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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §914;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde der S R in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Dellhorn, Rechtsanwalt in Wien I, Gölsdorfgasse 2, gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 3. Juli 2003, Zl. 558/03, betreffend Versorgungsgenuss, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin ist die geschiedene Ehefrau des am 21. April 2003 verstorbenen Rechtsanwaltes Dr. X. Die Ehe war mit Beschluss des BG Y vom 28. Dezember 1995 gemäß § 55a EheG geschieden worden. Dem Scheidungsvergleich vom selben Tag ist zu entnehmen, dass der Ehe drei Kinder entstammen, nämlich die mj. P.R., geboren am 27. Dezember 1986, und zwei volljährige Kinder (geboren 1974 und 1976).
Soweit erheblich, heißt es in diesem Vergleich unter Punkt 5., der Erstantragsteller (Ehemann) verpflichte sich, der Zweitantragstellerin (Beschwerdeführerin), einen Unterhaltsbeitrag von S 12.000,-- monatlich vom 1. Jänner 1996 bis 31. Dezember 2002 und von S 5.000,-- monatlich vom 1. Jänner 2003 bis zum 31. Dezember 2005 unter näher umschriebenen Modalitäten zu bezahlen, wobei diese Beträge in einer im Vergleich näher festgehaltenen Weise wertgesichert waren.
Im Punkt 6. des Vergleiches heißt es, beide Antragsteller verzichteten wechselseitig auf jeglichen Unterhalt, aus welchem Titel auch immer ab dem 1. Jänner 2006. Der Erstantragsteller (Ehemann) verzichte per 1. Jänner 1996 auf jeglichen Unterhaltsanspruch gegenüber der Zweitantragstellerin (Beschwerdeführerin) aus welchem Titel auch immer.
Im Punkt 7. heißt es, die Zweitantragstellerin (Beschwerdeführerin) verzichte ausdrücklich auf Geltendmachung der Erhöhung des Unterhaltsanspruches mit Ausnahme der Wertsicherung, aus welchem Grunde auch immer.
Am 26. Februar 2003 schlossen die vormaligen Eheleute vor dem BG Y einen Vergleich folgenden Wortlautes (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):
"Herr (X) verpflichtet sich, ab 01.03.2003 an Frau (Beschwerdeführerin) einen monatlichen Unterhaltsbetrag in Höhe von EUR 900,-- zu bezahlen, dies jeweils am Ersten eines jeden Monats im Vorhinein".
Mit dem erstinstanzlichen Bescheid der zuständigen Abteilung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 5. Juni 2003 wurde ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin ab 1. Mai 2003 einen Rentenanspruch in der Höhe von EUR 900,-- habe. Der Rentenanspruch ende mit 31. Dezember 2005. Nach Bejahung der Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach wurde die Befristung (diese ist im Beschwerdeverfahren strittig) damit begründet, dass mit dem Vergleich vom 26. Februar 2003 keine Änderung der Dauer der Unterhaltsverpflichtung verbunden sei.
Gegen diese Befristung erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung an die belangte Behörde. Sie machte darin insbesondere geltend, sie sei 1949 geboren, und habe den Verstorbenen 1974 geheiratet (Anmerkung: das Rechtsmittel enthält die genauen Daten). Ihre minderjährige Tochter besuche die sechste Klasse Mittelschule und wohne bei ihr. Sie (Beschwerdeführerin) habe keine abgeschlossene Berufsausbildung und sei vor der Eheschließung nur unregelmäßig beschäftigt gewesen. In den Jahren 1983 bis 1995 sei sie beim Verstorbenen als Angestellte "gemeldet", aber wegen der Erziehung ihrer drei Kinder nicht durchgängig tätig gewesen. Bei der vergleichsweisen Einigung über ihre nachehelichen Unterhaltsansprüche anlässlich der Scheidung am 28. Dezember 1995 sei - soweit damals vorhersehbar - einerseits vom Ende der Schulpflicht ihrer minderjährigen Tochter und andererseits davon ausgegangen worden, dass sie eine adäquate Erwerbsmöglichkeit finden könnte. Als der Verstorbene gesehen habe, dass die Tochter für eine höhere Schule geeignet sei und, dass es ihr (Beschwerdeführerin) in ihrem Alter bei mangelnder Qualifikation und der angespannten Lage am Arbeitsmarkt trotz aller Bemühungen unmöglich gewesen sei, eine auch nur "halbwegs entlohnte Beschäftigung" zu finden, habe er von sich aus erklärt, dass mit der Alimentierung (gemäß dem Scheidungsvergleich vom 28. Dezember 1995) nicht das Auslangen gefunden werden könne. So sei es zum Vergleich vom 26. Februar 2003 gekommen, mit welchem ihr "Unterhalt betragsmäss verbessert" und die zeitliche Beschränkung des Unterhaltsanspruches gänzlich aufgehoben worden sei (es folgen Beweisanbote). Dementsprechend bestehe ihr Rentenanspruch in unbeschränkter Dauer und unterliege nur den Endigungstatbeständen des Abs. 5 der maßgeblichen Satzung.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde (ohne die in der Vorstellung angebotenen Beweise aufzunehmen) der Vorstellung keine Folge gegeben. Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin, mit dem Vergleich vom 26. Februar 2003 sei die im Scheidungsvergleich vorgesehene zeitliche Beschränkung des Unterhaltsanspruches zur Gänze aufgehoben worden, "in keiner Weise der Richtigkeit" entspreche. Die "zeitliche Limitierung des Unterhaltes" der Beschwerdeführerin sei entgegen ihrer Behauptung im Vergleich vom 26. Februar 2003 nicht erwähnt und daher auch nicht aufgehoben worden. Der spätere Vergleich betreffe nur die Unterhaltshöhe, enthalte aber keine "Feststellungen" hinsichtlich der Dauer. Der im Scheidungsvergleich vorgesehene Unterhaltsverzicht der Beschwerdeführerin sei nach wie vor aufrecht.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, der Sache nach wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten ihres Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 8 Abs. 3 der bezogenen Satzung steht geschiedenen Ehegatten eine Witwenrente nur zu, wenn
"a) der verstorbene Rechtsanwalt bis zu seinem Tod Unterhalt auf Grund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor Auflösung der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten hatte oder sich diese Unterhaltsverpflichtung auf Grund des Ausspruches im Scheidungsurteil als gesetzlicher oder auf Grund eines Scheidungsvergleiches gem. § 55 a EG vertraglicher Unterhaltsanspruch dem Grunde nach ergibt,
b)
die Ehe mindestens 15 Jahre gedauert hatte und
c)
der Ehegatte im Zeitpunkt des Eintrittes der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung auf Auflösung der Ehe das 40. Lebensjahr vollendet hatte, es sei denn, dass der Ehegatte seit dem Zeitpunkt des Eintrittes der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung erwerbsunfähig war oder nach dem Tod des Rechtsanwaltes eine Waisenrente für ein Kind aus der aufgelösten Ehe gebührt und das Kind in all diesen Fällen im Zeitpunkt des Todes des Rechtsanwaltes ständig in Hausgemeinschaft mit dem geschiedenen Ehegatten gelebt hatte. Das Erfordernis der ständigen Hausgemeinschaft entfällt bei nachgeborenen ehelichen Kindern."
Soweit die Beschwerdeführerin primär die Abänderung des angefochtenen Bescheides (im Sinne ihres Begehrens in der Vorstellung) anstrebt, und nur hilfsweise dessen Aufhebung, ist sie daran zu erinnern, dass der Verwaltungsgerichtshof im gegenständlichen Bescheid-Beschwerdeverfahren als Kassationsgerichtshof einzuschreiten hat, eine Abänderung des angefochtenen Bescheides daher nicht in Betracht kommt.
Im Beschwerdefall ist nur strittig, ob der Beschwerdeführerin zuletzt auf Grund des späteren Vergleiches vom 26. Februar 2003 ein befristeter oder aber ein unbefristeter Unterhaltsanspruch zustand. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist diese Frage auf Grund der Textierung des späteren Vergleiches nicht in ihrem Sinne spruchreif.
Ein gerichtlicher Vergleich ist einerseits ein prozessualer Akt in der Erscheinungsform eines Exekutionstitels (§ 1 Z. 5 EO). Als solcher ist seine Tragweite allein auf Grund seines Wortlautes (§ 7 Abs. 1 EO) auszulegen. Daneben ist er aber auch eine Vereinbarung zwischen den Parteien, die ihre privatrechtlichen Rechtsbeziehungen zueinander bestimmt. Als solche ist er nach den Bestimmungen der §§ 914 ff ABGB, also insbesondere auch nach dem zu Grunde liegenden Parteiwillen auszulegen. Auf letzteres kommt es im Beschwerdefall an.
Es ist richtig, dass der spätere Vergleich keine Befristung dieses Unterhaltsanspruches enthält und im Übrigen seinem Wortlaut nach in keiner Weise auf den Scheidungsvergleich vom 28. Dezember 1995 Bezug nimmt. Für sich allein betrachtet, spricht der Wortlaut des späteren Vergleiches (mangels Einschränkung) für einen unbefristeten Unterhaltsanspruch. Aber auch vor dem Hintergrund des Scheidungsvergleiches kann der spätere Vergleich wegen dieses Wortlautes (kein Hinweis auf eine Befristung und keine Bezugnahme auf den Scheidungsvergleich) nicht dahin gedeutet werden, dass er sich, wie die belangte Behörde meint, zweifelsfrei und unwiderlegbar nur auf die Höhe der Unterhaltsleistung bezöge und die im Scheidungsvergleich vorgesehene Befristung davon unberührt bleiben sollte, zumal es den vormaligen Eheleuten ja freistand, von dieser Befristung einvernehmlich abzugehen (was ja auch hinsichtlich der Unterhaltshöhe ungeachtet des Punktes 7. des Scheidungsvergleiches erfolgte). Zwar ist es immerhin möglich, dass die vormaligen Eheleute mit dem späteren Vergleich - ungeachtet seiner Textierung - die im Scheidungsvergleich vorgesehene Befristung des Unterhaltsanspruches der Beschwerdeführerin aufrecht lassen wollten; um dies festzustellen, hätte es aber einer entsprechenden Beweisaufnahme im Verwaltungsverfahren bedurft, was unterblieb. Jedenfalls war die Vorgangsweise der belangten Behörde, von einer gemäß dem Scheidungsvergleich weiterwirkenden Befristung des Unterhaltsanspruches der Beschwerdeführerin ohne Aufnahme der von ihr angebotenen Beweise auszugehen, rechtswidrig, wodurch sie den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastete, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Kostenmehrbegehren der Beschwerdeführerin war abzuweisen, weil der pauschalierte Schriftsatzaufwand bereits die Umsatzsteuer enthält (siehe dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, auf Seite 697 angeführte hg. Judikatur).
Wien, am 27. November 2003
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Verfahrensbestimmungen Beweiswürdigung AntragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2003060138.X00Im RIS seit
22.12.2003