Index
19/05 Menschenrechte;Norm
MRK Art8 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Thoma und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des N in G, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36/II, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 3. Juli 2001, Zl. 2-11.N/212 - 00/10, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die Steiermärkische Landesregierung (belangte Behörde) das Ansuchen des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft "gemäß §§ 11a iVm 10 Abs. 1 Z 6 in Verbindung mit § 39 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 i.d.g.F." (StbG) ab.
Der Beschwerdeführer sei erstmals am 19. Mai 1994 im Bundesgebiet zur Anmeldung gelangt und seit 28. Mai 1999 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Somit hätte der Beschwerdeführer gemäß § 11a StbG einen Rechtsanspruch auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Ihm habe die Staatsbürgerschaft jedoch nicht verliehen werden können, weil das Verleihungshindernis gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG vorliege. Im Ermittlungsverfahren sei festgestellt worden,
"dass der Einbürgerungswerber
( am 09.10.1995 vom Landesgericht für Strafsachen Graz wegen § 269 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen zu je ATS 100,--, im Uneinbringlichkeitsfall 80 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und
( am 20.04.1998 vom Landesgericht für Strafsachen Graz wegen § 107 Abs. 1 StGB und § 83 Abs. 1 StGB zu zwei Monaten Freiheitsstrafe, bedingt auf 3 Jahre,
verurteilt worden ist.
Im Verwaltungsverfahren der Bundespolizeidirektion Graz
scheint der Einbürgerungswerber mit nachstehend angeführten
Verwaltungsübertretungen auf:
"1998:
ATS 1.500,--
1999:
§ 19 Abs. 7 iVm § 19 Abs. 6 StVO
ATS 1.000,--
§ 24 Abs. 1 lit. a StVO
ATS 500,--
ATS 700,-- "
Zu diesem Sachverhalt habe der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter eine Stellungnahme abgegeben, in der zu den gerichtlichen Verurteilungen ausgeführt werde, dass die erste Verurteilung vom 9. Oktober 1995 "auf den damals noch kurzen Aufenthalt in Österreich, die mangelnden Deutschkenntnisse und das daraus resultierende Fehlverhalten zurückzuführen" sei. Hinsichtlich der Verurteilung vom 20. April 1998 habe der Beschwerdeführer angeführt, "dass für diese Verurteilung die damalige private Situation (Scheidung) ausschlaggebend gewesen sei. Der Einbürgerungswerber sei nun glücklich in zweiter Ehe verheiratet".
Die belangte Behörde begründete die Abweisung des Verleihungsansuchens nach Hinweisen auf die Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen eines tätlichen Angriffes auf einen Beamten und wegen gefährlicher Drohung und Körperverletzung wie folgt:
"Sowohl die Tatsache, dass der Einbürgerungswerber bereits knapp 1 1/2 Jahre nach seiner Einreise nach Österreich straffällig wurde bzw. die zweite Verurteilung erst drei Jahre zurückliegt, als auch die Art der begangenen Delikte (tätlicher Angriff auf einen Beamten, Körperverletzung, gefährliche Drohung) zeigen, dass das bisherige Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers nicht geeignet ist, eine Prognose künftigen Wohlverhaltens des Einbürgerungswerbers zu treffen. Dies umso mehr, als beide begangenen Delikte ohne Zweifel auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit schließen lassen.
Feststeht, dass die vom Einbürgerungswerber begangenen strafbaren Handlungen getilgt sind. Jedoch erscheint durch die Häufigkeit der Verurteilungen der Schluss gerechtfertigt zu sein, dass der Betreffende auch in Zukunft die zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassenen Vorschriften missachten werde.
Durch das bisherige Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers ist davon auszugehen, dass er sich auch weiterhin nicht an die österreichische Rechtsordnung hält und somit keine Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit darstellt."
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Die belangte Behörde hat die Versagung der Verleihung der Staatsbürgerschaft ausschließlich mit dem Mangel der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG begründet. Diese Bestimmung lautet in der hier maßgeblichen Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1998, BGBl. I Nr. 124:
"Verleihung
§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn
...
6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;
..."
Bei der Klärung der Frage, ob die Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG gegeben ist, ist vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers auszugehen. Dieses ist wesentlich (auch) durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten. Aus der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die - allenfalls negative - Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit erlassenen Gesetze in deutlicher Weise zum Ausdruck (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa das Erkenntnis vom 24. Juni 2003, Zl. 2001/01/0236).
Bei der Prognose künftigen Wohlverhaltens des Verleihungswerbers nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG fallen Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit besonders ins Gewicht (vgl. das Erkenntnis vom 17. September 2002, Zl. 2001/01/0028), wobei Taten grundsätzlich dann weniger Bedeutung haben, wenn sie weiter zurück liegen und auch der Zeitraum des Wohlverhaltens nach einer Straftat zu beachten ist (vgl. das Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 2000/01/0117, und das bereits zitierte Erkenntnis vom 24. Juni 2003).
Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer ca. sechs Jahre vor der Abweisung seines Verleihungsansuchens wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§ 269 Abs. 1 StGB) wobei er einen ihn kontrollierenden und seine Identität feststellenden Gendarmeriebeamten mit den Händen am Oberkörper erfasste, zur Seite stieß und zu Sturz brachte, zu einer Geldstrafe und wegen einer ca. drei Jahre vor Erlassung des angefochtenen Bescheides gegenüber seiner damaligen Ehegattin und einer weiteren Person begangenen gefährlichen Drohung ("Ich werde euch alle fertigmachen, ihr seid einmal für immer dran und ich werde euch etwas antun!") und gegenüber seiner damaligen Ehegattin durch Schleudern in eine Ecke und Versetzen von Fußtritten begangenen vorsätzlichen leichten Körperverletzung (§ 107 Abs. 1 und § 83 Abs. 1 StGB) zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Aus dem Jahr dieser Verurteilung und dem Folgejahr scheinen noch vier Verwaltungsstrafen im Zusammenhang mit Verkehrsdelikten auf.
Wie im Erkenntnis vom 24. Juni 2003 näher dargelegt wird, hat der Verwaltungsgerichtshof im Falle von Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit eine positive Prognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG erst im Falle eines entsprechend langen Wohlverhaltens des Einbürgerungswerbers für gerechtfertigt erachtet. Im Hinblick auf die in diesem Erkenntnis, auf das insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, näher dargestellte Rechtsprechung kann der negativen Prognose der belangten Behörde, indem sie ihre Prognose auf die beiden erwähnten, im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt sechs Jahre bzw. drei Jahre zurückliegenden Straftaten stützte, nicht entgegengetreten werden. Der Hinweis der Beschwerde darauf, dass die belangte Behörde die konkreten Tatumstände nicht ausreichend festgestellt habe, trifft im vorliegenden Fall nicht zu, weil die rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen nicht in Zweifel gezogen werden und die vom Beschwerdeführer angeführten Gründe für die Begehung dieser Straftaten nicht zu einer anderen Beurteilung seines Verhaltens im Hinblick auf die nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG anzustellende Prognose führen können. Auch der Umstand, dass die strafrechtlichen Verurteilungen nach den Bestimmungen des § 6 TilgungsG 1972 der beschränkten Auskunft unterliegen, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/01/0543).
Da die Voraussetzungen für eine begründete negative Prognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG aus den dargelegten Gründen erfüllt sind, spielt es keine Rolle, dass die belangte Behörde über die vom Beschwerdeführer im Anschluss an die gerichtlichen Verurteilungen begangenen Verwaltungsübertretungen keine näheren Feststellungen getroffen hat. Gesamt betrachtet ist es dem Beschwerdeführer im vorliegenden Fall sohin nicht gelungen, die von der belangten Behörde vertretene Ansicht, es sei im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt das Verleihungshindernis nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG gegeben, in Zweifel zu ziehen. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 5. November 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001010375.X00Im RIS seit
03.12.2003