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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde 1. des J, geboren 1959, 2. des J, geboren 1989, und 3. des J, geboren 1992, alle in Lafnitz, vertreten durch Dr. Erwin Fidler, Rechtsanwalt in 8230 Hartberg, Schildbach 111, gegen Spruchpunkt I. des am 3. Juli 2001 verkündeten und am 16. Jänner 2002 schriftlich ausgefertigten Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 215.429/18-I/02/02, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Anfechtung (Spruchpunkt I.) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Erstbeschwerdeführer und seine zwei minderjährigen Söhne, die Zweit- und Drittbeschwerdeführer, sind Staatsangehörige von Afghanistan aus einem Dorf in der Gegend von Behsud und Angehörige der Volksgruppe der Hazara. Sie reisten ihren Angaben zufolge am 1. September 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragten am 2. September 1999 Asyl. Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 18. Oktober 1999 gab der Erstbeschwerdeführer an, er sei von 1981 bis 1992 Polizeiunteroffizier und seit 1992 Mitglied der "Vahdat-Partei" gewesen. Sein Bruder habe 1994 eine bewaffnete Einheit der "Vahdat-Partei" angeführt, die u.a. gegen die Taliban gekämpft habe. Nach der Tötung seines Bruders durch die Taliban habe der Erstbeschwerdeführer etwa im Frühjahr 1995 einen Nachruf geschrieben, der bei der (zu ergänzen: späteren) Erstürmung seines Heimatortes den Taliban in die Hände gefallen sei. Die "richtigen Schwierigkeiten" des Erstbeschwerdeführers hätten begonnen, als die Taliban etwa Mitte 1998 endgültig die Macht übernommen hätten. Als sie in das Heimatgebiet des Erstbeschwerdeführers gekommen seien, hätten alle "Hasaren" Probleme bekommen. Die Taliban hätten auch nach dem Erstbeschwerdeführer wiederholt gesucht, er sei aber gewarnt gewesen und habe sich nicht mehr zu Hause aufgehalten. Die Taliban hätten das ganze Dorf niedergebrannt. Sie hätten einen unbändigen Hass auf die "Hasaren". Der Erstbeschwerdeführer habe sein Haus im Juni 1999 verlassen, weil es von den Taliban gestürmt worden sei, und sich etwa einen Monat lang in verschiedenen Dörfern aufgehalten. Danach habe er zusammen mit seinen beiden Söhnen Afghanistan verlassen. Im Falle einer Rückkehr befürchte er allein schon auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit von den Taliban getötet zu werden.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 27. Jänner 2000 die Asylanträge gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der drei Beschwerdeführer nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für zulässig. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Erstbeschwerdeführer sei "lediglich den Demütigungen und Benachteiligungen einer Verliererpartei ausgesetzt" gewesen, mit der (gemeint: denen) jedoch "alle Hasaren konfrontiert" seien. Den zunächst von ihm genannten, auf eine "etwaige Einzelverfolgung" hindeutenden Umständen fehle "ein konkreter Bezug zur Gegenwart". Seine aktuellen Fluchtgründe stelle der Erstbeschwerdeführer auf die "allgemein schlechte Situation der Hasaren nach der militärischen Niederlage gegen die Taliban ab". Derartige Umstände könnten nicht zur Gewährung von Asyl führen. Zur Entscheidung gemäß § 8 AsylG führte das Bundesasylamt aus, der Erstbeschwerdeführer mache eine Bedrohung "ausschließlich als Konsequenz aus einem von Ihnen behaupteten generell, für die Behörde als solches aber nicht nachvollziehbaren, auf alle Angehörigen der hasarischen Volksgruppe zutreffendem Bedrohungsbild geltend". Eine individuell gegen den Erstbeschwerdeführer gerichtete "Sanktion" sei auf Grund seines Vorbringens "nicht zu erwarten".
In der Berufung gegen diese Entscheidung brachte der Erstbeschwerdeführer vor, er sei persönlich immer wieder von den Taliban und deren lokalen Hazara-Verbündeten, die mit der Hezb-e Wahdat verfeindet seien, gesucht worden. Sie hätten ihn töten wollen. Er sei gegen beide Seiten politisch aktiv gewesen und außerdem Schiite und Hazara. Jeder Hazara sei für die Taliban verdächtig und ein potenzieller Feind. Wenn er und seine beiden Söhne sich im Herrschaftsgebiet der Taliban befänden, würden sie sofort getötet.
In der Berufungsverhandlung am 22. März 2001 wurde der Erstbeschwerdeführer unter Beiziehung eines Sachverständigen einer detaillierten Befragung zu seinen Behauptungen unterzogen.
Nach der Vertagung der Verhandlung richtete die belangte Behörde am 11. Juni 2001 u.a. folgendes Schreiben an den Sachverständigen:
"Sehr geehrter Herr Dr. Rasuly,
in Ergänzung zu Ihrem Gutachten vom 8.3. d.J. zur Situation der Hazaras in Afghanistan unter dem Taliban-Regime bitte ich um Beantwortung folgender Fragen:
1.) Können Sie die Gründe näher anführen, warum Sie - auch im Lichte der jüngsten Ereignisse (insbesondere des Massakers an Hazaras in Yakoalang zu Anfang dieses Jahres oder der Zerstörung der Buddha-Statuen in Barmiyan im Siedlungsgebiet der Hazaras im März d.J.) - nicht von einer allgemeinen Verfolgung der Hazaras nur wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ohne Hinzutreten sonstiger (vor allem politischer oder religiöser) in der individuellen Sphäre des Asylwerbers gelegener Gründe, ausgehen, vor allem in den von Ihnen angeführten Gebieten wie Kabul, Ghazni, Hazarajat und Mazar-e Sharif?
2.) Gilt diese o.a. Einschätzung, dass Sie eine allgemeine Verfolgung der Hazaras nur wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausschließen, nur für die gegenwärtige Situation oder auch als Prognose für einen absehbaren - zumindest mittelfristigen - Zeitraum? Wenn ja, auf Grund welcher Annahmen begründet sich diese Prognose?
Um Vorlage des Befundes und des Gutachtens innerhalb einer Frist von 14 Tagen darf gebeten werden."
In der fortgesetzten Berufungsverhandlung am 3. Juli 2001 gab der Sachverständige u.a. an, er habe Recherchen angestellt und werde dem Verhandlungsleiter das schriftliche Gutachten in den nächsten Tagen übermitteln. Er könne sich aber mündlich wie folgt äußern:
"Betreffend der allgemeinen Verfolgung der Hazaras:
Mein Gutachten vom 08.03.2001 hinsichtlich der Situation der Hazaras in Afghanistan besitzt auch heute seine Gültigkeit. Ich gehe deshalb von einer allgemeinen Verfolgung der Hazaras nicht aus, weil schließlich die Mehrheit der Hazaras in Afghanistan leben und ein Teil der politischen Bewegung der Hazaras, vor allem der Hezb-e Wahdat, wie die Akbari-Fraktion, mit den Taliban zusammen arbeitet. Im Übrigen verweise ich auf die näheren Ausführungen in meinem Gutachten vom 08.03.2001."
Nach weiteren Ausführungen des Sachverständigen zu ihm von der belangten Behörde (u.a. in einem zweiten Schreiben vom 11. Juni 2001) gestellten Fragen verkündete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, mit dessen erstem Spruchpunkt sie die Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG abwies. In zwei weiteren Spruchpunkten erklärte sie - anders als das Bundesasylamt - die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für unzulässig und erteilte ihnen gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
Am 6. September 2001 langte bei der belangten Behörde das schriftliche Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 1. September 2001 ein, worin er sich u.a. dazu äußerte, weshalb man "weiterhin nicht von einer Gruppenverfolgung der Hazaras ausgehen" könne, auch wenn diese "verstärkten Diskriminierungen ausgesetzt" seien. Zwar sei "die Zivilbevölkerung in Krisensituationen (z.B. wenn ein Krieg zwischen der Hezb-e Wahdat und den Taliban stattfindet) in den Kriegszonen einer quasi allgemeinen Verfolgung ausgesetzt". In den "befriedeten Gebieten (d.h. den von den Taliban kontrollierten Gebieten)" könne "man nicht von einer quasi allgemeinen Verfolgung ausgehen. Aber die Herrschaft der Taliban ist wegen der noch immer bestehenden militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und der Hezb-e Wahdat, von einem allgemeinen Misstrauen gegenüber den Hazaras gekennzeichnet". Den "Begriff der allgemeinen Verfolgung bzw. der Gruppenverfolgung" leite der Sachverständige "als Sachverständiger mit einer politologischen Ausbildung" aus seinen "Recherchen und Analysen der aktuellen Vorgänge in Afghanistan ab". Demnach lebe "die Mehrheit der Hazaras in Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban und einige Hezb-e Wahdat Kommandanten, wie Akbar, kooperieren mit den Taliban". Diese Tatsache werde "auch durch die Angaben von Hazara-Berufungswerbern belegt, wenn sie angeben, dass ihre Familienmitglieder, einschließlich die männlichen Mitglieder, noch im Hazarajat oder in Kabul leben".
Mit Beschluss vom 19. November 2001 leitete der Verwaltungsgerichtshof über die am 15. November 2001 eingelangte Beschwerde gegen den am 3. Juli 2001 mündlich verkündeten Bescheid das Vorverfahren ein.
In der schriftlichen Bescheidausfertigung vom 16. Jänner 2002 folgte die belangte Behörde dem individuellen Vorbringen des Erstbeschwerdeführers nur in Bezug auf seine Volksgruppenzugehörigkeit und sein schiitisches Glaubensbekenntnis sowie dahin gehend, dass er über einen höheren Bildungsabschluss verfüge. Sie begründete dies (auf den Seiten 11 bis 16 der Bescheidausfertigung) mit einer Reihe von ihr wahrgenommener Widersprüche und sonstiger Unzulänglichkeiten der Aussage des Erstbeschwerdeführers und der von ihm vorgelegten Beweismittel.
In Bezug auf das Verfolgungsrisiko für Hazara unter den Taliban gab die belangte Behörde - im Rahmen umfangreicherer Feststellungen über die Lage in Afghanistan - zunächst die oben zitierten Ausführungen des Sachverständigen in der Verhandlung am 3. Juli 2001 wieder. Ergänzend dazu traf sie Feststellungen, die sich im Wesentlichen auf "Rasuly ... zuletzt ders., Gutachten vom 8.3.2001 zur Situation der Hazaras in Afghanistan unter dem Taliban-Regime" stützten. Diese Feststellungen bezogen sich u.a. auf den "Blutrausch" der Taliban bei der Einnahme von Mazar-e Sharif im August 1998 sowie auf die Vorgänge in Bamiyan im September 1998 und im Mai 1999. Erwähnt wurden auch Massaker der Taliban im Gebiet des Robatak-Passes im Mai 2000 sowie - im Anschluss an die Feststellung, dass die Konflikte Ende 2000 "wieder zu eskalieren begonnen" hätten - in Yakawlang im Jänner 2001. Dieses "jüngste Massaker" habe zu scharfer Kritik der Vereinten Nationen geführt. Kofi Annan spreche von "widespread summary executions of Hazara civilians by the Taleban, who apparently accused the local population of supporting the Hezb-e Wahdat". Human Rights Watch komme nach umfangreichen Recherchen über die Massaker zu dem Schluss, die Massaker gäben Anlass zu schwer wiegenden Bedenken ("grave concerns") hinsichtlich der Sicherheit insbesondere der Hazara-Bevölkerung in den von den Taliban beherrschten Gebieten. Es zeige sich ein Muster ("pattern") der Einschüchterung von Minderheiten durch willkürliche Verhaftungen und summarische Exekutionen männlicher Zivilisten.
Daran anschließend gab die belangte Behörde Ausführungen des Sachverständigen zur "gegenwärtigen Verfolgungsgefahr für die Hazaras in Afghanistan" wieder, die u.a. davon handelten, dass die "Hazaras in Krisenzeiten (wenn ein militärischer Konflikt zwischen den Hazaras und den Paschtunen ausgetragen wird) ... nicht sicher" seien, weil man sie an ihren Gesichtszügen erkenne.
"Zusammenfassend" kam die belangte Behörde jedoch zu dem Ergebnis, es könne
"davon ausgegangen werden, dass trotz der erhöhten Diskriminierung der Hazaras unter den Taliban nicht von einer allgemeinen Verfolgung nur wegen deren ethnischer Zugehörigkeit ohne Hinzutreten sonstiger (vor allem politischer oder religiöser) in der individuellen Sphäre des Asylwerbers gelegener Gründe gesprochen werden kann. Dies deshalb, da auch gegenwärtig noch in Kabul, Ghazni, Hazarajat und in Mazar-e Sharif jedenfalls mehr als die Hälfte der ursprünglichen Hazara-Bevölkerung lebt (auch ohne Berücksichtigung der Hazaras, die sich wie die Gefolgsleute von Akbari, den Taliban angeschlossen haben), sowie da nach dem Vorbringen der Berufungswerber in einer Vielzahl von Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zwar diese selbst, nicht aber andere in ihrer Nachbarschaft lebende Hazaras oder sogar andere Familienangehörige politisch gefährdet gewesen seien".
Zu diesem Abschnitt ihrer Feststellungen zitierte die belangte Behörde nicht die Ausführungen des Sachverständigen in dem Ergänzungsgutachten vom 1. September 2001, sondern eine Fußnote im Gutachten vom 8. März 2001. Allgemein führte sie zur Beweiswürdigung aus, die schlüssigen, plausiblen und nachvollziehbaren Angaben in den herangezogenen Quellen ergäben ein stimmiges Gesamtbild, an dessen Richtigkeit nicht zu zweifeln sei. Es seien weder von den Parteien Umstände vorgebracht worden, noch hätten sich Anhaltspunkte ergeben, "auf Grund derer sich die Feststellungen zur Situation in Afghanistan in nachvollziehbarer Weise als unrichtig erwiesen hätten." Nur vollständigkeitshalber werde angemerkt, dass die Feststellungen auch mit dem "im Rahmen des Berufungsverfahrens in Auftrag gegebenen schriftlichen Gutachten" übereinstimmten. Dieses Gutachten sei aber "seinem wesentlichen Inhalt nach primär für ein Asylverfahren eines anderen Berufungswerbers bestimmt, bei dem der Sachverständige aus Sicherheitsgründen nicht bei dessen Verfahren mitwirken konnte".
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, mangels Glaubwürdigkeit des individuellen Vorbringens des Erstbeschwerdeführers bleibe "als einziger allenfalls verfolgungsauslösender Umstand", dass er "ein männlicher Hazara und Schiite" sei. Daraus ergebe sich aber nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung. Die Volksgruppe der Hazara sei zwar im August 1998 in Mazar-e Sharif der "Massenverfolgung und Massenvernichtung" ausgesetzt gewesen, doch könne "nunmehr, d.h. zum Zeitpunkt des mündlich verkündeten Bescheides am 3.7.2001, nicht eine allgemeine asylrelevante Verfolgung der Hazaras festgestellt werden". Vielmehr habe es schon im November 1998 eine Spaltung der Hazara gegeben, wobei sich einige ihrer Kommandanten mit den Taliban verbündet hätten. Dies habe "wiederum die internationalen Befürchtungen einer Fortsetzung der Massenverfolgung der Hazaras von 1998 relativiert. Da somit nicht jeder Hazara in Afghanistan unabhängig von individuellen Momenten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht ist, ist eine aus zielgerichteten Maßnahmen gegen Hazaras abgeleitete Verfolgungsgefahr zu verneinen". Frühere gegenteilige Berichte stammten aus einer Zeit, in der "Hazaras noch Massenverfolgungen durch die Taliban ausgesetzt waren bzw. noch nicht mit erforderlicher Sicherheit von einem genügend nachhaltigen Haltungswandel der Taliban gegenüber den Hazaras ausgegangen werden konnte."
Dem folgten - vor einem Hinweis, dass der Sachverständige eine allgemeine Verfolgung von Hazara "auch in der Berufungsverhandlung" ausgeschlossen habe - noch folgende Ausführungen:
"Den - zum Zeitpunkt des mündlich verkündeten Bescheids am 3.7.2001 - erschienenen Berichten internationaler Medien kann indessen eine Massenverfolgung von Hazaras nicht entnommen werden. Die Wahrscheinlichkeit asylrelevanter Übergriffe im Zusammenhang mit der Volksgruppenzugehörigkeit hängt nach den o.a. schlüssigen Ausführungen vielmehr von verschiedenen im Einzelfall zu beurteilenden zusätzlich hinzu tretenden Faktoren ab, wie beispielsweise einer politischen Betätigung im Rahmen der Hezb-e Wahdat (s. dazu das vom Sachverständigen im Rahmen der Berufungsverhandlung vom 3.7.2001 erstattete mündliche Gutachten sowie konkretisierend auch sein schriftliches Gutachten an den unabhängigen Bundesasylsenat vom 1.9.2001, S. 4) oder allgemeiner einer nach außen für die Taliban wahrnehmbaren feindlichen gegen sie gerichteten Haltung, etwa durch unmittelbare Beteiligung an Kampfeinsätzen, bei denen Taliban oder Paschtunen umkamen (s. hierzu u.a. auch zuletzt Rasuly, Gutachten an den unabhängigen Bundesasylsenat vom 31.8.2001, S. 7; s.a. sein bereits erwähntes Gutachten vom 3.7.2001), also einer dadurch (unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung. Maßnahmen der Taliban gegen Hazaras sind somit individueller Natur und nicht solche, die gegen die gesamte Gruppe der Hazaras gerichtet sind."
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides gerichtete Beschwerde erwogen:
1. Vorweg ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat (vgl. in diesem Zusammenhang etwa die hg. Erkenntnisse vom 12. Mai 1999, Zl. 98/01/0455, und vom 20. Oktober 1999, Zl. 99/01/0117).
2. Die Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde zur Gefährdung der Volksgruppe des Beschwerdeführers stützen sich weitgehend auf das in dem zitierten Schreiben der belangten Behörde an den Sachverständigen vom 11. Juni 2001 und in der fortgesetzten Berufungsverhandlung vom Sachverständigen erwähnte schriftliche Gutachten vom 8. März 2001. Dass dieses Gutachten dem Beschwerdeführer vor der Verkündung des Bescheides - über die Erwähnung in der Verhandlung hinaus - zur Kenntnis gebracht wurde, ist den vorgelegten Verwaltungsakten nicht entnehmbar. Das mit 8. März 2001 datierte Gutachten findet sich in den Verwaltungsakten - ohne Zuordnung als Beilage zu einem der Verhandlungsprotokolle - in einer Fassung ("aktualisierte Fassung"), die von der zur hg. Zl. 2002/20/0090 vorgelegten Originalfassung ("Neue Fassung") vom 8. März 2001 zum Teil nicht unerheblich abweicht. Im Besonderen enthält sie - in der von der belangten Behörde zitierten Fußnote zu ihrer Einleitung - als "Anmerkung" die von der belangten Behörde in dem zitierten Schreiben vom 11. Juni 2001 erörterten und der Bescheidausfertigung zu Grunde gelegten Ausführungen über das Fehlen einer "allgemeinen Verfolgung" der Volksgruppe des Beschwerdeführers. Diese Ausführungen wurden ihrem wesentlichen Inhalt nach in einer Berufungsverhandlung am 9. März 2001 bei Erörterung der Originalfassung des Gutachtens, in der sie noch nicht enthalten waren, protokolliert. Hiezu wird auf das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2002/20/0090, verwiesen. Ob sich die Ausführungen des Sachverständigen in der Berufungsverhandlung am 3. Juli 2001 auch im vorliegenden Fall noch auf die Originalfassung des Gutachtens bezogen, geht aus den Akten nicht hervor.
3. Der belangten Behörde war - wie aus dem zitierten Schreiben an den Sachverständigen vom 11. Juni 2001 und aus den diesbezüglichen Feststellungen in der Bescheidausfertigung hervorgeht - bewusst, dass das Massaker der Taliban an männlichen Angehörigen der Hazara in Mazar-e Sharif im August 1998 nicht vereinzelt geblieben war, sondern sich vergleichbare Vorfälle - wenngleich mit geringeren Opferzahlen - auch danach noch wiederholt ereignet hatten, wobei die belangte Behörde im Besonderen - und zu Recht - auf das "Massaker an Hazaras in Yakoalang" im Jänner 2001 Bezug nahm. Bei diesem Vorfall, der in einem Bericht des UN-Sonderberichterstatters Kamal Hossain vom 27. März 2001 (E/CN.4/2001/43/Add.1) behandelt und zuvor schon in den im Gutachten vom 8. März 2001 zitierten Quellen (sowie zahlreichen weiteren Medienberichten) beschrieben worden war, wurden - ähnlich wie im August 1998 in Mazar-e Sharif - im Zuge einer Suche von Haus zu Haus männliche (insbesondere junge) Hazara-Zivilisten zusammengetrieben und erschossen. Erschossen wurden auch Delegationen älterer Hazara, die mit den Taliban verhandeln wollten. Der Bericht des UN-Sonderberichterstatters brachte dies - ähnlich wie die im Sachverständigengutachten und in der Bescheidausfertigung zitierte Stellungnahme von Human Rights Watch - in Verbindung mit weiteren, insgesamt ein Verhaltensmuster der Taliban ergebenden Vorfällen aus der Zeit nach dem Massaker von Mazar-e Sharif ("a recurrent pattern is manifest"; vgl. in diesem Zusammenhang auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2001/20/0457).
Vor diesem von der belangten Behörde zunächst auch berücksichtigten Hintergrund ist schon in Bezug auf ihre Sachverhaltsfeststellungen nicht nachvollziehbar, wie sie "zusammenfassend" zu dem Ergebnis kommt, Hazara seien zum hier maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt "ohne Hinzutreten sonstiger (vor allem politischer oder religiöser) in der individuellen Sphäre des Asylwerbers gelegener Gründe" nicht gefährdet gewesen. Lässt man beiseite, dass das Bekenntnis zur schiitischen Glaubensrichtung bei den Angehörigen dieser Volksgruppe wohl nicht als besonderer "in der individuellen Sphäre gelegener" Grund einzustufen (und bei den Beschwerdeführern jedenfalls gegeben) ist, so scheint der "in der individuellen Sphäre" gelegene Grund bei den von der belangten Behörde zuvor in Betracht gezogenen Vorfällen jeweils die Anwesenheit in einem von den Taliban frisch eroberten Gebiet gewesen zu sein. In diese Richtung geht auch die vom Sachverständigen in dem erst nach der Bescheidverkündung erstellten Zusatzgutachten versuchte Differenzierung, der sich die belangte Behörde aber nicht angeschlossen hat.
Noch schwerer sind die Rechtsausführungen der belangten Behörde mit den von ihr zunächst berücksichtigten Geschehnissen in Einklang zu bringen. Dass etwa im Zeitpunkt der Bescheiderlassung -
gegenüber den auf das Massaker von 1998 gestützten Bedenken - "mit erforderlicher Sicherheit von einem genügend nachhaltigen Haltungswandel der Taliban gegenüber den Hazaras ausgegangen werden konnte", wie die belangte Behörde zu meinen scheint, ist angesichts der Ereignisse vom Jänner 2001 nicht nachvollziehbar (vgl. zur Argumentation mit einem "Haltungswandel" der Taliban unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit die Erkenntnisse vom 21. November 2002, Zl. 99/20/0171, und vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0162 und Zl. 2001/20/0177). In Bezug auf die von den erwähnten Ereignissen betroffenen Zivilisten kann auch nicht davon die Rede sein, dass es um deren individuelle "politische Betätigung im Rahmen der Hezb-e Wahdat" gegangen wäre oder dass sie nach dem Kriterium "einer nach außen für die Taliban wahrnehmbaren feindlichen gegen sie gerichteten Haltung, etwa durch unmittelbare Beteiligung an Kampfeinsätzen" und einer "dadurch" unterstellten oppositionellen Gesinnung ausgesucht worden wären. Die von der belangten Behörde als Lösungsgesichtspunkt herangezogene Behauptung, "Maßnahmen der Taliban gegen Hazaras" seien "somit individueller Natur", findet im Sachverhalt daher keine Deckung.
Stattdessen wären genau die in dem zitierten Schreiben der belangten Behörde vom 11. Juni 2001 von ihr selbst aufgeworfenen, vom Sachverständigen aber weder in der Verhandlung noch in seinem späteren Zusatzgutachten schlüssig beantworteten Fragen zu klären gewesen. Die belangte Behörde hat sich mit diesen Fragen in der Bescheidausfertigung nicht unter nachvollziehbarer Einbeziehung der Gründe, aus denen ihr das Gutachten vom 8. März 2001 ergänzungsbedürftig erschien, befasst und sich letztlich hinter eine nicht juristisch strukturierte und prognostisch ausgerichtete, sondern nach der Selbstbeurteilung des Sachverständigen auf ein politologisches Verständnis gestützte, pauschale Einschätzung des Sachverständigen zurückgezogen.
Der angefochtene Bescheid war angesichts dieses Begründungsmangels - ohne das Erfordernis einer Auseinandersetzung mit der Beweiswürdigung zum individuellen Vorbringen des Erstbeschwerdeführers - gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben (vgl. zum Ganzen auch die schon erwähnten Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zl. 2001/20/0457 und Zl. 2002/20/0090).
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. November 2003
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001200659.X00Im RIS seit
24.12.2003