TE Vwgh Erkenntnis 2003/11/27 2003/06/0176

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Veröffentlicht am 27.11.2003
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Index

L37158 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Vorarlberg;
L81708 Baulärm Vorarlberg;
L82000 Bauordnung;
L82008 Bauordnung Vorarlberg;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §8;
BauG Vlbg 2001 §28 Abs7;
BauG Vlbg 2001 §56 Abs1;
BauG Vlbg 2001 §57 Abs1;
BauRallg;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde der V in S, vertreten durch Brandtner & Reiner, Rechtsanwälte in Feldkirch, Drevesstraße 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 16. September 2003, Zl. 3-18-07/03/E8, betreffend den Verlust der Parteistellung in einem Bauverfahren (mitbeteiligte Partei: K GenmbH in S; weitere Partei des Verfahrens gemäß § 21 VwGG: Vorarlberger Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Auf Grund des Vorbringens in der Beschwerde und des vorgelegten, angefochtenen Bescheides geht der Verwaltungsgerichtshof von folgendem Sachverhalt aus:

Mit Eingabe vom 12. April 2000 beantragte die mitbeteiligte Partei bei der Bezirkshauptmannschaft Bludenz (kurz: BH) die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung einer Tiefgarage mit neuer Abfahrtsrampe für die LKW-Anlieferung bei einem bestehenden Wohn- und Geschäftsgebäude auf einer Liegenschaft in S. Die Beschwerdeführerin war damals zur Hälfte Eigentümerin und ist nunmehr Alleineigentümerin einer angrenzenden Liegenschaft.

Mit Bescheid vom 11. Mai 2000 wurde der Bauwerberin (ua.) die beantragte Baubewilligung erteilt.

Mit Antrag vom 2. Juni 2003 machte die Beschwerdeführerin geltend, dass sie im Bauverfahren als Partei übergangen worden sei und beantragte die Zustellung des Bescheides vom 11. Mai 2000.

Die BH wies diesen Antrag mit Bescheid vom 11. August 2003 mit der wesentlichen Begründung ab, die Beschwerdeführerin sei als Partei nicht übergangen worden.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung (Anmerkung: deren Inhalt wird in der Beschwerde wiedergegeben).

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge gegeben und den bekämpften erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass im Spruch die angewendeten gesetzlichen Bestimmungen wie folgt zu lauten hätten: "§ 8 AVG iVm §§ 28 Abs. 7 und 56 Abs. 1 Baugesetz, LGBl. Nr. 52/2001".

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe in ihrer Berufung gegen den abweislichen Bescheid vom 11. August 2003 im Wesentlichen vorgebracht, sie sei zur mündlichen Verhandlung am 2. Mai 2000 nicht wirksam geladen worden. Die Ladung sei an sie persönlich gegangen, sei ihr jedoch nicht zugestellt worden, weil sie sich in der fraglichen Zeit außer Landes aufgehalten habe (und zwar in Namibia und Südafrika). Sie sei in der Bauverhandlung auch nicht vertreten gewesen; der Bewilligungsbescheid vom 11. Mai 2000 sei ihr auch nicht wirksam zugestellt worden (wird näher ausgeführt).

Die belangte Behörde gehe, so heißt es im angefochtenen Bescheid weiter, von folgendem Sachverhalt aus: Die mitbeteiligte Partei habe mit Eingabe vom 12. April 2000 von der BH die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung einer Tiefgarage mit neuer Abfahrtsrampe für die LKW-Anlieferung beim bestehenden Wohn- und Geschäftsgebäude beantragt. Mit Bescheid vom 11. Mai 2000 sei (unter anderem) die beantragte Baubewilligung erteilt worden. Dieser Bescheid sei unbekämpft geblieben. Um den 7. Juli 2000 sei auf dem Baugelände mit Abbrucharbeiten und mit dem Abtrag der Humusdecke begonnen worden. Der Rohbau der Tiefgarage mit neuer Abfahrtsrampe sei im Mai 2001, das gesamte Bauvorhaben im Oktober 2001 fertig gestellt worden.

Nach Feststellungen zur Frage der Ortsabwesenheit der Beschwerdeführerin und zur Zustellung des Bescheides vom 11. Mai 2000 heißt es dann weiter, die Beschwerdeführerin habe die Zustellung des Baubescheides erstmalig mit Eingabe vom 2. Juni 2003 beantragt.

Auf Grund dessen sei die Berufung nicht berechtigt. Nehme man nämlich im Sinne des Berufungsvorbringen an, die Beschwerdeführerin sei im Bauverfahren als Nachbarin mangels wirksamer Zustellung der Kundmachung zur Bauverhandlung und des Bescheides vom 11. Mai 2000 übergangen worden, so richteten sich ihre Rechte nach jenen Bestimmungen des Vorarlberger Baugesetzes (BauG), LGBl. Nr. 52/2001, die die Rechtsstellung übergangener Parteien im Baubewilligungsverfahren näher regelten. Hierbei handle es sich um § 28 Abs. 7 BauG, im Beschwerdefall auch iVm § 56 Abs. 1 und Abs. 2 leg. cit. Nach Wiedergabe dieser Gesetzesstellen heißt es weiter, gemäß § 28 Abs. 7 BauG könnten übergangene Nachbarn nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt in das Baubewilligungsverfahren eintreten. Im Interesse der Rechtssicherheit für den Bauwerber (Hinweis auf den Motivenbericht zum BauG) bestehe nur zeitlich begrenzt die Möglichkeit, die Rechte als übergangener Nachbar durch einen Antrag auf Zustellung des Baubescheides geltend zu machen, nämlich innerhalb eines Jahres ab Beginn der Bauführung auf Grund einer dem Bauwerber rechtskräftig erteilten Baubewilligung. Diese Regelung gelte nach der Übergangsbestimmung des § 56 Abs. 1 BauG auch für ein Bauverfahren wie im Beschwerdefall, welches nach dem am 1. Jänner 2002 (richtig: mit Ablauf des 31. Dezember 2001) außer Kraft getretenen Baugesetzes 1972 geführt worden sei. Die Sonderregelung des § 56 Abs. 2 BauG treffe auf dieses Verfahren nicht zu.

Für den Fall, dass die Beschwerdeführerin im zugrunde liegenden Bauverfahren übergangen worden sei, habe sie die Zustellung des Baubescheides vom 11. Mai 2000 nicht rechtzeitig geltend gemacht. Der Beginn der Bauarbeiten für die Tiefgarage mit neuer Abfahrtsrampe, welche über Vorarbeiten im Sinne des § 27 BauG hinausgingen, sei nach dem im Verwaltungsakt dokumentierten Baubeginn und dem Baufortschritt im Zeitraum Juli bis August 2000 anzusetzen. Zu dieser Zeit habe die Bauwerberin bereits über eine ihr gegenüber rechtskräftig erteilte Baubewilligung verfügt. Die hier zugrunde liegende Antragstellung der Beschwerdeführerin vom 2. August 2003 sei weit außerhalb der dem Beginn nachfolgenden Einjahresfrist erfolgt. Die Beschwerdeführerin habe, obwohl sie nach ihrer Rückkehr von einem Auslandsaufenthalt im Juni 2000 die Bauführung auf dem benachbarten Grundstücken wahrgenommen habe bzw. habe wahrnehmen müssen, mit dieser Antragstellung annähernd drei Jahre lang zugewartet. Damit könne sie nach den zitierten Bestimmungen des (nunmehrigen) Baugesetzes die Rechte einer übergangenen Partei nun nicht mehr mit Erfolg geltend machen. Bei diesem Ergebnis komme es nicht darauf an, ob, wie die Behörde erster Instanz angenommen habe, der Bewilligungsbescheid vom 11. Mai 2000 der Beschwerdeführerin schon seinerzeit rechtswirksam zugestellt worden sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das (neue) Vorarlberger Baugesetz, LGBl. Nr. 52/2001 (BauG), ist gemäß seinem § 57 Abs. 1 am 1. Jänner 2002 in Kraft getreten.

§ 27 BauG lautet:

"§ 27

Bewilligung von Vorarbeiten

Ist aufgrund des Verfahrensstandes offenkundig, dass ein Grund für die Zurückweisung oder Abweisung des Bauantrags nicht vorliegt, kann die Behörde auf Antrag des Bauwerbers noch vor Erteilung der Baubewilligung die Vornahme bestimmter, ausdrücklich zu bezeichnender Vorarbeiten, wie Abbruch bestehender Gebäude, Planierung und Einfriedung der Baustellen, Erdaushub, Ausführung des Unterbaues bis zur Erdoberfläche, bewilligen. Gegen einen solchen Bescheid ist eine Berufung nicht zulässig."

§ 28 BauG regelt die Baubewilligung. Der Abs. 7 dieses Paragraphen lautet:

"(7) Wenn seit Beginn von Bauarbeiten, die über Vorarbeiten im Sinne des § 27 hinausgehen und die aufgrund einer dem Bauwerber rechtskräftig erteilten Baubewilligung durchgeführt werden, mehr als ein Jahr vergangen ist, verliert eine übergangene Partei, der bis dahin die Baubewilligung nicht zugestellt wurde, ihre Stellung als Partei, sofern sie nicht schon davor die Zustellung des Bescheides beantragt hat."

§ 56 BauG lautet auszugsweise:

"§ 56

Übergangsbestimmungen

(1) Bewilligungen und sonstige Berechtigungen zur Ausführung von Bauvorhaben aufgrund der bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes geltenden Vorschriften bleiben bestehen. § 28 Abs. 7, § 30 Abs. 3 zweiter Satz, § 31, § 34 Abs. 5 und die §§ 35 bis 49 sind auf derartige Bauvorhaben sinngemäß anzuwenden, soweit nicht Abs. 2 zur Anwendung gelangt.

(2) Baubewilligungs- und Bauanzeigeverfahren in Angelegenheiten dieses Gesetzes, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits eingeleitet wurden, sind nach den bisher geltenden Vorschriften zu beenden. Sonstige vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits eingeleitete Verfahren in Angelegenheiten dieses Gesetzes sind nach den bisher geltenden Vorschriften zu beenden, wenn sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes in erster Instanz bereits abgeschlossen sind.

..."

Die Beschwerdeführerin zieht nicht in Zweifel, dass die Bauwerberin die Bauarbeiten auf Grundlage der bislang unbekämpft gebliebenen Baubewilligung vom 11. Mai 2000, wie die belangte Behörde festgestellt hat, im Sommer 2000 begonnen und (im Übrigen) im Oktober 2001 fertig gestellt hat, meint aber, dass ihre (erst) mit Eingabe vom 2. Juni 2003 erfolgte Antragstellung rechtzeitig sei. Die im § 56 Abs. 1 BauG angeordnete sinngemäße Anwendung des § 28 Abs. 7 leg. cit. könne nicht bedeuten, dass mit In-Kraft-Treten des neuen Baugesetzes mit 1. Jänner 2002 die Jahresfrist bereits längst abgelaufen wäre. Die in § 56 Abs. 1 BauG angeordnete sinngemäße Anordnung des § 28 Abs. 7 könne hier nur bedeuten, dass, sofern überhaupt eine solche Befristung in Frage komme, die Frist jedenfalls erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnen könne, zu welchem einer Partei die maßgeblichen Umstände bekannt geworden seien, nämlich, dass sie in einem Verfahren als Partei übergangen worden sei. Dies sei ihr aber erst im Zuge einer Akteneinsicht am 19. Februar 2003 bekannt geworden. Damit sei der Antrag vom 2. Juni 2003 fristgerecht. Jede andere Anwendung der Bestimmung des § 28 Abs. 7 BauG auf frühere Verfahren käme einer unzulässigen "Überrumpelung" (im Original unter Anführungszeichen) einer übergangenen Partei gleich. Sei eine übergangene Partei bereits bis dahin benachteiligt gewesen, käme eine Anwendung dieser Bestimmung, wie sie die belangte Behörde vornehme, einer völligen Entrechtung gleich. Schließlich könne einer Partei nicht abverlangt werden, dass sie sich fortlaufend im Detail über neue Gesetze informiere, wobei im Fall der Beschwerdeführerin darauf hinzuweisen sei, dass sie bis Ende 2002 noch nicht anwaltlich vertreten gewesen sei und sich auch im Ausland befunden habe. (Anmerkung: an anderer Stelle der Beschwerde bringt die Beschwerdeführerin vor, sie habe sich in der Zeit vom 18. Jänner 2000 bis 6. Juni 2000 durchgehend in Afrika aufgehalten und sei auch in den Jahren 2001 und 2002 "jeweils über Monate außer Landes" gewesen). Das Berufungsverfahren sei auch mangelhaft geblieben. Die belangte Behörde habe nun die Bestimmungen des § 28 Abs. 7 BauG für sie völlig überraschend und ohne Einräumung von Parteiengehör angewendet. Hätte die belangte Behörde zu diesem völlig neuen Gesichtspunkt Parteiengehör gewährt, hätte die Beschwerdeführerin insbesondere geltend machen können, es sei für sie eben erst am 19. Februar 2003 anlässlich einer Akteneinsicht zutage getreten, dass sie als Partei übergangen worden sei, und dies, nachdem sie in den Jahren 2000, 2001 und 2002 weitgehend außer Landes und auch noch nicht rechtskundig vertreten gewesen sei, weshalb sie auch von der neuen Gesetzeslage (§ 28 Abs. 7 BauG) nichts gewusst habe.

Dem ist Folgendes zu entgegnen: § 28 Abs. 7 BauG normiert eine objektive Frist, die unabhängig vom Wissensstand des übergangenen Nachbarn zu laufen beginnt. Das hat die belangte Behörde zutreffend erkannt. Nun ist es zwar richtig, dass die gemäß § 56 Abs. 1 BauG gebotene sinngemäße Anwendung des § 28 Abs. 7 leg. cit. auf frühere Verfahren (nach dem Baugesetz 1972) nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht dazu führen kann, dass die Jahresfrist des § 28 Abs. 7 BauG bei In-Kraft-Treten des neuen Baugesetzes mit 1. Jänner 2002 bereits abgelaufen wäre. Das bedeutet aber nicht, dass in solchen Fällen der Beginn der Jahresfrist nach der subjektiven Kenntnis rechtserheblicher Umstände durch die übergangene Partei zu bestimmen wäre, weil dies dem Konzept des § 28 Abs. 7 BauG zuwider laufen würde. Mit Rücksicht auf das Gebot der sinngemäßen Anwendung dieser Norm hat die Frist vielmehr mit dem Inkrafttreten des (neuen) BauG zu laufen begonnen, also mit dem 1. Jänner 2002; eine längere Frist als ein Jahr ab diesem Inkrafttreten käme gemäß § 28 Abs. 7 BauG iVm § 56 Abs. 1 dieses Gesetzes nicht in Betracht (vgl. im Übrigen das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2000, Zl. 2000/06/0020). Die hier strittige Jahresfrist endete daher spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2002 und war daher zum Zeitpunkt der Antragstellung (mit Eingabe vom 2. Juni 2003), wie auch im Übrigen schon zum Zeitpunkt der Akteneinsicht im Februar 2003, abgelaufen. Dass die Beschwerdeführerin, wie sie vorbringt, davon nichts wusste, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern (womit auch die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zu verneinen ist, weil es auf die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Umstände nicht ankommt, zumal sich gemäß § 2 ABGB niemand mit der Unkenntnis gehörig kundgemachter Gesetze entschuldigen kann).

Da sich dies bereits aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt, war diese gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 27. November 2003

Schlagworte

Baurecht Nachbar übergangener Bauverfahren (siehe auch Behörden Vorstellung Nachbarrecht Diverses) Parteien BauRallg11/1 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Übergangene Partei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003060176.X00

Im RIS seit

30.12.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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