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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ASVG §11 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des T Verein in R, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 5. Mai 2000, Zl. SV(SanR)- 410327/3-2000-Bb/May, betreffend Beitragsnachverrechnung und Verzugszinsen (mitbeteiligte Partei: Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat dem beschwerdeführende Verein Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzten.
Begründung
Mit Bescheid vom 10. Dezember 1998 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den beschwerdeführenden Verein (in der Folge kurz: Verein) zur Zahlung von allgemeinen Beiträgen in der Höhe von S 404.617,70 und von Verzugszinsen in der Höhe von S 49.600,-- , somit von insgesamt S 454.217,70.
Begründend führte sie aus, der Verein habe Ali I. ab 17. Jänner 1995 als Dienstnehmer zur Pflichtversicherung in der Vollversicherung (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung) und in der Arbeitslosenversicherung angemeldet. Als monatliche Beitragsgrundlage seien S 3.594,-- angegeben worden. Bei einer Beitragsprüfung am 5. August 1998 sei von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse festgestellt worden, dass Ali I. vom Verein keine Geldbezüge erhalten habe; der Verein habe ihm stattdessen eine Dienstwohnung im Ausmaß von 66 m2 unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Der Obmann des Vereins habe erklärt, der als Beitragsgrundlage gemeldete Wert von S 3.594,-- beruhe auf der Überlegung, dass dadurch die Kosten der Ali I. zur Verfügung gestellten Wohnung abgedeckt würden; zudem sollten Ali I. und seine Familie in Österreich sozialversichert sein. Das türkische Generalkonsulat in Salzburg (in der Folge kurz: Konsulat) habe in einem Schreiben vom 4. Jänner 1995 an die Bezirkshauptmannschaft F. bescheinigt, dass Ali I. vom Präsidium für religiöse Angelegenheiten in Ankara nach Österreich entsendet und dem Verein als Religionsbeauftragter zugeteilt worden sei. Sein monatliches Gehalt in Höhe von S 17.600,-- werde ihm "über das Konsulat" überwiesen. Er sei - heiße es in dem Schreiben auch - "über sein Ministerium" krankenversichert. Über diese Krankenversicherung in der Türkei - so die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse weiter - sei keine Bestätigung vorgelegt worden. Auch sei beim Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales kein "Antrag um Befreiung von den österreichischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit" eingebracht worden. In rechtlicher Hinsicht zitierte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die einschlägigen Bestimmungen des ASVG sowie von zwischenstaatlichen Vereinbarungen zwischen Österreich und der Türkei und zog auf Basis des festgestellten Sachverhaltes den Schluss, dass nach den hier maßgeblichen österreichischen Rechtvorschriften der Verein Dienstgeber von Ali I. sei. Sein Entgelt habe er teils vom Verein, teils "über das Konsulat" bezogen. Der Sachbezug der freien Dienstwohnung werde mit S 1.056,-- bewertet, der monatliche Nettobezug von S 17.600,-- ergebe einen Bruttoverdienst von S 26.295,--. Die sozialversicherungspflichtige Beitragsgrundlage betrage demnach monatlich S 27.351,--. Auf dieser Basis hätte der Verein Beiträge entrichten müssen; auf Grund unrichtiger Entgeltangaben habe sich die Verjährungsfrist auf fünf Jahre verlängert, weshalb die Nachverrechnung ab dem 17. Jänner 1995 vorgenommen worden sei. Zur Begründung für die Verpflichtung zur Zahlung der Verzugszinsen verwies die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse auf die entsprechende gesetzliche Grundlage.
In dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch brachte der Verein vor, Ali I. beziehe vom Verein "als Seelsorger" ein Bruttogehalt von S 4.900,--, daneben erhalte er vom Konsulat ein Entgelt in der Höhe von S 26.295,--. Bestritten werde, dass nur der Verein Dienstgeber sei; lediglich das vom Verein bezogene Entgelt sei als Beitragsgrundlage heranzuziehen. Eine Bestätigung über die Pflichtversicherung in der Türkei und ein Antrag um Befreiung von den österreichischen Rechtsvorschriften werde umgehend vorgelegt. Der Verein ersuchte um Stundung der vorgeschriebenen Zahlung.
Mit Schreiben vom 15. Februar 1999 teilte der Verein der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse unter Anderem mit, Ali I. sei Beamter in der Türkei und erhalte vom türkischen Staat durch das Konsulat seinen monatlichen Lohn ausbezahlt. Weiters legte der Verein im Zuge des Einspruchsverfahrens Bestätigungen des Konsulates vor; nach denen sei Ali I. als Seelsorger türkischer Beamter, nur vorübergehend nach Österreich entsendet worden und erhalt sein Gehalt "für seinen vorübergehenden Auslandsaufenthalt" über das Konsulat überwiesen. Seine Lohnsteuer werde vor der Überweisung ins Ausland vom türkischen Außenministerium abgezogen, sodass in Österreich keine weitere Lohnsteuer anfalle.
Im Schreiben vom 6. August 1999 teilte das Konsulat der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse unter Anderem mit, Ali I. erhalte "seinen Gehalt ... vom Türkischen Außenministerium (die Überweisung erfolgt über das hs. Generalkonsulat)". Gemäß § 5 Abs. 1 Z 9 ASVG unterliege nicht dieses, sondern nur sein vom Verein bezogenes Gehalt der Pflichtversicherung.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch keine Folge und bestätigte den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse.
Begründend gab sie das Verwaltungsgeschehen wieder und stellte folgenden Sachverhalt fest:
"Herr Ali I. wurde mit 17.1.1995 durch den (Verein) als Dienstnehmer zur Pflichtversicherung in der Vollversicherung (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung) und in die Arbeitslosenversicherung mit einer monatlichen Beitragsgrundlage von S 3.594,-- angemeldet. Über das Generalkonsulat erhält Herr I. ein monatliches Nettogehalt von S 17.600,-- überwiesen.
Herr I. ist vom Präsidium für religiöse Angelegenheiten in Ankara in Österreich entsandt und dem Verein in R. für die Dauer von sechs Jahren als Religionsbeauftragter (Seelsorger) zugeteilt worden. Zu seinen Aufgaben zählen die Tätigkeit als Vorbeter (Imam) und die Unterrichtung der türkischen Kinder in der Lehre des Koran.
Aus einer Bestätigung des Generalkonsulates der Türkei vom 4. Jänner 1995 geht hervor, dass Herr I. über sein Ministerium krankenversichert ist, ohne dass jedoch im Zuge des Einspruchsverfahrens eine Bestätigung über den Versicherungsschutz in der Türkei vorgelegt wurde.
Nach dem Versicherungsverlauf, der eine Nachverrechnung von 44 Monaten inkludiert, hat der (Verein) Herrn I. von der Pflichtversicherung abgemeldet. Herr I. hat sich daraufhin vom 7.4.1999 bis 31.10.1999 nach § 16 ASVG in der Krankenversicherung selbst versichert."
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass nach näher bezeichneten Bestimmungen des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Türkischen Republik über soziale Sicherheit die Anwendung der österreichischen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen auf Antrag suspendiert werden könnte, wenn die betreffende Person den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates unterstellt sei. Eine solche Antragstellung bzw. eine solche Befreiung habe der Verein nicht nachgewiesen, weshalb die entsprechenden österreichischen Rechtsvorschriften anzuwenden gewesen seien. Der Verein habe auch nicht nachweisen können, dass Ali I. im fraglichem Zeitraum in der Türkei pflichtversichert gewesen sei. Somit gebe es kein Hindernis für die Annahme, dass Ali I. auf Grund seiner Beschäftigung beim Verein der Vollversicherungs- bzw. Arbeitslosenversicherungspflicht unterlegen sei. Als Beitragsgrundlagen seien der monatliche Bruttoverdienst von S 26.295,-- sowie der Sachbezugswert von S 1.065,--, somit insgesamt der Betrag S 27.351,-- heran zu ziehen. Zur Festsetzung der Verzugszinsen verwies die belangte Behörde auf die einschlägige Rechtslage.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse und die belangte Behörde haben Gegenschriften erstattet, in denen sie die Abweisung der Beschwerde beantragen. Mit einem nach der Beschwerde eingebrachten Schriftsatz legte der Verein zum Beweis der Sozialversicherungspflicht von Ali I. in der Türkei Urkunden in türkischer Sprache mit deutscher Übersetzung vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass Ali I. jedenfalls zwischen dem 17. Jänner 1995 und dem 31. August 1998 für seine Tätigkeit als Vorbeter und Religionslehrer in Österreich neben dem Sachbezug vom Verein einen über das Konsulat in Österreich ausbezahlten Geldbezug erhalten hat, dessen Höhe - ebenso wie die Höhe der nachverrechneten Beiträge und der Verzugszinsen - weder während des Verwaltungsverfahrens noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bekämpft wurde.
Die belangte Behörde wertete die vom Konsulat überwiesenen Beträge als Geldbezüge, die Ali I. von einem Dritten auf Grund seines Beschäftigungsverhältnisses zum Verein erhalten habe, weshalb die Bezüge auch Bestandteil der Beitragsgrundlage seien und - wegen der Geringfügigkeit des Sachbezuges - zur Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht geführt hätten. Legt man die Feststellungen des angefochtenen Bescheides zu Grunde, nach denen der Verein einziger Dienstgeber von Ali I. gewesen sei und auf Grund dieser Beschäftigung Zahlungen von einem Dritten erfolgt seien, erwiese sich die Rechtsauffassung der belangten Behörde als zutreffend.
Allerdings vertrat der Verein bereits in seinem Einspruch die Ansicht, nicht nur er allein sei Dienstgeber von Ali I.; dieser sei nämlich auch als Beamter beim türkischen Staat tätig, sei nur vorübergehend für die in Rede stehende Tätigkeit nach Österreich entsandt worden und erhalte sein Gehalt weiter vom türkischen Außenministerium, das vor der Überweisung auch gleich die Lohnsteuer abgezogen habe.
Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde nicht auseinander gesetzt. Zwar ist sie den Behauptungen des Vereines darin gefolgt, dass sie von einer Entsendung des Ali I. bzw. seiner "Zuteilung" nach Österreich durch das "Präsidium für religiöse Angelegenheiten in Ankara" für die Dauer von sechs Jahren und einer Zahlung "über" das Konsulat ausgegangen ist; eine Beschäftigung mit dem Argument, Ali I. sei in der Türkei Beamter bzw. beim Außenministerium beschäftigt und in dieser Funktion nach Österreich entsandt worden, lässt der angefochtene Bescheid jedoch vermissen. Die belangte Behörde hat weder die entsprechenden Behauptungen noch die Beweismittel zu diesem Thema einer Würdigung unterzogen. Dem gemäß fehlt es auch an Feststellungen zur Frage, ob und gegebenfalls wo Ali I. in der Türkei beschäftigt war. Feststellungen über eine türkische Krankenversicherung von Ali I., deren Vorliegen die belangte Behörde im Übrigen mit nicht schlüssigen Argumenten als nicht erwiesen angenommen hat, können solche über ein Beschäftigungsverhältnis in der Türkei nicht ersetzen. Käme die belangte Behörde - bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensfehlers - zur Feststellung, Ali I. sei auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses mit einem türkischen Dienstgeber zum Verein entsandt worden, so stellte sich die Rechtslage wie folgt dar:
Zunächst wäre wegen der Auslandsberührung des Falles zu prüfen, welches Recht zeitraumbezogen anzuwenden ist (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Zl. 898/75, VwSlg 9315 A/1977). Das am 2. Dezember 1982 unterzeichnete und am 1. April 1985 in Kraft getretene Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Türkischen Republik über soziale Sicherheit (BGBl. Nr. 91/1985), das zum 30. September 1996 für gekündigt erklärt wurde (BGBl. Nr. 349/1996), sah über die anzuwendenden Rechtsvorschriften auszugsweise Folgendes vor:
"Artikel 6
Soweit die Artikel 7 und 8 nichts anderes bestimmen, gelten für Erwerbstätige die Rechtsvorschriften des Vertragsstaates, in dessen Gebiet die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Dies gilt bei Dienstnehmern auch dann, wenn sich ihr Wohnort oder der Sitz ihres Dienstgebers im Gebiet des anderen Vertragsstaates befindet.
Artikel 7
(1) Werden Dienstnehmer, die im Gebiet eines Vertragsstaates wohnen, in das Gebiet des anderen Vertragsstaates von einem Dienstgeber entsendet, der sie im Gebiet des ersten Vertragsstaates gewöhnlich beschäftigt, so gelten für sie bis zum Ende des 24. Kalendermonats ihrer Beschäftigung im Gebiet des anderen Vertragsstaates die Rechtsvorschriften des ersten Vertragsstaates, als wären sie noch in dessen Gebiet beschäftigt.
...
Artikel 9
Auf gemeinsamen Antrag des Dienstnehmers und des Dienstgebers oder auf Antrag sonstiger Erwerbstätiger kann die zuständige Behörde des Vertragsstaates, dessen Rechtsvorschriften nach den Art. 6 bis 8 anzuwenden wären, die Befreiung von diesen Rechtsvorschriften zulassen, wenn die in Betracht kommende Person den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates unterstellt wird. ...
Das Nachfolgeabkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Türkei über soziale Sicherheit trat erst am 1. Dezember 2000 in Kraft (BGBl. III Nr. 219/2000) und sieht keine dem Vorgängerabkommen entgegen stehenden Bestimmungen über das anzuwendende Recht vor. Rückwirkende Regelungen für den abkommenslosen Zeitraum ab 1. Oktober 1996 beziehen sich lediglich auf den Erwerb und die Gewährung von Leistungen (Artikel 35 Abs. 3 dieses Abkommens).
Wäre Ali I. türkischer "Beamter", wohnte er in der Türkei und wäre er - so die Feststellungen der belangten Behörde - nach Österreich vorübergehend "entsandt" bzw. "zugeteilt" worden, läge eine Entsendung von Ali I. durch seinen türkischen Arbeitgeber im Sinne des Artikel 7 Abs. 1 des zuerst genannten Abkommens nach Österreich vor (vgl. zum vergleichbaren Entsendungsbegriff im Abkommen zwischen Österreich und der - ehemaligen - Republik Jugoslawien das Erkenntnis vom 17. Dezember 1991, Zl. 86/08/0139, sowie zur Entsendung im Sinne des § 3 ASVG das Erkenntnis vom 28. Oktober 1997, Zl. 95/08/0293). Demnach wären gemäß dieser Bestimmung für die ersten zwei Jahre seiner Beschäftigung in Österreich, zumindest aber bis zum Außerkrafttreten des Abkommens, die türkischen Rechtsvorschriften maßgeblich gewesen. Eine Versicherungs- bzw. Beitragspflicht in Österreich käme insoweit nicht in Frage.
Für die Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses während des weiteren Zeitraumes (nach Ablauf von zwei Jahren bzw. nach Außerkrafttreten des Abkommens) bis zu dessen Ende am 31. August 1998 wären mangels Geltung einer zwischenstaatlichen Vereinbarung die einschlägigen österreichischen Vorschriften maßgeblich:
Nach § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG sind in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet.
Gemäß § 4 Abs. 2 ASVG ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.
Nach § 35 Abs. 1 ASVG gilt als Dienstgeber im Sinne dieses Bundesgesetzes derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis steht, auch wenn der Dienstgeber den Dienstnehmer durch Mittelspersonen in Dienst genommen hat oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter an Stelle des Entgeltes verweist.
Unter einem "Beschäftigungsverhältnis" ist grundsätzlich das dienstliche "Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit" des "Dienstnehmers" im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG zu dem "Dienstgeber" im Sinne des § 35 Abs. 1 erster Satz ASVG zu verstehen. Ob jemand in einem "Beschäftigungsverhältnis" im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG steht, ist daher immer in Bezug auf eine bestimmte andere Person (bestimmte andere Personen), nämlich grundsätzlich den Dienstgeber (die Dienstgeber), zu prüfen (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, Zl. 83/08/0200, VwSlg 12.325A).
Nach § 44 Abs. 1 ASVG ist Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) für Pflichtversicherte der im Beitragszeitraum gebührende Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinne gilt bei den pflichtversicherten Dienstnehmern das Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG.
Gemäß § 49 Abs. 1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ist zunächst zu prüfen, ob Ali I. während des fraglichen Zeitraumes einen Dienstgeber in der Türkei hatte. Ergibt das Beweisverfahren keine entsprechende Feststellung, käme als Dienstgeber von Ali I. nur der Verein in Frage und der Geldbezug von Ali I. wäre als Zahlung eines Dritten zu werten. Dies führte zu dem im angefochtenen Bescheid dargestellten Ergebnis einer Beitragspflicht auch für den Geldbezug.
Auch wenn zwischen dem in der Türkei befindlichen Dienstgeber von Ali I. und dem Verein eine Vereinbarung getroffen worden wäre, die die Beschäftigung von Ali I. beim Verein regelte, und dieser mit dem Verein keinen Arbeitsvertrag abgeschlossen hätte, wäre der Verein als Dienstgeber zu werten. In diesem Fall läge nämlich eine grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung nach § 16 AÜG vor, weshalb nach § 3 Abs. 3 vorletzter Satz ASVG eine Beschäftigung im Inland gegeben wäre, bei der der Verein gemäß § 35 Abs. 2 letzter Satz ASVG auch hier als Dienstgeber gelten würde. Der vom Verein gewährte Sachbezug wäre dann auch in diesem Fall als Entgelt eines Dritten zu verstehen (vgl. dazu das die Versicherungspflicht betreffende Erkenntnis vom 17. Oktober 2001, Zl. 96/08/0101, auf dessen Ausführungen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
Hätte jedoch - bei sonst gleichen Voraussetzungen - kein Rechtsverhältnis zwischen dem Verein und dem in der Türkei befindlichen Dienstgeber von Ali I. bestanden, so konnte während des in Rede stehenden (Rest)Zeitraumes als Voraussetzung der Beitragspflicht kein die Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis zwischen Ali I. und dem Verein zustande gekommen sein. Geht man nämlich weiter davon aus, dass Ali I. den Geldbezug von seinem türkischen Dienstgeber erhielt, von dem er nach Österreich "entsandt" bzw. "zugeteilt" worden ist, hätte er das Entgelt "auf Grund" seines Dienstverhältnisses zu seinem türkischem Dienstgeber bezogen; dieser konnte nicht gleichzeitig "Dritter" im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG gewesen sein (vgl. zum "einheitlichen" Dienstverhältnis eines "Subventionslehrers" das Erkenntnis vom 2. Februar 1978, Zl. 196/76). Selbst wenn man in diesem Fall von einem weiteren mit dem Verein eingegangenen Beschäftigungsverhältnis ausginge, hätte - bei isolierter Betrachtung dieser Beschäftigung - wegen der Bewertung der Sachleistung durch die belangte Behörde bei gleichzeitigem Wegfall des Geldbezuges, der dem türkischen Dienstgeber zuzurechnen wäre, nur eine Teilversicherungspflicht mit entsprechend geminderter Beitragshöhe begründet werden können.
Kann der Geldbezug von Ali I. - unter den dargestellten Annahmen - nicht als Leistung eines Dritten dem allenfalls zum Verein begründeten Dienstverhältnis zugeordnet werden, stellt sich weiter die Frage, ob eine Versicherungs- und Beitragspflicht wegen der in Österreich ausgeübten Beschäftigung des Ali. I. auf Grund seines Beschäftigungsverhältnisses zu seinem türkischen Arbeitgeber habe begründet werden können:
Hätte der Dienstgeber von Ali I. seinen Sitz in der Türkei und im Inland keine Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage), hätte die Beiträge zur Gänze der Dienstnehmer zu entrichten und wäre demnach alleiniger Beitragsschuldner (vgl. § 53 Abs. 3 lit. b ASVG; Teschner/Widlar, Allgemeine Sozialversicherung, Anm. 2a zu § 58 ASVG). Selbst wenn man eine diplomatische Mission oder eine konsularische Vertretung des Dienstgeberstaates in Österreich als eine solche Betriebsstätte wertete, änderte dieser Umstand nichts am genannten Ergebnis, weil dem Türkischen Staat und seinen Vertretungen Exterritorialität zukommt. Auch in einem solchen Fall hätte der Dienstnehmer die Beiträge zur Gänze zu entrichten, wenn die Beiträge nicht vom Dienstgeber entrichtet werden (vgl. lit. a leg. cit.). Letzteres wurde nicht behauptet und erfolgte offensichtlich auch nicht.
Aus denselben Gründen führte auch die Bestimmung des § 3 Abs. 3 zweiter Satz ASVG, wonach die Dienstnehmer eines ausländischen Betriebes, der im Inland keine Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage) unterhält, nur dann als im Inland beschäftigt gelten, wenn sie ihre Beschäftigung (Tätigkeit) von einem im Inland gelegenen Wohnsitz aus ausüben und sie nicht auf Grund dieser Beschäftigung einem System der sozialen Sicherheit im Ausland unterliegen, nicht zu einer Beitragspflicht des Vereines, sondern allenfalls zu einer solchen von Ali I.
Klar zu stellen ist, dass sich die in der Beschwerde genannte Norm des § 5 Abs. 1 Z 9 ASVG, nach der von der Vollversicherung nach § 4 ASVG Dienstnehmer nicht österreichischer Staatsangehörigkeit hinsichtlich einer Beschäftigung bei Dienstgebern, denen Exterritorialität zukommt, ausgenommen sind, auf in Österreich ansässige Dienstgeber bezieht, somit im Beschwerdefall nicht heran gezogen werden kann.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass aus der vom Verein in der Beschwerde ins Treffen geführten Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme des sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige, für den Standpunkt des Vereines nichts zu gewinnen ist, weil der in dieser Norm zum Ausdruck kommende Gleichheitssatz ausschließlich für Arbeitnehmer und deren Familienangehörige gilt, der Verein somit daraus keine Rechte ableiten kann.
Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und lit c VwGG aufzuheben war.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 5. November 2003
Schlagworte
Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000080095.X00Im RIS seit
03.12.2003