TE Vfgh Erkenntnis 2000/6/27 G11/00

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Veröffentlicht am 27.06.2000
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Index

81 Wasserrecht, Wasserbauten
81/01 Wasserrechtsgesetz 1959

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
WRG 1959 §81 Abs2
WRG 1959 §86 Abs2

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der zwangsweisen nachträglichen Einbeziehung von Liegenschaften in eine bestehende freiwillige Wassergenossenschaft auch in Fällen der Unzulässigkeit der Bildung von Zwangsgenossenschaften

Spruch

I. Die Worte "Liegenschaften und" in §81 Abs2 Wasserrechtsgesetz 1959 BGBl. 215 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I 74/1997 werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 2001 in Kraft. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II. Im übrigen wird das Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist ein Verfahren über eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Landeshauptmanns von Tirol anhängig, mit dem verfügt worden war, daß eine näher bezeichnete Grundparzelle der im Beschwerdeverfahren mitbeteiligten Partei nachträglich in die beschwerdeführende Wassergenossenschaft einbezogen werde. Die Beschwerdeführerin ist eine freiwillige Wassergenossenschaft.

2. Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof am 13. Dezember 1999 gemäß Art140 Abs1 B-VG beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit der Worte "Liegenschaften und" in §81 Abs2 und des §86 Abs2 Wasserrechtsgesetz 1959 BGBl. 215 idF des BG BGBl. I 74/1997 (in der Folge: WRG) von Amts wegen zu prüfen.

3.1. Diese Bestimmungen stehen in folgendem rechtlichen Zusammenhang (die in Prüfung genommenen Teile sind hervorgehoben):

"Zweck der Wassergenossenschaften

§73. (1) Zur Verfolgung wasserwirtschaftlich bedeutsamer Zielsetzungen können Wassergenossenschaften gebildet werden. Zweck einer Wassergenossenschaft kann insbesondere sein:

a) der Schutz von Grundeigentum und Bauwerken gegen Wasserschäden, die Regulierung des Laufes oder die Regelung des Abflusses (Wasserstandes) eines Gewässers, Vorkehrungen gegen Wildbäche und Lawinen, die Instandhaltung von Ufern und Gerinnen einschließlich der Räumung;

b) die Versorgung mit Trink-, Nutz- und Löschwasser einschließlich der notwendigen Speicherungs-, Anreicherungs- und Schutzmaßnahmen;

c) die Ent- und Bewässerung sowie die Regelung des Grundwasserhaushaltes;

d) die Beseitigung und Reinigung von Abwässern sowie die Reinhaltung von Gewässern;

e) die Errichtung, Benutzung und Erhaltung gemeinsamer, der Ausnutzung und Veredelung der Wasserkraft dienender Anlagen;

f) die Leistung von Beiträgen zu wasserbaulichen oder wasserwirtschaftlichen Maßnahmen anderer;

g) die Vorsorge für ausgleichende Maßnahmen an Gewässern, soweit solche durch Anlagen mehrerer Wasserberechtigter erforderlich werden;

h) die Ausübung der regelmäßigen Aufsicht über Gewässer und Wasseranlagen oder die Beitragsleistung hiezu.

i) die Kontrolle, Betreuung und Instandhaltung wasserrechtlich bewilligter Anlagen;

j) die Sammlung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen.

(2) Die Beschränkung auf einzelne der genannten Zwecke oder die Vereinigung verschiedener Zwecke ist zulässig.

(3) ...

Einteilung und Bildung der Wassergenossenschaften

§74. (1) Eine Wassergenossenschaft wird gebildet

a) durch Anerkennung einer freien Vereinbarung der daran Beteiligten (freiwillige Genossenschaft),

b) durch Anerkennung eines Mehrheitsbeschlusses der Beteiligten und gleichzeitige Beiziehung der widerstrebenden Minderheit (Genossenschaft mit Beitrittszwang, §75),

c) durch Bescheid des Landeshauptmannes (Zwangsgenossenschaft, §76).

(2) Der Anerkennungsbescheid schließt die Genehmigung der Satzungen in sich. Mit der Rechtskraft eines nach Abs1 erlassenen Bescheides erlangt die Wassergenossenschaft Rechtspersönlichkeit als Körperschaft des öffentlichen Rechtes.

(3) und (4) ...

Genossenschaften mit Beitrittszwang

§75. (1) Wenn in den Fällen des §73 Abs1 lita bis h über Zweck, Umfang und Art der Ausführung eines Unternehmens (§73) keine Vereinbarung aller Beteiligten zustande kommt, das Unternehmen aber von einer Mehrheit der Beteiligten begehrt wird und von unzweifelhaftem Nutzen ist, sich ferner ohne Ausdehnung auf Liegenschaften oder Anlagen einer widerstrebenden Minderheit technisch und wirtschaftlich nicht zweckmäßig ausführen läßt, hat die Wasserrechtsbehörde die widerstrebenden Beteiligten auf Antrag der Mehrheit durch Bescheid zu verhalten, der zu bildenden Genossenschaft beizutreten. Unter den gleichen Voraussetzungen kann eine freiwillige Genossenschaft in eine Genossenschaft mit Beitrittszwang umgebildet werden.

(2) Beteiligte, denen aus der Teilnahme am genossenschaftlichen Unternehmen kein Nutzen erwächst, können zum Beitritt nur insoweit verhalten werden, als sie durch unmittelbare oder mittelbare Änderung der Abflußverhältnisse oder der Bodengestaltung, durch Verunreinigung von Gewässern oder durch sonstige Eingriffe in den Wasserhaushalt das genossenschaftliche Unternehmen mitveranlaßt haben.

(3) ...

(4) ...

(5) ...

Zwangsgenossenschaften

§76. (1) Wenn es im öffentlichen Interesse dringend geboten ist, können Wassergenossenschaften zwangsweise gebildet werden

a) aus den Eigentümern der beteiligten Liegenschaften zu den in §73 Abs1 lita und h genannten Zwecken,

b) aus den Eigentümern von Wasseranlagen, durch die Gewässer benutzt oder nachteilig beeinflußt werden, zu den in §73 Abs1 litd und g genannten Zwecken,

c) aus den in §44 Abs1 genannten Personen zwecks Übernahme, Aufteilung und Leistung des angemessenen Interessentenbeitrages (§73 Abs1 litf).

(2) ...

Nachträgliche Einbeziehung

§81. (1) Im Einvernehmen zwischen der Genossenschaft und den betreffenden Eigentümern (Berechtigten) können Liegenschaften oder Anlagen auch nachträglich einbezogen werden.

(2) Die Genossenschaft ist verpflichtet, soweit der Zweck der Genossenschaft nicht geändert wird, benachbarte oder im Bereich des genossenschaftlichen Unternehmens befindliche Liegenschaften und Anlagen auf Antrag ihres Eigentümers oder Berechtigten nachträglich einzubeziehen, wenn ihnen hiedurch wesentliche Vorteile und den bisherigen Mitgliedern keine wesentlichen Nachteile erwachsen können.

(3) Die Genossenschaft ist berechtigt, von den neu hinzukommenden Mitgliedern einen angemessenen Beitrag zu den bisherigen Aufwendungen sowie die vorherige Entrichtung der ihr durch den Anschluß etwa verursachten besonderen Kosten zu verlangen.

Beitragsleistungen von Nichtmitgliedern

§86. (1) Eigentümer von Liegenschaften oder von Wasseranlagen, die einer Wassergenossenschaft nicht angehören, jedoch aus deren Einrichtungen einen wesentlichen Nutzen ziehen, sind auf Antrag der Genossenschaft durch Bescheid zu verhalten, einen angemessenen Kostenbeitrag zu leisten. §78 Abs3 findet sinngemäß Anwendung.

(2) Die zur Beitragsleistung verhaltenen Grundeigentümer und Wasserberechtigten sind auf ihr Verlangen in die Genossenschaft aufzunehmen, soweit dies nach den Satzungen möglich ist."

§86 Abs2 WRG wurde durch ArtI Z47 WRG-Novelle 1999 BGBl. I 155 neu gefaßt; die Novelle trat jedoch erst am 1. Jänner 2000 in Kraft (ArtIII Abs1 WRG-Novelle 1999).

3.2. Wassergenossenschaften sind Körperschaften des öffentlichen Rechtes (§74 Abs2 WRG); im Umfang ihres Wirkungsbereiches kommt ihnen eine selbständige, von ihren Mitgliedern unabhängige Rechtspersönlichkeit zu (Raschauer, Kommentar zum Wasserrecht (1993) §73 Rz 1). Das Gesetz unterscheidet freiwillige Genossenschaften von Genossenschaften mit Beitrittszwang und von Zwangsgenossenschaften (§74 Abs1 WRG). Freiwillige Genossenschaften werden durch (bescheidmäßige) Anerkennung einer freien Vereinbarung der daran Beteiligten gebildet (§74 Abs1 lita WRG). Genossenschaften mit Beitrittszwang kommen dadurch zustande, daß ein Unternehmen (iSd §73 WRG) von einer Mehrheit der Beteiligten begehrt und die widerstrebende Minderheit - wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen - bescheidmäßig dazu verhalten wird, der zu bildenden Genossenschaft beizutreten (§75 Abs1 WRG). Zwangsgenossenschaften schließlich werden durch Bescheid zwangsweise gebildet, "wenn es im öffentlichen Interesse dringend geboten ist"; sie dürfen nur für bestimmte, in §76 Abs1 WRG (durch Verweisung auf §73 Abs1 WRG) aufgezählte Zwecke gebildet werden. Der in §73 Abs1 litb WRG genannte Zweck (Wasserversorgung) fällt nicht unter jene Zwecke, für die eine Zwangsgenossenschaft gebildet werden darf (in diesem Sinne auch die EB zur RV der Wasserrechtsnovelle 1959 BGBl.

54, 594 BlgNR 8. GP 35: "Für Zwecke der Wasserversorgung ... wird die

zwangsweise Bildung einer Wassergenossenschaft ... nicht in Betracht

gezogen.").

II.    Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

1.1.1. Der Verfassungsgerichtshof nahm im Einleitungsbeschluß vorläufig an, daß die Beschwerde zulässig sei, daß die belangte Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides die in Prüfung gezogene Wortfolge des §81 Abs2 WRG angewandt habe und daß sie auch der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die Beschwerde anzuwenden habe.

1.1.2.1.1. Der Verfassungsgerichtshof nahm vorläufig weiters an, daß §86 Abs2 WRG in einem inhaltlich untrennbaren Zusammenhang mit §81 Abs2 WRG stehe,

"weil die Einbeziehung eines Grundeigentümers oder eines Wasserberechtigten nach §86 Abs2 WRG nur unter den Voraussetzungen zulässig sein dürfte, unter denen auch nach §81 Abs2 WRG die (zwangsweise) nachträgliche Einbeziehung einer Liegenschaft (oder einer Anlage) möglich ist. Die Aufhebung der Wortfolge 'Liegenschaften und' in §81 Abs2 WRG hätte anscheinend die Folge, daß Grundeigentümer und Wasserberechtigte weiterhin nach §86 Abs2 WRG in eine Genossenschaft aufzunehmen sind, daß die in §81 Abs2 WRG vorgeschriebene Interessenabwägung sich aber - im Rahmen des §86 Abs2 WRG - nicht mehr auf Liegenschaften, sondern nur noch auf Wasseranlagen bezöge. Der Gerichtshof geht vorläufig davon aus, daß sich nicht nur der Ausdruck 'Grundeigentümer', sondern auch das Wort 'Wasserberechtigte' in §86 Abs2 WRG (auch und insbesondere nach allfälliger Aufhebung der Worte 'Grundeigentümer und' in §86 Abs2 WRG) auf den Eigentümer einer Liegenschaft beziehen kann. Der untrennbare Zusammenhang des §86 Abs2 WRG mit dem Wort 'Liegenschaft' in §81 Abs2 WRG erstreckt sich somit auf beide in §86 Abs2 WRG genannten Fälle. §86 Abs2 WRG war daher zur Gänze in Prüfung zu ziehen."

1.1.2.1.2. Dazu wendet die Bundesregierung ua. ein, es bestehe kein inhaltlich untrennbarer Zusammenhang des §86 Abs2 WRG mit §81 Abs2 WRG, weil die beiden Bestimmungen unterschiedliche Tatbestände regelten, die weder strukturell noch nach den jeweiligen Voraussetzungen eine normative Einheit bildeten.

1.1.2.2. Damit ist die Bundesregierung im Recht. §86 Abs2 WRG in der hier maßgeblichen Fassung schreibt nicht vor, daß die Aufnahme der zur Beitragsleistung verhaltenen Grundeigentümer und Wasserberechtigten nur unter den Voraussetzungen möglich wäre, die §81 Abs2 WRG vorsieht (vgl. auch Grabmayr/Rossmann, Das österreichische Wasserrecht2 (1978) 387 f.).

Die vorläufige Annahme, es bestehe ein untrennbarer Zusammenhang zwischen §81 Abs2 WRG und §86 Abs2 WRG, hat sich somit nicht bestätigt. Das Prüfungsverfahren war daher hinsichtlich §86 Abs2 WRG einzustellen.

1.2. Bezüglich der Wortfolge "Liegenschaften und" in §81 Abs2 WRG haben sich die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofs jedoch bestätigt; insoweit ist das Prüfungsverfahren daher zulässig.

2. In der Sache:

2.1.1. Die beschwerdeführende Wassergenossenschaft wurde durch bescheidmäßige Anerkennung einer freien Vereinbarung der Beteiligten gebildet; sie ist sohin eine freiwillige Genossenschaft. Ihre Satzungen legen als ihren Zweck die Errichtung und den Betrieb einer Trinkwasserversorgungsanlage fest; dieser Zweck ist unter §73 Abs1 litb WRG (Wasserversorgung) zu subsumieren. Mitglieder der Genossenschaft sind die jeweiligen Eigentümer der in den Satzungen angeführten Parzellen.

2.1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat seine Bedenken im Prüfungsbeschluß wie folgt umschrieben:

"Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, daß §81 Abs2 WRG nicht zwischen verschiedenen Typen von Wassergenossenschaften unterscheidet und daher jedenfalls auch freiwillige Genossenschaften - wie die Beschwerdeführerin - erfaßt. Auch eine freiwillige Wassergenossenschaft, welche einen der in §73 Abs1 litb angezogenen Zwecke verfolgt, ist also in jedem Fall, wenn die Voraussetzungen des §81 Abs2 WRG vorliegen, dazu verpflichtet, Liegenschaften auf Antrag ihres Eigentümers (oder des Berechtigten) nachträglich einzubeziehen. Hingegen dürfen als Zwangsgenossenschaften (§74 Abs1 litc WRG) organisierte Wassergenossenschaften gemäß §76 WRG für die in §73 Abs1 litb WRG genannten Zwecke gar nicht gebildet werden.

Der Verfassungsgerichtshof hält es vorläufig für unsachlich, daß das Gesetz für freiwillig gebildete Wassergenossenschaften die zwangsweise (nachträgliche) Einbeziehung einzelner Liegenschaften vorsieht, während in einer wasserwirtschaftlich vergleichbaren Situation, in der jedoch die in Frage kommenden Personen keine Wassergenossenschaft gebildet haben, die zwangsweise Bildung einer solchen Genossenschaft von vornherein nicht in Frage kommt. Dem Verfassungsgerichtshof ist vorläufig nicht erkennbar, was es rechtfertigen könnte, auf einen freiwilligen Zusammenschluß einen Zwang auszuüben, der zur Vergrößerung seines Mitgliederkreises führt, während die Bildung einer Genossenschaft mit dem gleichen (vergrößerten) Mitgliederkreis nicht zulässig ist, wenn sie von vornherein als Zwangsgenossenschaft organisiert sein sollte.

Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß nicht nur ein privates, sondern auch ein öffentliches Interesse an der Versorgung mit Trinkwasser - allein schon aus Gründen der Volksgesundheit - bestehen kann.

Auch unter diesem Gesichtspunkt kann der Verfassungsgerichtshof jedoch vorläufig keinen sachlichen Grund für die Verpflichtung nach §81 Abs2 WRG erkennen, da es bei der Bildung freiwilliger Genossenschaften ebenso wie bei der nachträglichen Einbeziehung weiterer Mitglieder (vgl. die in §81 Abs2 WRG angeführten Interessen) in erster Linie auf die Eigeninteressen der betroffenen Personen, nicht aber auf das öffentliche Interesse ankommen dürfte. Wo der Gesetzgeber selbst das öffentliche Interesse in den Vordergrund rückt und daher die Bildung von Zwangsgenossenschaften zuläßt, hat er die Wasserversorgung nicht als derart vorrangig bewertet. Soweit also überhaupt keine Vorkehrungen für die Versorgung mit Trinkwasser getroffen worden sind, kann es zu einer zwangsweisen genossenschaftlichen Wasserversorgung nicht kommen. Es ist dem Verfassungsgerichtshof vorläufig nicht erkennbar, warum das öffentliche Interesse die zwangsweise Einbeziehung von Liegenschaften in freiwillige Genossenschaften rechtfertigen sollte, während die Bildung einer Zwangsgenossenschaft - trotz bestehendem öffentlichen Interesse - nicht möglich ist."

2.1.3. Die Bundesregierung schildert in ihrer Äußerung zunächst die Rechtsentwicklung und die geltende Rechtslage und weist darauf hin, daß es Zwangsgenossenschaften in der Praxis kaum gebe. Sie führt weiters aus, der Umstand, daß der Gesetzgeber die Bildung von Zwangsgenossenschaften gemäß §76 WRG nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen vorsehe, mache die Möglichkeit der zwangsweisen Einbeziehung in eine (freiwillige) Wassergenossenschaft gemäß §81 Abs2 WRG unter den dort geregelten Voraussetzungen nicht gleichheitswidrig. Sei es dem Gesetzgeber nämlich (sogar) erlaubt, für Zwecke der Trinkwasserversorgung, an der in der Regel auch ein öffentliches Interesse bestehe, die Bildung von Zwangsgenossenschaften vorzusehen, so werde es nicht als unsachlich zu beurteilen sein, daß er (nur) eine Verpflichtung zur Einbeziehung bestimmter Liegenschaften in eine (auch freiwillige) bereits bestehende Wassergenossenschaft vorgesehen habe. Durch den freiwilligen Zusammenschluß zu einer Genossenschaft mit dem Zweck der Trinkwasserversorgung werde primär für die beteiligten Liegenschaftseigentümer eine Versorgungsstruktur für eine effiziente Nutzung des Wassers geschaffen. Sofern die so geschaffene Infrastruktur auch Dritten zugute kommen könne, scheine es nicht unsachlich, sondern im Rahmen des wasserwirtschaftlichen Zieles einer Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser gerade(zu) im öffentlichen Interesse gelegen, die Wassergenossenschaft zur Einbeziehung der betreffenden Liegenschaft zu verhalten. Wo es zu keinem freiwilligen Zusammenschluß zu einer Wassergenossenschaft gekommen sei, habe der Gesetzgeber von der ultima ratio einer genossenschaftlichen Wasserversorgung in Form einer Zwangsgenossenschaft abgesehen. Die Bildung einer Genossenschaft mit Beitrittszwang zum Zwecke der Wasserversorgung sei unter den Voraussetzungen des §75 WRG jedoch ebenso möglich wie die nachträgliche Einbeziehung gemäß §81 Abs2 WRG. Diesen beiden Möglichkeiten sei gemein, daß ein gewisser Wille der Beteiligten zur genossenschaftlichen Wasserversorgung bestehe, sie seien daher nicht mit jenen Fällen vergleichbar, in denen von den Beteiligten eine genossenschaftliche Wasserversorgung überhaupt nicht gewollt sei.

2.2. Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Bedenken des Verfassungsgerichtshofs zu zerstreuen:

Ob der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehindert ist, für Zwecke der Trinkwasserversorgung auch die Bildung von Zwangsgenossenschaften vorzusehen, ist nicht Gegenstand des Einleitungsbeschlusses und daher auch nicht des Gesetzesprüfungsverfahrens. Die Bundesregierung geht von der Zulässigkeit einer solchen Regelung aus und versucht, - nach Art eines Größenschlusses - daraus abzuleiten, daß der Gesetzgeber daher auch die zwangsweise Einbeziehung in eine bestehende Wassergenossenschaft vorsehen dürfe. Diese Schlußfolgerung ist jedoch nicht zulässig: Wenn es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verwehrt ist, zur Sicherstellung der Wasserversorgung eine Regelung zu erlassen, die es der Behörde erlaubt, Zwang auf die Beteiligten auszuüben, so muß eine solche Regelung doch dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung (Art7 B-VG) entsprechen. Daß §81 Abs2 WRG diesem Grundsatz entspreche, ist mit der Behauptung der Bundesregierung jedoch nicht erwiesen. Davon abgesehen erlaubt §81 Abs2 WRG die nachträgliche Einbeziehung in eine freiwillige Wassergenossenschaft unabhängig davon, welchen der in §73 Abs1 WRG aufgezählten Zwecke die Genossenschaft verfolgt. Das Bedenken des Gerichtshofs trifft daher nicht nur den Fall des §73 Abs1 litb WRG (Wasserversorgung), sondern alle Fälle, in welchen eine nachträgliche Einbeziehung nach §81 Abs2 WRG möglich ist, obwohl eine Zwangsgenossenschaft nicht hätte gebildet werden dürfen, ds. außer dem genannten die in §73 Abs1 litc, e, i und j genannten Zwecke.

Die Bundesregierung weist auch auf die Regelung über den Beitrittszwang (§75 WRG) hin und vergleicht sie mit §81 Abs2 WRG. Aus dem Umstand, daß §75 WRG die Möglichkeit von Zwang vorsieht, scheint sie den Schluß zu ziehen, daß auch die zwangsweise Einbeziehung in eine Genossenschaft nach §81 Abs2 WRG gerechtfertigt ist. Das Bedenken des Verfassungsgerichtshofs geht jedoch dahin, daß §81 Abs2 WRG die zwangsweise Erweiterung einer (freiwilligen) Genossenschaft, nicht jedoch vorweg die zwangsweise Bildung einer Genossenschaft (mit dem erweiterten Mitgliederkreis) erlaubt; in dieser Ungleichbehandlung liegt die Verletzung des Gleichheitsgebotes. Der bloße Umstand, daß eine freiwillige Genossenschaft bereits besteht, kann es nicht rechtfertigen, durch Zwang eine Genossenschaft mit einem Mitgliederkreis zu bilden, deren Bildung ohne das Bestehen einer solchen freiwilligen Genossenschaft nicht möglich gewesen wäre. Daraus, daß §75 WRG einen Beitrittszwang vorsieht, läßt sich daher für die Verfassungsmäßigkeit des §81 Abs2 WRG nichts gewinnen; denn nicht, daß überhaupt Zwang vorgesehen ist, hat das Bedenken des Gerichtshofs veranlaßt, sondern die eben geschilderte Ungleichbehandlung. Im übrigen liegt eine vergleichbare Ungleichbehandlung im Falle der Genossenschaft mit Beitrittszwang nicht vor: Zwar kann eine freiwillige Genossenschaft in eine solche mit Beitrittszwang umgebildet werden (§75 Abs1 zweiter Satz WRG), jedoch nur unter denselben Voraussetzungen, unter denen von vornherein eine Genossenschaft mit Beitrittszwang hätte gebildet werden dürfen.

3.1. Die Wortfolge "Liegenschaften und" in §81 Abs2 WRG verstößt somit gegen Art7 B-VG und war daher als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz

B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

3.2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsumfang, Wasserrecht, Wassergenossenschaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:G11.2000

Dokumentnummer

JFT_09999373_00G00011_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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