TE Vfgh Erkenntnis 2000/6/30 V101/98

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Veröffentlicht am 30.06.2000
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6930 Wasserversorgung

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art118 Abs6
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
WasserleitungsO der Marktgd Telfs vom 13.12.74 §11

Leitsatz

Verordnungscharakter der WasserleitungsO der Marktgd Telfs; keine Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung der WasserleitungsO betreffend die Kostentragung für die Instandhaltung der Leitungen infolge gesetzlicher Grundlage im ortspolizeilichen Verordnungsrecht

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Bezirksgericht Telfs behängt zu 2 C456/98k ein Rechtsstreit zwischen der Gemeindewerke Telfs GmbH als Klägerin und R.Sch. als Beklagtem wegen Ersatzes von Reparaturkosten an der Wasserversorgungsleitung zum Hause des Beklagten in Höhe von

S 13.529,- s.A. An dieser Leitung trat ein Rohrbruch auf, der von der Klägerin behoben wurde. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten auf §11 3.) der Wasserleitungsordnung der Marktgemeinde Telfs vom 13. Dezember 1974. Der Beklagte wandte ein, Ursache für den Wasserrohrbruch sei die Verlegung einer Erdgasleitung gewesen. Er habe der Klägerin keinen Auftrag zur Behebung erteilt; im übrigen sei der Rechtsweg unzulässig.

Außer Streit steht, daß der Rohrbruch mehr als 1 m nach der an der Versorgungsleitung befindlichen Absperrvorrichtung noch auf dem Grundstück der Gemeinde (Straßengrund) aufgetreten ist.

Aus Anlaß dieser Klage hat das Bezirksgericht Telfs mit Schriftsatz vom 4. Dezember 1998 gemäß Art139 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, den zweiten Satz in §11

3.) der Wasserleitungsordnung der Marktgemeinde Telfs vom 13. Dezember 1974 ("Die Kosten hat der Grundstückseigentümer für alle Aufwendungen ab 1 m nach der an der Straßenhauptleitung befindlichen Absperrvorrichtung zu tragen.") als gesetzwidrig aufzuheben.

2. §11 der Wasserleitungsordnung der Marktgemeinde Telfs vom 13. Dezember 1974 (im folgenden: WLO), angeschlagen an der Gemeindeamtstafel am 14. Dezember 1974 und abgenommen am 31. Dezember 1974, lautet (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"1.) ...

2.) ...

3.) Unterhaltung und eventuell erforderliche Änderungen der Zuleitungen bis zur ersten Absperreinrichtung nach dem Wasserzähler obliegen dem Wasserwerk. Die Kosten hat der Grundstückseigentümer für alle Aufwendungen ab 1 m nach der an der Straßenhauptleitung befindlichen Absperrvorrichtung zu tragen. Die Kosten für die Unterhaltung der Absperrvorrichtung an der Straßenhauptleitung bis zu 1 m ab dieser hat das Wasserwerk zu tragen.

4.) - 6.) ..."

3.1. Hinsichtlich der Zulässigkeit seines Antrages bringt das Bezirksgericht Telfs vor, es habe die bekämpfte Bestimmung der WLO anzuwenden, zumal diese regle, daß die Kosten für eine Reparatur im geschilderten Bereich der Wasserleitung der Beklagte als (Mit-)Eigentümer des versorgten Grundstückes zu tragen habe. Das Wort "Grundstückseigentümer" könne sich (aus näher dargelegten Gründen) - sinnvoll - nur auf den Eigentümer des letztlich zu versorgenden Grundstücks beziehen.

Durch die Schaffung der Gemeindewerke Telfs GmbH, in welche unter anderem das Wasserwerk einzubringen gewesen sei, sei die WLO nicht aufgehoben worden. Daß die Klägerin als Privatrechtsobjekt (gemeint: Privatrechtssubjekt) nunmehr privatrechtliche Ansprüche gegenüber ihren Kunden habe, spreche nicht dagegen, daß die bekämpfte Bestimmung der WLO anzuwenden sei. Sie regle die Schadenstragung und Erhaltungslast zwischen dem Abnehmer und dem Wasserversorger. Auch Verordnungen könnten zivilrechtliche Ansprüche zwischen Privaten begründen und regeln.

Sollte man jedoch annehmen, daß im Hinblick auf §1 WLO, wonach die Gemeinde als Eigenbetrieb ein Wasserwerk betreibe, die klagende Partei nicht durch §11 3.) WLO berechtigt worden sei, Ersatz zu fordern, sondern dieser direkt der Gemeinde zustehe, ändere dies nichts daran, daß das antragstellende Gericht diese Bestimmung anwenden müsse. In diesem Fall hätte die klagende Partei der forderungsberechtigten Gemeinde gegenüber eine fremde Schuld, nämlich die des Beklagten, erfüllt und wäre nach §1042 ABGB regreßberechtigt. Auch in diesem Falle hätte das antragstellende Gericht die angefochtene Bestimmung für die Entscheidung im Zivilprozeß anzuwenden.

3.2. Das antragstellende Gericht legt seine Bedenken wie folgt dar:

"Die angefochtene Bestimmung ist (verfassungs-)gesetzwidrig, weil sie sich auf keine gesetzliche Grundlage zu stützen vermag. In Tirol gibt es kein Landesgesetz, das die Wasserversorgung regelt. Die Tiroler Gemeindeordnung - egal ob §27 Abs2 der Tiroler Gemeindeordnung 1949 oder §28 der damals schon geltenden Tiroler Gemeindeordnung 1966 - sind keine geeigneten gesetzlichen Grundlagen, da sie lediglich allgemein darauf hinweisen, daß die Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich Verordnungen erlassen könne. Bei der angeordneten Schadenstragung handelt es sich auch nicht um eine Frage der 'Benützung der Gemeindeeinrichtungen', zumindest ist diese Gesetzesanordnung nicht hinreichend inhaltlich bestimmt, um die angefochtene Verordnungsstelle begründen zu können. Die Tiroler Gemeindeordnung 1966 kennt im übrigen eine Ermächtigung zur Erlassung von Satzungen über die Benützung von Gemeindeeinrichtungen nicht mehr.

Auch (...) §7 Abs5 des Finanzverfassungsgesetzes 1948 in Verbindung mit (nunmehr) §15 Abs3 Z5 des Finanzausgleichsgesetzes 1997 bzw. die gleichlautenden Vorgängerbestimmungen können nicht als gesetzliche Grundlage dienen. Dort werden die Gemeinden lediglich ermächtigt, durch Beschluß der Gemeindevertretung (...) Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen, die für Zwecke der öffentlichen Verwaltung betrieben werden ... auszuschreiben. Der angefochtene Satz der Gemeindewasserleitungsordnung regelt jedoch keine Gebühr, sondern ganz konkrete Schadenstragung bzw. Erhaltungsaufwand. §17 der Gemeindewasserleitungsordnung verweist selbst darauf, daß Art, Fälligkeit und Höhe der Gebühren eine eigene Gebührenordnung regle.

Weil eine Wasserleitung, die unter dem Straßenbelag oder sonst tief in der Erde vergraben ist, jedenfalls unselbständiger Bestandteil des jeweiligen Grundstückes wird (§297 ABGB) und somit jeweils im Eigentum des Grundstückseigentümers steht und die Aufwendungen, insbesondere der Schaden an eigenen Sachen, regelmäßig dessen Eigentümer trifft (§1293 ABGB), handelt es sich bei dem angefochtenen Verordnungssatz um eine Bestimmung, die die Erhaltungslast und den Schaden vom Eigentümer auf jemand anderen verlagert. Eine solche Bestimmung ist aber zivilrechtlichen Inhaltes. Gesetzgebung und Vollziehung in Angelegenheiten des Zivilrechtes ist jedoch nach Artikel 10 B-VG Bundessache. Auch aus diesem Grund kann sich die Verordnung nicht rechtens auf die Tiroler Gemeindordnung als Landesgesetz stützen."

4. Da nicht offenkundig war, welche Behörde zur Vertretung der angefochtenen Verordnung im Sinne des §58 Abs2 VerfGG berufen ist, hat der Verfassungsgerichtshof die Tiroler Landesregierung, aber auch den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft zu Äußerungen eingeladen. Der Gemeinderat der Marktgemeinde Telfs, die Tiroler Landesregierung, der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft und der Beklagte als mitbeteiligte Partei haben Äußerungen erstattet. Der Gemeinderat teilte mit, daß keinerlei auf die Entstehung der WLO bezughabende Akten aufgefunden werden konnten. Die Tiroler Landesregierung hat ein Konvolut vorgelegt, dessen Deckblatt "Wasserleitungsordnung- und Gebührenordnung" lautet und das u.a. die WLO samt Anschlagsvermerk enthält. Die mitbeteiligte Partei hat repliziert.

4.1. Der Gemeinderat verweist in seiner Äußerung darauf, daß die inkriminierte Bestimmung gleichlautend der in §3 Musterwasserleitungsordnung, abgedruckt im Merkblatt für die Gemeinden Tirols 10/1970, 4 ff., sei; auch hätte die Tiroler Landesregierung keine Bedenken gegen diese Bestimmung gehegt.

§28 Tiroler Gemeindeordnung (TGO) 1966 beinhalte die Befugnis zur Regelung von Benützungsordnungen mittels ortspolizeilicher Verordnung, "da die Wasserversorgung der Gemeindebürger als ein derart wichtiges Gut angesehen wird, daß zur Hintanhaltung von das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Mißständen eine entsprechende Benützungsregelung einschließlich der hoheitlichen Festlegung der Modalitäten der Benützung, also wie im gegenständlichen Fall, der Gefahrtragung, erfolgen kann."

4.2. Die Tiroler Landesregierung bringt in ihrer Äußerung im wesentlichen vor:

4.2.1. Das antragstellende Gericht habe die angefochtene Bestimmung nicht anzuwenden. §11 der Verordnung regle nur die Ausführung und die "Unterhaltung" (das sei zeitgemäß wohl die "Instandhaltung") von Hauswasseranschlüssen an die der öffentlichen Wasserversorgung dienenden Anlagen.

"Regelungsgegenstand des gesamten §11 Pkt. 3 ist ... ausschließlich die Instandhaltung von und die Vornahme allfälliger Änderungen an Zuleitungen ... . Im öffentlichen Recht wird regelmäßig zwischen der Instandhaltung und der Instandsetzung unterschieden (vgl. §§32 und 112 der Gewerbeordnung 1994, §1 Z2 litb der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, §§33 Abs1 und 36 Abs2 Z2 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, §§3 Abs2 und 10 Abs1 Z1 des Arbeitsruhegesetzes, §40 Abs2 der Tiroler Bauordnung 1998, §8 Abs3 litb des Tiroler Nationalparkgesetzes Hohe Tauern, §§5 litd, 6 litf und litj Z1, 10 Abs2 litf und 11 Abs2 lite des Tiroler Naturschutzgesetzes 1997, §29 Abs13 der Ölfeuerungsverordnung usw.). Unter Instandhaltung sind alle aus dem gewöhnlichen Betrieb herrührenden Maßnahmen zu verstehen, die der Erhaltung eines guten, ordnungsgemäßen und gebrauchsfähigen Zustandes einer Sache dienen ...

... Wenn nun im Anlassfall offensichtlich größere Reparaturarbeiten zur Beseitigung eines durch Fremdeinwirkung entstandenen Rohrbruches notwendig gewesen sind, so handelt es sich nicht um Instandhaltungs-, sondern um Instandsetzungsarbeiten. Für diese sieht die WLO aber überhaupt keine Regelungen vor, sodass als rechtliche Grundlagen für das Urteil des Bezirksgerichtes Telfs im Streitgegenstand ausschließlich die allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften heranzuziehen sind. Auch der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg. Nr. 12.876/1991 streng zwischen dem Erhaltungsaufwand, der vom Hauseigentümer verursacht wird, und jenem Aufwand, der typischerweise bei der Reparatur von Wasserleitungen (wie z.B. Erdarbeiten) entsteht, differenziert."

Selbst wenn Wiederherstellungsarbeiten erheblicheren Umfangs noch als Instandhaltung im Sinne des §11 3.) der Verordnung interpretiert werden könnten, fehle dem antragstellenden Gericht die Zuständigkeit zur Anwendung der angefochtenen Verordnungsstelle.

Vorschriften über die Instandhaltung von Anlagen seien typischer Inhalt öffentlich-rechtlicher Normen. Es verbiete sich sohin, den Worten "für alle Aufwendungen" im angefochtenen Satz einen zivilrechtlichen, insbesondere schadenersatzrechtlichen Inhalt zu unterstellen, weil damit die angefochtene Bestimmung vollkommen aus ihrem Zusammenhang gerissen würde. Die Modalitäten der Benützung von Versorgungseinrichtungen der Gemeinde seien hoheitliche Normen, wenn auch ihre Benützung kraft hoheitlicher Anordnung erfolge (Verweis auf Havranek/Unkart, Grundlagen, Grenzen und Anwendungsbereich des ortspolizeilichen Verordnungsrechts, in: Fröhler/Oberndorfer, Das österreichische Gemeinderecht, 3.9, 38). Im übrigen gebiete es die Notwendigkeit der verfassungskonformen Interpretation einer Verordnung, ihr nicht von vornherein einen kompetenzwidrigen Inhalt zur Last zu legen; ortspolizeiliche Verordnungen dürften keine zivilrechtlichen Bestimmungen enthalten (Verweis auf VfSlg. 9899/1983 und Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechtes8 (1996) Rz 876).

Gehe man davon aus, daß die WLO für die Entscheidung über die streitgegenständliche Angelegenheit keine Regelung enthält, bzw. bei extensiver Interpretation des Begriffes "Instandhaltung", daß es sich im Anlaßfall um einen öffentlich-rechtlichen Leistungsanspruch handle, über dessen Rechtmäßigkeit nicht die ordentlichen Gerichte, sondern die Verwaltungsbehörden zu entscheiden hätten, so fehle offenkundig die Präjudizialität und es könne der vom Bezirksgericht Telfs behauptete Eingriff in die Zivilrechtskompetenz des Bundes nicht gegeben sein.

4.2.2. Sollte der Verfassungsgerichtshof die angefochtene Verordnungsstelle dennoch für präjudiziell erachten, so seien (unter Hinweis auf VfSlg. 11726/1988) die Voraussetzungen für die Erlassung der WLO als ortspolizeilicher Verordnung gegeben.

Hiezu wird - zusammengefaßt wiedergegeben - ausgeführt:

4.2.2.1. Gemäß §36 Abs1 Wasserrechtsgesetz (WRG) 1959 (welcher unverändert auf den §32 WRG 1934 zurückgehe, der wiederum auf §35 des Landeswasserrechtsgesetzes beruhe) könne zur Wahrung der Interessen eines gemeinnützigen öffentlichen Wasserversorgungsunternehmens ein Anschlußzwang vorgesehen und die Einschränkung der Errichtung eigener Wasserversorgungsanlagen und deren Auflassung dann verfügt werden, wenn und insoweit durch die Weiterbenützung bestehender Anlagen die Gesundheit gefährdet werden oder die Errichtung neuer Anlagen den Bestand der öffentlichen Wasserleitung in wirtschaftlicher Beziehung bedrohen könne. Die näheren Bestimmungen blieben der Landesgesetzgebung überlassen.

In Judikatur und Literatur herrsche Übereinstimmung, daß Bestimmungen über den Anschlußzwang an eine öffentliche Wasserleitung dem Kompetenztatbestand "Wasserrecht" angehörten. Es bestehe auch einhellig die Meinung, daß derartige den Anschlußzwang regelnde Vorschriften im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden zu vollziehen seien.

4.2.2.2. Unter Hinweis auf §36 Abs1 WRG 1959 (bezüglich Bedachtnahme auf die Gesundheit) und auf die Judikatur und Literatur zur Erlassung ortspolizeilicher Verordnungen und der Mißstandsbeseitigung wird vorgebracht,

"dass die Sicherstellung der Versorgung der Gemeindebewohner von Telfs und von sonstigen Personen, die sich im Gebiet der Marktgemeinde aufhalten, mit einwandfreiem Trinkwasser in ausreichenden Mengen zu den existentiellen Bedürfnissen der Bevölkerung zählt. Durch eine den Anschlusszwang vorsehende ortspolizeiliche Verordnung soll daher primär jenen - auch aus den besonderen topographischen Verhältnissen resultierenden - Gefahren begegnet werden, die sich aus dem Genuss oder Verbrauch verunreinigten Wassers, also solchen Wassers, das den physikalischen, chemischen und biologischen Anforderungen nicht entspricht, jederzeit ergeben können. Darüber hinaus gilt es, in der Marktgemeinde Telfs schon rechtzeitig Maßnahmen im Interesse der Versorgungssicherheit zu treffen, weil Wassermangel in Zeiten der Dürre oder von lang anhaltenden strengen Frösten bei kleineren Versorgungseinheiten erfahrungsgemäß früher auftritt als bei größeren und nicht erst in Krisenzeiten Versorgungsleitungen gelegt werden können. Schließlich besteht bei den gut gesicherten Quellfassungen und Versorgungsleitungen der Marktgemeinde Telfs ein erheblich geringeres Risiko, dass durch (bewusste oder unbewusste) Fremdeinwirkung die Wassergüte beeinträchtigt werden kann. All diese Gefahren bestehen für das örtliche Gemeinschaftsleben von Telfs nicht nur potentiell und es ist ein Anschlusszwang an die öffentliche Wasserversorgung auch ein taugliches und adäquates Mittel zu ihrer Abwehr (vgl. VfSlg. 6556)."

4.2.2.3. Die WLO verstoße auch nicht gegen bestehende Gesetze. Der Landesgesetzgeber habe von der Ermächtigung des §36 Abs1 WRG 1959 zur Erlassung eines Ausführungsgesetzes nicht Gebrauch gemacht. Da sich §36 Abs1 WRG 1959 ausschließlich an den Landesgesetzgeber richte und in Tirol keine entsprechende landesgesetzliche Vorschrift bestehe, könne kein Widerspruch zu bestehenden Gesetzes des Bundes oder des Landes eintreten. Es bestehe also ein rechtsfreier Raum, den die Gemeinde durch Erlassung einer ortspolizeilichen Verordnung ausfüllen könne.

Es lägen somit sämtliche von Art118 Abs6 B-VG bzw. §28 TGO 1966 geforderten Voraussetzungen dafür vor, daß die Gemeinden einen Anschlußzwang an die öffentliche Wasserversorgung und die näheren Modalitäten hiefür im Wege einer ortspolizeilichen Verordnung regeln dürften.

4.3. Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft hält zunächst fest, daß sich die in Prüfung gezogene Verordnung ausschließlich auf die Tiroler Gemeindeordnung stütze und eine Materie, die der Bundesminister zu vollziehen habe, insbesondere das WRG 1959, nicht (direkt) berühre.

Im übrigen folgt er den Überlegungen der Tiroler Landesregierung.

4.4. Die mitbeteiligte Partei bringt in ihrer Äußerung vor, daß es sich bei der WLO um eine Verordnung im Sinne des Art18 B-VG handle. Die Regelung des §11 der WLO über die Ausführung und Erhaltung des Anschlusses, insbesondere die angefochtene Verordnungsstelle, müßte zumindest dem Grunde nach in einem Gesetz geregelt sein. §27 Abs2 TGO 1949, auf den sich die Marktgemeinde Telfs berufe, vermöge jedoch die bekämpfte Stelle der Verordnung nicht zu stützen. Gemäß §28 Abs1 TGO 1966 (früher §27) habe der Gemeinderat in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches nach freier Selbstbestimmung ortspolizeiliche Verordnungen zur Abwehr unmittelbar zu erwartender und zur Beseitigung entsprechender das örtliche Gemeinschaftsleben störender Mißstände zu erlassen. Die angefochtene Verordnungsstelle erfülle jedoch nicht diese Voraussetzungen.

Auch §15 FAG 1997, Art65 BGBl. 201/1996, welcher die Gemeinden ermächtige, Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen vorzuschreiben, die für Zwecke der öffentlichen Verwaltung betrieben würden, gebe keine gesetzliche Deckung für die angefochtene Verordnungsstelle.

Selbst wenn man in §15 FAG eine Ermächtigung zur Vorschreibung von Gebühren für die Kosten der Erhaltung der Gemeindewasserleitung sehe, scheine die angefochtene Regelung gleichheits- und verfassungswidrig, da sie dem Wasserbezieher Kosten für Maßnahmen (nämlich die Verlegung der Erdgasleitung) aufbürde, die ihm gar nicht, zumindest aber nicht ihm alleine zugute kämen.

In ihrer Replik erachtet die mitbeteiligte Partei §11 3.) WLO als präjudiziell, da das anfechtende Gericht aufgrund dieser Bestimmung zu entscheiden habe, ob es sich um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten, der vor der Verwaltungsbehörde durchgesetzt werden müsse, oder um einen privatrechtlichen Anspruch (Schadenersatzanspruch, Aufwandsersatz) handle, der vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag im Sinne des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 11569/1987, 12189/1989).

Die Klägerin hat ihren Anspruch auf Ersatz der Instandhaltungskosten für die beschädigte Wasserleitung auf §11 3.) WLO gestützt. Es ist nicht geradezu denkunmöglich, wenn das antragstellende Gericht davon ausgeht, daß es die angefochtene Bestimmung bei seiner Entscheidung anzuwenden hat

(VfSlg. 11569/1987). Wenn das antragstellende Gericht weiters annimmt, daß die Instandsetzung unter den Begriff "Unterhaltung" falle, so ist dies zumindest denkmöglich, zumal die WLO weder von Instandsetzung noch von Instandhaltung spricht, also nicht wie die von der Landesregierung ins Treffen geführten Beispiele zwei Begriffe einander gegenüberstellt oder sie unter mehreren aufzählt.

Die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung ist sohin gegeben.

1.2. Die WLO sieht in §1 vor, daß die Gemeinde eine Wasserversorgungsanlage betreibt. Unter der Bezeichnung "Anschluß- und Benutzungsrecht" regelt §2 den Anschluß von Grundstücken, die in der Gemeinde liegen. §3 1.) bestimmt, daß die Grundstückseigentümer die Herstellung einer neuen und die Änderung einer bestehenden Wasserleitung (Versorgungsleitung) nicht verlangen können. 2.) regelt, unter welchen Voraussetzungen das Wasserwerk den Anschluß eines Grundstückes an eine bestehende Straßenleitung versagen kann. §§4 und 5 regeln den Anschlußzwang und die Befreiung davon, §§6 bis 8 regeln den Benutzungszwang und die Befreiung davon sowie Anschluß und Benützung der Wasserleitung für Feuerlöschzwecke, §9 das Verfahren der Anmeldung eines Wasseranschlusses, §11, dessen Abs3 oben (s. Pkt. I.2.) wörtlich wiedergegeben ist, die Ausführung und Unterhaltung des Anschlusses. Die übrigen Bestimmungen betreffen im wesentlichen Fragen der Wasserlieferung, die Verrechnungsart, die Benützung öffentlicher Brunnen, den Zutritt zu Wasserleitungsanlagen und Auskunftspflichten, die Beendigung des Wasserbezuges und Gebühren, §18 enthält Strafbestimmungen bei Verstößen gegen die Satzung.

Die Darstellung ihres Inhaltes zeigt, daß diese als "Satzung" bezeichnete, durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde kundgemachte WLO ihrem Aufbau, der ganzen Systematik und ihrem Inhalt nach (s. insbesondere §18) insgesamt eine Verordnung im Sinne des Art18 Abs2 und des Art139 Abs1 B-VG darstellt. Auch die angefochtene Bestimmung ist eine Verordnungsbestimmung.

1.3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof teilt die Auffassung der Tiroler Landesregierung, daß die WLO auf keiner spezialgesetzlichen Grundlage beruht.

Der Tiroler Landesgesetzgeber hat von der Ermächtigung des §36 WRG 1959, ein Ausführungsgesetz zu erlassen, keinen Gebrauch gemacht. (§30 Abs3 Tiroler Gemeindeabgabengesetz, LGBl. 43/1935, wurde durch das Tiroler Rechtsbereinigungsgesetz, LGBl. 5/1993, aufgehoben.)

2.2. Art118 Abs6 B-VG ermächtigt die Gemeinden, nach freier Selbstbestimmung Verordnungen zu erlassen, wenn diese eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches betreffen, die Abwehr zu erwartender oder die Beseitigung bestehender, das örtliche Gemeinschaftsleben störender Mißstände verfolgen und nicht gegen bestehende Gesetze oder Verordnungen des Bundes oder des Landes verstoßen (zB VfSlg. 7960/1976, 9762/1983, 10274/1984, 11926/1988). Eine ähnliche Ermächtigung sieht §28 TGO 1966 vor - wie auch schon §27 TGO 1949 -, auf den sich die Präambel der WLO beruft und auf den sich einige der Verfahrensparteien beziehen (s. Pkt. I.3., 4.1., 4.2.2.3. und 4.4.).

Der Verfassungsgerichtshof stimmt mit der Tiroler Landesregierung darin überein, daß die WLO diese Voraussetzungen erfüllt (s. Pkt. I.4.2.2.2.). Durch Erlassung der WLO, die Anschluß- und Benützungszwang vorsieht, sollte zu erwartenden Mißständen bei der Wasserversorgung der Bevölkerung vorgebeugt werden (vgl. zu einer Abwasserbeseitigungsanlage VfSlg. 6556/1971), sei es, daß Wasser nicht in ausreichender Menge, sei es, daß es in nicht genußfähiger Beschaffenheit vorhanden ist.

Diesem Zweck dient schließlich auch §11 WLO: Wenn eine ortspolizeiliche Verordnung Regelungen über den Anschluß- und Benützungszwang enthalten darf, so muß es auch möglich sein, Vorschriften darüber zu erlassen, wer die Kosten für die Instandhaltung der Leitungen trägt. Nichts anderes aber ist Gegenstand der angefochtenen Bestimmung.

3. Dem Antrag des Bezirksgerichtes Telfs war daher keine Folge zu geben.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Gemeinderecht, Verordnung ortspolizeiliche, Verordnungsbegriff, VfGH / Prüfungsgegenstand, Wasserrecht, Wasserversorgungsanlage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:V101.1998

Dokumentnummer

JFT_09999370_98V00101_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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