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L3 FinanzrechtNorm
StGG Art5Leitsatz
Verletzung im Eigentumsrecht durch Vorschreibung von Getränkesteuer aufgrund Anwendung einer dem Gemeinschaftsrecht offenkundig widersprechenden innerstaatlichen gesetzlichen VorschriftSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 29.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 21. April 1998 wurde der Beschwerdeführer auf Grund des §4 Wiener Getränkesteuergesetz iVm §§2 und 5 WAO als Haftpflichtiger zur Zahlung der für die Zeit vom 1. Jänner 1995 bis 31. August 1996 im Betrieb des ehemaligen Pächters (der mit Beschluß des HG Wien vom 30. Mai 1995 in Konkurs verfallen war) entstandenen Getränkesteuerschuld iHv S 139.175,-- herangezogen. Am 7. September 1998 wurde an den Beschwerdeführer ein Bescheid des Magistrats der Sadt Wien gerichtet, in dem die Getränkesteuer für den (ehemaligen) Pächter für die Jahre 1995 und 1996 festgesetzt wurde. Die dagegen eingelegten Berufungen wurden von der Abgabenberufungskommission für Wien als unbegründet abgewiesen.
2. Gegen den eben erwähnten Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung sowie eines verfassungswidrigen bzw. gemeinschaftsrechtswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Abgabe festgesetzt, er greift somit in das Eigentumsrecht ein.
Ein Eingriff in dieses Grundrecht bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Steht ein Grundrecht wie das hier in Rede stehende unter einem Gesetzesvorbehalt, so ist ein solcher Eingriff nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 10.337/1985, 10.362/1985, 11.470/1987 ua.) jedenfalls dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, aber auch dann, wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine Rechtsvorschrift in denkunmöglicher Weise angewendet hat. Dies ist dann der Fall, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist.
Einen derartigen Fehler hat die Behörde begangen:
Aus Anlaß zweier Beschwerden stellte der Verwaltungsgerichtshof an den EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen ua. hinsichtlich der Beurteilung der Frage, ob Art33 Abs1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG), im folgenden: 6. MwSt-RL, der Beibehaltung einer Abgabe entgegenstehe, welche auf die entgeltliche Lieferung von Speiseeis einschließlich darin verarbeiteter oder dazu verabreichter Früchte und von Getränken, jeweils einschließlich der mitverkauften Umschließung und des mitverkauften Zubehörs, erhoben wird, bzw. ob einer derartigen Abgabe Art3 Abs2 bzw. Abs3, zweiter Satz der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (im folgenden: Verbrauchsteuerrichtlinie) entgegenstehe.
Mit am 9. März 2000 ergangenem Urteil (Rs C-437/97) sprach der EuGH diesbezüglich ua. aus, daß Art3 Abs2 der Verbrauchsteuerrichtlinie der Beibehaltung einer auf alkoholische Getränke erhobenen Steuer wie die der Anlaßfälle (es handelte sich hiebei um die Vorschreibung der Getränkesteuer gemäß dem OÖ Gemeinde-Getränkesteuergesetz bzw. dem Wiener Getränkesteuergesetz und der Wiener Getränkesteuerverordnung) entgegenstehe, verneinte aber einen Widerspruch zu Art33 der 6. MwSt-RL. In weiterer Folge führte der EuGH aus, daß sich niemand auf Art3 Abs2 der Verbrauchsteuerrichtlinie berufen könne, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die vor Erlaß des Urteils entrichtet wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt.
2. Mit dem angefochtenen Berufungsbescheid wird ua. die Festsetzung einer Steuer auf alkoholische Getränke gemäß dem Wiener Getränkesteuergesetz bestätigt. Die belangte Behörde hat demnach eine innerstaatliche gesetzliche Vorschrift, die offenkundig einer unmittelbar anwendbaren Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, nämlich dem Art3 Abs2 der Verbrauchsteuerrichtlinie, widerspricht, deren Anwendung also der Anwendungsvorrang unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts entgegensteht, angewendet. Eine derartige Gesetzesanwendung ist einer Gesetzlosigkeit gleichzuhalten, weshalb der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nach Art5 StGG verletzt ist.
3. Nun ist der belangten Behörde zwar nicht subjektiv vorwerfbar, daß sie die Unanwendbarkeit der von ihr dem Bescheid zugrundegelegten innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht erkannt hat, da deren Unanwendbarkeit erst mit dem Urteil des EuGH vom 9. März 2000, Rs C-437/97, offenkundig wurde. Doch kann sich der Beschwerdeführer - wie aus dem zitierten EuGH-Urteil hervorgeht - zu Recht auf Art3 Abs2 der Verbrauchsteuerrichtlinie berufen, da er vor Erlaß des bereits genannten EuGH-Urteiles eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingebracht und somit jedenfalls im Sinn des erwähnten EuGH-Urteiles "Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt" hat. Der Verfassungsgerichtshof hat daher den nunmehr deutlich gewordenen Fehler aufzugreifen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 5. März 1999, B3073/96).
Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Verletzung des durch Art5 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes aufzuheben.
4. Bei diesem Ergebnis kann der Gerichtshof es dahingestellt sein lassen, ob angesichts des Umstandes, daß der Beschwerdeführer nach seinen - von der belangten Behörde insoweit nicht bestrittenen - Angaben den Pachtvertrag zur Vermeidung von Haftungsfolgen unmittelbar nach der Eröffnung des Konkursverfahrens gegen den Pächter kündigte, den Unternehmensfortbetrieb nach den Bestimmungen der Konkursordnung hinnehmen mußte und auf Grund der offenbar mißlungenen Unternehmensfortführung selbst einen Ausfall seiner Pachtzinsforderungen erfahren hat, die vom Verfassungsgerichtshof als Rechtfertigung für eine Verpächterhaftung geforderte Partizipation am Unternehmensertrag des Pächters (vgl. vor allem VfSlg. 11.921/1988 und 12.572/1990) gegeben ist und die Heranziehung des Verpächters zur Haftung daher im vorliegend zu beurteilenden Fall gerechtfertigt werden kann.
III. 1. Der Kostenzuspruch gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 4.500,-- sowie eine Eingabegebühr gemäß §17a VerfGG von S 2.500,-- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
EU-Recht Richtlinie, Getränkesteuer Oberösterreich, Finanzverfahren, HaftungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B1313.1999Dokumentnummer
JFT_09999371_99B01313_00