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L34009 Abgabenordnung Wien;Norm
ABGB §914;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde der "E" Theaterbetriebsgesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. Susanne F, Rechtsanwältin in W, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission Wien vom 21. November 2000, MD-VfR-E 46/2000, betreffend Zurückweisung eines Vorlageantrages, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die beschwerdeführende GmbH wurde mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 19. März 1996 gemäß § 13 Abs 4 des Wiener Vergnügungssteuergesetzes 1987, LGBl 43/1987 - VGSG, und der §§ 2 und 5 der Wiener Abgabenordnung, LGBl 21/1962 - WAO zur Haftung für Vergnügungssteuer des OR im Ausmaß von 54.905 S herangezogen.
Als Empfängerin des Bescheides ist die Beschwerdeführerin benannt.
Die Beschwerdeführerin brachte gegen den Haftungsbescheid die
Berufung vom 26. März 1996 ein.
Mit Eingabe vom 9. Mai 1996 beantrage die Beschwerdeführerin
durch die bevollmächtigte Rechtsanwältin Dr. Susanne F die Aussetzung der Einhebung. Diese Eingabe enthält den Hinweis "Vollmacht gem. § 8 (1) RAO erteilt". In der Eingabe ist die Geschäftszahl des Haftungsbescheides und die Nummer des Vergnügungssteuer-Kontos angeführt. Weiters ist in der Eingabe ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe gegen den Haftungsbescheid vom 19. März 1996 Berufung erhoben. Es werde der Antrag auf Aussetzung des Haftungsbetrages bis zur Erledigung der Berufung gestellt.
Die Berufung wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 26. Juni 1996 als unbegründet abgewiesen. Diese Berufungsentscheidung hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. Oktober 1999, 97/15/0087, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Vertreterin der Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (wie auch in jenem vor dem zunächst angerufenen Verfassungsgerichtshof) war Rechtsanwältin Dr. Susanne F.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 4. April 2000 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Haftungsbescheid erneut abgewiesen. Als Empfängerin der Berufungsvorentscheidung ist die Beschwerdeführerin benannt. Der Rückschein weist als Datum der Übernahme des Bescheides durch einen Dienstnehmer der Beschwerdeführerin den 10. April 2000 aus.
Am 21. Juni 2000 reichte die Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Susanne F, den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz ein. Mit Eingabe vom 9. Mai 1996 habe die Rechtsanwältin ihre Vertretung im Verfahren bekannt gegeben. Die Berufungsvorentscheidung sei ihr erst am 19. Juni 2000 zugegangen, da diese in Verletzung des § 9 ZustellG direkt der Beschwerdeführerin zugestellt worden sei.
Mit Bescheid vom 11. August 2000 wies der Magistrat der Stadt Wien den Antrag auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz unter Hinweis auf § 211 Abs 2 WAO als verspätet zurück. Die Berufungsvorentscheidung sei am 10. April 2000 zugestellt worden. Der Vorlageantrag sei am 21. Juni 2000 und somit verspätet zur Post gegeben worden. Mit dem von der Beschwerdeführerin angesprochenen Schriftsatz vom 9. Mai 1996 sei ein eigenes Verfahren eingeleitet worden, nämlich das Verfahren über die Aussetzung der Einhebung. Im Haftungsverfahren sei hingegen keine Vertretung bestellt worden.
In der Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid betonte die Beschwerdeführerin, dass sich aus dem Schriftsatz vom 9. Mai 1996 die Vertreterbestellung ergebe. Der bevollmächtigten Rechtsanwältin sei die Berufungsvorentscheidung erst am 19. Juni 2000 zugekommen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Das Verfahren zur Heranziehung einer Person zur Haftung einerseits und das Verfahren betreffend die Aussetzung der Einhebung einer Abgabe anderseits seien verschiedene, voneinander getrennte Verfahren. Die einzige Verbindung der Verfahren bestehe im gegenständlichen Fall darin, das eine gegen den Haftungsbescheid eingebrachte Berufung Voraussetzung für einen zulässigen Aussetzungsantrag sei.
Im Aussetzungsantrag komme klar zum Ausdruck, dass die Beschwerdeführerin im Haftungsverfahren selbst eingeschritten sei. Aus dem Antrag auf Aussetzung der Einhebung ergebe sich kein Hinweis, dass dies für das weitere Verfahren nicht so bleiben solle.
Eine in einem bestimmten Verfahren vorgelegte Vollmacht gelte im Zweifel nur für das betreffende, nicht aber für andere bei derselben Behörde anhängige Verfahren.
Da somit die wirksame Bestellung eines Vertreters im Haftungsverfahren bis zur Erlassung des Bescheides vom 4. April 2000 nicht vorgelegen sei, sei die Zustellung am 10. April 2000 wirksam geworden. Der am 21. Juni 2000 eingereichte Vorlageantrag sei daher verspätet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:
Gemäß § 57 Abs 1 WAO können sich die Parteien, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen. Gemäß § 57 Abs 2 WAO richten sich Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis nach der Vollmacht; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Die Abgabenbehörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des § 59 Abs 2 WAO von Amts wegen zu veranlassen.
Gemäß § 57 Abs 4 WAO gilt die Bestellung eines Vertreters auch als Erteilung der Zustellvollmacht an diesen Vertreter, solange nicht ein eingeschränkter Vollmachtumfang bekannt gegeben wird.
§ 8 Abs 1 RAO lautet:
"Das Vertretungsrecht eines Rechtsanwalts erstreckt sich auf alle Gerichte und Behörden der Republik Österreich und umfasst die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten. Vor allen Gerichten und Behörden ersetzt die Berufung auf die Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis."
Ist eine im Inland wohnende Person gegenüber der Behörde zum Empfang von Schriftstücken bevollmächtigt, so hat die Behörde gemäß § 9 Abs 1 ZustellG, sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, diese Person als Empfänger zu bezeichnen.
Eine Bevollmächtigung muss grundsätzlich im jeweiligen Verfahren geltend gemacht werden. Auch wenn nach der Vollmachtsurkunde die Vollmacht etwa alle Verfahren vor Abgabenbehörden umfasst, ist sie dennoch von der Abgabenbehörde nur in dem Verfahren, in dem darauf hingewiesen wird, zu beachten (vgl Ritz, BAO-Kommentar2, § 8a ZustellG, Tz 14 mit Hinweis auf die hg Rechtsprechung).
Es liegt grundsätzlich bei der Partei, ob sie gegenüber der Behörde selbst einschreiten oder sich vertreten lassen will. Der entsprechende Willensentschluss, sich vertreten zu lassen, erlangt erst durch Erklärung gegenüber der Behörde Bedeutung. Diese Erklärung umgrenzt die Ausübung des Rechtes der Partei, sich vertreten zu lassen. Die Behörde ist daher nicht berechtigt, außerhalb der von der Partei geübten Disposition mit Wirksamkeit für die Partei gegenüber einem Machthaber der Partei Verfahrenshandlungen zu setzen. Welche Angelegenheiten zu der betreffenden Sache gehören, für die gegenüber der Behörde der Gewalthaber genannt wurde, ist der betreffenden Erklärung gegenüber der Behörde zu entnehmen, die unter Umständen der Auslegung bedarf. Dabei kann es auch darauf ankommen, ob zwischen verschiedenen Verfahren ein so enger Zusammenhang besteht, dass das Verhalten anlässlich der Bekanntgabe der Bevollmächtigung auch als Bevollmächtigung für Zwecke eines bestimmten anderen Verfahrens verstanden werden durfte (vgl das hg Erkenntnis vom 10. Mai 1994, 93/14/0140).
Um dem rechtsstaatlichen Prinzip gerecht zu werden, müssen Rechtsschutzeinrichtungen ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf ein Berufungswerber nicht einseitig mit allen Folgen einer potenziell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung solange belastet sein, bis seine Berufung endgültig erledigt ist (vgl das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 1986, G 119/86). Da nach § 198 WAO die Einbringung der Berufung als solches die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht hemmt (also keine aufschiebende Wirkung entfaltet), hat der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Gebot, die Berufung mit einem Mindestmaß an faktischer Effizienz auszustatten, durch das Rechtsinstitut der Aussetzung der Einhebung nach § 160a WAO Rechnung getragen.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich ein enger Zusammenhang zwischen dem Berufungsverfahren gegen einen Abgabenbescheid (Haftungsbescheid) und dem Verfahren über den im Zusammenhang mit einer solchen Berufung gestellten Antrag auf Aussetzung der Einhebung des im Berufungsverfahren strittigen Betrages der Abgabe nach § 160a WAO, zumal durch den Aussetzungsantrag die Berufung gleichsam aufschiebende Wirkung erhalten soll.
In der Eingabe vom 9. Mai 1996 hat sich die einschreitende Rechtsanwältin Dr. Susanne F auf die erteilte Vollmacht berufen und auf § 8 Abs 1 RAO hingewiesen. Sie hat die Geschäftszahl des an die Beschwerdeführerin ergangenen Haftungsbescheides bezeichnet und das bezughabende Vergnügungssteuerkonto benannt. In der Eingabe wird auch dargestellt, dass die Beschwerdeführerin gegen den Haftungsbescheid Berufung erhoben hat. Unter Bezugnahme auf dieses Berufungsverfahren wird sodann die Aussetzung der Einhebung nach § 160a WAO beantragt. Bei dieser Sachlage ergibt sich aufgrund des vorstehend dargestellten engen Zusammenhanges zwischen einer Berufung und dem in Zusammenhang mit der Berufung gestellten Antrag auf Aussetzung der Einhebung, dass die mit Eingabe vom 9. Mai 1996 vorgenommene Bekanntgabe des Vertretungsverhältnisses auf das aus dem Berufungsverfahren und dem Aussetzungsverfahren bestehende Gesamtverfahren bezogen zu verstehen war.
Bei dieser Sachlage hätte die Behörde die Rechtsanwältin Dr. Susanne F als Empfänger der Berufungsvorentscheidung vom 4. April 2000 benennen müssen. Da dies nicht erfolgt ist, gilt die Zustellung gemäß § 9 Abs 1 ZustellG erst in dem Zeitpunkt als vollzogen, in dem das Schriftstück der Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.
In Verkennung der Rechtslage hat die belangte Behörde den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Berufungsvorentscheidung vom 4. April 2000 an die Beschwerdeführerin (10. April 2000) als den Zeitpunkt der Zustellung angesehen und nicht den Zeitpunkt, in welchem das Schriftstück der Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. Infolge dieses Rechtsirrtums hat sie angenommen, dass mit der Einreichung des Antrages auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz am 21. Juni 2000 die Monatsfrist des § 211 Abs 2 WAO nicht gewahrt worden sei.
Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl II 333/2003. Der Pauschalbetrag umfasst bereits die Umsatzsteuer.
Wien, am 16. Dezember 2003
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001150026.X00Im RIS seit
26.01.2004