TE Vwgh Erkenntnis 2003/11/18 2001/03/0263

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Veröffentlicht am 18.11.2003
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §18 Abs1 idF 1994/518;
VStG §51e idF 1998/I/158;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des FZ in S, Schweiz, vertreten durch Dr. Markus Hupfauf, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 22/P, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 25. Juni 2001, Zl. uvs-2000/21/016- 3, betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 16. November 2000 erstattete der Gendarmeriebeamte B.H. bei der Bezirkshauptmannschaft Landeck Anzeige, dass der Beschwerdeführer um 8.50 Uhr den näher angeführten Lastkraftwagen auf der R-Straße bei km 9,3 in Fahrtrichtung Norden gelenkt und - u.a. - bei einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 70 km/h lediglich einen Sicherheitsabstand zu dem vor ihm fahrenden Fahrzeug von ca. 6 m eingehalten habe. Es liege eine Verwaltungsübertretung nach § 18 Abs. 1 StVO 1960 vor. Bei der von der Bezirkshauptmannschaft Landeck am 16. November 2000 vorgenommenen Vernehmung des Beschuldigten bestritt der Beschwerdeführer u.a. diese ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung.

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Landeck vom selben Tag wurde dem Beschwerdeführer - u.a. - eine Übertretung des § 18 Abs. 1 StVO 1960 vorgeworfen und über ihn unter Spruchpunkt A (betreffend § 18 Abs. 1 StVO 1960) eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.500,-- (36 Stunden Ersatzarreststrafe) gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 verhängt.

Auf Grund der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Berufung, in der die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt wurde, holte die belangte Behörde eine Stellungnahme des Anzeigelegers B.H. u.a. zu folgenden Fragen ein:

"o Wie wurde die Fahrgeschwindigkeit des von F... Z... (dem Beschwerdeführer) gelenkten Pkws festgestellt bzw. gemessen?

o Wie wurde der Sicherheitsabstand zu dem vor ihm fahrenden Fahrzeug von ca. 6 m festgestellt bzw. gemessen?"

Es wurde auch der am Tatort anwesende sachverständige Zeuge Ing. D.S. zu einer Stellungnahme aufgefordert.

In einem Aktenvermerk vom 22. November 2000 gab der Anzeigeleger B.H. an, dass er und Ing. D.S. am 16. November 2000, um 8.50 Uhr im Gemeindegebiet Faggen auf der Bundesstraße B 180 bei km 9,175 gestanden seien. Sie hätten zu diesem Zeitpunkt den Klein-Lkw des Beschwerdeführers mit Ladepritsche mit dem näher angeführten Kennzeichen etwa bei km 9,3, mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h hinter einem gleich schnell fahrenden Klein-Lkw in Fahrtrichtung Landeck fahren gesehen, wobei der Beschwerdeführer zu diesem einen Sicherheitsabstand von max. 6 m eingehalten hätte. Der Beschwerdeführer, der beide vorgeworfenen Übertretungen bestritten hätte, sei in der Folge der Bezirkshauptmannschaft Landeck vorgeführt worden, wo die Anzeige aufgenommen und der Beschwerdeführer einvernommen worden sei. Beide Beamten hätten aus einer Entfernung von 150 m gesehen, wie der Beschwerdeführer seitlich versetzt hinter einem Pritschenwagen gefahren sei. Beide Pritschenwagen seien vom Anzeigeleger zum Parkplatz ausgeleitet und kontrolliert worden. Der Lenker des ersten Pritschenwagens (der namentlich nicht genannt wurde) habe nach Befragen des B.H. angegeben, dass er nach seinem Tacho mit 70 km/h gefahren sei.

Ing. D.S. gab in einer schriftlichen Stellungnahme in Bezug auf die Verletzung des Sicherheitsabstandes durch den Beschwerdeführer an, dass er die Angaben des Anzeigers bestätige. Er sei zum Zeitpunkt der Übertretung neben dem Gendarmeriebeamten gestanden und habe feststellen können, dass der Beschwerdeführer auffallend knapp hinter einem vorausfahrenden Pritschenwagen gefahren sei. Der Abstand sei von ihm auf ungefähr eine Fahrzeuglänge geschätzt worden (4 - 6 m).

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers zu Spruchpunkt A) als unbegründet abgewiesen.

Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich auf Grund der aufgenommenen Beweismittel der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergäbe, dass der Beschwerdeführer am 16. November 2000 um 8.50 Uhr seinen LKW auf der R-Straße bei km 9,3 mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h in Fahrtrichtung Norden gelenkt und hiebei zu dem vor ihm fahrenden Fahrzeug lediglich einen Sicherheitsabstand von ca. 6 m eingehalten habe. Der festgestellte Sachverhalt ergebe sich zweifelsfrei aus dem vorliegenden Akteninhalt. An den Ausführungen des Anzeigelegers sowie des Ing. D.S. sei nicht zu zweifeln. Ebenso sei im Rahmen der freien Beweiswürdigung der Feststellung einer vom Beschwerdeführer eingehaltenen Geschwindigkeit von ca. 70 km/h zu glauben. Es müsse geschulten Organen der Straßenaufsicht auf jeden Fall möglich sein, auf eine Entfernung von 125 bis 150 m festzustellen, ob ein Tiefenabstand von ca. 6 m oder aber ein solcher - wie vom Beschwerdeführer behauptet - von 40 m eingehalten werde. Im vorliegenden Fall hätte ausgehend von einer Geschwindigkeit von ca. 70 km/h der Reaktionsweg und somit auch der Sicherheitsabstand gemäß § 18 Abs. 1 VStG ca. 21 m betragen müssen. Da jedoch nur ein Sicherheitsabstand von 6 m eingehalten worden sei, habe der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen § 18 Abs. 1 StVO 1960 begangen. Aus der Argumentation des Beschwerdeführers, wonach er den Abstand deshalb verringert hätte, weil er im Begriffe gewesen sei, das vor ihm fahrende Fahrzeug zu überholen, sei nichts zu gewinnen, weil ausjudiziert sei, dass der entsprechende Sicherheitsabstand zum Vorderfahrzeug auch dann einzuhalten sei, wenn vor dem Überholen das zu überholende Fahrzeug zunächst eingeholt werde (es wird auf ein Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 17. Jänner 1985, wiedergegeben in ZVR 1986/77, verwiesen).

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 51e Abs. 1 bis 3 VStG i.d.F. BGBl. I Nr. 158/1998 lautet:

"§ 51e. (1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung entfällt, wenn

1. der Antrag der Partei oder die Berufung zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist;

2. der Devolutionsantrag zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(3) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn

1. in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder

2.

sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder

3.

im angefochtenen Bescheid eine 3 000 S nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder

              4.              sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet

und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in der Berufung zu beantragen. Etwaigen Berufungsgegnern ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden."

§ 51i in der angeführten Fassung (betreffend die Unmittelbarkeit des Verfahrens) lautet wie folgt:

"§ 51i. Wenn eine Verhandlung durchgeführt wurde, dann ist bei der Fällung des Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in der Verhandlung vorgekommen ist. Auf Aktenstücke ist nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie bei der Verhandlung verlesen wurden, es sei denn, der Beschuldigte hätte darauf verzichtet, oder als es sich um Beweiserhebungen handelt, deren Erörterung infolge des Verzichts auf eine fortgesetzte Verhandlung gemäß § 51e Abs. 5 entfallen ist."

Gemäß § 18 StVO 1960, BGBl. Nr. 159 i.d.F.

BGBl. Nr. 518/1994, hat der Lenker eines Fahrzeuges stets einen solchen Abstand vom nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird.

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass im vorliegenden Fall die Fahrgeschwindigkeiten des Lastkraftwagens des Beschwerdeführers sowie des vor ihm fahrenden Kraftfahrzeuges nicht durch technische Hilfsmittel festgestellt worden seien. Die Fahrgeschwindigkeit des Beschwerdeführers beruhe allein auf der vom Anzeigeerstatter B.H. behaupteten, jedoch nicht durch eine im Verwaltungsstrafverfahren verwertbare zeugenschaftliche Niederschrift bestätigte Angabe des Lenkers des vorausfahrenden Lastkraftwagens, er sei laut Tacho mit ca. 70 km/h gefahren. Die Geschwindigkeitsschätzung beruhe daher nicht einmal auf einer von einem besonders geschulten Organ der Straßenaufsicht vorgenommenen verwertbaren Geschwindigkeitsschätzung. Da keinerlei Geschwindigkeitsmessungen mit technischen Hilfsmitteln oder Geschwindigkeitsschätzungen durch besonders geschulte Organe der Straßenaufsicht vorlägen, hätte die Behörde den vorausfahrenden Lenker des Lastkraftwagens als Zeugen einvernehmen müssen, um den strafrechtlichen Grundsätzen betreffend belastender Angaben von möglichen Zeugen zu entsprechen.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer im Ergebnis zutreffend eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsstrafverfahren nicht bloß die Begehung einer Abstandsverletzung gemäß § 18 Abs. 1 StVO 1960 bestritten, sondern eine konkrete Gegendarstellung zu dem vom Meldungsleger geschilderten Ablauf des Verkehrsgeschehens gegeben. Bei dieser Sachlage wäre es erforderlich gewesen, die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt nicht bloß auf die Anzeige und den im Berufungsverfahren erstatteten Bericht des Anzeigelegers und die gleichfalls im Berufungsverfahren abgegebene Stellungnahme des Ing. D.S. zu stützen, vielmehr wäre der Anzeigeleger, der Lenker des vorausfahrenden Lkw und Ing. D.S. als Zeugen einzuvernehmen gewesen, um diese Aussagen zu würdigen und den Aussagen des Beschwerdeführers gegenüberzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. April 2003, Zl. 2001/03/0081); dazu hätte die belangte Behörde eine öffentliche mündliche Verhandlung (§ 51e VStG) durchzuführen gehabt, zumal der Beschwerdeführer in der Berufung die Durchführung einer Verhandlung ausdrücklich beantragt hat. Bei einer solchen mündlichen Verhandlung wäre es dem Beschwerdeführer auch möglich gewesen, an den ihn belastenden Zeugen im Sinne des § 51g Abs. 2 VStG Fragen zu stellen. Insofern hat die belangte Behörde den angefochtenen mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet, kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass sie bei Unterlassen dieses Mangels zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 18. November 2003

Schlagworte

Beweismittel Zeugenbeweis Gegenüberstellung Beweismittel Zeugenbeweis Zeugenaussagen von Amtspersonen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001030263.X00

Im RIS seit

19.12.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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