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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §6 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des V, geboren 1969, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Prinz Eugen-Straße 34, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. Dezember 1998, Zl. SD 571/98, betreffend Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Fremdengesetz 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 1. Dezember 1998 wurde der Beschwerdeführer, ein bulgarischer Staatsangehöriger, gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.
Der Beschwerdeführer sei im November 1988 zum Zweck des Studiums nach Österreich gekommen und habe aus diesem Grund zunächst Sichtvermerke und dann eine Aufenthaltsbewilligung mit dem Zweck "Berufsausbildung" erhalten. Im Jahr 1994 habe er keinen Studienerfolgsnachweis erbringen können, doch sei die Aufenthaltsbewilligung mit dem gleichen Zweck verlängert worden, als der Beschwerdeführer den Nachweis erbracht habe, dass eine Nierentransplantation missglückt und dass er Dialysepatient sei. In den Folgejahren sei eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung unter den gleichen Voraussetzungen mit dem Zweck "Studium" mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 3. Mai 1997 erfolgt, obwohl der Beschwerdeführer bislang nur den Besuch eines Orientierungstutoriums sowie einer Orientierungslehrveranstaltung im Jahr 1990 habe nachweisen können. Im April 1997 sei - ohne Studiennachweis und nach neuerlicher Durchführung einer Nierentransplantation - eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung mit dem Zweck "Studium" bis zum 4. Mai 1998 erfolgt.
Am 24. April 1998 habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis mit dem (unveränderten) Zweck "Studium" gestellt und als Begründung "weiter studieren, regelmäßige Untersuchungen nach einer Nierentransplantation" angegeben.
Seit 1990 verfüge der Beschwerdeführer über keine Nachweise über den Studienfortgang und er sei offenbar auch keinem Studium nachgegangen. Der Beschwerdeführer begründe dies mit seiner Krankheit. Er hoffte auf baldige Stabilisierung seines Gesundheitszustandes. Dann würde er seine Ausbildung fortführen und abschließen. Ein weiterer wichtiger Faktor für seinen Willen, in Österreich weiter zu leben, wäre sein Vorhaben, neben seinem Studium, das den Schwerpunkt seines Aufenthalts in Österreich darstellte, als selbständig Erwerbstätiger für seinen Unterhalt aufzukommen.
§ 7 Abs. 4 Z. 1 FrG sehe eine (in die Zuständigkeit der Fremdenpolizeibehörde fallende) Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur dann vor, wenn der Aufenthalt ausschließlich dem Zweck eines Studiums oder einer Schulausbildung diene. Der Beschwerdeführer habe eine solche Aufenthaltserlaubnis bei der Fremdenpolizeibehörde beantragt. Dass er während des angestrebten Aufenthaltes seine Krankheit behandeln lassen wolle und erkläre, hier später als selbständig Erwerbstätiger selbst für seinen Unterhalt aufkommen zu wollen, ändere nichts daran, dass der Beschwerdeführer eine Aufenthaltserlaubnis ausschließlich zum Zweck des Studiums anstrebe. Daher sei die Behörde der Sicherheitsverwaltung für die Behandlung dieses Antrags zuständig.
Da der Beschwerdeführer bisher eine Aufenthaltsbewilligung mit dem Zweck "Studium" besessen habe, handle es sich um einen Antrag auf Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis. Gelange die Sicherheitsbehörde erster Instanz in einem solchen Fall zu der Ansicht, dass diese weitere Aufenthaltserlaubnis nicht zu erteilen sei, so habe sie das Verfahren zu unterbrechen und das Aufenthaltsbeendigungsverfahren einzuleiten. Dies habe die Erstbehörde getan und die Aufenthaltsbeendigung durch Ausweisung verfügt.
Es verstoße gegen grundsätzliche Interessen des Fremdenpolizeirechtes, wenn der Fremde nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit dem Zweck "Studium" während eines Zeitraumes von zehn Jahren keinerlei konkreten Erfolg nachweisen könne, weil er keine einzige Prüfung abgelegt habe. Der weitere Aufenthalt des Fremden, der in einem solchen Fall eine Aufenthaltserlaubnis mit dem ausschließlichen Zweck "Studium" anstrebe, gefährde die öffentliche Ordnung bzw. die gesetzliche Ordnung des Fremdenwesens im Sinn des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG. Mit dem Vorliegen dieses Versagungsgrundes seien die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Z. 2 FrG gegeben. Die Erstbehörde habe mit Recht von dem ihr im § 34 iVm § 10 Abs. 2 FrG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht, indem sie die Versagung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis und die Ausweisung für gerechtfertigt gehalten habe.
Ob der Beschwerdeführer auf Grund anderer Aufenthaltszwecke, so etwa im Hinblick auf seine Krankheit, einen weiteren Aufenthaltstitel erhalten könne, sei nicht zu prüfen gewesen, weil sich die Fremdenpolizeibehörde auf Grund ihrer sachlichen Zuständigkeit nur mit der Frage einer ausschließlich dem Zweck eines Studiums dienenden Aufenthaltserlaubnis habe befassen dürfen. Die Fremdenpolizeibehörde wäre für die Erteilung einer (vom Beschwerdeführer gar nicht beantragten), auf andere Aufenthaltszwecke gegründeten Niederlassungsbewilligung nicht zuständig.
Angesichts des Vorliegens der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Z. 2 FrG sei zu prüfen, ob die Bestimmungen der §§ 35 und 37 FrG der Ausweisung entgegenstünden. Die Ausweisung des Beschwerdeführers stelle einen beträchtlichen Eingriff in sein Privatleben im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG dar, weil er seit seinem 19. Lebensjahr im Bundesgebiet lebe. Seine Eltern lebten in seiner Heimat. Dieser Eingriff werde dadurch erheblich relativiert, dass er bisher stets nur eine Aufenthaltsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck "Studium" besessen habe und daher nicht niedergelassen sei, woraus sich ergebe, dass § 35 FrG nicht zum Tragen komme. Die Ausweisung sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, hier: zur Erhaltung eines geordneten Fremdenwesens, dringend geboten, weil ein Ende der Studienzeit nicht abzusehen sei, ja nicht einmal erkennbar sei, wann eine Fortsetzung des Studiums in Betracht komme. Der Beschwerdeführer habe diesbezüglich nicht einmal Anhaltspunkte geliefert. Eine Fortsetzung des Aufenthaltes für Zwecke des Studiums "ad infinitum" könne auch nicht im Rahmen des Ermessens in Betracht kommen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer begehrt die Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels unter Beibehaltung des bisherigen Aufenthaltszwecks (Studium gemäß § 7 Abs. 4 Z. 1 FrG). Dies ergibt sich aus seinem Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis mit dem Zweck "Student/Schüler" vom 24. April 1998 (Blatt 128 des Verwaltungsaktes). Für die Behandlung dieses Antrages war in erster Instanz die Bundespolizeidirektion Wien zuständig (§ 88 Abs. 1 FrG), denn der Beschwerdeführer hat ausdrücklich eine "Aufenthaltserlaubnis" und nicht eine Niederlassungsbewilligung, für die der Landeshauptmann für Wien in erster Instanz zuständig wäre (§ 89 Abs. 1 FrG), beantragt. Für die erstinstanzliche Behörde bestand daher - vorbehaltlich der Bestimmung des § 14 Abs. 6 FrG - an sich keine Veranlassung, den Antrag des Beschwerdeführers an eine zuständige andere Stelle weiterzuleiten (vgl. zur Weiterleitung nach § 6 Abs. 1 AVG das einen bei der Fremdenpolizeibehörde eingebrachten Antrag auf Niederlassungsbewilligung betreffende hg. Erkenntnis vom 18. März 2003, Zl. 99/18/0214).
2. § 14 Abs. 6 FrG lautet:
"(6) Ergibt sich, dass der Antragsteller eine Niederlassungsbewilligung benötigt, so darf einem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht stattgegeben werden; die Möglichkeiten des § 10 Abs. 4 bleiben jedoch unberührt. Das Anbringen ist als Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zu behandeln und allenfalls unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten; der Antragsteller ist davon in Kenntnis zu setzen."
Das Verständnis des Begriffes "benötigen" in § 14 Abs. 6 FrG orientiert sich daran, ob der Fremde lediglich Bedarf nach einer Aufenthaltserlaubnis oder aber Bedarf nach einer Niederlassungsbewilligung hat. Letzterer ist schon dann gegeben, wenn ein rechtzeitiger Antrag auf Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis vorliegt und nach Maßgabe der darin geltend gemachten Zwecke des Aufenthaltes an die zuletzt erteilte Aufenthaltsbewilligung nur mit einer weiteren Niederlassungsbewilligung angeschlossen werden kann (vgl. das zu § 113 Abs. 4 FrG ergangene hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2003, Zl. 99/18/0273 mwN, sowie das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/18/0076).
Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren ergibt sich, dass er in Österreich den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hat (Berufung vom 20. Juli 1998, Blatt 154 des Verwaltungsaktes). Nach den Feststellungen des angefochtenen Bescheides hoffe der Beschwerdeführer auf eine baldige Stabilisierung seines Gesundheitszustandes, die es ihm erlauben würde, seine Ausbildung in Österreich fortzuführen und abzuschließen. Ein weiterer wichtiger Faktor für seinen Willen, weiter in Österreich zu leben, sei sein Vorhaben, neben seinem Studium als selbständig Erwerbstätiger selbst für seinen Unterhalt aufzukommen.
Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer mit Blick auf § 14 Abs. 6 FrG eine Niederlassungsbewilligung "benötigt". Die erstinstanzliche Behörde (Bundespolizeidirektion Wien) hätte daher - wie dies die belangte Behörde im ersten Rechtsgang in ihrem Bescheid vom 5. August 1998 ausgesprochen hat - das auf Erteilung einer (weiteren) Aufenthaltserlaubnis unter Beibehaltung des bisherigen Aufenthaltszwecks gerichtete Anbringen des Beschwerdeführers als Antrag auf Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung behandeln und an den gemäß § 89 Abs. 1 FrG zuständigen Landeshauptmann weiterleiten müssen (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/18/0076). Dieser wird bei der Entscheidung über den vorliegenden Antrag auf die hg. Rechtsprechung zu Niederlassungsbewilligungen, die quotenfrei an eine Aufenthaltsbewilligung anknüpfen, Bedacht zu nehmen haben (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. November 1999, Zl. 98/19/0313, und vom 4. Februar 2000, Zl. 98/19/0223).
3. Da die belangte Behörde die Unzuständigkeit der Bundespolizeidirektion Wien - diese hatte den in Rede stehenden Antrag vom 24. April 1998 nicht an die örtlich zuständige Niederlassungsbehörde (LH von Wien) weitergeleitet, sondern, ohne diesen Schritt zu setzen, eine Ausweisung gegen den Beschwerdeführer erlassen - nicht aufgegriffen und deren Ausweisungsbescheid vom 8. Oktober 1998 nicht ersatzlos behoben hat, leidet der vorliegend angefochtene Bescheid an inhaltlicher Rechtswidrigkeit (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis 99/18/0214). Er war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Abs. 2 Z. 2 Euro-Gesetz, BGBl. I Nr. 72/2000, und der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 7. November 2003
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:1999180021.X00Im RIS seit
05.12.2003