Norm
StPO §252 Abs1Rechtssatz
1) Der OGH hält daran fest, daß die in § 252 Abs 1 StPO normierten Verlesungsverbote in Ansehung der Vernehmung von Zeugen nur darüber aufgenommene gerichtliche Protokolle betrifft.
2) Die Verlesung von Niederschriften, die mit nahen Angehörigen im Sinne § 152 Abs 1 Z 1 StPO im sicherheitsbehördlichen Ermittlungsverfahren (§§ 24, 88 StPO) aufgenommen worden sind, ist selbst dann, wenn sich die betreffenden Zeugen in der Hauptverhandlung der Aussage entschlagen zwingend geboten.
3) Bei deren folgender Verwertung zum Zweck der Überzeugungsbildung in Fällen, in denen der Angeklagte in keinem Stadium des vorausgegangenen Verfahrens die Möglichkeit gehabt hat, an die betreffenden Zeugen, deren Aussagen verlesen wurden, Fragen zu stellen, ist den Interessen der Verteidigung durch eine den Umständen des konkreten Falles entsprechende sachgerechte Erweiterung der Entscheidungsgrundlagen in besonderer Weise Rechnung zu tragen.
4) Zu einer den Grundsätzen eines fairen Verfahrens (Art 6 MRK) entsprechenden Verwertung der im sicherheitsbehördlichen Ermittlungsverfahren (§§ 24, 88 StPO) aufgenommenen Niederschriften über die Angaben von Zeugen, die sich in der Hauptverhandlung berechtigterweise der Aussage entschlagen haben, ist vorauszusetzen, daß das Gericht zum einen auf Antrag oder von Amts wegen (§ 254 StPO) alle sinnvollen und rechtlich zulässigen Ermittlungen durchgeführt hat, die geeignet sind, die Überzeugungskraft der in Rede stehenden indirekten Beweismittel abzuschwächen oder gar auszuschalten und sich zum anderen im Urteil mit sämtlichen konkreten Verfahrensergebnissen dieser Art mängelfrei auseinandersetzt.
5) Unbeschadet des Rechtes des Angeklagten auf entsprechende Antragstellung und eine (schon) daraus ableitbare Anfechtbarkeit des Urteils (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO), sind solche flankierenden Beweise von Amts wegen stets - aber nur dann - aufzunehmen, wenn die Notwendigkeit einer Überprüfung der Begleitumstände, unter denen eine dem Gericht allein zur Verfügung stehende sicherheitsbehördliche Aussage abgelegt worden ist, nach seiner Verantwortung oder sonst nach der Aktenlage indiziert ist.
6) Zur Gewinnung von Anhaltspunkten für eine amtswegige Anordnung solcher Kontrollbeweise - durch die eine Erschütterung der ohne Mitwirkung des Angeklagten im Sinn des Art 6 Abs 3 lit d MRK zustandegekommenen Aussagen (und damit seine Entlastung) eintreten könnte - sind dabei auch jene im Vorverfahren abgelegten gerichtlichen Aussagen der betreffenden Personen heranzuziehen, die infolge deren Zeugnisverweigerung nach § 252 Abs 1 Z 3 StPO nicht verlesen wurden und demgemäß im Urteil unter keinen Umständen als Beweismittel (§ 258 Abs 1 StPO) oder zur Entkräftung eines eine flankierende Beweisaufnahme indizierenden Verfahrensergebnisses verwertet werden dürfen.
7) Eine mit dem vorstehenden Grundsätzen unvereinbare Verwertung einer verlesenen sicherheitsbehördlichen Aussage im Urteil kann dessen Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5 StPO bewirken.
Entscheidungstexte
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:RS0098209Dokumentnummer
JJR_19871218_OGH0002_0150OS00160_8700000_001