Index
61/01 Familienlastenausgleich;Norm
BPGG 1993 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde der E in S, vertreten durch Dr. Franz Hofbauer, Rechtsanwalt in 3370 Ybbs, Hauptplatz 6, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 26. Februar 2001, RV/81-16/19/2001, betreffend Familienbeihilfe ab August 1998, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag (ab August 1998) im Instanzenzug abgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, die im Jahr 1953 geborene Beschwerdeführerin habe sich bis 6. Juni 1999 in der Niederösterreichischen Landesnervenklinik befunden, seither sei sie in der Wohngemeinschaft der ARGE Sozialdienst Mostviertel. Das Finanzamt habe den Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe abgewiesen, weil die Beschwerdeführerin iSd § 6 Abs 2 lit d FLAG in Anstaltspflege lebe. In der Berufung sei die Gewährung von Familienbeihilfe begehrt worden, da in der Unterbringung in der Wohngemeinschaft keine Anstaltspflege zu erblicken sei. In der Berufung sei auch darauf verwiesen worden, dass die Beschwerdeführerin in einem die erhöhte Familienbeihilfe übersteigenden Ausmaß zu den eigenen Lebenshaltungskosten beitrage.
Es sei unbestritten, dass die Beschwerdeführerin wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Strittig sei, ob sich die Beschwerdeführerin im Sinn des § 6 Abs 2 lit d FLAG in Anstaltspflege befinde. Anstaltspflege liege vor, wenn eine intensive Pflegebetreuung des Kindes stattfinde und eine ärztliche Betreuung möglich sei. Die Beschwerdeführerin könne sich nicht waschen und schaffe es nicht, in angemessener Zeit ihre Notdurft zu verrichten. Es stehe fest, dass die Beschwerdeführerin intensiver Pflege und laufender medizinischer Betreuung bedürfe. Erheblich behinderte Menschen, die nicht aufgrund der Verbesserung ihres Gesundheitszustandes aus der Anstaltspflege eines Krankenhauses entlassen würden, sondern aus Kostengründen in einer im Vergleich zu einer Krankenanstalt mit weniger medizinischem Aufwand betriebenen Institution untergebracht würden, benötigten deshalb nicht weniger medizinische Betreuung als während des Aufenthaltes im Krankenhaus. Im gegenständlichen Fall sei in der Wohngemeinschaft sowohl eine intensive Pflegebetreuung als auch die medizinische Versorgung durch die betreuende Institution gegeben. Die Unterbringung in der Wohngemeinschaft sei daher als Anstaltspflege zu werten. Befinde sich ein Kind in ständiger Anstaltspflege, bestehe gemäß § 6 Abs 2 lit d FLAG kein Anspruch auf Familienbeihilfe. In einem solchen Fall sei der Unterhalt bereits sichergestellt. Lediglich dann, wenn das Kind für die Kosten der Einrichtung zur Gänze selbst aufkomme oder diese Kosten durch Leistungen Dritter aufgebracht würden, könne der Anspruch auf Familienbeihilfe geltend gemacht werden. Da aber die Beschwerdeführerin aus ihrer Waisenpension und dem Pflegegeld lediglich einen Kostenbeitrag von monatlich 8.474 S zu den Pflegekosten von monatlich 29.992 S leiste, bestehe der Anspruch auf Familienbeihilfe nicht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 6 Abs 2 lit d FLAG räumt volljährigen Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe ein, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.
Wie der Verwaltungsgerichtshof seit dem Erkenntnis vom 25. April 2002, 99/15/0210, in ständiger Judikatur zu Recht erkennt, ist für die Auslegung der Tatbestandsmerkmale Anstaltspflege in Abs 2 lit d und Heimerziehung in Abs 5 des § 6 FLAG die Kostentragung entscheidend. Der Absicht des Gesetzgebers entsprechend soll in Fällen, in denen der Unterhalt einer Person durch die Unterbringung in Anstaltspflege oder in einem Heim durch die öffentliche Hand sichergestellt ist, kein Anspruch auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs 2 lit. d oder § 6 Abs 5 FLAG bestehen. Dabei kommt es nicht auf die Art der Unterbringung (Bezeichnung als Anstalt oder Heim), sondern ausschließlich auf die gänzliche Kostentragung durch die öffentliche Hand an.
Gemäß § 1 Bundespflegegeldgesetz (BPGG) hat das Pflegegeld den Zweck, in Form eines Beitrags pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen so weit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen. Es soll dazu beitragen, dass diese Personen Pflegeleistungen "einkaufen" können. Für pflegebedürftige Menschen wird dadurch die Wahlmöglichkeit zwischen Betreuung und Hilfe in häuslicher Pflege durch den Einkauf von persönlicher Assistenz und der stationären Pflege erweitert (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 776 BlgNR 18. GP 25). In jeder der sieben Stufen des Pflegegeldes steht es pflegebedürftigen Personen grundsätzlich frei, sich beispielsweise für die Pflege im häuslichen Bereich oder auch im Rahmen eines Heimes oder einer Pflegeanstalt zu entscheiden. Der Bezug von Pflegegeld stellt somit keinen Unterhaltsersatz durch die öffentliche Hand dar. Dieses wird - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - auch bemittelten Personen gewährt.
Anstaltspflege im Sinne des § 6 Abs. 2 lit d FLAG liegt somit nur dann vor, wenn der Unterhalt der behinderten Person unmittelbar und zur Gänze durch die öffentliche Hand gewährt wird. Dies ist nicht der Fall, wenn zum Unterhalt durch die untergebrachte Person selbst - etwa auf Grund eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches wie zB der Anspruch auf das Pflegegeld - beigetragen wird.
Unbestritten ist im gegenständlichen Fall, dass monatlich ein Teil des der Beschwerdeführerin zustehenden Pflegegeldes und ihrer Waisenpension für die Unterbringungskosten aufgewendet worden ist. Solcherart trifft es nicht zu, dass sich die Beschwerdeführerin zur Gänze auf Kosten der öffentlichen Hand in Anstaltspflege befunden hat. Vielmehr hat die Beschwerdeführerin auf Grund ihres Anspruches auf das Pflegegeld und auf Waisenpension zu diesen Kosten beitragen.
Die belangte Behörde hat die Rechtslage verkannt, indem sie das Bestehen eines Anspruches auf Familienbeihilfe deshalb verneint, weil sie im Beschwerdefall von Anstaltspflege im Sinn des § 6 Abs 2 lit d FLAG ausgegangen ist.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Von der Durchführung einer Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl II 333/2003.
Wien, am 27. November 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001150075.X00Im RIS seit
20.01.2004Zuletzt aktualisiert am
01.01.2009