Die Umrechnung der gemäß § 24 Abs. 3 VwGG entrichteten Gebühr erfolgte nach § 3 Abs. 2 Z. 2 EuroG, BGBl. I Nr. 72/2000.
Wien, am 5. November 2003
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Parteiengehör Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001010361.X00Im RIS seit
11.12.2003