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20/02 Familienrecht;Norm
EheG §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Thoma und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des Ö in N, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Pfeifer, Dr. Keckeis, Dr. Fiel OEG, 6800 Feldkirch, Drevesstraße 2, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 24. Februar 2003, Zl. Ia 370- 612/2002, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers - eines 1966 geborenen türkischen Staatsangehörigen - auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11, 11a, 12, 13 und 14 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab.
Der Beschwerdeführer habe seit 28. Jänner 1992 ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich und sei im Besitz einer bis zum 17. Jänner 2004 befristeten Niederlassungsbewilligung. In Österreich sei er bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt gewesen, seit 1996 arbeite er bei einem namentlich genannten Textilunternehmen. Seine am 16. April 1992 mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossene Ehe sei mit Beschluss des Bezirksgerichtes F vom 6. September 1993 geschieden worden. Der Beschwerdeführer habe anlässlich einer Befragung zugestanden, dass er die Ehe nur eingegangen sei, damit er in Österreich eine Aufenthaltsberechtigung und eine Arbeitsbewilligung - die ihm in der Folge auch tatsächlich erteilt worden seien - bekomme. Anlässlich einer Vorsprache sei - in teilweisem Widerspruch zur Beurteilung seitens der Bezirkshauptmannschaft B - festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer mit sehr starkem Akzent spreche; eine Verständigung mit ihm sei zwar möglich, der Satzaufbau sei jedoch grammatikalisch falsch; an ihn gerichtete Fragen habe er größtenteils nur mit einzelnen Worten beantwortet, es sei ihm nicht möglich gewesen, in ganzen Sätzen zu sprechen; darüber hinaus gehende Fähigkeiten, etwa ein Gespräch zu führen, das für den Gesprächspartner nicht als mühevoll empfunden werde, oder gar einen vorgegebenen Text zu lesen sowie eine schriftliche Ausarbeitung zu verfassen, seien praktisch nicht vorhanden. Anlässlich der niederschriftlichen Befragung bei der Bezirkshauptmannschaft B vom 9. April 2002 habe der Beschwerdeführer angegeben, mit seinen österreichischen Nachbarn guten Kontakt zu haben. Anlässlich der Befragung beim Amt der Vorarlberger Landesregierung am 18. September 2002 habe der Beschwerdeführer diese Angaben dahingehend relativiert, dass er die Wohnung gewechselt habe und seine "gesamten" Nachbarn nunmehr jugoslawische Staatsangehörige seien. Konkrete Kontakte mit der österreichischen Bevölkerung habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen können.
Auf Grund der Dauer des Hauptwohnsitzes in Österreich komme eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 StbG - nach Ermessen der Behörde - in Frage. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens sei positiv festgestellt worden, dass sich der Beschwerdeführer seit mehr als elf Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalte und seit 1995 beim selben Arbeitgeber beschäftigt sei. Andererseits verfüge er lediglich gerade noch über die nach § 10a StbG erforderlichen Minimalkenntnisse der deutschen Sprache. Kontakte zur österreichischen Bevölkerung oder andere Umstände, die in besonderer Weise auf Integration hinweisen würden, seien nicht geltend gemacht worden und seien im Verfahren auch nicht hervorgekommen. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer eine "Scheinehe" mit einer österreichischen Staatsbürgerin eingegangen sei. Dadurch habe er sich die Aufenthaltsberechtigung und den Zugang zum Arbeitsmarkt "erschlichen". Auch die Wohnsitzvoraussetzungen für die Erlangung der Staatsbürgerschaft beruhten darauf. Das Eingehen einer "Scheinehe" stelle einen schweren Rechtsmissbrauch dar, der die öffentliche Ordnung erheblich beeinträchtige und eine negative Einstellung des Beschwerdeführers zur Rechtsordnung zeige. Nach Abwägung der aufgezeigten Gesichtspunkte ergebe sich, dass auf Grund des geringen Ausmaßes an Integration und "des dargestellten Verhaltens des Verleihungswerbers" eine Ermessensübung nach § 11 StbG nicht zu seinen Gunsten habe erfolgen können. Eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 StbG - Tatbestände, die einen Rechtsanspruch auf die Verleihung der Staatsbürgerschaft begründen würden, lägen nicht vor - scheide somit aus.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung zu Grunde, dass der Beschwerdeführer 1992 eine "Scheinehe" eingegangen sei, durch die er sich seinerzeit die Aufenthaltsberechtigung und den Zugang zum (inländischen) Arbeitsmarkt "erschlichen" habe. In ihrer Gegenschrift führt die belangte Behörde aus, dass dieser - in der Beschwerde bestrittene - Umstand in ihre Ermessensübung nur unwesentlich eingeflossen sei, "zumal die Begründung der Scheinehe zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides beinahe 11 Jahre zurück lag und somit ohnehin nur eine schwach integrationsmindernde Wirkung zu entfalten vermochte".
Richtig ist, dass dem Abschluss einer rund elf Jahre zurückliegenden "Scheinehe" - die Feststellungen der belangten Behörde rechtfertigen mangels Darstellung der Absichten der damaligen Ehegattin nicht die Annahme, es habe eine nichtige Ehe vorgelegen (vgl. Stabentheiner in Rummel3, § 23 EheG Rz 1); gemeint ist offenbar eine Ehe, die der Erlangung eines Aufenthaltstitels diente, ohne mit einem gemeinsamen Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK verbunden gewesen zu sein (vgl. dazu näher §§ 34, 36 und 106 des Fremdengesetzes 1997 sowie die Gesetzesmaterialien zu diesen Bestimmungen) - im gegebenen Zusammenhang keinesfalls mehr maßgebliche Bedeutung zukommt. Insbesondere ist darauf zu verweisen, dass im Hinblick auf den Zeitablauf eine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung öffentlicher Interessen nicht mehr angenommen werden kann und dass in Anbetracht des jedenfalls seit der Eheschließung seitens des Beschwerdeführers an den Tag gelegten Wohlverhaltens eine Grundlage für die Annahme fehlt, er sei zur Rechtsordnung negativ eingestellt (siehe dazu die hg. Erkenntnisse vom 18. Februar 2003, Zl. 2002/01/0014, und vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0439).
Der in der Gegenschrift vertretenen Auffassung kann jedoch nicht darin gefolgt werden, dass der Umstand der "Scheinehe" im bekämpften Bescheid nur untergeordnete Berücksichtigung gefunden habe. Die im Bescheid angestellten Erwägungen, wonach das Eingehen einer solchen Ehe einen schweren Rechtsmissbrauch darstelle, der die öffentliche Ordnung erheblich beeinträchtige und eine negative Einstellung des Verleihungswerbers zur Rechtsordnung zeige, können mangels erkennbarer Einschränkung nämlich nur so gedeutet werden, dass aktuell vom Vorliegen derartiger negativer Gesichtspunkte ausgegangen wurde. Dass diese aber wesentlich in die Abwägung der belangten Behörde Eingang gefunden haben, lässt sich angesichts der Bezugnahme auf das Verhalten des Beschwerdeführers - worunter mangels Darstellung eines sonstigen "Verhaltens" nur das Eingehen der "Scheinehe" verstanden werden kann - nicht ernsthaft in Zweifel ziehen. War die "Scheinehe" für die behördliche Ermessensübung aber nicht von bloß untergeordneter Bedeutung, so kann der bekämpfte Bescheid keinen Bestand haben, zumal die belangte Behörde nach dem Gesagten nicht zu der ihrem Bescheid erkennbar zugrunde liegenden Auffassung gelangen durfte, die ihrer Ansicht nach nur schwach ausgeprägte Integration des Beschwerdeführers - zutreffend hat die belangte Behörde als weiteren Ermessensgesichtspunkt die Frage der Integration des Beschwerdeführers angesprochen; eine solche kann angesichts seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit in Österreich jedenfalls nicht gänzlich verneint werden - vermöge den durch den Abschluss der "Scheinehe" begangenen "schweren Rechtsmissbrauch" nicht auszugleichen. Dass die behördliche Beurteilung, es seien im Verleihungsverfahren keine Umstände hervorgekommen, die in besonderer Weise auf eine Integration des Beschwerdeführers hinweisen würden, zu der im Verfahren erstatteten Stellungnahme der Stadtgemeinde B vom 14. April 2002 in Widerspruch steht, ist bei diesem Ergebnis nicht mehr wesentlich.
Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003 BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 5. November 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2003010212.X00Im RIS seit
22.01.2004