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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BAO §20;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 99/13/0205 99/13/0206Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Heinzl, Dr. Fuchs und Dr. Büsser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Seidl LL.M., über die Beschwerden 1. des S in G, 2. des B in K und 3. des W in W, alle vertreten durch Dkfm. Dr. Walter Kristen, beeideter Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1130 Wien, Lainzer Straße 35, gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 24. August 1999, Zl. RV/190-07/99 (hg. Zl. 99/13/0204), Zl. RV/192-07/99 (hg. Zl. 99/13/0205) und Zl. RV/191-07/99 (hg. Zl. 99/13/0206), alle betreffend Haftung gemäß den §§ 9 und 80 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern jeweils Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer waren jeweils Geschäftsführer der Komplementär GmbH einer KG.
Mit Haftungsbescheiden wurden die Beschwerdeführer gemäß den §§ 9 und 80 BAO zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten (im Wesentlichen Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für Februar und März 1996) der GmbH herangezogen.
In den dagegen von beiden Beschwerdeführern erhobenen, im Wesentlichen gleich lautenden Berufungen wurde unter Anderem ausgeführt, es sei am 4. April 1996 ein Antrag auf Überrechnung des Guthabens vom Steuerkonto der KG auf das Konto der GmbH gestellt worden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die zuständige Behörde unter Missachtung ihrer Pflichten und in Widerspruch zu § 311 BAO den Überrechnungsantrag, der zur Tilgung sämtlicher Abgabenrückstände ausgereicht hätte, nicht antragsgemäß erledigt habe. Auf die antragsgemäße Erledigung habe die Geschäftsführung der GmbH vertraut, zumal den Geschäftsführern im Rahmen einer Umsatzsteuernachschau die alsbaldige Erledigung des Überrechnungsantrages versichert worden sei.
In ihren nach Erlassung jeweils einer Berufungsvorentscheidung gestellten (gleich lautenden) Anträgen auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz betonten die Beschwerdeführer, dass sich das Guthaben, mit welchem die Lohnabgaben für Februar und März 1996 hätten beglichen werden sollen, von April bis November 1996, somit über einen Zeitraum von sieben Monaten, innerhalb dessen der Überrechnungsantrag unerledigt geblieben sei, auf dem Konto der KG befunden habe. Es könne daher den Geschäftsführern keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden.
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen (abgesehen von einer geringfügigen Herabsetzung des Haftungsbetrages) ab. Begründend wurde unter Anderem ausgeführt, dem "Einwand", dass am 4. April 1996 ein Antrag auf Überrechnung eines Guthabens vom Steuerkonto der KG auf das Konto der GmbH gestellt worden sei, sei zu entgegnen, dass es niemals zu einer derartigen Überrechnung gekommen sei. Es könne daher keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführer im besten Glauben alles unternommen hätten, um den ausstehenden Abgabenrückstand zu tilgen. Mit der bloßen Hoffnung, es würde bei der Partnergesellschaft ein Umsatzsteuerguthaben entstehen, das in der Folge zu Gunsten der GmbH umgebucht würde, hätten die Beschwerdeführer nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. November 1996, 94/15/0006, ihrer Verpflichtung, Abgaben aus den Mitteln, die sie für die Gesellschaft verwalteten, zu entrichten, unter Außerachtlassung der ihnen zumutbaren Sorgfalt nicht entsprochen. Daran vermöge auch der Umstand, dass sich am Abgabenkonto der KG vom 15. April 1996 bis 13. November 1996 ein entsprechendes Guthaben befunden habe, nichts zu ändern. Die Abgabenbehörde könne nämlich gemäß § 239 Abs. 2 BAO den zu überrechnenden Betrag auf jenen Teil des Guthabens beschränken, der die der Höhe nach festgesetzten Abgabenschuldigkeiten übersteige, die der Abgabepflichtige nicht später als drei Monate nach der Stellung des Antrages auf Überrechnung zu entrichten haben werde, sodass das erwähnte Guthaben zur Tilgung der bereits am 10. Jänner 1996 fälligen Säumniszuschläge 1996 und der am 15. Jänner 1996 fälligen Lohnsteuer 1995 zu verwenden gewesen sei. Der Hinweis auf die Missachtung des § 311 BAO bei der Erledigung des Überrechnungsantrages sei nicht zielführend, weil auch eine Missachtung des § 311 BAO nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Juni 1992, 87/14/0172, den Beurteilungszeitpunkt dafür, in welchem Ausmaß eine beantragte Überrechnung vorzunehmen sei, nicht ändere. Der dafür maßgebende Zeitpunkt könne nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1987, 87/14/0097, nur jener der Überrechnungsmaßnahme selbst sein, weil nur ein in diesem Zeitpunkt noch bestehendes Guthaben überrechnet werden könne.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobenen, wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen, im Wesentlichen gleich lautenden Beschwerden erwogen:
In den Beschwerden wird insbesondere gerügt, dass die belangte Behörde zu Unrecht ein schuldhaftes Verhalten der Beschwerdeführer im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO angenommen habe. In den Beschwerdefällen sei die Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeiten nicht auf ein schuldhaftes Verhalten der Beschwerdeführer, sondern auf das Fehlverhalten der Abgabenbehörde zurückzuführen.
Gemäß § 215 Abs. 1 BAO ist ein sich aus der Gebarung gemäß § 213 unter Außerachtlassung von Abgaben, deren Einhebung ausgesetzt ist, ergebendes Guthaben eines Abgabepflichtigen zur Tilgung fälliger Abgabenschuldigkeiten zu verwenden, die dieser Abgabepflichtige bei der selben Abgabenbehörde hat; dies gilt nicht, soweit die Einhebung der fälligen Schuldigkeiten ausgesetzt ist.
Soweit Guthaben nicht gemäß Abs. 1 bis 3 zu verwenden sind, sind sie nach § 215 Abs. 4 BAO nach Maßgabe der Bestimmungen des § 239 zurückzuzahlen oder unter sinngemäßer Anwendung dieser Bestimmungen über Antrag des zur Verfügung über das Guthaben Berechtigten zu Gunsten eines anderen Abgabepflichtigen umzubuchen oder zu überrechnen.
Gemäß § 239 Abs. 2 BAO kann die Abgabenbehörde den Rückzahlungsbetrag auf jenen Teil des Guthabens beschränken, der die der Höhe nach festgesetzten Abgabenschuldigkeiten übersteigt, die der Abgabepflichtige nicht später als drei Monate nach der Stellung des Rückzahlungsantrages zu entrichten haben wird.
Im Beschwerdefall ist unbestritten, dass am 4. April 1996 ein Antrag auf Überrechnung eines die haftungsrelevanten Abgabenschuldigkeiten deckenden Guthabens vom Abgabenkonto der KG auf das Abgabenkonto der GmbH gestellt worden war. Die belangte Behörde räumt auch ein, dass zwischen dem 15. April 1996 und dem 13. November 1996 ein entsprechendes Guthaben bestanden hat. In den angefochtenen Bescheiden wird auch nicht in Abrede gestellt, dass über den Überrechnungsantrag weder bis November 1996 noch danach entschieden worden ist. Wenngleich es nun auch zutrifft, dass es zu einer dem Überrechnungsantrag entsprechenden Überrechnung "niemals gekommen ist", kann vor dem Hintergrund des unbestrittenen Sachverhaltes die Ansicht der belangten Behörde nicht geteilt werden, dass im Hinblick auf die nicht erfolgte Überrechnung keine Rede davon sein könne, dass die Beschwerdeführer in ihrer Funktion als Geschäftsführer im besten Glauben alles unternommen hätten, um den ausstehenden Abgabenrückstand zu tilgen. Der Grund, warum es zu einer derartigen Überrechnung nicht gekommen ist, kann unter den in den Beschwerdefällen gegebenen Umständen nämlich nicht darin gefunden werden, dass die Voraussetzungen für eine Überrechnung - etwa ein überrechenbares Guthaben - gefehlt hätten, sondern allein darin, dass das Finanzamt die Überrechnung nicht pflichtgemäß durchführte. Auf das hg. Erkenntnis vom 20. November 1996, 94/15/0006, stützt sich die belangte Behörde zu Unrecht, weil die Beschwerdeführer - anders als in dem dem zitierten Erkenntnis zu Grunde liegenden Beschwerdefall - nicht nur die Hoffnung auf ein entsprechendes Guthaben hatten, sondern weil ein solches Guthaben tatsächlich bestanden hat.
Die belangte Behörde verkennt aber auch die Rechtslage, wenn sie davon ausgeht, dass in den Beschwerdefällen eine Beschränkung der Überrechnung von Guthaben nach § 239 Abs. 2 BAO die Annahme eines Verschuldens der Beschwerdeführer an der unterlassenen Entrichtung der Abgabenschuldigkeiten rechtfertigt. Dies schon deswegen, weil diese Beschränkung im Ermessen der Abgabenbehörde liegt (vgl. Ritz2, BAO Kommentar, RZ 9 zu § 239 BAO) und ein solches Ermessen nach der Aktenlage in den Beschwerdefällen mangels Entscheidung über den Überrechnungsantrag nicht geübt wurde. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob es sich bei den "bereits am 10. Jänner 1996 fälligen Säumniszuschlägen 1996 und der am 15. Jänner 1996 fälligen Lohnsteuer 1995", welche jedenfalls erst im November 1996 verbucht wurden, um der Höhe nach festgesetzte Abgabenschuldigkeiten handelte, welche der Abgabepflichtige nicht später als drei Monate nach der Stellung des Überrechnungsantrages zu entrichten gehabt hätte.
Auf die hg Erkenntnisse vom 23. Juni 1992, 87/14/0172, und vom 24. November 1987, 87/14/0097, stützt sich die belangte Behörde im Übrigen schon deshalb zu Unrecht, weil mangels jeglicher Entscheidung über den Überrechnungsantrag ein konkreter Beurteilungszeitpunkt dafür, in welchem Ausmaß eine beantragte Überrechnung vorzunehmen ist, nicht besteht.
Die angefochtenen Bescheide erweisen sich daher als inhaltlich rechtswidrig, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren. Von der beantragten Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 17. Dezember 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:1999130204.X00Im RIS seit
28.01.2004