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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §28;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des G in W, geboren 1966, vertreten durch Mag. Helmut Marschitz, Rechtsanwalt in 2130 Mistelbach, Oserstraße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. April 2000, Zl. 201.142/18-II/04/00, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am 8. Oktober 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 13. Oktober 1997 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 20. Oktober 1997 gab er zur Begründung dafür, weshalb er nach der Ausreise aus Afghanistan nicht in Pakistan geblieben sei, an, er sei Tadschike und in Pakistan seien die Paschtunen in der Mehrheit. Der Beschwerdeführer habe von Feindseligkeiten und Grausamkeiten der Paschtunen gegen Tadschiken gehört. Die Paschtunen in Pakistan hielten die Tadschiken für Kommunisten. Das Leben des Beschwerdeführers wäre in Pakistan daher nicht sicher gewesen. Zu den Gründen für seine Ausreise aus Afghanistan brachte er - im zweiten Teil der Einvernahme - im Wesentlichen vor, er sei in Kabul aufgewachsen und habe von 1984 bis zum Sturz Najibullahs im Frühjahr 1992 für den Geheimdienst Khad gearbeitet. In seiner Umgebung in Kabul sei dies bekannt gewesen. Nach dem Sturz Najibullahs habe er sich, um sein Leben zu retten, nach Herat begeben, wo er bis kurz vor seiner Ausreise im September 1997 von Gelegenheitsarbeiten gelebt habe. Er sei schließlich ausgereist, weil "nirgendwo in Afghanistan Sicherheit" herrsche.
In der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. November 1997, mit dem sein Asylantrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 abgewiesen wurde, machte der Beschwerdeführer geltend, Herat sei für ihn "zunächst eine inländische Fluchtalternative" gewesen. Nach der Machtergreifung der Taliban habe er aber "das Schlimmste befürchten" müssen. Hiezu verwies er auf Ausführungen in einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, wonach ihm als ehemaligem kommunistischen Funktionär unter den Taliban die Todesstrafe drohe.
Mit Note vom 5. März 1998 hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer eine Stellungnahme von amnesty international vom 9. Dezember 1997 vor, in der es u.a. hieß, "insbesondere Angehörige des Geheimdienstes Khad" hätten mit "Repressionsmaßnahmen" der Taliban zu rechnen. Sie würden als Ungläubige betrachtet und verdienten in den Augen der Taliban die Todesstrafe. Soweit ehemalige Kommunisten in der Armee der Taliban dienten, handle es sich um Paschtunen. Die Taliban betrieben "gegenüber anderen Volksgruppen eine Politik der 'ethnischen Säuberung'". Da sie einen rein paschtunischen Staat schaffen wollten, bestehe "die Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen für Rückkehrer auch dann, wenn sie unabhängig von ihrer früheren Tätigkeit einer anderen Volksgruppe angehören".
In einer Stellungnahme vom 7. April 1998 verwies der Beschwerdeführer auf Teile dieser Ausführungen in der ihm vorgehaltenen Stellungnahme sowie auf das in der Berufung zitierte Urteil und brachte ergänzend vor, dass er seiner Vergangenheit nicht abgeschworen habe und dies auch in Zukunft nicht tun werde und schon deshalb nicht in den Machtbereich der Taliban zurückkehren könne.
In der mündlichen Berufungsverhandlung am 28. Mai 1999 gab der Beschwerdeführer an, für ihn als ehemaliges Mitglied der Geheimpolizei, das 14 Jahre lang Kampf gegen die Mujahedin geführt habe, würde die Rückkehr in das von den Taliban beherrschte Afghanistan den Tod bedeuten. Darüber hinaus machte er geltend, sein Kampf gegen die Mujahedin und die zu diesem Zweck entfaltete Tätigkeit im Geheimdienst seien politisch motiviert gewesen.
Vor der Vertagung der Verhandlung, zu der die belangte Behörde einen Sachverständigen beigezogen hatte, fasste der Verhandlungsleiter als "noch festzustellende Sachverhaltsfragen" die "Richtigkeit der Angaben des BW" sowie die "Gefährdungslage des BW, primär auf Grund der behaupteten Tätigkeit für den KHAD ..., sekundär auf Grund der behaupteten Zugehörigkeit zur tadjikischen Volksgruppe ..." zusammen.
In der fortgesetzten Verhandlung am 3. April 2000 trug der Sachverständige ein von ihm am 3. März 2000 schriftlich vorbereitetes Gutachten vor, das - abgesehen von Ausführungen über Verhältnisse im nicht von den Taliban beherrschten Nordgebiet - zunächst allgemeine Informationen über den früheren Geheimdienst Khad sowie eine Beurteilung der "Richtigkeit der Angaben des BW" und daran anschließend Ausführungen zur Gefährdung des Beschwerdeführers auf Grund seiner behaupteten Tätigkeit für den Geheimdienst enthielt. Der darauf noch folgende, nur einige Zeilen umfassende Abschnitt über die Gefährdung des Beschwerdeführers auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit erschöpfte sich - vor einem abschließenden Verweis auf nicht näher bezeichnete frühere Gutachten des Sachverständigen - in einer im Wesentlichen wiederholenden Aussage über die Gefahr, die dem Beschwerdeführer im Falle einer Wiedererkennung durch ein eventuelles "Opfer" seiner früheren Tätigkeit drohe. Der in der Verhandlung erläuterten Ansicht des Sachverständigen, dem Beschwerdeführer drohe allein wegen des Transportes von Geheimpost, die im Vordergrund seines Wirkens für den Geheimdienst gestanden sei, keine Verfolgung, pflichtete der Beschwerdeführer ausdrücklich bei. Er gab aber an, Nachbarn in Kabul hätten schon vor 1992 gemeint, die Angehörigen des Khad würden nach einem Regimewechsel Gottes Schutz benötigen, was er als gegen ihn gerichtete Drohung verstanden habe. In Herat glaube er von einem Nachbarn aus Kabul einmal gesehen worden zu sein. Kurz vor seiner Ausreise habe er sich gegenüber dem Inhaber eines Geschäftes kritisch über die Taliban geäußert, woraufhin ihm sein Gesprächspartner Hausverbot erteilt habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, jedenfalls außerhalb des "engeren früheren Wohnbezirks" des Beschwerdeführers in Kabul bestehe für diesen keine über eine entfernte Möglichkeit hinausreichende Verfolgungsgefahr wegen seiner früheren Tätigkeit für den Geheimdienst. Die am Schluss der Berufungsverhandlung zur Sprache gekommene, von den Taliban "angeordnete Verpflichtung, einen Bart zu tragen," belaste den Beschwerdeführer nicht unzumutbar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Vorweg ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat (vgl. in diesem Zusammenhang etwa die hg. Erkenntnisse vom 12. Mai 1999, Zl. 98/01/0455, und vom 20. Oktober 1999, Zl. 99/01/0117).
2. In der Beschwerde wird u.a. geltend gemacht, die belangte Behörde habe sich offensichtlich mit der politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan sowie der damit zusammenhängenden Gefährdung des Beschwerdeführers auf Grund seiner Zugehörigkeit zur tadschikischen Volksgruppe, seiner militärischen Ausbildung und seiner Geheimdiensttätigkeit nicht ausreichend auseinander gesetzt und ihre Entscheidung auf eine unrichtige Beweiswürdigung sowie mangelhafte Tatsachenfeststellungen gestützt. Hiezu verweist die Beschwerde auf ein Gutachten von Dr. Neda Forghani vom 22. Februar 2000 sowie weitere im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vorliegende Berichte, aus denen hervorgehe, dass dem Beschwerdeführer auf Grund seiner früheren Tätigkeit in Verbindung mit dem Umstand, dass er nicht Paschtune sei, Verfolgung durch die Taliban drohe. Gerügt wird u.a. das Unterbleiben der Feststellung, dass Angehörige ethnischer Minderheiten Repressionen ausgesetzt seien (vgl. dazu, soweit sich die Beschwerde auf die erwähnte Expertise vom 22. Februar 2000 stützt, deren auszugsweise Wiedergabe in dem hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2003, Zl. 2000/20/0428).
Diese Ausführungen führen die Beschwerde vor dem Hintergrund des vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringens zum Erfolg, weil die belangte Behörde es verabsäumt hat, in der Begründung ihrer Entscheidung auf die Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers einzugehen:
Der angefochtene Bescheid enthält im Anschluss an die Darstellung des Verfahrensganges und die auszugsweise Wiedergabe des Inhaltes von Niederschriften zunächst nur Feststellungen über Einzelheiten der Barttracht des Verhandlungsleiters, die der Sachverständige - in Bezug auf die "aktuelle Mindestlänge eines von den Taliban geduldeten Bartes" - "als den gegenwärtigen Vorschriften der Taliban in idealer Weise entsprechend" bezeichnet habe. In den anschließenden, vermischten Ausführungen zur beweismäßigen und rechtlichen Würdigung der Verfahrensergebnisse findet die Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers mit keinem Wort Erwähnung. Dies begründet schon angesichts des Inhaltes des Schreibens von amnesty international vom 9. Dezember 1997, das die belangte Behörde selbst dem Beschwerdeführer vorgehalten hat, einen Verfahrensmangel, dessen Vermeidung bei der Würdigung der im angefochtenen Bescheid zu beurteilenden Sachlage im Zeitpunkt seiner Erlassung eine andere Entscheidung zur Folge haben konnte. Der Beschwerdeführer hatte sich - wenngleich zunächst nur zur Abwehr des Vorhaltes der Verfolgungssicherheit in Pakistan - von Anfang an auf die behauptete Feindschaft zwischen Paschtunen und Tadschiken bezogen und war nach Vorhalt des erwähnten Schreibens von amnesty international nicht gehalten, sein Berufungsvorbringen, wonach er Herat wegen der zwischenzeitigen Machtergreifung der Taliban verlassen habe, durch die Behauptung des ihm schon vorgehaltenen Umstandes zu ergänzen, dass die Taliban einen rein paschtunischen Staat schaffen wollten und dem Beschwerdeführer im Talibangebiet auch unabhängig von seiner früheren Tätigkeit wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit Verfolgung drohe. Dem entsprechend hat die belangte Behörde die Frage einer derartigen Bedrohung des Beschwerdeführers in ihrem Resümee der Verhandlung am 28. Mai 1999 auch ohne ein weiteres Vorbringen des Beschwerdeführers als "noch festzustellende Sachverhaltsfrage" erwähnt. Das in der Folge vom Sachverständigen vorgetragene Gutachten enthielt keine in dieser Hinsicht brauchbaren Ausführungen und im Besonderen keine Auseinandersetzung mit der dem Beschwerdeführer schriftlich vorgehaltenen Berichtslage. Auf keinen Fall konnte es aber Anlass dazu geben, auf die Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers in der Begründung der Entscheidung überhaupt nicht mehr Bezug zu nehmen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. November 2003
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000200258.X00Im RIS seit
08.01.2004