TE Vwgh Erkenntnis 2003/11/19 2001/21/0010

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Veröffentlicht am 19.11.2003
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Index

19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
StGB §202 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des BH, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 17. November 2000, Zl. Fr-4250a- 89/99, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Schweiz, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 Z. 1 und Abs. 3 iVm den §§ 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie auf folgende (ausländische) rechtskräftige Verurteilungen des Beschwerdeführers

1. durch das Bezirksgericht Unterrheintal vom 15. März 1989 ua. wegen wiederholter und fortgesetzter Unzucht mit Kindern, wiederholten (öffentlichen) unzüchtigen Handlungen, wiederholten unzüchtigen Veröffentlichungen und wiederholten unzüchtigen Belästigungen zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten,

2. durch das Kantonsgericht St. Gallen vom 21. August 1990 ua. wegen Unzucht mit einem Kind, Freiheitsberaubung und versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten.

Weiters beschrieb die belangte Behörde die diesen Verurteilungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers und folgerte, dass durch den vorliegenden Sachverhalt das Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 österr. StGB verwirklicht wäre, weshalb die genannten - in einem EMRK-konformen Verfahren ergangenen - Verurteilungen zweifellos einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht im Sinn der Voraussetzungen nach § 73 StGB gleichzuhalten seien.

Weiters sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Kantonsgerichtes St. Gallen vom 5. Juli 1996 "wegen mehrfacher Pornografie zwischen August 1992 und Februar 1993 nach den Art. 197 Z. 1 und 3 (Missbrauch der Notlage oder Abhängigkeit einer Frau (richtig: Pornografie)), 48 (Betrug), 58 (Einziehung von Gegenständen), 63 (Strafzumessung), 67 Z. 1 (Rückfall), 68 (Zusammentreffen strafbarer Handlungen oder Strafbestimmungen) und 69 (Anrechnung der U-Haft) StGB" zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten und einer Geldbuße von sfr 500,-- verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe sich trotz ursprünglicher Zustimmung in der Berufung dagegen ausgesprochen, diese Strafakten aus der Schweiz beizuschaffen und er habe vorgebracht, dass dieses Strafurteil nur Sachverhalte beträfe, die nach österreichischem Recht nicht strafbar wären. Dem setzte die belangte Behörde entgegen, dass allein schon auf Grund der Höhe der verhängten Strafe und des Umstandes, dass die Schweiz und Österreich ähnliche Straftatbestände hätten, angenommen werden könne, dass der sogenannte Pornohandel auch nach dem österreichischen Pornografiegesetz strafbar wäre. Dazu komme, dass der "vorgeworfene und verurteilte" Missbrauch der Notlage sowie der Abhängigkeit einer Frau auch in Österreich zumindest den Tatbestand des § 205 StGB verwirklicht hätte.

Die den drei Verurteilungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen seien immer gegen das gleiche Rechtsgut, nämlich die Sittlichkeit, gerichtet gewesen. Die Verurteilungen erfüllten somit die Voraussetzungen des Tatbestandes des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG und es sei die Annahme im Sinn des Abs. 1 gerechtfertigt, dass ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Selbst wenn die dritte Verurteilung nicht gewertet werden könnte, könnten die Verurteilungen aus den Jahren 1989 und 1990 noch herangezogen werden. Diese beiden Straftaten seien nach wie vor nicht getilgt.

Der Beschwerdeführer lebe in der Schweiz, unterhalte aber seit mehreren Jahren eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen. Aus diesem Grund stelle die aufenthaltsbeendende Maßnahme einen "gewissen Eingriff" in sein Privat- und Familienleben dar. Auf Grund des überaus schweren und schändlichen Fehlverhaltens des Beschwerdeführers und des besonders starken öffentlichen Interesses an der Unterbindung solcher sexueller Übergriffe überwiege das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die gegenläufigen Interessen des Beschwerdeführers bei weitem. Das Gemeinschaftsrecht finde auf den Beschwerdeführer als Angehörigen der Schweiz keine Anwendung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 36 Abs. 1 FrG ist die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen (die nationale Sicherheit, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer) erheblich gefährdet. Daraus folgt, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 36 Abs. 1 FrG nur dann in Betracht kommt, wenn ein solches erforderlich ist, um die festgestellte, vom Fremden ausgehende Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden. In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2001, Zl. 99/21/0349).

Als bestimmte Tatsache im genannten Sinn gilt nach § 36 Abs. 2 Z. 1 1. Fall FrG eine Verurteilung durch ein inländisches Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten; gemäß § 36 Abs. 3 leg. cit. liegt eine gemäß Abs. 2 maßgebliche Verurteilung nicht mehr vor, wenn sie bereits getilgt ist; eine ausländische Verurteilung ist dann maßgeblich, wenn sie den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.

Die letztgenannte Voraussetzung wird vom Beschwerdeführer in Bezug auf die Verurteilungen aus den Jahren 1989 und 1990 nicht in Zweifel gezogen. Der von der belangten Behörde und vom Beschwerdeführer als "Tätige Reue" angesprochene Tatbestand des § 22 Z. 1 Schweizer StGB enthält lediglich eine Strafmilderungsnorm im Fall des Unterbleibens des Erfolgs nach vollendetem Versuch.

Gemäß § 7 Abs. 1 des Tilgungsgesetzes 1972 stehen ausländische Verurteilungen tilgungsrechtlich inländischen Verurteilungen gleich, wenn sie den Rechtsbrecher wegen einer Tat schuldig sprechen, die auch nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist und in einem den Grundsätzen des Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen sind. Diese Voraussetzungen liegen jedenfalls für die Verurteilungen aus 1989 und 1990 vor. Gemäß den §§ 3 und 4 Tilgungsgesetz 1972 waren die Verurteilungen - selbst unter Außerachtlassung derjenigen aus dem Jahr 1996 - im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht getilgt, beträgt doch die Tilgungsfrist zwölf Jahre.

Gemäß § 7 Abs. 3 leg. cit. gelten zwar ausländische Verurteilungen auch dann als getilgt, wenn sie nach dem Recht des Staates, in dem sie erfolgt sind, getilgt sind, sobald dies durch eine öffentliche Urkunde bescheinigt wird. Eine derartige Bescheinigung liegt hier aber nicht vor.

Im Übrigen dürfen strafbare Handlungen zur Beurteilung des Fehlverhaltens nach § 36 Abs. 1 FrG selbst im Fall ihrer Tilgung herangezogen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Juli 2001, Zl. 98/21/0338).

Es unterliegt keinem Zweifel, dass aus dem von der belangten Behörde festgestellten Fehlverhalten des Beschwerdeführers, das den Verurteilungen aus den Jahren 1989 und 1990 zu Grunde lag, die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme abzuleiten ist, beeinträchtigt doch ein derartiges Verhalten das äußerst starke öffentliche Interesse, Minderjährige vor sexuellen Angriffen zu schützen. Dass diese Gefährlichkeitsprognose ungeachtet des seitdem verstrichenen Zeitraums aufrecht erhalten werden muss, beweist der Umstand, dass der Beschwerdeführer in der Folge wegen einschlägiger Tatbestände verurteilt wurde.

Der Beschwerdehinweis auf die Richtlinie 64/221/EWG ist schon deswegen nicht zielführend, weil der Beschwerdeführer keinem Mitgliedstaat der EG angehört. Im Übrigen ging die belangte Behörde bei ihrer Beurteilung ohnedies von spezialpräventiven Erwägungen aus.

Auch in Bezug auf die Beurteilung nach § 37 Abs. 1 FrG sowie die Interessenabwägung nach § 37 Abs. 2 FrG ist der belangten Behörde kein Rechtsirrtum vorzuwerfen. Einerseits stellt nämlich der sexuelle Missbrauch von Kindern eine besonders verwerfliche strafbare Handlung dar, andererseits kann dem in der Schweiz lebenden Beschwerdeführer trotz seiner Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen keine inländische Integration zuerkannt werden, die in ihrem Gewicht auch nur in die Nähe des beschriebenen öffentlichen Interesses an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes reicht.

Letztlich wendet sich die Beschwerde gegen die unbefristete Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Gemäß § 39 Abs. 1 FrG kann das Aufenthaltsverbot in den Fällen des § 36 Abs. 2 Z. 1 und 5 unbefristet, in den Fällen des § 36 Abs. 2 Z. 9 für die Dauer von höchstens fünf Jahren, sonst nur für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. September 2002, Zl. 2002/18/0155) ist ein Aufenthaltsverbot unter Bedachtnahme auf § 39 Abs. 1 FrG für jenen Zeitraum, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann. Angesichts der vom Beschwerdeführer begangenen Sexualdelikte gegen Minderjährige und der bereits verwirklichten Rückfallsgefahr kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Auffassung vertrat, dass der Zeitpunkt des Wegfalls des für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes nicht vorhergesehen werden könne und daher ein unbefristetes Aufenthaltsverbot zu erlassen sei.

Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG konnte die beantragte Durchführung einer Verhandlung unterbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 19. November 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001210010.X00

Im RIS seit

22.01.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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