TE Vwgh Erkenntnis 2003/11/24 2003/10/0145

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Veröffentlicht am 24.11.2003
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

AVG §1;
AVG §73;
LMG 1975 §18 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Zavadil, über die Beschwerde der A GmbH in B (Bundesrepublik Deutschland), vertreten durch Dr. Ruth Hütthaler-Brandauer, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Otto-Bauer-Gasse 4, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen vom 8. Mai 2003, Zl. 334.917/2-IV/13/03, betreffend Untersagung des Inverkehrbringens von Verzehrprodukten gemäß § 18 LMG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit an die belangte Behörde gerichtetem Schreiben vom 29. Oktober 2002, eingelangt am 4. November 2002, stellte der Vertreter der beschwerdeführenden Partei in deren Namen und Auftrag "zunächst gem. § 9 Abs. 1 LMG 1975 den formlosen Antrag, durch Bescheid festzustellen, dass die in den Etiketten der in der Anlage beigefügten Verzehrprodukte getroffenen Aussagen mit Gesundheitsbezug zulässig" seien.

Weiters wurde in dem Schriftsatz ausgeführt:

"Danach nehme ich die Anmeldung der Verzehrprodukte vor dem Inverkehrbringen gem. § 1 Absatz 2 LMG 1975 entsprechend § 18 Absatz 1 LMG 1975 vor.

Die quantitative und qualitative Zusammensetzung und die Aufmachung der Erzeugnisse sind durch die beigefügten Packungen dokumentiert. Diese lege ich als wahren Muster (gemeint offenbar: Warenmuster) in der Anlage vor.

Da dieses Schreiben zwei Anträge enthält, übermittle ich es in doppelter Ausfertigung. Auf Ihren Hinweis werde ich zur näheren Begründung unter Vorlage von Mitteln der Glaubhaftmachung ergänzend vortragen und ergänzende Belege vorlegen."

In der Anlage des Schreibens befanden sich Originalverpackungen der gegenständlichen Produkte, aus denen sowohl die genaue Zusammensetzung der Produkte, als auch die jeweilige empfohlene Dosierung zu entnehmen waren.

Hierauf teilte die belangte Behörde der beschwerdeführenden Partei mit Schreiben vom 8. November 2002 mit, dass es nach der Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes Aufgabe des Anmelders sei, sich vor Anmeldung einer Ware dahingehend zu vergewissern, ob auf der Verpackung beziehungsweise einem allfälligen Beipackzettel gemäß § 9 Abs. 1 LMG 1975 verbotene gesundheitsbezogene Angaben aufscheinen. Für diesen Fall sei vorerst ein dementsprechender Antrag zu stellen und dessen bescheidmäßige Erledigung abzuwarten.

Die von der beschwerdeführenden Partei gewählte Vorgangsweise, den Zeitpunkt der Anmeldung sowie die nähere Ausgestaltung der hiefür maßgeblichen Aufmachung der belangten Behörde zu überlassen, finde im Gesetz jedoch keine Deckung. Vielmehr sei die Anmeldung zurückzuziehen und nach Abschluss des Verfahrens gemäß § 9 Abs. 3 LMG 1975, jedenfalls aber vor dem ersten Inverkehrbringen der betreffenden Produkte neuerlich bei der belangten Behörde einzubringen.

Darüber hinaus sei für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens über den Antrag der beschwerdeführenden Partei gemäß § 9 Abs. 3 LMG 1975 noch die genaue Zusammensetzung (qualitative und quantitative Angaben sämtlicher Bestandteile - Zutaten und Zusatzstoffe - sowie Art und Menge allfälliger Hilfsstoffe) erforderlich.

Hiezu nahm die beschwerdeführende Partei mit folgendem Schreiben vom 22. November 2002, eingelangt bei der belangten Behörde am 25. November 2002, Stellung:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

auf Ihr Schreiben vom 08.11.2002 darf ich mich beziehen.

Entsprechend meiner telefonischen Absprache mit Ihrem Hause habe ich meinen Antrag vom 29.10.2002 gestellt.

Materiellrechtlich ist die Frage der Zulässigkeit der gesundheitsbezogenen Angaben der Anmeldung vorgreiflich.

Verfahrensrechtlich kann bei Vorgreiflichkeit der Entscheidung in einem Verwaltungsverfahren die Anordnung des vorläufigen Ruhens des parallelen Verwaltungsverfahrens in entsprechender Anwendung von § 38 AVG angeordnet werden (VwGH 25.11.1986, 86/05/0124). Ich bitte, so zu verfahren.

Dementsprechend beantrage ich die Zurückstellung der Anmeldung als Verzehrprodukt bis zur Feststellung der Zulässigkeit der gesundheitsbezogenen Angaben.

Zugleich bitte ich um Nachricht, mit welcher Laufzeit bis zur Entscheidung über die Frage der Zulässigkeit der gesundheitsbezogenen Angaben ich rechnen darf.

Schließlich überreiche ich in der Anlage Schreiben der Herstellerfirma Dr. S. vom 22.11.2002 mit drei Seiten Rezepturen unter Vortrag des Anliegens der vertraulichen Behandlung."

Weiters richtete der Vertreter der beschwerdeführenden Partei an die belangte Behörde folgenden Schriftsatz vom 28. Jänner 2003:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

auf mein Telefonat am 27.01.2003 um 14.00 Uhr mit Frau W. darf ich mich beziehen und das Begehren meiner Mandantin förmlich vortragen:

(1)

(...) bezüglich der Laufzeit für die Entscheidung über die Frage der Zulässigkeit der gesundheitsbezogenen Angaben wurde telefonisch durch Nachricht an meine Kanzlei am 27.11.2002 dahingehend beantwortet, dass 'leider keine Zeitangaben' genannt werden können, weil es 'immer darauf ankomme', 'wie die Sachverständigen die Sache prüfen'. Bezüglich der Anmeldung gemäß § 18 LMG 1975 wurde mir ausgerichtet, es werde angeregt, nach Abschluss des Verfahrens gemäß § 9 des Gesetzes die Zulassung gemäß § 18 des Gesetzes nochmals zu beantragen.

(2)

Meine Mandantin macht mich darauf aufmerksam, dass sie durch die Verzögerung der Herbeiführung der Verkehrsfähigkeit ihrer Produkte in Österreich monatlich einen Umsatzausfall von etwa EUR 25.000,-- und entsprechend durch entgangenen Gewinn einen Schaden in der Höhe von EUR 5.000,-- bis EUR 9.000,-- erleide. Sie hat mich daher darum gebeten, unverzüglich die Feststellung der Verkehrsfähigkeit ihrer Produkte herbeizuführen, sodass diese in dem vorbestimmten Distributionsweg gelistet werden können. Daher stelle ich den

Antrag,

unverzüglich zu meinen Händen, spätestens aber bis zum 05.02.2003, festzustellen, dass die Produkte meiner Mandantschaft in Österreich als Verzehrprodukte (Lebensmittel) verkehrsfähig sind.

(3)

Insbesondere und unter fürsorglicher Berücksichtigung der Tatsache, dass möglicherweise am Anmeldeerfordernis gemäß § 18 LMG 1975 festgehalten werden soll, stelle ich den Antrag, spätestens bis zum 05.02.2003 dieses Verfahren abzuschließen.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die gesetzliche 3- Monatsfrist mit meinem Antrag vom 29.10.2002, eingegangen bei Ihnen am 04.10.2002 (richtig wohl: 04.11.2002), in Lauf gesetzt wurde.

(4)

Der Hinweis, dass die Listung erst beantragt werden könne, wenn die Feststellung nach § 9 Absatz 3 LMG 1975 erfolgt sei, war unzutreffend, denn mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht ist es unvereinbar, wenn Ihr Haus jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbietet. So entschieden durch Urteil des Gerichtshofes vom 23.01.2003 in den Rechtssachen C- 421/00, C-426/00 und C-16/01. Im Parallelverfahren C-221/00, das die Klage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen die Republik Österreich in gleicher Sache zum Gegenstand hat, unterlag die Beklagte entsprechend. Die Klage war schon im Mai 2000 erhoben worden und das Votum des Generalanwaltes war schon im Sommer 2002 in mündlicher Verhandlung erfolgt. Damit war schon zum Zeitpunkt der Bearbeitung meines Antragsschriftsatzes offensichtlich, dass das Verlangen, zunächst den Ausgang des Feststellungsverwaltungsverfahrens gemäß § 9 Absatz 3 LMG 1975 abzuwarten, bevor die Anmeldung der Verzehrprodukte gemäß § 18 Absatz 1 LMG 1975 erfolgen könne, der Rechtslage nicht entsprach.

Ich bitte um Ihre Mitteilung, ob Ihr Haus beabsichtigt, auf das Verfahren gemäß § 9 LMG 1975 in Vollzug des EuGH-Urteils zu verzichten. In diesem Fall werde ich die Erledigung meines Antrages vom 29.10.2002 mit gesondertem Schriftsatz in Reaktion auf Ihren Hinweis erklären.

(5)

Nach meiner rechtlichen Würdigung hat mein Schriftsatz vom 29.10.2002 die 3-Monatsfrist für die Bearbeitung der Anmeldung der Verzehrprodukte in Lauf gesetzt. Fürsorglich mache ich darauf aufmerksam, dass ein 3-monatiges Anmeldeverfahren für Verzehrprodukte nach meiner rechtlichen Würdigung ein mit dem Europäischen Gemeinschafsrecht unvereinbares, nicht tarifäres Handelshemmnis konstituiert, das ebenso dem Verdikt der Rechtswidrigkeit unterfällt, wie das generelle Verbot jeder gesundheitsbezogenen Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung.

(6)

Die Angelegenheit ist eilbedürftig. Gründe, die einer Verbescheidung des hier vorgetragenen Feststellungsbegehrens sowie der Anmeldung der Verzehrprodukte gemäß § 18 Absatz 1 LMG 1975 entgegen stehen, scheinen hier nicht auf."

Hierauf teilte die belangte Behörde der beschwerdeführenden Partei mit Schreiben vom 4. Februar 2003 fernschriftlich mit, dass "keine Anmeldung gemäß § 18 LMG 1975 (siehe Eingabe vom 22.11.2002)" vorliege.

Es werde empfohlen, diese vorzunehmen, wobei im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 23. Jänner 2003 gegen das Aufscheinen gesundheitsbezogener Angaben bei der Anmeldung gemäß § 18 LMG 1975 keine Einwände mehr bestünden.

Ein Zulassungsverfahren gemäß § 9 Abs. 3 LMG 1975 werde nicht mehr durchgeführt. Informationshalber werde jedoch die betreffende Stellungnahme des Sachverständigen für Pharmazie (dem die Beurteilung der Arzneimitteleigenschaft der Produkte oblegen habe) übermittelt.

Betreffend die Feststellung der Verkehrsfähigkeit sei - grundsätzlich - auszuführen, dass durch die erfolgte Anmeldung gemäß § 18 LMG 1975 eine Bestrafung gemäß § 74 Abs. 5 Z 3 (Inverkehrbringen von Verzehrprodukten vor der Anmeldung nach § 18 Abs. 1 LMG 1975) ausgeschlossen sei. Die Bestätigung der Anmeldung (= Einstufung als Verzehrprodukt) ersetze nicht die Überprüfung der Verkehrsfähigkeit im Hinblick auf die Einhaltung sämtlicher lebensmittelrechtlich oder auch veterinärrechtlich relevanter Vorschriften (wie z.B. im Hinblick auf BSE) seitens des Inverkehrbringers (Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmannes). Diese obliege vielmehr den "in der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH für die Untersuchung von dem Lebensmittelgesetz 1975 unterliegenden Waren autorisierten Stellen (ehemalige Bundesanstalten für Lebensmitteluntersuchung)" sowie den gemäß § 49 LMG 1975 autorisierten Untersuchungsanstalten der Länder und Gemeinden beziehungsweise den gemäß § 50 LMG 1975 autorisierten Privatgutachtern. Es stehe der beschwerdeführenden Partei frei, eine der genannten Stellen mit der Erstellung von Befund und Gutachten zu betrauen.

Der Vertreter der beschwerdeführenden Partei antwortete mit Schreiben vom 10. Februar 2003, eingelangt am 12. Februar 2003:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 04.02.2003.

(1) Der Erwägung im ersten Satz, es liege 'keine Anmeldung gemäß § 18 LMG 1975' vor, darf ich widersprechen: Die Anmeldung ist in Ihrem Hause seit dem 04.11.2002 anhängig.

(1.1) Es handelt sich um die Anmeldung vom 29.10.2002 mit der Dokumentennummer 27585 und alle dort vorgelegten Anlagen mit der Zweitfertigung des Antragsschreibers und den Originalverpackungen der Produkte jeweils mit Inhalt: Multivitamin, Vitamin C, Eisen, Kieselerde, Vitamin E, Magnesium, Carotin, Calcium.

(1.2) Die Sendung ist ausweislich des Rückscheins GZ 334.917/0-VII/13/02 mit der Nummer der Sendung 6416226 in Ihrem Hause eingetroffen. Das Eintreffen dieser Anmeldung wird bestätigt durch Ihr Schreiben vom 08.11.2002.

(1.3) Sie gaben Ihrer Auffassung Ausdruck, die Anmeldung sei zurückzuziehen. Ihrer Aufforderung bin ich jedoch in meinem Schreiben vom 22.11.2002 mit der Dokumentennummer dd27948 nicht nachgekommen, sondern ich habe stattdessen den Antrag gestellt, dass das vorläufige Ruhen dieses Verfahrens angeordnet werde.

(1.4) Diesen Antrag auf Anordnung des Ruhens des Anmeldeverfahrens hat sich erledigt. Ich ziehe ihn zur Klarstellung hiermit zurück, da der Grund für die Anordnung eines vorläufigen Ruhens in entsprechender Anwendung von § 38 AVG dadurch weggefallen ist, dass Ihr Haus nunmehr aufgrund der Entscheidung des EuGH auf das Zulassungsverfahren gemäß § 9 Absatz 3 LMG 1975 insgesamt verzichtet.

(1.5) Spätestens das Urteil des Europäischen Gerichtshofes, mit dem klargestellt wurde, dass das Verfahren nach § 9 Absatz 3 LMG 1975 nicht mehr durchgeführt werden darf, beendete all diese Verfahren. Der Grund für die vorläufige Zurückstellung der Anmeldung nach § 18 Absatz 1 LMG 1975 entfiel mit der Verkündung des Urteils. Die Drei-Monats-Frist läuft seither.

(2) Zur Vermeidung von Unklarheit über die Frage, ob die Anmeldung anhängig ist oder nicht, wiederhole ich die

Anmeldung

Für meine Mandantin hiermit zur Klarstellung und zur Vermeidung von jedem Missverständnis ausdrücklich. Auf die Anmeldungsschrift vom 29.10.2002 mit der Dokumentennummer 27585 und die auf die mit dem Schreiben vom 22.11.2002 vorgelegten Rezepturen nehme ich Bezug und ich mache sie zum Gegenstand dieser heutigen Anmeldung gemäß § 18 LMG 1975.

(...)

Die Drei-Monats-Frist wurde meines Erachtens durch den Zugang der Anmeldung vom 29.10.2002 in Lauf gesetzt und nicht erst mit der Verkündung des Urteils vom 23.01.2003, denn das Verfahren nach § 9 Abs. 3 LMG erfolgte per se gemeinschaftsrechtswidrig und dies wurde es nicht erst mit der Verkündung des Urteils, das die Feststellung der Unzulässigkeit nicht mit Wirkung ex nunc, sondern ex tunc."

Mit e-mail vom 4. März 2003 teilte die belangte Behörde der beschwerdeführenden Partei mit, dass die Frist für eine allfällige Untersagung des Inverkehrbringens in der angemeldeten Produktkategorie mit 10. Februar 2003 beginne.

Die Anmeldung sei den Sachverständigen im Hinblick auf die im Verfahren vorzunehmende Beurteilung (Einstufung der in Rede stehenden Produkte) zur Stellungnahme zugeleitet worden.

Die Anmeldung ersetze nicht die Überprüfung der Verkehrsfähigkeit. Dies gelte auch für die mit der Information über die Rechtslage betreffend § 9 LMG 1975 übermittelte Stellungnahme des Sachverständigen für Pharmazie. Es handle sich hierbei vielmehr um ein - widerlegbares - Sachverständigengutachten, das der beschwerdeführenden Partei informationshalber zur Kenntnis gebracht worden sei.

Weiters übermittelte die belangte Behörde der beschwerdeführenden Partei am 15. April 2003 fernschriftlich das Sachverständigengutachten vom 28. März 2003, wonach die angemeldeten Produkte "Multivitamin", "Vitamin E" und "Eisen" als Arzneimittel einzustufen seien.

Die beschwerdeführende Partei reagierte mit Schriftsatz vom 28. April 2003 und teilte im Wesentlichen mit, dass das Gutachten die physiologische Rolle von Vitamin E und Eisen im menschlichen Metabolismus beschreibe, aber keinen schlüssigen Hinweis darauf gebe, weshalb entgegen der herrschenden Meinung in der Ernährungswissenschaft die Tagesverzehrsempfehlungen bewirken sollten, dass die geprüften Produkte nicht als Verzehrprodukte (Nahrungsergänzungsmittel) einzustufen seien, sondern als Arzneimittel. Die Stellungnahme der Abteilung VI/A/VI vom 28. März 2003 setze sich mit der einschlägigen Literatur und der wissenschaftlichen Diskussion in diesem Bereich nicht auseinander. Entgegen der Stellungnahme handle es sich um Verzehrprodukte in Sinne des Lebensmittelgesetzes 1975, die nach Art und Form des Inverkehrbringens nicht dazu bestimmt seien, die Zweckbestimmungen des § 1 Abs. 1 Z 1 bis 4 Arzneimittelgesetz zu erfüllen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 8. Mai 2003, zugestellt am 9. Mai 2003, untersagte die belangte Behörde das Inverkehrbringen der mit Eingabe vom 10. Februar 2003, eingelangt mittels Telefax am 10. Februar 2003, angemeldeten Kapselprodukte "Multivitamin", "Eisen" und "Vitamin E" als Verzehrprodukt.

Das eingeholte Sachverständigengutachten habe ergeben, dass die gegenständlichen Produkte als Arzneimittel zu beurteilen seien. Die Stellungnahme des Sachverständigen sei vollständig und schlüssig, zumal sie auch die Fachliteratur nenne, auf deren Grundlage sich die Auffassung, den in Rede stehenden Produkten kämen auf Grund ihrer qualitativen und quantitativen Zusammensatzung bestimmte objektiv-arzneiliche Wirkungen zu, überprüfen lasse.

Der Sachverständige müsse darlegen, auf welchem Weg er zu seinen Schlussfolgerungen gekommen sei, damit eine Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens vorgenommen werden könne. Die Wahl der hiefür zur Verfügung stehenden Mittel stehe ihm jedoch frei.

Der Einstufung der Produkte als Arzneimittel stehe auch nicht entgegen, dass diese in einem anderen Mitgliedsstaat wie Deutschland rechtmäßig als Nahrungsergänzungsmittel in Verkehr gebracht würden, da noch keine abschließende Harmonisierung im Bereich der Einstufung von Arzneimitteln bestehe. Auch unter dem Gesichtspunkt des Gemeinschaftsrechtes sei letztlich entscheidend, ob die Zuordnung der Produkte zum Arzneimittelbegriff, wie im Beschwerdefall, auf der Grundlage eines ordnungsgemäßen Verfahrens erfolgt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 18 Lebensmittelgesetz 1975 (LMG), BGBl. Nr. 86/1975 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 69/2003, hatte - unter Berücksichtigung der Änderung der Bezeichnung des zuständigen Bundesministers gemäß § 16a BMG - folgenden Wortlaut:

"(1) Es ist verboten, Verzehrprodukte vor ihrer Anmeldung beim Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen in Verkehr zu bringen.

(2) Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen hat das Inverkehrbringen einer als Verzehrprodukt angemeldeten Ware mit Bescheid unverzüglich, längstens binnen drei Monaten zu untersagen, wenn sie den Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder seiner Verordnungen nicht entspricht.

(3) Mit der Anmeldung sind Warenmuster und jene Unterlagen vorzulegen, die eine Beurteilung im Sinne des Abs. 2 ermöglichen."

§ 9 leg. cit., ebenso in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 69/2003, lautete:

"(1) Es ist verboten, beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen

a) sich auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen oder auf physiologische oder pharmakologische, insbesondere jungerhaltende, Alterserscheinungen hemmende, schlankmachende oder gesunderhaltende Wirkungen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken;

b) auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen;

c) gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder von Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen zu verwenden.

(2) Die Verbote des Abs. 1 gelten nicht für jene althergebrachten Bezeichnungen, die keinerlei Zweifel über die Beschaffenheit der Ware zulassen.

(3) Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen hat auf Antrag für bestimmte Lebensmittel oder Verzehrprodukte gesundheitsbezogene Angaben mit Bescheid zuzulassen, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist. Der Bescheid ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für die Zulassung nicht mehr gegeben sind."

Die beschwerdeführende Partei macht unter anderem die Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend, weil diese erst nach Ablauf der gemäß § 18 Abs. 2 LMG normierten Frist den angefochtenen Untersagungsbescheid erlassen habe.

Mit diesem Vorbringen ist die beschwerdeführende Partei im Recht:

Mit dem am 4. November 2002 bei der belangten Behörde eingelangten Schreiben beantragte die beschwerdeführende Partei "zunächst" die Zulassung gesundheitsbezogener Angaben für bestimmte Produkte und erklärte, "danach" die Anmeldung für diese Produkte gemäß § 18 Abs. 1 LMG vorzunehmen.

Mit den Begriffen "zunächst" und "danach" wollte die Beschwerdeführerin offenbar auf eine "logische Abfolge" der Verfahren über die Zulassung gesundheitsbezogener Angaben und über die Anmeldung eines Verzehrproduktes Bezug nehmen. Dass - infolge der Verwendung des Begriffes "danach" - die Anmeldung des Produktes lediglich angekündigt, aber nicht vollzogen werde, war dem Schriftsatz nicht zu entnehmen. Vollends klargestellt wird dies durch die Formulierung, dass das Schreiben "zwei Anträge" enthalte.

Auch den weiteren Schriftsätzen der beschwerdeführenden Partei lässt sich nichts entnehmen, was auf eine Zurückziehung oder eine die Untersagungsfrist neuerlich in Gang setzende Änderung (vgl. hiezu z.B. die hg. Erkenntnisse vom 20. Dezember 1993, Zl. 93/10/0202, vom 21. Februar 1994, Zl. 92/10/0124, vom 18. April 1994, Zl. 92/10/0381, oder vom 23. Jänner 1995, Zlen. 91/10/0215, 0216) des Antrags hindeutete. Im Gegenteil, wies die beschwerdeführende Partei etwa im Schreiben vom 28. Jänner 2003 darauf hin, dass sie im Schreiben vom 29. Oktober zugleich die Anmeldung der Verzehrprodukte vorgenommen habe und vertrat die Auffassung, dass die Dreimonatsfrist des § 18 LMG mit dem Eingehen des Antrags vom 29. Oktober 2002 bei der Behörde (am 4. November 2002) zu laufen begonnen habe (die beschwerdeführende Partei stellte in diesem Schreiben auch den Antrag, das Verfahren spätestens bis zum 5. Februar 2003 abzuschließen). Auf die Anhängigkeit des Antrags seit 4. November 2002 verwies die beschwerdeführende Partei auch im Schreiben vom 10. Februar 2003, welches von der belangten Behörde als fristauslösender Antrag angesehen wurde. In diesem Schreiben kann keinesfalls ein neuer Antrag unter Zurückziehung des ursprünglichen Antrags gesehen werden.

Die dargestellten Erklärungen der Beschwerdeführerin hatten nicht die Bedeutung, dass die mit dem Einlangen des Antrages vom 29. Oktober 2002 in Gang gesetzte Entscheidungsfrist gehemmt worden wäre. Aber selbst wenn man ihnen im Sinne der hg. Rechtsprechung zu Erklärungen betreffend ein "Ruhen" des Verfahrens die Bedeutung eines befristeten Verzichts auf das Recht auf Sachentscheidung beimessen wollte (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 22. Juli 1999, Zl. 98/12/0403, oder vom 19. Juli 2001, Zl. 99/12/0201), wäre der angefochtene Bescheid außerhalb der Dreimonatsfrist des § 18 LMG 1975 ergangen. In diesem Fall wäre der weitere Ablauf der Dreimonatsfrist jedenfalls mit dem Einlangen des Schreibens der Beschwerdeführerin vom 28. Jänner 2003, in dem sie auf das Urteil des EuGH vom 23. Jänner 2003 hinwies, in Gang gesetzt worden, weil die Beschwerdeführerin mit diesem Schreiben zu erkennen gab, dass sie nunmehr (jedenfalls) eine Entscheidung über den Antrag nach § 18 LMG erwarte.

Das Schreiben der beschwerdeführenden Partei vom 10. Februar 2003 kann ebenfalls nicht als eine Änderung des Antrags oder ein neuer Antrag gewertet werden, der die Frist gemäß § 18 Abs. 2 LMG neu in Gang gesetzt hätte. Die beschwerdeführende Partei wies in diesem Schreiben vielmehr ausdrücklich auf den bereits gestellten Antrag hin; eine Änderung des Antrags wurde nicht vorgenommen. Die Willenserklärungen der beschwerdeführenden Partei, die Eingabe gemäß § 18 LMG aufrecht zu erhalten, waren unmissverständlich. Es trifft daher nicht zu, dass - wie die belangte Behörde in angefochtenen Bescheid durch Bezugnahme auf das Schreiben vom 10. Februar 2003 andeutet - die Dreimonatsfrist des § 18 LMG erst am 10. Februar 2003 zu laufen begonnen hätte.

Der angefochtene Untersagungsbescheid wurde am 9. Mai 2003, somit nach Ablauf der dreimonatigen Frist nach § 18 LMG durch Zustellung an die beschwerdeführende Partei rechtswirksam erlassen.

Da jedoch die Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung eines auf § 18 Abs. 2 LMG gegründeten Untersagungsbescheides nach Ablauf der Frist von drei Monaten wegfällt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. Jänner 1995, Zl. 91/10/0215, und vom 11. Juni 2001, Zl. 2001/10/0084), erweist sich der nach Ablauf der dreimonatigen Untersagungsfrist erlassene angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003, insbesondere auf deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 24. November 2003

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Rechtsgrundsätze Verzicht Widerruf VwRallg6/3 sachliche Zuständigkeit in einzelnen Angelegenheiten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003100145.X00

Im RIS seit

20.01.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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