TE Vwgh Erkenntnis 2003/11/19 2001/21/0120

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Veröffentlicht am 19.11.2003
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E05100000;
E3L E05204020;
E3L E06100000;
E3R E05100000;
E6J;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art3 Abs3;
31968L0360 Aufhebungs-RL Aufenthaltsbeschränkungen Arbeitnehmer Art3;
31968L0360 Aufhebungs-RL Aufenthaltsbeschränkungen Arbeitnehmer Art4 Abs3;
31968L0360 Aufhebungs-RL Aufenthaltsbeschränkungen Arbeitnehmer Art4;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art10 Abs1 lita;
31973L0148 Aufhebungs-RL Niederlassung Dienstleistungverkehr Art3;
31973L0148 Aufhebungs-RL Niederlassung Dienstleistungverkehr Art4;
31973L0148 Aufhebungs-RL Niederlassung Dienstleistungverkehr Art6;
61989CJ0363 Roux VORAB;
61999CJ0459 MRAX VORAB;
EURallg;
FrG 1997 §107 Abs1 Z4;
FrG 1997 §31 Abs1;
FrG 1997 §47 Abs2;
FrG 1997 §47 Abs3 Z2;
FrG 1997 §47 Abs3;
FrG 1997 §49 Abs1;
FrG 1997 §49;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des G, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 25. Juni 2001, Zl. 1- 0710/00/E2, betreffend Übertretung des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, schuldig gesprochen, sich vom 1. Juli 1998 bis zum 14. Jänner 1999 als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten zu haben. Wegen Übertretung des § 107 Abs. 1 Z. 4 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 1.000,-- sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.

In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde zum Schuldspruch fest, der am 21. Jänner 1980 geborene Beschwerdeführer sei der Sohn eines österreichischen Staatsbürgers und im "Dezember 1997/Jänner 1998" auf Grund eines bis zum 30. Juni 1998 befristet gültig gewesenen Einreisetitels in das Bundesgebiet eingereist. Am 29. Mai 1998, sohin vor Ablauf des Gültigkeitsdatums seines Einreisetitels, habe der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gestellt. Obwohl der Beschwerdeführer im Tatzeitraum über eine aufenthaltsrechtliche Bewilligung nicht verfügt habe, habe er sich weiterhin im Bundesgebiet aufgehalten. In rechtlicher Hinsicht sei zwar mit dem Beschwerdeführer davon auszugehen, dass er, weil er Sohn eines Österreichers sei und im Zeitpunkt der genannten Antragstellung auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe, gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 47 Abs. 3 Z 2 FrG mit einem begünstigten Drittstaatsangehörigen gleichzustellen sei. Damit sei jedoch für den Beschwerdeführer, so die belangte Behörde weiter, noch nichts gewonnen, da die für ihn (zufolge § 49 Abs. 1 FrG) geltende Niederlassungsfreiheit durch die in § 47 Abs. 1 FrG normierte Sichtvermerkspflicht eingeschränkt sei und der Beschwerdeführer im Tatzeitraum über einen Sichtvermerk nicht verfügt habe. Die Rechtmäßigkeit seines inländischen Aufenthalts im Tatzeitraum könne der Beschwerdeführer nach Ansicht der belangten Behörde aber auch nicht aus dem Umstand ableiten, dass er noch während der Geltungsdauer des ihm erteilten Einreisetitels einen im Tatzeitraum noch unerledigt gewesenen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung eingebracht habe. Die Bestimmung des § 31 Abs. 4 FrG komme gegenständlich nämlich nicht zur Anwendung, weil der Beschwerdeführer bislang nur über einen Einreisetitel und nicht, wie die letztgenannte Bestimmung für einen vorübergehend rechtmäßigen Aufenthalt voraussetze, über einen Aufenthaltstitel verfügt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

In seiner Beschwerde wendet der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf zitierte Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts im Wesentlichen ein, er habe im Zeitpunkt der Antragstellung um Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt und sei daher als Sohn eines österreichischen Staatsangehörigen im angelasteten Tatzeitraum berechtigt gewesen, sich im Bundesgebiet aufzuhalten.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer aus folgenden Gründen im Recht:

Im vorliegenden Fall ist, da der Vater des Beschwerdeführers österreichischer Staatsbürger ist und der Beschwerdeführer sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung um Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung als auch während des ihm zur Last gelegten Tatzeitraumes das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, die Vorschrift des § 49 FrG für Angehörige von Österreichern zu beachten (§ 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 47 Abs. 3 FrG), die ausnahmsweise eine Inlandsantragstellung vorsieht (vgl. das auch den Beschwerdeführer betreffende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juni 2000, B 1593/99, VfSlg. 15.814). Davon geht auch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus, meint aber mit Blick auf § 47 Abs. 1 FrG, der Beschwerdeführer halte sich deswegen unrechtmäßig in Österreich auf, weil er so wie begünstigte Drittstaatsangehörige nach der letztgenannten Bestimmung der Sichtvermerkspflicht unterliege und im Tatzeitraum über einen Sichtvermerk nicht verfügt habe.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat im Urteil vom 25. Juli 2002, Rechtssache C-459/99 "MRAX", Randnr. 74, wie folgt ausgeführt:

"Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates ist, wie der Gerichtshof mehrfach ausgeführt hat (vgl. u. a. Urteil vom 5. Februar 1991 in der Rechtssache C-363/89, Roux, Slg. 1991, I-273, Randnr. 12), nicht als rechtsbegründende Handlung zu betrachten, sondern als Handlung eines Mitgliedstaates, die dazu dient, die individuelle Situation eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaates im Hinblick auf die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts festzustellen. Das Gleiche muss für den mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates verheirateten Staatsangehörigen eines Drittstaats gelten, dessen Aufenthaltsrecht sich unmittelbar aus Artikel 4 der Richtlinie 68/360 und Artikel 4 der Richtlinie 73/148 ergibt, unabhängig davon, ob die zuständige Behörde eines Mitgliedstaates eine Aufenthaltserlaubnis erteilt."

Das durch Art. 4 der Richtlinie 68/360/EWG gewährte Aufenthaltsrecht gilt für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen, auf die die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 Anwendung findet - das sind gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. a der letztgenannten Verordnung der Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird -, sofern sie die in Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 68/360/EWG angeführten Unterlagen vorlegen.

Für den Beschwerdeführer als Angehörigen eines Österreichers gemäß § 49 Abs. 1 zweiter Satz FrG kann hinsichtlich der Erlangung eines Aufenthaltsrechts unmittelbar aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften nichts anderes gelten (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 1997, VfSlg. 14.863). Bei Erfüllung der Voraussetzungen des erwähnten Art. 4 der Richtlinie 68/360/EWG leitet sich die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Beschwerdeführers daher aus dem Gemeinschaftsrecht und nicht erst, wie die belangte Behörde meint, aus der Erteilung eines Sichtvermerks ab, zumal fallbezogen eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet (§ 47 Abs. 2 FrG) nicht erkennbar ist (vgl. zur letztgenannten Voraussetzung die hg. Erkenntnisse vom 14. September 2001, Zlen. 99/19/0074 und 99/19/0089). Die belangte Behörde durfte daher den rechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nicht verneinen, ohne zuvor die Erfüllung der Voraussetzungen des genannten Art. 4 der Richtlinie 68/360/EWG zu prüfen.

Im angefochtenen Bescheid meint die belangte Behörde weiter, der Beschwerdeführer könne gegen die Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht mit Erfolg einwenden, dass er vor Ablauf der Gültigkeit seines Einreisetitels einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt habe. Auch damit verkennt die belangte Behörde die Rechtslage:

Im genannten Urteil vom 25. Juli 2002 hat der EuGH unter Randnr. 91 wie folgt ausgeführt:

"Auf die dritte Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass die Artikel 3 und 4 Absatz 3 der Richtlinie 68/360, die Artikel 3 und 6 der Richtlinie 73/148 und Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 64/221 dahin auszulegen sind, dass ein Mitgliedstaat einem mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheirateten Staatsangehörigen eines Drittstaats, der legal in sein Hoheitsgebiet eingereist ist, weder die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verweigern noch ihm gegenüber eine Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet ergreifen darf, nur weil sein Visum vor Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist."

Daraus folgt im vorliegenden Beschwerdefall, dass gegenüber dem Beschwerdeführer (der nach dem oben Gesagten nicht schlechter gestellt werden darf als Ehegatten und Angehörige eines (sonstigen) EWR-Bürgers) eine Maßnahme zur Entfernung aus dem Bundesgebiet (und damit auch eine auf das Verlassen des Bundesgebietes abzielende Bestrafung wegen eines angeblich unrechtmäßigen Aufenthalts) umso weniger zulässig ist, zumal sein Visum erst nach Beantragung der Niederlassungsbewilligung abgelaufen ist.

Unbeschadet dessen hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass Angehörige eines österreichischen Staatsangehörigen gemäß § 49 Abs. 1 zweiter Satz FrG nicht nur Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen dürfen, sondern dass sie sich gleich den Angehörigen von (sonstigen) EWR-Bürgern nach Art. 5 Abs. 1 zweiter Satz der Richtlinie 64/221/EWG bis zur Entscheidung über die Erteilung oder die Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis vorläufig im Bundesgebiet aufhalten dürfen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2000, Zl. 99/19/0234, und dem folgend etwa die bereits zitierten Erkenntnisse vom 14. September 2001, Zlen. 99/19/0074 und 99/19/0089).

Da die belangte Behörde die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet vor dem Hintergrund seines Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung (lediglich) am Maßstab des § 31 Abs. 4 FrG beurteilt und dabei die dargestellte Rechtslage außer Acht gelassen hat, erweist sich der angefochtene Bescheid auch unter diesem Gesichtspunkt als rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 19. November 2003

Gerichtsentscheidung

EuGH 61989J0363 Roux VORAB
EuGH 61999J0459 MRAX VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Besondere RechtsgebieteGemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001210120.X00

Im RIS seit

19.12.2003

Zuletzt aktualisiert am

29.05.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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