TE Vwgh Erkenntnis 2003/12/15 2001/03/0457

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.12.2003
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §19 Abs4;
StVO 1960 §19 Abs7;
VStG §44a Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des GS in I, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in 6010 Innsbruck, Bürgerstraße 19/1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 11. September 2001, Zl. uvs- 2000/19/162-2, betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.172,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer einer Übertretung des § 19 Abs. 7 i.V.m. § 19 Abs. 4 StVO 1960 schuldig erkannt, weil er am 20. Februar 2000 um

16.17 Uhr den nach dem Kennzeichen bestimmten Linienbus der Innsbrucker Verkehrsbetriebe in Thaur, Solegasse, in östlicher Richtung gelenkt und dabei das Vorrangzeichen "Vorrang geben" missachtet habe, da er in die Dörferstraße eingefahren sei und der Lenker eines Patrouillenfahrzeuges, der auf der Dörferstraße in Richtung Osten gefahren sei, stark abbremsen und nach rechts ablenken habe müssen, um einen Verkehrsunfall zu vermeiden.

Über den Beschwerdeführer wurde gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe in Höhe von S 1.500,-- sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe von 36 Stunden verhängt.

Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Bus nach der Darstellung des als Zeugen vernommenen Meldungslegers erst über der Mittellinie der Dörferstraße zum Stehen gekommen sei und es dem Meldungsleger als Lenker des Patrouillenfahrzeugs unter Benützung des Banketts möglich gewesen wäre, am Bus vorbeizufahren. Der Beschwerdeführer habe nach Aussage des Meldungslegers im Zuge des Vorfalls dem Gendarmeriebeamten gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass ein Bus an dieser Stelle Vorfahrt habe. Gegen die Aussage des Meldungslegers, auf die sich die Entscheidung stütze, bestünden keine Bedenken. Es sei daher erwiesen, dass der Beschwerdeführer den Meldungsleger im Zuge des Einfahrens in den Kreuzungsbereich zum unvermittelten Bremsen und Ablenken seines Fahrzeuges genötigt habe.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und stellte den Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 19 Abs. 4 erster Satz StVO 1960, BGBl. Nr. 159 i.d.F BGBl. Nr. 412/1976, haben, wenn vor einer Kreuzung das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" oder "Halt" angebracht ist, sowohl die von rechts als auch die von links kommenden Fahrzeuge den Vorrang.

Gemäß § 19 Abs. 7 StVO 1960 i.d.F. BGBl. Nr. 209/1969 darf, wer keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen.

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass der beantragten Einvernahme des Zeugen P (Sachbearbeiter der Innsbrucker Verkehrsbetriebe, der mit dem Meldungsleger über den Vorfall ein Telefonat geführt habe) und des Zeugen J (ein Insasse des verfahrensgegenständlichen Linienbusses) zu Unrecht nicht entsprochen worden sei. Es handle sich dabei um Zeugen betreffend die äußere Tatseite, um einen Entlastungsbeweis betreffend die Frage des Überfahrens der Mittellinie der Dörferstraße zu führen.

Diesem Vorbringen des Beschwerdeführers ist in Bezug auf den Zeugen J Recht zu geben. Angebotene Beweise dürfen nur dann von vorneherein abgelehnt werden, wenn die angebotenen Beweismittel an sich nicht geeignet sind, über den Gegenstand einen Beweis zu liefern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. November 1992, Zl. 92/03/0060). Dem Zeugen J, der Insasse des Linienbusses und somit unmittelbarer Zeuge des Vorfalles war, kann die Eignung als Beweismittel im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren nicht abgesprochen werden. Auch wenn er über die genaue Position, in der der Bus auf der Dörferstraße zum Stillstand gekommen ist, in seiner im erstinstanzlichen Verfahren vorgenommenen Einvernahme nichts angeben konnte, kann nicht ausgeschlossen werden, dass er bei einer neuerlichen Befragung als Zeuge darüber nicht doch Näheres darlegen kann, zumal er dezidiert vertreten hat, das Gendarmeriefahrzeug hätte ganz ohne Probleme am Bus vorbeifahren können. Dieser Verfahrensfehler ist auch wesentlich, kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Indem die belangte Behörde diesem Beweisantrag keine Folge gab, belastete sie ihren Bescheid somit mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Demgegenüber kann in der Nichtentsprechung des Beweisantrages betreffend den Zeugen P, mit dem der Meldungsleger über den Vorfall ein Telefonat geführt hat, der keine eigenen Wahrnehmungen zu dem Vorfall gemacht hat und dessen Eignung als Beweismittel über den in Frage stehenden Gegenstand daher von der belangten Behörde zu Recht verneint wurde, keine Rechtswidrigkeit erblickt werden.

Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass nach der hg. Rechtsprechung (vgl. die Erkenntnisse vom 15. September 1999, Zl. 99/03/0253, und die in diesem angeführte hg. Vorjudikatur) bei einer Vorrangverletzung gemäß § 19 Abs. 7 StVO 1960 der Sachverhalt insofern zu konkretisieren ist, dass die ungefähre Entfernung der Fahrzeuge voneinander und die von ihnen ungefähr eingehaltene Geschwindigkeit festzustellen ist. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren schlechte Sichtverhältnisse im vorliegenden Kreuzungsbereich geltend gemacht und dass er sich langsam in die Kreuzung eingetastet hätte. Dieser Konkretisierung bedarf es insbesondere, weil die Anwendung der Vorrangbestimmungen die Wahrnehmbarkeit des anderen bevorrangten Fahrzeuges voraussetzt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. September 1991, Zl. 91/18/0106) und der Wartepflichtige bei schlechten Sichtverhältnissen keine Vorrangverletzung begeht, wenn er sich äußerst vorsichtig zur Kreuzung und auf dieser vortastet, bis er die notwendige Sicht gewinnt. "Vortasten" bedeutet in der Regel ein schrittweises oder zentimeterweises Vorrollen in mehreren Etappen bis zu einem Punkt, von dem aus die Sicht möglich ist (vgl. das Urteil des OGH vom 26. Februar 1980, 2 Ob 2/80).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 15. Dezember 2003

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001030457.X00

Im RIS seit

28.01.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten