TE Vwgh Erkenntnis 2003/11/20 2003/09/0107

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.11.2003
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

AVG §66 Abs2;
BDG 1979 §105;
VwGG §63 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hanslik, über die Beschwerde des Disziplinaranwaltes beim Bundesministerium für Inneres gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport vom 28. April 2003, Zl. GZ 11/10- DOK/03, betreffend Freispruch in einer Disziplinarsache (mitbeteiligte Partei: T, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Riedl, Franz-Josefs-Kai 5, 1010 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 29. Oktober 2001 wurde der Mitbeteiligte für schuldig erkannt, er habe am 12. Dezember 2000 in R, K-Straße, Waren im Wert von DM 833,00 entwendet, er habe weiters am gleichen Tag gegen 12.30 Uhr in den Geschäftsräumen der Fa. K in R, M-Straße, Waren im Wert von DM 2.033,00 entwendet und er habe am gleichen Tag weiters zwischen 12.30 und 15.15 Uhr in den Geschäftsräumen der Fa. M in R, K-Straße, Legobaukästen und Kosmetika im Wert von DM 775,00 entwendet und dadurch gegen § 43 Abs. 2 BDG 1979 verstoßen sowie Dienstpflichtverletzungen gemäß § 91 BDG 1979 i. d.g.F. begangen.

Der Mitbeteiligte sei "im abgekürzten Verfahren mit Urteil" des Amtsgerichtes R/Deutschland vom 9. Jänner 2001 rechtskräftig verurteilt worden. Es liege eine Bindung gemäß § 95 Abs. 2 BDG 1979 an den darin festgestellten Sachverhalt vor.

Es wurde die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt.

Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde der Berufung mit dem Bescheid vom 14. Februar 2002 in der Weise Folge, dass das Disziplinarerkenntnis gemäß § 66 Abs. 2 AVG iVm § 105 BDG 1979 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides (Disziplinarerkenntnisses) an die Disziplinarkommission erster Instanz zurückverwiesen wurde.

In der Begründung führte die belangte Behörde aus, sie halte die Rechtsmeinung der Behörde erster Instanz für verfehlt. Nur inländische Strafurteile entfalteten Bindungswirkung im Sinne des § 95 Abs. 2 BDG 1979. Außerdem stelle der rechtskräftige Strafbefehl des Amtsgerichtes R vom 9. Jänner 2001 kein "Urteil" eines Strafgerichtes im Sinne des § 95 Abs. 2 BDG 1979 dar, weil dieser Strafbefehl im abgekürzten Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangen sei, entspreche ein solcher Strafbefehl doch im innerstaatlichen Strafverfahrensrecht dem bis zu seiner Aufhebung durch die StPO-Novelle BGBl. I Nr. 55/1999 in den §§ 460 bis 462 StPO geregelten Rechtsinstrument der Strafverfügung des bezirksgerichtlichen Mandatsverfahrens. Eine solche Strafverfügung sei nicht Ergebnis eines ordentlichen Strafverfahrens und weise nicht die rechtliche Qualität eines Strafurteils auf.

Gegen diesen Bescheid wurde keine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.

Mit dem (Ersatz-)Bescheid der Behörde erster Instanz vom 10. Dezember 2002 wurde der Beschwerdeführer vom Verdacht, er habe am 12. Dezember 2000 in R, K-Straße, Waren im Wert von DM 833,00 entwendet, er habe weiters am gleichen Tag gegen 12.30 Uhr in den Geschäftsräumen der Fa. K in R, M-Straße, Waren im Wert von DM 2.033,00 entwendet und er habe am gleichen Tag weiters zwischen

12.30 und 15.15 Uhr in den Geschäftsräumen der Fa. M in R, K-Straße, Legobaukästen und Kosmetika im Wert von DM 775,00 entwendet; er habe dadurch Dienstpflichtverletzungen gem. § 43 Abs. 2 BDG 1979 i.V.m. § 91 BDG 1979 i.d.g.F. begangen, gem. § 126 Abs. 2 BDG i.V.m. § 91 BDG 1979 i.d.g.F. (mangelnde Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit am 12. Dezember 2000) freigesprochen.

Die dagegen erhobene Berufung des Disziplinaranwaltes wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 28. April 2003 abgewiesen.

In der Begründung führte die belangte Behörde - soweit für die gegenständliche Entscheidung wesentlich - aus, im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung durch ein ausländisches Strafgericht bestehe keine Bindungswirkung im Sinne des § 95 Abs. 2 BDG 1979. Daran habe § 54 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den Gemeinsamen Grenzen vom 19. Juni 1990, BGBl. III Nr. 90/1997, (in der Folge: SDÜ) nichts geändert.

Die belangte Behörde habe daher im gegenständlichen Fall zur Zurechnungsfähigkeit des Mitbeteiligten Erhebungen veranlasst bzw. durchgeführt und sei zum Ergebnis gelangt, dass die mitbeteiligte Partei zum Tatzeitpunkt unzurechnungsfähig gewesen und somit ein schuldhaftes Verhalten im Sinne des § 91 BDG auszuschließen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art. 131 Abs. 2 B-VG gestützte Beschwerde des Disziplinaranwaltes. Er erachtet sich durch die "falsche Auslegung der Bestimmung des § 95 Abs. 2 BDG durch die Disziplinaroberkommission in seinem Recht auf disziplinäre Bestrafung des Beamten verletzt."

Zusammengefasst bringt der Disziplinaranwalt vor, es werde in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum BDG (1977) zwar darauf hingewiesen, dass unter dem verwendeten Begriff "Strafgericht" immer ein österreichisches Gericht und kein ausländisches Strafgericht gemeint sei. Durch den Beitritt Österreichs zum SDÜ sei aber eine Änderung der Rechtslage eingetreten. Das SDÜ stelle ein "Anerkennungsübereinkommen" im Sinne des Urteils des Obersten Gerichtshofes vom 19. Mai 1998, 1 Ob 73/98m, dar. Deshalb sei das Strafurteil eines Vertragsstaates einem derartigen inländischen Urteil gleichzuhalten. Im gegenständlichen Fall liege ein rechtskräftiger Strafbefehl des Amtsgerichtes R/B/Deutschland vom 12. Jänner 2001, Zl. 2 Cs x Js y, gegen den Mitbeteiligten vor, durch den er des Diebstahls in drei Fällen gemäß §§ 242 Abs. 1, 53 (deutsches) StGB für schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Nach der deutschen Strafprozessordnung, Sechstes Buch, Besondere Arten des Verfahrens, Erster Abschnitt, Verfahren bei Strafbefehlen, § 410 Abs. 3, stehe ein Strafbefehl, gegen den nicht rechtzeitig Einspruch erhoben worden sei, einem rechtskräftigen Urteil gleich.

Die bindende Wirkung dieses Strafbefehls erstrecke sich auch auf die Feststellungen zum inneren (subjektiven) Tatbestand einer strafbaren Handlung; die belangte Behörde habe zu Unrecht die Frage der Zurechnungsfähigkeit zum Zeitpunkt der dem Strafbefehl zugrundenliegenden Taten geprüft, dies komme der Überprüfung eines Strafurteils durch dafür nicht Zuständige gleich.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Eine den Verwaltungsgerichtshof treffende Bindungswirkung geht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch von den die Aufhebung erstinstanzlicher Bescheide tragenden Gründen berufungsbehördlicher Kassationsbescheide aus, deren Anfechtbarkeit vor dem Verwaltungsgerichtshof gerade auch aus dem Interesse an der Vermeidung des Eintritts einer solchen Bindungswirkung eröffnet ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1999, Zl. 96/07/0215, mit weiteren Nachweisen). Eine solche Bindung trifft den Verwaltungsgerichtshof im Beschwerdefall.

Der Bescheid der belangten Behörde vom 14. Februar 2002 ist in Rechtskraft erwachsen. Die oben wiedergegebenen tragenden Gründe entfalten deshalb Bindungswirkung sowohl für die Behörde erster Instanz und die belangte Behörde im zweiten Rechtsgang als auch für den Verwaltungsgerichtshof.

Die Richtigkeit dieser tragenden Gründe, auf denen auch der angefochtene Bescheid beruht, ist demnach vom Verwaltungsgerichtshof im jetzigen Verfahrensstadium nicht mehr überprüfbar.

Vor dem Hintergrund der im Bescheid vom 14. Februar 2002 rechtskräftig überbundenen Rechtsansicht, dass der Strafbefehl des Amtsgerichtes R keine Bindung im Sinne des § 95 Abs. 2 BDG entfalte, ist der angefochtene Bescheid aber nicht als rechtswidrig zu erkennen, zumal der Beschwerdeführer gegen die die Unzurechnungsfähigkeit des Mitbeteiligten betreffende Begründung nichts einwendet und der Verwaltungsgerichtshof keine von Amts wegen aufzugreifende diesbezügliche Rechtswidrigkeit zu erkennen vermag.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 20. November 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003090107.X00

Im RIS seit

26.12.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten