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19/05 Menschenrechte;Norm
EheG §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Thoma und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des P in L, vertreten durch Dr. Arnulf Summer, Dr. Nikolaus Schertler und Mag. Nicolas Stieger, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Kirchstraße 4, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 4. September 2002, Zl. Ia 370-1183/2001, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers - eines 1966 geborenen türkischen Staatsangehörigen - auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11, 11a, 12, 13 und 14 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab.
Der Beschwerdeführer habe seit 13. November 1991 ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich und sei hier bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt gewesen. Seit Februar 2001 arbeite er bei einem namentlich genannten Bauunternehmen. Anlässlich einer Befragung sei festgestellt worden, dass die Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers nicht ausreichend seien, um ein Gespräch zu führen; es sei ihm lediglich möglich gewesen, gestellte Fragen zu beantworten, wobei die Antworten nicht in vollständigen Sätzen gegeben worden seien und die Fragen vorher mehrfach hätten umformuliert werden müssen. Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass die Umgangssprache in seinem Bekanntenkreis türkisch sei und dass er "eigentlich" nur mit türkischen Landsleuten zusammen sei.
Am 5. Dezember 1990 habe der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - eine österreichische Staatsangehörige geheiratet. Auf Grund dieser Ehe seien ihm am 14. Dezember 1990 ein Befreiungsschein und am 24. Juli 1991 ein (erster) Sichtvermerk ausgestellt worden. Mit Urteil vom 18. November 1999 (nach der Aktenlage richtig: 1991) sei die Ehe wieder geschieden worden. Im Scheidungsurteil sei festgehalten, dass der Beschwerdeführer sofort nach der Eheschließung seine Gattin verlassen und dass nie ein gemeinsamer Aufenthalt bestanden habe. Dazu befragt habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er die besagte Ehe nicht zur Erlangung einer Arbeitsbewilligung und einer Aufenthaltsberechtigung eingegangen sei. Dabei habe jedoch festgestellt werden müssen, dass die Angaben des Beschwerdeführers in vielen Punkten mit dem Akteninhalt nicht in Einklang zu bringen gewesen seien. So habe er in Bezug auf seine Einreise nach Österreich und in Bezug auf eine angebliche Lebensgemeinschaft mit seiner österreichischen Ehegattin unrichtige Angaben gemacht. Er habe nicht einmal angeben können, wie viele Kinder seine österreichische Ehegattin gehabt habe. Für die Behörde stehe daher fest, dass er eine so genannte "Scheinehe" zum Zweck der Erlangung des Aufenthaltsrechtes eingegangen sei. Dies ergebe sich daraus, dass sich die Ehepartner vor der Eheschließung nur kurz gekannt und nie einen gemeinsamen Wohnsitz gehabt hätten und dass der Beschwerdeführer noch am Tag der Eheschließung unbekannt verzogen sei. Außerdem sei der Beschwerdeführer schon vor seiner Eheschließung mit der österreichischen Ehegattin Vater von drei Kindern gewesen, deren Mutter er schließlich (am 18. Dezember 2000) geheiratet habe. Diese Ehegattin und die drei Kinder lebten in der Türkei.
Auf Grund der Dauer des Hauptwohnsitzes in Österreich komme eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 StbG - nach Ermessen der Behörde - in Frage. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens sei festgestellt worden, dass sich der Beschwerdeführer seit mehr als zehn Jahren in Österreich aufhalte und bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt gewesen sei. Andererseits verfüge er lediglich gerade noch über die nach § 10a StbG erforderlichen Minimalkenntnisse der deutschen Sprache. Kontakte zur österreichischen Bevölkerung oder andere Umstände, die in besonderer Weise auf eine Integration hinweisen würden, seien nicht geltend gemacht worden und seien im Verfahren auch nicht hervorgekommen. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer eine "Scheinehe" mit einer österreichischen Staatsbürgerin eingegangen sei. Dadurch habe er sich die Aufenthaltsberechtigung und den Zugang zum Arbeitsmarkt "erschlichen". Auch die Wohnsitzvoraussetzungen für die Erlangung der Staatsbürgerschaft beruhten darauf. Das Eingehen einer "Scheinehe" stelle einen schweren Rechtsmissbrauch dar, der die öffentliche Ordnung erheblich beeinträchtige und eine negative Einstellung des Beschwerdeführers zur Rechtsordnung zeige. Nach Abwägung der aufgezeigten Gesichtspunkte ergebe sich, dass auf Grund des geringen Maßes an Integration und des Verhaltens des Beschwerdeführers eine Ermessensübung nach § 11 StbG nicht zu seinen Gunsten habe erfolgen können. Eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 StbG - Tatbestände, die einen Rechtsanspruch auf die Verleihung der Staatsbürgerschaft begründen würden, lägen nicht vor - scheide somit aus.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:
Ihrer Ermessensentscheidung nach § 11 StbG - das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 leg. cit. erachtete sie als erfüllt - legte die belangte Behörde einerseits zu Grunde, dass der Beschwerdeführer nur ein geringes Ausmaß an persönlicher Integration (insbesondere im Hinblick auf seine bescheidenen Deutschkenntnisse) aufweise. Andererseits habe er 1990 eine "Scheinehe" geschlossen, wodurch er sich seinerzeit die Aufenthaltsberechtigung und den Zugang zum (inländischen) Arbeitsmarkt "erschlichen" habe.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Feststellungen der belangten Behörde mangels Darstellung der Absichten der damaligen Ehegattin jedenfalls nicht die Annahme rechtfertigen, es habe gegenständlich eine nichtige Ehe vorgelegen (vgl. Stabentheiner in Rummel3, § 23 EheG Rz 1). Gemeint ist offenbar eine Ehe, die der Erlangung eines Aufenthaltstitels diente, ohne mit einem gemeinsamen Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK verbunden gewesen zu sein (vgl. in diesem Zusammenhang §§ 34, 36 und 106 des Fremdengesetzes 1997 sowie die Gesetzesmaterialien zu diesen Bestimmungen). In seinem Erkenntnis vom 18. Februar 2003, Zl. 2002/01/0014, hat der Verwaltungsgerichtshof aber ausgesprochen, dass einer lang zurückliegenden "Scheinehe" (in dem dem genannten Erkenntnis zu Grunde liegenden Fall waren seit Schließung der zu beurteilenden Ehe bereits mehr als elf Jahre vergangen) im gegebenen Zusammenhang keine maßgebliche Bedeutung zukommt. Insbesondere stellt eine solche Ehe nicht mehr länger eine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung öffentlicher Interessen dar und es kann allein im Hinblick auf die Eheschließung, wenn sie bereits weit zurückliegt, auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Einbürgerungswerber eine negative Einstellung zur Rechtsordnung zeige (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0439, und vom heutigen Tag, Zl. 2003/01/0212).
Im vorliegenden Fall liegt der Abschluss der fraglichen Ehe bereits knapp 12 Jahre zurück. Es ist ferner seit der Eheschließung nichts eingetreten, was Grundlage für die Beurteilung bieten könnte, der Beschwerdeführer sei negativ zur Rechtsordnung eingestellt. Angesichts dessen hätte die belangte Behörde im Hinblick auf das eben Ausgeführte die von ihr angenommene "Scheinehe" nicht mit maßgeblichem Gewicht in ihre Ermessensentscheidung einbeziehen und nicht zu dem Ergebnis gelangen dürfen, die ihrer Ansicht nach nur schwach ausgeprägte Integration des Beschwerdeführers - zutreffend hat die belangte Behörde als weiteren Ermessensgesichtspunkt die Frage der Integration des Beschwerdeführers angesprochen; eine solche kann im Hinblick auf seine langjährige Beschäftigung in Österreich (nach der Aktenlage verfügt der Beschwerdeführer überdies über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung) jedenfalls nicht gänzlich verneint werden - vermöge den durch den Abschluss der "Scheinehe" begangenen "schweren Rechtsmissbrauch" nicht auszugleichen. Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr. 333. Ein weiterer Kostenersatz unter dem Titel von Umsatzsteuer steht neben dem Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand nicht zu.
Wien, am 5. November 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002010465.X00Im RIS seit
06.02.2004