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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Gernot Kerschhackel, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Wiener Straße 44-46/1/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 10. Dezember 2001, Zl. Fr 3310/01, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein armenischer Staatsangehöriger, reiste am 3. Juli 1998 gemeinsam mit seiner Ehefrau und seiner 1986 geborenen Tochter sowie in Begleitung seiner Schwägerin und deren Sohn nach Österreich ein. Die Genannten beantragten in der Folge die Gewährung von Asyl. Der Asylantrag des Beschwerdeführers wurde mit Erlassung des Berufungsbescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. Mai 1999 rechtskräftig abgewiesen. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Juni 2000 abgelehnt.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 10. Dezember 2001 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z 7 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren erlassen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe zwar während des Asylverfahrens über vorläufige Aufenthaltsberechtigungen verfügt, seit dessen rechtskräftigem Abschluss, den die belangte Behörde mit 18. Mai 1999 angenommen hat, halte sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich auf. Außerdem sei der Beschwerdeführer mittellos. Der in der Berufung ins Treffen geführte Bezug von Sozialhilfe von monatlich ATS 9.141,-- (für die gesamte Familie) bestätige gerade diese Annahme. Es sei daher der "Sondertatbestand" des § 36 Abs. 2 Z 7 FrG verwirklicht, der für sich allein schon die im § 36 Abs. 1 FrG normierte Annahme rechtfertige. Von mittellosen Personen gehe nämlich eine eminente Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, weil sich diese ihren Unterhalt durch "Schwarzarbeit" oder "sonstige unlautere oder kriminelle Machenschaften" verdienen könnten.
Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirksgerichtes Graz vom 5. September 2000 wegen versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Wochen verurteilt worden. Überdies sei der Beschwerdeführer in der Schweiz bereits einmal wegen eines ähnlichen Deliktes (geringfügiger Diebstahl) zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Tagen verurteilt worden. Außerdem werde er beschuldigt, in der Schweiz an mehreren Diebstählen beteiligt gewesen zu sein; er sei daher zur "Aufenthaltsnachforschung" ausgeschrieben. Dabei bezog sich die belangte Behörde auf eine Auskunft von Interpol Bern, in der auch mitgeteilt worden sei, dass der Beschwerdeführer am 14. April 1998 in der Schweiz unter anderer Identität mit seiner Frau und seiner Tochter einen Asylantrag gestellt habe und seit Anfang August 1998 nach einer "Wegweisung" verschwunden sei.
Das Fernhalten mittelloser Personen vom österreichischen Staatsgebiet - so begründete die belangte Behörde weiter - stelle aus verwaltungsrechtlicher, aber auch aus sicherheitspolizeilicher, somit präventiver "Hinsicht" eine dringende Notwendigkeit dar. Der unrechtmäßige Aufenthalt widerspreche einem geordneten Fremdenwesen, das für den österreichischen Staat von eminentem Interesse sei. Auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes sei eindeutig die Annahme gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich die öffentliche Ordnung und Sicherheit, insbesondere im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen, auf einen geordneten Arbeitsmarkt und auf das wirtschaftliche Wohl des Landes sowie im Hinblick auf jene Gefahren, die von mittellosen Personen ausgehen könnten, gefährde.
Unter dem Gesichtspunkt des § 37 FrG erwähnte die belangte Behörde, es seien zwar die Gattin und die Tochter sowie "eine Schwester" des Beschwerdeführers im Bundesgebiet aufhältig, die ebenfalls einen Asylantrag gestellt hätten. Nach Angaben des Beschwerdeführers sei deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen. Trotzdem seien - so die belangte Behörde - die erwähnten öffentlichen Interessen wesentlich höher zu gewichten als die "zuvor skizzierten persönlichen Interessen". Daher gehe die belangte Behörde davon aus, dass die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes jedenfalls schwerer wiegen als die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie. Aus diesen Gründen sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch dringend geboten. Mit ähnlichen Erwägungen begründete die belangte Behörde auch die zum Nachteil des Beschwerdeführers vorgenommene Ermessensübung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 36 Abs. 1 FrG die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 36 Abs. 2 Z 7 FrG gilt als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1, wenn ein Fremder - von einer hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme abgesehen - den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag.
Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, dass der Unterhalt des Beschwerdeführers und seiner Familie ausschließlich durch Sozialhilfeleistungen gedeckt wird. Das entspricht dem Vorbringen in der Berufung, der auch eine Bestätigung der Bezirkshauptmannschaft Baden über den Bezug der Sozialhilfe von monatlich ATS 9.141,-- angeschlossen wurde. Die belangte Behörde durfte den Beschwerdeführer daher in dem Sinn als "mittellos" ansehen, dass er über keine eigenen Mittel zu seinem Unterhalt verfügt, und demzufolge auch von der Verwirklichung des Tatbestandes des § 36 Abs. 2 Z 7 FrG ausgehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2002, Zl. 2002/21/0011). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. auch dazu beispielsweise das soeben zitierte Erkenntnis) resultiert daraus die Gefahr, der Fremde könnte deshalb zu einer finanziellen Belastung der öffentlichen Hand werden und/oder sich allenfalls auch illegaler Methoden zur Einkommenserzielung bedienen. Davon ausgehend kann es nicht als rechtswidrig erkannt werden, dass die belangte Behörde auch im gegenständlichen Fall die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme für gerechtfertigt hielt, zumal sich die erwähnte Gefährdung öffentlicher Interessen einerseits durch den Bezug von Sozialhilfeleistungen und andererseits durch die Begehung eines versuchten Diebstahls, wofür der Beschwerdeführer auch gerichtlich verurteilt wurde, bereits verwirklicht hatte, sodass von - wie die Beschwerde meint - "pauschalen Unterstellungen und Vorurteilen" vorliegend nicht die Rede sein kann. Entgegen der Beschwerdemeinung ist im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der Verhinderung derartiger Gefahren die wirtschaftliche Situation eines Fremden an sich ein ausreichender Anknüpfungspunkt für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes.
Anders als die Beschwerde meint bestehen im Hinblick auf die zur Gänze negative Erledigung des Asylbegehrens des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte dafür, dass "die Modalitäten" der Einreise in das Bundesgebiet "aus Not geboren" worden seien. Zu Recht hat die belangte Behörde daher auch das große öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen in die Beurteilung einbezogen und in diesem Zusammenhang auf die illegale Einreise und auf den seit Abschluss des Asylverfahrens unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich hingewiesen. Soweit die belangte Behörde allerdings auch noch Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen Verwaltungsübertretungen heranzieht, kann dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden, welches Fehlverhalten dem im Einzelnen zu Grunde liegt. Abgesehen davon spricht die im angefochtenen Bescheid erwähnte Gesamtstrafhöhe für fünf Bestrafungen von ATS 2.200,-- eher gegen deren besondere Schwere. Im Ergebnis zu Recht wendet sich die Beschwerde auch gegen die Verwertung der Auskunft von Interpol Bern mit dem Einwand, es bleibe offen, weshalb der Beschwerdeführer mit der in der Schweiz auffällig gewordenen Person ident sein soll. Damit wird nämlich zu Recht geltend gemacht, dass dem Beschwerdeführer das diesbezügliche Ermittlungsergebnis im Verwaltungsverfahren nicht vorgehalten wurde und er somit keine Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt habe.
Dessen ungeachtet durfte die belangte Behörde - auch bei Ausklammerung der vom Beschwerdeführer in der Schweiz angeblich begangenen strafbaren Handlungen - davon ausgehen, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer angesichts des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung jener Gefahren, die von mittellosen Personen ausgehen, und zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens, somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, wirtschaftliche Wohl des Landes, Verhinderung von strafbaren Handlungen) trotz des damit verbundenen Eingriffs in das Privat- und Familienleben im Grunde des § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten sei.
Das Schwergewicht der Beschwerdeausführungen liegt auf der nach § 37 Abs. 2 FrG vorzunehmenden Interessenabwägung. Dazu bringt der Beschwerdeführer vor, er lebe seit mehreren Jahren zusammen mit seiner Familie in Altenmarkt in Niederösterreich. Seine Frau und er seien mittlerweile sozial integriert, vor allem aber besuche seine Tochter mit recht gutem Schulerfolg nunmehr die Handelsakademie in Baden. Durch die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer würde die Familie zerrissen, was einen massiven und in seinen Auswirkungen nicht abzuschätzenden Eingriff in das Leben der gerade erst 16-jährigen Tochter bewirke. Die Intensität der familiären Bindung sei - "nicht zuletzt aufgrund dessen, was wir alle zusammen durchgemacht haben" - besonders hoch. Auf diese Umstände habe die belangte Behörde bei ihrer Abwägung im angefochtenen Bescheid "nicht oder nicht gründlich genug" Bedacht genommen.
Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerde im Ergebnis einen relevanten Begründungsmangel auf:
Ein Aufenthaltsverbot darf gemäß § 37 Abs. 2 FrG jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und die Intensität der familiären und sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen.
Der oben wiedergegebenen Begründung der belangten Behörde, die in diesem Zusammenhang lediglich den Inlandsaufenthalt der Ehefrau und der Tochter (sowie der Schwester, offenbar aber gemeint: der Schwägerin) des Beschwerdeführers und deren angeblich noch nicht beendetes Asylverfahren erwähnt, lässt sich nicht entnehmen, dass die belangte Behörde eine Interessenabwägung unter Bedachtnahme auf die im § 37 Abs. 2 FrG genannten Kriterien und unter Berücksichtigung des dargestellten Vorbringens des Beschwerdeführers vorgenommen hätte. Insbesondere hat die belangte Behörde nicht einmal Erhebungen zum Stand der Asylverfahren der Familienangehörigen des Beschwerdeführers vorgenommen und die Frage, ob diesen (damals) ein Aufenthaltsrecht zugekommen ist, zur Gänze ausgeblendet.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 11. Dezember 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002210070.X00Im RIS seit
20.01.2004