TE Vwgh Erkenntnis 2003/11/26 2000/20/0483

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Veröffentlicht am 26.11.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §15 Abs3;
AsylG 1997 §21 Abs3;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §52 Abs1;
FrG 1997 §57;
FrG 1997 §75 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des J in M, geboren 1976, vertreten durch Mag. Johann Kopinits, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 27-28/2/19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. Oktober 2000, Zl. 210.011/2-V/15/99, betreffend §§ 7, 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem ersten, die Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers betreffenden Spruchteil wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in seinem zweiten, die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone feststellenden Spruchteil wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 6. Jänner 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Bei der Vernehmung zu seinen Fluchtgründen am 18. Jänner 1999 gab der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt im Wesentlichen an, er komme aus dem Dorf Buedu im Bezirk Kailahun und gehöre der Volksgruppe der "Kissi" an. Sein im Dezember 1997 verstorbener Vater stamme aus Sierra Leone und sei "Kissi" gewesen; seine Mutter komme aus dem Südwesten von Kamerun. Der am 16. April 1976 geborene Beschwerdeführer habe mit seinen Eltern von Ende 1976 bis 1985 in Kamerun gelebt. Nach der Rückkehr der Familie nach Sierra Leone habe er in Buedu fünf Jahre die Grundschule besucht und dann (seit 1990) in der Landwirtschaft seines Vaters gearbeitet. Außer Englisch spreche der Beschwerdeführer nur "Pidgin-Englisch".

Der Beschwerdeführer sei ein Anhänger der Regierung Kabbah. Auch sein Vater sei ein regimetreuer Regierungsanhänger gewesen. Der Beschwerdeführer sei von den RUF-Rebellen, die in seiner Heimatregion die Macht ausgeübt hätten, der Spionage für die Regierung verdächtigt worden. Er hätte für die Rebellen auch kämpfen sollen. Wegen seiner ("aus religiösen Gründen" erfolgten) Weigerung sei der Beschwerdeführer, der sich daher auch "zeitweise" versteckt habe, von den Rebellen gesucht und seine Mutter sei deshalb misshandelt und mit dem Tod bedroht worden. Als er das von seiner Schwester erfahren habe, sei er Mitte Dezember 1998 (auf näher beschriebene Weise) geflüchtet. Er könne nicht zurückkehren, weil ihn die Rebellen umbringen wollen und in ihm einen Feind sehen. Der Führer der Rebellen habe den Beschwerdeführer auf die "Liste der Feinde" gesetzt.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 6. April 1999 gemäß § 7 AsylG ab. Nach § 8 AsylG stellte es jedoch fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei nicht zulässig und es erteilte ihm (mit gesondertem Bescheid) nach § 15 Abs. 1 AsylG eine bis 6. Oktober 1999 befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Erstbehörde ging bei der Abweisung des Asylantrages von der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers aus. Die von ihm behaupteten Bedrohungen seien allerdings nur "bürgerkriegsbedingt" und somit nicht asylrelevant. Die gegen den Beschwerdeführer gesetzten Maßnahmen seien nicht als Verfolgung "im Konventionssinn" zu werten, sondern als Folge des Bürgerkrieges zu qualifizieren. In Bezug auf den Ausspruch nach § 8 AsylG vertrat die Erstbehörde - offenbar im Hinblick auf das (damals) eskalierte Bürgerkriegsgeschehen in Sierra Leone - die Ansicht, dass dem Beschwerdeführer Abschiebungsschutz zu gewähren sei.

Aufgrund der vom Beschwerdeführer gegen die Entscheidung im Asylteil erhobenen Berufung und deren Ergänzungen, in denen die Fluchtgründe präzisiert und detailreich wiederholt wurden, führte die belangte Behörde am 28. September 2000 eine mündliche Verhandlung durch, der auch ein Dolmetscher für die Sprache "Krio" beigezogen wurde. Mit dem angefochtenen Bescheid wies sie die Berufung gegen die Abweisung des Asylantrages "gemäß § 7 AsylG" ab. Zugleich stellte die belangte Behörde "gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1" FrG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde versagte dem Beschwerdeführer hinsichtlich der von ihm behaupteten Herkunft aus Sierra Leone und dem zufolge auch hinsichtlich der sich auf diesen Herkunftsstaat beziehenden Fluchtgründe die Glaubwürdigkeit. Sie begründete das im angefochtenen Bescheid mit Wissenslücken des Beschwerdeführers betreffend seine angebliche Heimatregion und vor allem mit fehlenden, aufgrund der Herkunftsangaben des Beschwerdeführers nach Ansicht der belangten Behörde aber erwartbaren Sprachkenntnissen. Dazu führte die belangte Behörde Folgendes aus:

"Anläßlich seiner erstinstanzlichen Einvernahme wurde der Berufungswerber gefragt, ob er nicht eine andere Sprache, außer Englisch, spreche, und antwortete er darauf, daß er nur "Pidgin-Englisch" spreche. In der Berufungsverhandlung wurde die selbe Frage an den Berufungswerber gerichtet und erwiderte er: "Ich spreche ein bißchen Französisch, aber wir sprechen hauptsächlich Krio." Da "wir" stets auch die Person, die die erste Person Plural verwendet, mitumfaßt, wurden in weiterer Folge die kreolischen Sprachkenntnisse des Berufungswerbers von einem Dolmetscher für diese Sprache geprüft, und verlief diese Prüfung jedoch negativ.

Festgestellt werden konnte somit, daß der Berufungswerber weder die von 95% der sierraleonischen Bevölkerung verwendete Sprache Krio, noch die in seiner angeblichen Heimatregion (Buedu im Bezirk Kailahun) gebräuchlichen Sprache(n) Mende oder Kissi beherrscht - und dies obwohl den Angaben des Berufungswerbers zufolge zumindest sein Vater zuletzt genanntem Volksstamm zugehörte. Der Berufungswerber versuchte diese Tatsache - nämlich, seine mangelnden Kenntnisse der in Sierra Leone verwendeten Sprachen - auf mehrfache Weise zu erklären:

Zunächst legte er dar, daß er ungefähr neun Jahre lang in Kamerun gelebt hätte und in seiner Familie deshalb lediglich:

"Pidgin-Englisch" gesprochen worden wäre, da seine Mutter aus Kamerun stammte. Dem Berufungswerber wurde daraufhin vorgehalten, da er - angesichts seines angegebenen Alters - zumindest 14 Jahre lang in Sierra Leone gelebt haben mußte, sodaß von der Beherrschung zumindest einer gebräuchlichen Landessprache realistischerweise durchaus ausgegangen werden kann. Auf diesen Vorhalt erklärte der Berufungswerber, er wäre in Sierra Leone - außer mit seiner Familie - mit niemandem in Kontakt getreten, da er sich - quasi isoliert - stets auf der Farm seines Vaters aufgehalten hätte. Diese Darstellung vermag nach den Grundsätzen allgemeiner Lebenserfahrung nicht nachvollzogen werden und erscheint auch insofern als absurd und widersprüchlich, als der Berufungswerber zu einem späteren Zeitpunkt - nämlich, im Zuge der Schilderung seiner Fluchtgründe - angab, daß mehrere Personen auf der Landwirtschaft seines Vaters beschäftigt waren.

Der beim erkennenden Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates entstandene Eindruck, i.e., daß der Berufungswerber nicht aus Sierra Leone stammt, wurde schließlich noch dadurch verstärkt, daß er - zur Regenzeit seiner Heimatregion befragt - antwortete: "März, April und dann Oktober" und steht nach behördlichem Dokumentationsmaterial (siehe Akt) jedoch fest, daß die Regenperiode in Sierra Leone von Mai bis Oktober dauert. Nicht zu überzeugen vermochte der Berufungswerber auch hinsichtlich der landschaftlichen Beschreibung seiner Heimatregion, erklärte er doch, daß das Gebiet flach wäre, es jedoch auch einige Hügel gäbe, wohingegen sich bereits aus der Landkarte unschwer ersehen läßt, daß die Region um Buedu gebirgig ist.

Schlußendlich bleibt zu erwähnen, daß der Berufungswerber Flüsse oder benachbarte Dörfer nicht namhaft machen konnte und vermochte er ebenso wenig den Begriff "Gbandees" - einer ausschließlich in Buedu beheimateten ethnischen Gruppe - gedanklich einzuordnen.

Eine Gesamtbetrachtung zugrundelegend, steht für das erkennende Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates daher außer Zweifel, daß der Berufungswerber nicht aus Sierra Leone stammt. Es liegen viel mehr - vor allem sprachliche - Anhaltspunkte dafür vor, daß der Berufungswerber Staatsangehöriger Kameruns ist."

Diese Beweiswürdigung hält der dem Verwaltungsgerichtshof insoweit zukommenden Schlüssigkeitsprüfung aus folgenden Erwägungen nicht stand:

Bei der Interpretation der Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Sprachkenntnissen lässt die belangte Behörde unbeachtet, dass der Beschwerdeführer auf die Frage, "wie zu Hause" gesprochen worden sei, angegeben hat: "Wir haben Krio, d.h., Pidgeon-English miteinander gesprochen. Meine Mutter konnte die Stammessprache nicht und mein Vater hat lange Zeit in Kamerun gelebt, daher haben wir zu Hause nur dieses Pidgeon-English gesprochen." Nach Fragen des Dolmetschers zur Überprüfung, ob der Beschwerdeführer "die kreolische Sprache" beherrsche, heißt es im Protokoll:

"Der Dolmetscher für Krio stellt fest, dass die vom BW gesprochene Sprache eher einem kamerunischen Pidgeon-English als der kreolischen Sprache ähnelt. Ebenso stellt der Dolmetscher typische Ausdrücke des nigerianischen Pidgeon-English fest."

Darauf hin erklärte der Beschwerdeführer neuerlich, dass er neun Jahre in Kamerun gelebt habe und dort Pidgeon-English - vor allem mit seiner Familie - gesprochen habe. Nach der Aufforderung an den Beschwerdeführer, die kreolischen Ausdrücke für "Bus" und "Blue-Jean" zu nennen, ist weiter protokolliert:

"Dolmetscher für Krio (D): Mein Eindruck ist, dass der BW mehr vom kamerunesischen Pidgeon-English versteht als Krio, er hat ja nach eigener Aussage auch 9 Jahre in Kamerun gelebt. Er versteht die grundlegenden Wörter in Krio nicht."

Letzteres bestritt der Beschwerdeführer, er "verstehe ein paar, aber nicht alle." Er habe seit frühester Kindheit mit seiner Mutter immer "dieses kamerunesische English" gesprochen. Als sie dann nach Sierra Leone zurück gegangen seien, habe er "alles neu" lernen müssen. Wäre er in Sierra Leone, dann könnte er die Sprache täglich üben.

Vor diesem Hintergrund kann bei der gebotenen differenzierenden Beurteilung im vorliegenden Fall zunächst nicht gesagt werden, der Beschwerdeführer habe zur Untermauerung seiner Herkunftsangaben wahrheitswidrig behauptet, er spreche Krio, und bei einer Konfrontation mit einem Dolmetscher für diese Sprache habe sich herausgestellt, dass dies nicht der Fall sei. Davon dürfte die belangte Behörde aber (auch) ausgegangen sein. Den Ausführungen des Beschwerdeführers, der bereits in erster Instanz nur Kenntnisse in "Pidgin-Englisch" behauptet hat, ist zu entnehmen, dass er auch in der Berufungsverhandlung - seine angeblichen Krio-Kenntnisse selbst wieder relativierend - dabei geblieben ist, indem er einräumte, dass er mit seiner Familie "dieses kamerunesische English" gesprochen habe. Die Frage inwieweit sich "Krio" und das "kamerunesische Pidgin-English" unterscheiden, wurde in der Verhandlung mit dem Dolmetscher auch nicht weiter erörtert. Dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0398, ist zu entnehmen, dass sich der dort im Berufungsverfahren beigezogene Dolmetscher in einem insoweit vergleichbaren Fall zu dieser Frage geäußert hat und seine Erklärungen wie folgt protokolliert wurden:

"Es gebe ein Westafrikanisches Pidgin-Englisch, das in Ghana, Nigeria, Sierra Leone, Camerun und Liberia gesprochen werde. Dieses Pidgin-Englisch sei jeweils durch einen besonderen Tonfall gekennzeichnet. Der in Sierra Leone gesprochene Tonfall werde als Krio bezeichnet."

Den Umstand, dass der Beschwerdeführer ein Pidgeon-English mit einem - nach den zuletzt wiedergegebenen Ausführungen - anderen als in Sierra Leone, nämlich in Kamerun üblichen Tonfall spricht, hat er mit seinem Aufenthalt in Kamerun während der Kindheit bis zum 10. Lebensjahr und mit der Abstammung seiner Mutter aus Kamerun, weshalb diese Sprache innerhalb der Familie auch noch nach der Rückkehr nach Sierra Leone verwendet worden sei, gerechtfertigt. Dem angefochtenen Bescheid ist nicht zu entnehmen, dass die belangte Behörde dieses Vorbringen nicht geglaubt hätte. Vielmehr hat sie lediglich unterstellt, dass im Hinblick auf den nachfolgenden Aufenthalt des Beschwerdeführers in Sierra Leone in der Dauer von vierzehn Jahren "von der Beherrschung zumindest einer gebräuchlichen Landessprache realistischerweise durchaus ausgegangen werden kann." Die belangte Behörde hat nicht offen gelegt, worauf sich diese Annahme stützt. Mit dem Umstand allein, dass "auf der Landwirtschaft seines Vaters mehrere Personen beschäftigt waren", und dass deshalb eine Beschränkung des Kontaktes des Beschwerdeführers auf seine Familie für ausgeschlossen angesehen wurde, lässt sich diese Annahme jedenfalls nicht nachvollziehbar begründen. Da sich die belangte Behörde dabei nur auf "die Grundsätze der allgemeinen Lebenserfahrung" berufen hat, obwohl die Einschätzung der konkreten Gegebenheiten ohne diesbezügliches Spezialwissen wohl kaum möglich scheint, reduziert sich dieser Begründungsteil nämlich auf eine bloße Spekulation, wobei im Übrigen in Betracht zu ziehen gewesen wäre, ob sich der Beschwerdeführer mit dem von ihm gesprochenen Pidgeon-English nicht auch in Sierra Leone hat verständigen können. Dann gewänne nämlich sein Einwand, die Aneignung der "Landessprache" sei eine "persönliche Sache, wenn ich kein Interesse an etwas habe, dann lerne ich etwas nie", an Bedeutung. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang aber vor allem, dass die maßgebliche Frage, ob eine Person mit der behaupteten Lebensgeschichte des Beschwerdeführers "Krio" oder eine Stammessprache (etwa "Kissi") jedenfalls in einem über seine tatsächlichen Kenntnisse hinausgehenden Umfang beherrschen müsste, nur von einem Sachverständigen zu lösen ist (vgl. in diesem Sinn das bereits zitierte Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0398). Ohne eine solche sachverständige Beurteilung hätte die belangte Behörde die Herkunft des Beschwerdeführers aus Sierra Leone mit dem Hinweis auf fehlende Sprachkenntnisse somit noch nicht verneinen dürfen.

Was die weiteren, nur zur "Verstärkung" herangezogenen Argumente der belangten Behörde betrifft, sind diese - für sich genommen - aber auch nicht geeignet, zur Frage der Herkunft des Beschwerdeführers aus Sierra Leone entscheidend beizutragen. Zunächst wurde die Antwort des Beschwerdeführers zur Regenzeit im angefochtenen Bescheid insoweit verkürzt wiedergegeben, als er der Angabe "März, April und dann Oktober" noch hinzugefügt hat, "manchmal beginnt sie früher und manchmal später." Der Beschwerdeführer wurde nach der Regenzeit "in seiner Region" gefragt, während die belangte Behörde der dazu ergangenen Antwort ihre Kenntnisse über die Regenzeit "in Sierra Leone" entgegensetzt. Abgesehen davon, dass dem Beschwerdeführer das dieser Beurteilung zu Grunde gelegte "Dokumentationsmaterial" in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich vorgehalten wurde, hat die belangte Behörde auch allfällige regionale Unterschiede in der Intensität der Regenperioden nicht in Betracht gezogen, was aber die abweichenden Angaben des Beschwerdeführers unter Umständen erklären könnte. Weiters lässt sich nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes an Hand der in den Verwaltungsakten befindlichen Landkarten nicht - wie die belangte Behörde meint - "unschwer ersehen", dass die Heimatregion des Beschwerdeführers "gebirgig" sei. Vielmehr scheint nicht ausgeschlossen, dass es sich um Geländeformen (Hochplateau, Hügelland) handelt, die mit der Aussage des Beschwerdeführers, das Gebiet sei "flach, es gibt allerdings auch einige Hügel", in Einklang gebracht werden könnten. Auch die dem Beschwerdeführer vorgehaltene Auffassung, bei den "Gbandees" handle es sich um eine ausschließlich in Buedu beheimatete ethnische Gruppe ist in den im Akt befindlichen Unterlagen bereits relativiert. Diesen ist nämlich als Replik auf diese Meinung auch der näher begründete Standpunkt zu entnehmen, dass - wenn Gbandees in großer Zahl jemals in Buedu gelebt haben sollten - das sehr lange her sein müsste und dass sie heute nicht mehr identifiziert werden könnten. Schließlich führt die belangte Behörde ins Treffen, der Beschwerdeführer habe Flüsse oder benachbarte Dörfer nicht namhaft machen können. Dabei bleiben aber die - auch bereits in erster Instanz - zum Teil gezeigten Kenntnisse des Beschwerdeführers zu Fragen betreffend Sierra Leone völlig ausgeblendet, worauf auch die Beschwerde zutreffend hinweist. Ohne deren Einbeziehung lässt sich aus punktuellen Wissenslücken bei Bedachtnahme auf die geringe Schulbildung des Beschwerdeführers nichts gewinnen.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die belangte Behörde ihre Annahme, der Beschwerdeführer stamme nicht aus Sierra Leone und die behaupteten Fluchtgründe seien schon deshalb, ohne dass es einer Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen Vorbringen bedürfe, als wahrheitswidrig anzusehen, nicht schlüssig begründet hat. Im Hinblick auf diesen Begründungsmangel war daher der erste, die Bestätigung der Abweisung des Asylantrages betreffende Spruchteil des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid bei der Wiedergabe des Verfahrensganges zwar erwähnt, dass das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer mit dem nach § 8 AsylG vorgenommenen Ausspruch Abschiebungsschutz gewährt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt hat. Dessen ungeachtet und trotz der nur gegen die Abweisung des Asylantrages erhobenen Berufung hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid eine - gegenteilige - Feststellung über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone getroffen, obwohl sie dazu angesichts des rechtskräftigen Ausspruches des Bundesasylamtes nicht zuständig gewesen wäre (vgl. zum "contrarius actus" nach gewährtem Refoulement-Schutz im Übrigen das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0256, und die daran anschließende Rechtsprechung, etwa das Erkenntnis vom 14. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0017).

In Bezug auf diesen Spruchteil, der im Übrigen unzulässig auf eine Feststellung gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 FrG beschränkt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 2000/20/0150, mit weiteren Hinweisen), war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen der amtswegig wahrzunehmenden Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 26. November 2003

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Beweismittel Sachverständigenbeweis Besonderes Fachgebiet Beweismittel Sachverständigengutachten Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis Spezielle Zuordnung offen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000200483.X00

Im RIS seit

25.12.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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