TE Vwgh Erkenntnis 2003/12/17 2002/20/0575

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Veröffentlicht am 17.12.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des F in W, geboren 1984, vertreten durch Dr. Gerda Gerig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Habsburgergasse 6-8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. August 2002 (mündlich verkündet am 13. Mai 2002), Zl. 221.634/10-II/04/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Pakistans, reiste am 19. November 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am 22. November 2000 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 15. Februar 2001 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, sein Vater sei Mitglied der Pakistan Muslime League (PML). Ende des Jahres 1999 sei die Polizei zur Familie des Beschwerdeführers nach Hause gekommen. Der Beschwerdeführer selbst sei zu diesem Zeitpunkt bei seinem Onkel gewesen. Seinem Vater sei es zunächst irgendwie gelungen zu fliehen. Was die Polizei von seinem Vater genau gewollt habe, wisse der Beschwerdeführer nicht. Die Polizei sei in der Folge zu dem Onkel des Beschwerdeführers gekommen, doch habe sich der Beschwerdeführer schon vorher zu seiner Tante begeben, denn ein Nachbar habe den Onkel gewarnt, dass die Polizei kommen würde. Der Onkel habe dem Beschwerdeführer später mitgeteilt, dass die Polizei den Beschwerdeführer habe verhaften wollen. Auf der Anzeige, die gegen seinen Vater vorläge, sei auch sein Name vermerkt. Bis zum Mai 2000 habe sich der Beschwerdeführer bei der Tante aufgehalten. Danach habe er sich zu einer anderen Tante begeben. Erst in weiterer Folge sei er wieder zu seinem Onkel gegangen, von wo aus er die Ausreise angetreten habe. Von seinem Onkel habe der Beschwerdeführer gehört, dass sein Vater festgenommen und nicht mehr freigelassen worden sei. Er habe weiters erfahren, dass die Polizei auch bei beiden Tanten nach ihm gesucht habe. Im Falle einer Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer, wegen seines Vaters von der Polizei verhaftet zu werden.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. Februar 2001 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Pakistan gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig erklärt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht auszuschließen, dass die pakistanischen Behörden nach dem Beschwerdeführer gesucht haben. Hätten sie jedoch tatsächlich Interesse an seiner Person gehabt, hätten sie in Erfahrung bringen können, wo der Beschwerdeführer jeweils aufhältig gewesen sei. Insbesondere wären die Verwandten des Beschwerdeführers mit Sicherheit unter Beobachtung gestellt worden. Die Suche durch die Polizei weise auch nicht die für eine Asylgewährung erforderliche Intensität auf.

Auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid wurde er am 12. Juni 2001 und am 13. Mai 2002 von der belangten Behörde mündlichen Verhandlungen als Partei beigezogen. Der bei der letztgenannten Verhandlung anwesende Sachverständige führte laut Verhandlungsschrift auf nachstehenden Gutachtensauftrag Folgendes aus (der Beschwerdeführer wurde als "BW V" bezeichnet):

"VL beauftragt nunmehr SV mit der Erstellung eines Gutachtens zur gegenwärtigen aktuellen politischen Lage in Pakistan, mit besonderem Blick auf eine Gefährdung von Anhängern der PML, unter konkreter Würdigung der bisherigen Vorbringen der BW.

SV führt gutächtlich aus:

I. Zunächst verweise ich auf mein schriftliches Gutachten 'zur Lage in Pakistan Jänner 2002', und hier auf die Fragen Nr. 1 (Stellt die Tatsache, Mitglied einer politischen Partei zu sein, allein ein Risiko dar, von der gegenwärtigen Regierung verfolgt zu werden?), 3 (Wie zuverlässig ist das Gerichtswesen?), 4 (Sind Fälle bekannt, wo allein die Tatsache im Ausland um Asyl angesucht zu haben, bei der Rückkehr nach Pakistan Verfolgung nach sich gezogen hat?), 5 (Wenn jemand beispielsweise in Karatschi wegen unzutreffender Vorwürfe von den Behörden verfolgt wird, besteht für diese Person das Risiko, auch in Lahore oder einer anderen großen Stadt von den Behörden verfolgt zu werden?), 7 (Wie ist die Arbeit der Polizei zu beurteilen?), 8 (Welche anderen Entwicklungen sind seit dem Militärputsch durch Pervez Musharraf 1999 eingetreten?).

II. In Ergänzung hiezu führe ich aus:

1. Von einem Naheverhältnis der PPP zur gegenwärtigen Militärregierung, das es erlauben würde, eine unbegründete Strafverfolgung von politischen Gegnern (etwa PML-Mitgliedern) herbeizuführen, kann meines Erachtens derzeit nicht gesprochen werden. Vielmehr befindet sich die PPP weiterhin in starker Opposition zur Regierung. Hingegen gibt es einige Absplitterungen der PML, die auf einen pro-Musharraf-Kurs eingeschwenkt sind. Diese Einschätzung wird auch durch eine Auskunft von Bernhard Imhasly, dem Südasien-Korrespondenten der NZZ, vom 24.4.2002 bestätigt (siehe Beilage). Dies heißt jedoch nicht, dass nicht der PML angehörige Politiker, die sich im Gegensatz zur jetzigen Regierung befinden, nicht gefährdet wären (so berichtet Human Rights Watch Report 2001 vom Fall eines am 28.11.1999 verhafteten und gefolterten Abgeordneten der PML im Parlament des Bundesstaates Punjab).

2. Hinsichtlich des allgemeinen atmosphärischen Hintergrunds ist zu sagen, dass es gegenwärtig (bzw. bereits seit einigen Monaten nach der Machtübernahme durch Musharraf) im Vergleich zu früher - in welcher PPP und PML erbittert um die Macht konkurriert haben - zu einer Entspannung zwischen beiden Parteien gekommen (in Zeitungsberichten wird von 'like-minded parties' gesprochen, was sich auf die Gegnerschaft zu Musharraf und den Wunsch nach der Rückkehr zur Demokratie bezieht). Bereits daraus lässt sich schließen, dass jedenfalls gegenwärtig die Motivation der Mitglieder der PPP den BW zu verfolgen, nicht mehr so groß wie ehedem sein dürfte. Hinzu kommt, dass die logistische Kapazität einer Oppositionspartei, eine bestimmte Person wie den BW, in Pakistan auszuforschen, wahrscheinlicht nicht ausreicht, zumal sie, da nicht mehr an der Regierung, über keine staatlichen Machtmittel verfügt, und selbst die staatlichen Machtmittel hierfür kaum ausreichen.

3. Die Einschätzung des VL am ersten Termin der Verhandlung, d. h. am 12.6.01, dass Angehörige der PML in der Regel nicht allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft verfolgt würden, sondern allenfalls kurzfristig festgenommen, um Demonstrationen und Versammlungen zu verhindern, trifft im Wesentlichen weiterhin zu. Ebenso, dass die Führer einiger PML-Splittergruppen um eine Annäherung an die Regierung bemüht sind.

Zu den BW im einzelnen:

...

Zu BW V

Die vorgelegten allgemeinen Unterlagen ändern nichts an meiner obigen Einschätzung der asylrelevanten Lage in Pakistan, zumal mir die meisten zitierten Dokumente bekannt waren und bei meiner Beurteilung herangezogen wurden. Zu den zitierten Massenfestnahmen von Parteiaktivisten möchte ich ergänzen, dass im AI-Bericht 2001 (Berichtszeitraum 2000) erwähnt wird, dass die meisten betroffenen 'activists' nach kurzer Zeit wieder freigelassen wurden und die 'politicians' gegen Kaution freikamen. Demgemäß halte ich die Gefahr, dass BW V Opfer staatlicher Verfolgung werden könnte, für sehr gering. Sein Vater wurde angeblich wegen bloßer Mitgliedschaft inhaftiert. Vergleichbare Fälle sind zwar bekannt, jedoch wurden die Betroffenen nach kurzer Zeit wieder freigelassen. Dass dem BW selbst allein aus der Parteimitgliedschaft des Vaters ernsthafte Schwierigkeiten erwachsen könnten, scheint mir sehr unwahrscheinlich.

..."

Der Beschwerdeführer legte bei dieser mündlichen Verhandlung schließlich noch dar, dass er vor kurzem über einen Freund erfahren habe, dass sein Vater noch immer in Haft sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen. In der Bescheidbegründung gab die belangte Behörde im Wesentlichen die mit dem Beschwerdeführer vor der Behörde erster Instanz und im Berufungsverfahren aufgenommenen Niederschriften sowie die Berufung des Beschwerdeführers wieder. Nach der Anführung gesetzlicher Bestimmungen ist der Bescheidbegründung sodann lediglich Folgendes zu entnehmen:

"Auf der Basis des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens - d. h. insbesondere der sowohl allgemeinen wie auf die besondere Situation der einzelnen Berufungswerber abgestellten gutächtlichen Ausführungen des SV am zweiten Termin der Berufungsverhandlung - besteht auch für den Berufungswerber dieses Verfahrens keine genügend reale Gefahr, zielgerichtet oder zufällig in relevanter Intensität Misshandlungen durch staatliche pakistanische Organe zu erleiden, dies jedenfalls außerhalb der engeren Heimat.

Dabei hat der Sachverständige auch klargestellt, dass sämtliche Berufungswerber, sohin auch der Berufungswerber dieses Verfahrens, ungefährdet nach Pakistan zurückkehren können, da in ihren Fällen nicht zu erwarten sei, dass die Berufungswerber auf landesweite Fahndungslisten kämen. Dass ein Leben außerhalb der engeren Heimat führbar sei, wurde nur von Berufungswerber IV, sohin nicht vom Berufungswerber dieses Verfahrens bestritten, aber auch in diesem Fall vom Sachverständigen überzeugend dargelegt."

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Begründung des angefochtenen Bescheides kann nicht entnommen werden, dass die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers für unzutreffend gehalten hätte. Im Hinblick auf die sich daraus ergebende Suche nach dem Beschwerdeführer selbst durch die pakistanische Polizei an verschiedenen Orten und die andauernde Haft seines Vaters können jedoch die Äußerungen des Sachverständigen nicht zur Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogen werden: Dieser gab nämlich nur an, Fälle einer Verhaftung wegen bloßer Mitgliedschaft bei der PML seien bekannt, jedoch seien die Betroffenen nach kurzer Zeit wieder freigelassen worden, sowie dass es unwahrscheinlich erscheine, dass dem Beschwerdeführer selbst allein aus der Parteimitgliedschaft des Vaters ernsthafte Schwierigkeiten erwachsen könnten. Dass diese Aussagen den angefochtenen Bescheid nicht tragen können, ergibt sich schon daraus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers gerade in ihrem Licht dagegen spricht, dass es in asylrelevanter Hinsicht bei den polizeilichen Maßnahmen bloß um die PML-Mitgliedschaft seines Vaters geht, wobei zu ergänzen ist, dass er den genauen Grund der Verhaftung seines Vaters gar nicht hat nennen können.

Insgesamt ist es somit nicht nachvollziehbar, dass tatsächlich eine Würdigung des konkreten Vorbringens des Beschwerdeführers stattgefunden hat (vgl. dazu z.B. die hg. Erkenntnisse vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0484 und Zl. 2000/20/0419, vom 16. Juli 2003, Zl. 2001/01/0097, und vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0086). Dies bewirkt aber, dass die Annahme der belangten Behörde, außerhalb seiner engeren Heimat könne der Beschwerdeführer ohne asylrelevante Verfolgungsgefahr leben, gleichfalls nicht ausreichend begründet ist.

Der angefochtene Bescheid war schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das die Umsatzsteuer betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, da diese bereits in den Pauschalsätzen der genannten Verordnung berücksichtigt ist.

Wien, am 17. Dezember 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002200575.X00

Im RIS seit

29.01.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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