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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §236 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde der D GmbH in G, vertreten durch Dr. Peter Schlösser und Dr. Christian Schoberl, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Alberstraße 9/1, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom 27. August 2003, RV/0051-G/03, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführein ist eine GmbH, die ein Handelsunternehmen mit mehreren Filialen betreibt.
Mit Eingabe vom 15. März 2002 beantragte die Beschwerdeführerin, von der Einhebung eines Umsatzsteuerbetrages in Höhe von 124.954 S gemäß § 236 BAO abzusehen. Der Umsatzsteuerbetrag entfalle auf von einem ehemaligen Dienstnehmer (Filialleiter) in der Zeit von Jänner bis Oktober Jahr 2000 unterschlagene Tageslosungen (Manipulation der Abrechnungsunterlagen im Ausmaß von ca 1,1 Mio S). Die Unterschlagung durch einen Dienstnehmer sei keine Vermögenseinbuße, mit der jeder rechnen müsse, der sich wirtschaftlich betätige. Es liege daher eine Unbilligkeit vor.
Das Finanzamt wies das Nachsichtsansuchen ab.
In der Berufung gegen den Abweisungsbescheid brachte die Beschwerdeführerin vor, mit Abtretungsvertrag vom 23. April 2002 sei es zum Wechsel ihrer Gesellschafter gekommen. Sämtliche Geschäftsanteile seien an die neue Gesellschafterin D abgetreten worden. Es sei auch ein neuer Geschäftsführer bestellt worden. Grundlage für die Abtretung der Geschäftsanteile sei die Absicht der Sanierung des Unternehmens der Beschwerdeführerin gewesen (Zuführung von Eigenkapital bzw Reorganisation, um die Insolvenzgefahr zu vermeiden).
Die Beschwerdeführerin legte in der Folge einen Gesellschafterbeschluss vor, in welchem festgehalten ist, dass sich die Gesellschafterin D zur Einzahlung von Besserungskapital in Höhe von 1,6 Mio Euro entschlossen habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Die Umsatzsteuer 1990 sei zur Gänze entrichtet worden, der Antrag der Beschwerdeführerein beziehe sich daher auf die Nachsicht einer bereits entrichteten Abgabe (§ 236 Abs 2 BAO). Es liege im gegenständlichen Fall keine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung vor. Es trete nämlich keine - im Vergleich zu ähnlichen Fällen - ungewöhnliche Belastungswirkung ein. Die Umsatzbesteuerung der von der Beschwerdeführerin im Rahmen ihres Unternehmens ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen stelle eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage dar. Wirtschaftskriminalität von leitenden Angestellten sei nicht gänzlich unbekannt und sei dem Bereich des allgemeinen Unternehmerwagnisses zuzurechnen. Das rechtswidrige Verhalten des Angestellten der Beschwerdeführerin könne nicht durch Nachsicht der Umsatzsteuer auf die Allgemeinheit überwälzt werden.
Es liege auch keine persönliche Unbilligkeit vor. Dass durch die Erhebung von Umsatzsteuer in Höhe von ca 125.000 S die wirtschaftliche Existenz der Beschwerdeführerin gefährdet wäre, werde nicht behauptet. Es sei nicht erkennbar, dass die Umsatzsteuer schwerwiegende Auswirkungen auf die Beschwerdeführerin hätte. Dem Vorbringen, die Bewilligung der Nachsicht wäre eine Maßnahme, die ergänzend zum Sanierungskonzept der Gesellschafterin D den Fortbestand der Beschwerdeführerin gewährleisten könnte, sei zu entgegnen, dass die Nachsicht der in Rede stehenden Abgabe die Sanierung des Unternehmens nicht entscheidend beeinflussen könne. Die beantragte Abgabennachsicht betrage lediglich 0,04% des zugeführten Besserungskapitals. Ergänzend werde darauf verwiesen, dass selbst im Falle des Vorliegens einer (sachlichen oder persönlichen) Unbilligkeit der Abgabeneinhebung das in § 236 BAO eingeräumte Ermessen gegen die Gewährung von Nachsicht geübt werden müsste, weil im Falle der Nachsicht die übrigen Gläubiger, deren Verbindlichkeiten nach den Angaben der Beschwerdeführerin abgedeckt worden seien und die daher nicht durch Forderungsverzicht zur Sanierung des Unternehmens beigetragen hätten, gegenüber der Abgabenbehörde bevorzugt wären.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 236 Abs 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Gemäß § 236 Abs 2 BAO findet Abs 1 auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, es liege sachliche Unbilligkeit vor. Es sei ein atypischer Vermögenseingriff gegeben, wenn leitende Angestellte Unterschlagungen begingen. Durch einen solchen Vorfall sei es zu einer nicht zu erwartenden Abgabenschuld von ca 9.000 Euro gekommen. Die Beschwerdeführerin rügt sodann, die belangte Behörde habe nicht begründet, "wie weit" persönliche Unbilligkeit in der Nichteinbringlichmachung der Forderung gegenüber dem seinerzeitigen Dienstnehmer, der dem Beschwerdeführer den Schaden zugefügt habe, gelegen sei. Die Beschwerdeführerin verweise darauf, dass im Strafverfahren gegen den treuwidrigen Filialleiter sowie im zivilgerichtlichen Verfahren Urteile erwirkt werden könnten, wobei sich mittlerweile herausgestellt habe, dass eine Uneinbringlichkeit der Forderung gegeben sei. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin folge daraus eine persönliche Unbilligkeit.
Die Unbilligkeit iSd § 236 Abs 1 und 2 BAO kann eine sachliche oder eine persönliche sein. Eine sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (vgl das hg Erkenntnis vom 19. März 1998, 96/15/0067). In der allgemeinen Auswirkung einer generellen Norm ist eine solche Unbilligkeit nicht gelegen (vgl das hg Erkenntnis vom 23. Oktober 1997, 96/15/0154). Auch Folgen des Unternehmerwagnisses sind idR nicht als sachliche Unbilligkeit anzusehen (vgl das hg Erkenntnis vom 23. Jänner 1996, 95/14/0062).
Im gegenständlichen Fall haben Handelsumsätze der Beschwerdeführerin des Jahres 2000 zu entsprechenden Umsatzsteuerschuldigkeiten geführt. Das Entstehen der Umsatzsteuer aus dem Verkauf von Waren durch Unternehmer entspricht dem allgemeinen Umsatzsteuerregime. Handelt es sich beim Käufer der Waren der Beschwerdeführerin um einen Unternehmer, steht diesem, wenn über den Verkauf eine Rechnung erteilt worden ist, grundsätzlich der Vorsteuerabzug zu. Die Besonderheit des Beschwerdefalles liegt darin, dass der Beschwerdeführerin Teile der aus dem Verkauf der Ware erzielten Einnahmen durch einen Dienstnehmer widerrechtlich entzogen worden sind. Dieses rechtswidrige Vorgehen des Dienstnehmers ist ein vom umsatzsteuerlich relevanten Verkaufsvorgang getrennter Vorgang und führt daher nicht zur sachlichen Unbilligkeit in Bezug auf die Erhebung der Umsatzsteuer. Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie den durch den Dienstnehmer zugefügten Vermögensschaden dem Bereich des allgemeinen Unternehmerrisikos zugeordnet und keine sachliche Unbilligkeit iSd § 236 BAO angenommen hat.
Persönliche Unbilligkeit ergibt sich aus der allgemeinen wirtschaftlichen Situation eines Antragstellers, einem wirtschaftlichen Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den beim Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen (vgl das hg Erkenntnis vom 9. Juli 1997, 95/13/0243).
In der Beschwerde wird die persönliche Unbilligkeit ausschließlich auf den Umstand der Uneinbringlichkeit der Forderung gegenüber dem seinerzeitigen Dienstnehmer gestützt. Dieses Beschwerdevorbringen vermag kein wirtschaftliches Missverhältnis zwischen der in Rede stehenden Abgabe und im Bereich der Beschwerdeführerin entstehenden - in der Beschwerde in keiner Weise konkret beschriebenen - Nachteilen aufzuzeigen. Den Ausführungen des angefochtenen Bescheides, wonach ein (Umsatzsteuer-)Betrag von ca 9.000 Euro keinen Einfluss auf die wirtschaftliche Situation der Beschwerdeführerin zu entfalten vermag, tritt die Beschwerde nicht entgegen.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl II 333/2003.
Wien, am 16. Dezember 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2003150099.X00Im RIS seit
26.01.2004