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E2D Assoziierung Türkei;Norm
61997CJ0329 Ergat VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der E, geboren 2002, vertreten durch den Vater A, dieser vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Pilgramgasse 22/7, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Dezember 2002, Zl. 131.698/3-III/11/02, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 12. Dezember 2002 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 27. August 2002 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gemäß §§ 14 Abs. 2 und 28 Abs. 2 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin sei in Österreich geboren und seit ihrer Geburt in Wien wohnhaft. Ihre Mutter sei noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für das österreichische Bundesgebiet gewesen. Ihr Vater befinde sich seit 10. Jänner 2002 im Besitz einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck. Der Beschwerdeführerin sei bisher noch kein Aufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet erteilt worden. Am 27. August 2002 habe sie den gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" gestellt. Diesen Antrag hätte sie gemäß § 14 Abs. 2 FrG jedoch vom Ausland aus stellen müssen. § 28 Abs. 2 FrG komme der Beschwerdeführerin nicht zu Gute, weil ihre Mutter über keinen Aufenthaltstitel verfüge. Die Ableitung vom Vater sei nur möglich, wenn diesem aus einem anderen Grund als wegen Verzichts der Mutter allein das Recht zur Pflege und Erziehung zukomme. Dies treffe auf die Beschwerdeführerin jedoch nicht zu.
Der von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 komme vorliegend nicht zum Tragen, weil er nur dann zur Anwendung komme, wenn die Beschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des Mitgliedstaates stehe. Überdies gelte dieser Beschluss nur für jene Angehörige, die die Genehmigung erhalten hätten, zu dem türkischen Arbeitnehmer zu ziehen, was bei der Beschwerdeführerin jedoch nicht gegeben sei.
Der Gesetzgeber habe bereits durch die Normierung von § 14 Abs. 2 FrG auf die persönlichen Verhältnisse des Antragstellers Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Ein weiteres Eingehen auf die privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin an einem Aufenthalt im Bundesgebiet sei daher entbehrlich.
Gegen diesen Bescheid richtete die Beschwerdeführerin zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser Gerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluss vom 22. September 2003, B 183/03).
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragt die Beschwerdeführerin die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 28 Abs. 2 FrG sind Kinder, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, während ihrer ersten sechs Lebensmonate von der Sichtvermerkspflicht befreit, sofern die Mutter oder ein anderer Fremder, dem Pflege und Erziehung des Kindes allein zukommt, rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen ist. Dies gilt jedoch nur solange der Betreffende rechtmäßig niedergelassen bleibt, bei Ableitung vom Vater überdies nur, wenn diesem aus anderem Grund als wegen Verzichts der Mutter allein das Recht zur Pflege und Erziehung zukommt. Außerdem besteht für solche Kinder Sichtvermerksfreiheit während der ersten sechs Lebensmonate, sofern und solange deren Pflege und Erziehung einem österreichischen Staatsbürger mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet allein zukommt.
Nach § 23 Abs. 6 FrG ist Fremden, die auf Dauer niedergelassen bleiben, aber bisher österreichische Staatsbürger waren oder als Kind aus dem Grund des § 28 Abs. 2 leg. cit. keinen Aufenthaltstitel benötigten, eine weitere Niederlassungsbewilligung - die vom Inland aus beantragt werden kann - zu erteilten.
1.2. Die Mutter der am 15. April 2002 in Österreich geborenen Beschwerdeführerin war unstrittig noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für das Bundesgebiet. Die Beschwerdeführerin führt zwar ins Treffen, dass "mein Vater ja alle gesetzlichen Rechte zur Vertretung und Obsorge meiner Person hat", behauptet jedoch nicht, dass ihrem Vater - entgegen den Feststellungen der belangten Behörde - aus einem anderen Grund als wegen Verzichts der Mutter allein das Recht zur Pflege und Erziehung zukomme.
Vom somit unstrittig feststehenden Sachverhalt ausgehend kann die Ansicht der belangten Behörde, dass die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen gemäß § 28 Abs. 2 FrG nicht erfüllt, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Die Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung gemäß § 23 Abs. 6 FrG kommt daher für die Beschwerdeführerin nicht in Betracht. Vielmehr handelt es sich beim vorliegenden Antrag um einen gemäß § 14 Abs. 2 FrG zu behandelnden Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Sinn des § 8 Abs. 2 leg. cit. 2. § 14 Abs. 2 FrG in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 126/2002 hat folgenden Wortlaut:
"Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sind vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag kann im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits niedergelassen ist und entweder bisher für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigte oder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt hat; dies gilt nach Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels dann nicht, wenn der weitere Aufenthaltstitel eine Erwerbstätigkeit zulassen soll, für die der zuletzt erteilte Aufenthaltstitel nicht erteilt hätte werden können (§ 13 Abs. 3). Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Saisonarbeitskräfte und Erntehelfer (§ 9) kann nach der Einreise gestellt werden, wenn der Fremde an sich zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt ist."
3.1. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, den Antrag vom Inland aus gestellt zu haben, bringt jedoch vor, auf Grund der Niederlassung ihres Vaters im Bundesgebiet zu der nach dem Assoziierungsabkommen EWG-Türkei (aus 1963) und des auf dessen Grundlage gefassten Assoziationsratsbeschluss (ARB) Nr. 1/80 vom 19. September 1980 begünstigten Personengruppe zu zählen. Im Bereich des ARB sei in einem sachlich und personell eingeschränkten Bereich der Freizügigkeitsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts auch für türkische Staatsangehörige verwirklicht.
Davon ausgehend erstattet die Beschwerdeführerin ein umfangreiches Vorbringen, wonach die Erteilung der begehrten Niederlassungsbewilligung gemeinschaftsrechtlich geboten sei. In diesem Zusammenhang regt sie an, das vorliegende Verfahren bis zur Vorabentscheidung des in den hg. Beschwerdesachen Zlen. 99/21/0018 und 2002/21/0067 angerufenen Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften auszusetzen.
3.2. Dieses Vorbringen ist schon im Ansatz verfehlt: Nach Art. 7 erster Gedankenstrich des ARB haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorranges das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Die Beschwerdeführerin verkennt, dass der ARB nicht den Familiennachzug regelt, sondern nur die beschäftigungsrechtliche Stellung der Familienangehörigen, die auf Grund anderer Rechtsgrundlagen der Mitgliedstaaten die Genehmigung erhalten haben, zu einem türkischen Arbeitnehmer zu ziehen, wobei die Befugnis des betreffenden Mitgliedstaates nicht berührt wird, den Familienangehörigen die Genehmigung zu erteilen, zu dem in diesem Staat ordnungsgemäß beschäftigten türkischen Arbeitnehmer zu ziehen. (Vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/18/0424, und die dort zitierte Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften.) Die Mitgliedstaaten sind daher befugt, sowohl Vorschriften über die Einreise der Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer in ihr Hoheitsgebiet zu erlassen als auch die Bedingungen ihres Aufenthalts während der ersten drei Jahre zu regeln, bis sie das Recht erwerben, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben (vgl. etwa das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 16. März 2000, C- 329/97, in der Rechtssache Sezgin Ergat, RN 42).
Die Beschwerdeführerin ist erst acht Monate alt und befindet sich daher noch nicht drei Jahre im Bundesgebiet; sie hat bisher nicht die Genehmigung erhalten, sich bei ihrem Vater in Österreich aufzuhalten. Daher kann sie aus dem ARB keine Rechte ableiten. Gleiches gilt für die von der Beschwerde ins Treffen geführten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen, ist doch die Beschwerdeführerin keine Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der EU.
4. Soweit die Beschwerdeführerin ihre persönlichen Interessen am Aufenthalt in Österreich ins Treffen führt, ist ihr zu entgegnen, dass bei einem entgegen § 14 Abs. 2 FrG gestellten Antrag eine Ermessensentscheidung gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. unter Bedachtnahme auf die in § 8 Abs. 3 leg. cit. genannten Kriterien nicht in Betracht kommt. Mit § 14 Abs. 2 zweiter Satz FrG hat der Gesetzgeber auf die privaten und familiären Interessen derjenigen Fremden bereits Rücksicht genommen, die sich in Österreich rechtmäßig niedergelassen hatten. Andererseits ging der Gesetzgeber bewusst davon aus, dass jene Fremden, die noch nie im Bundesgebiet rechtmäßig niedergelassen waren, gemäß § 14 Abs. 2 erster Satz FrG ihren Antrag vom Ausland aus zu stellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2002, Zl. 2002/18/0267) und die Entscheidung darüber von dort aus abzuwarten haben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. April 2002, Zl. 2002/19/0021).
5. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 16. Dezember 2003
Gerichtsentscheidung
EuGH 61997J0329 Ergat VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2003180288.X00Im RIS seit
23.01.2004Zuletzt aktualisiert am
11.11.2011