TE Vwgh Erkenntnis 2003/12/18 99/12/0092

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Veröffentlicht am 18.12.2003
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Index

65/01 Allgemeines Pensionsrecht;

Norm

PG 1965 §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und durch die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lamprecht, über die Beschwerde der S in L, vertreten durch Riedl & Ringhofer, Rechtsanwälte in Wien 1., Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 15. Februar 1999, Zl. Bi-010131/10-1999-Zei/Stro, betreffend Zurechnung von Jahren nach § 9 des Pensionsgesetzes 1965, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die 1943 geborene Beschwerdeführerin steht als Volksschuldirektorin in Ruhe in einem öffentlich-rechtlichen Ruhestandsverhältnis zum Land Oberösterreich. Ihre letzte Dienststelle war der Landesschulrat für Oberösterreich.

Die Vorgeschichte ist dem hg. Erkenntnis vom 2. September 1998, Zl. 93/12/0175, zu entnehmen, mit welchem der im ersten Rechtsgang ergangene Bescheid der belangten Behörde betreffend die Zurechnung von Jahren nach § 9 des Pensionsgesetzes 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit der Begründung aufgehoben wurde, dass das im Beschwerdefall durchgeführte Verfahren den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren nicht gerecht geworden sei. Die belangte Behörde sei in der Begründung des (damals) angefochtenen Bescheides auf die Einwendungen der Beschwerdeführerin nicht eingegangen, dass ihr der Sachverständige anlässlich der Untersuchung vom 2. Dezember 1992 erklärt habe, für sie käme auf Grund ihres Krankheitszustandes weder eine sitzende noch eine stehende Beschäftigung in Frage; sie sei schon bisher als Schulleiterin primär im administrativen Bereich tätig gewesen, sodass die Pensionierung unter Annahme der Dienstunfähigkeit in Bezug auf eine solche Verwendung mit vorangehendem mehr als einjährigem Krankenstand in Widerspruch dazu stehe, dass sie nunmehr für den administrativen Bereich als dienstfähig bezeichnet werde. Die belangte Behörde habe hiezu keine entsprechenden Erhebungen gepflogen, keine Ergänzung des Gutachtens des Amtssachverständigen veranlasst und auch den Widerspruch nicht aufgeklärt, zu welchen "administrativen Tätigkeiten" die Beschwerdeführerin, die ihren Behauptungen zufolge "als Schulleiterin primär im administrativen Bereich" tätig gewesen sei, überhaupt fähig wäre. Auch ein berufskundliches Gutachten, das die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin berücksichtigt hätte, sei nicht eingeholt worden. Zur Vermeidung weiterer Wiederholungen wird in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das zitierte Erkenntnis vom 2. September 1998 verwiesen.

Im fortgesetzten Verfahren übermittelte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin das - vom praktischen Arzt Dr. S. erstellte - amtsärztliche Gutachten vom 3. Dezember 1998 zur Stellungnahme:

"(...)

Beurteilung:

Frau ... (Beschwerdeführerin) hat bei der Untersuchung am 2.12.1992 gesundheitliche Probleme und Beschwerden angegeben. Diesbezüglich wurden von ihr die (im Gutachten angeführten) fachärztlichen Stellungnahmen vorgelegt. Abgesehen von einer reaktiven Depression und einem vegetativen, affektiven Reizsyndrom konnten bei Frau ... (Beschwerdeführerin) keine Krankheiten oder Leiden festgestellt werden, die sie in ihrer Tätigkeit als Schulleiterin oder Lehrerin erheblich beeinträchtigen könnten.

Bezüglich ihrer psychischen Probleme wurde vom Landesschulrat für Oberösterreich ein Gutachten zur Beurteilung der Dienstfähigkeit der Frau ... (Beschwerdeführerin) in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten des Dr. H. vom 8.7.1992 beschreibt den Gesundheitszustand der Frau ... (Beschwerdeführerin) ausführlich und kommt zum Schluss, dass eine Entlastung angezeigt ist und somit Dienstunfähigkeit vorliegt.

Als Grundproblem der Frau ... (Beschwerdeführerin) sieht der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie ihre Persönlichkeitsentwicklung, die geprägt ist von Unselbständigkeit, Unentschlossenheit und hoher Abhängigkeit von Autoritäten, an. Wegen ihrer persönlichen Grundstruktur war Frau ... (Beschwerdeführerin) als Schulleiterin nicht geeignet.

Es ist nachvollziehbar, dass Frau ... (Beschwerdeführerin) bei Ausübung einer Tätigkeit, für die sie auf Grund ihrer Persönlichkeit nicht ausreichend geeignet ist, überlastet ist und dadurch gesundheitliche Probleme auftreten können. Auch ist der Schluss des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie nachvollziehbar, dass sie diese, sie überfordernde Tätigkeiten nicht mehr ausüben soll.

Dem Gutachten ist aber in schlüssiger Weise nicht zu entnehmen, dass Frau ... (Beschwerdeführerin) zu keiner beruflichen Tätigkeit mehr in der Lage wäre. Die Tätigkeit der Direktorin einer Schule oder der Unterricht in Schulklassen stellen hohe geistige Anforderungen und erfordern ein besonders hohes Maß an persönlicher Umstellfähigkeit und große Verantwortung. Die Beurteilung der Dienstfähigkeit bezieht sich auf eben diese Merkmale. Anders zu beurteilen ist die Eignung der Frau ... (Beschwerdeführerin) für andere Tätigkeiten, vor allem administrative Tätigkeiten (abgesehen von den mit der Schulleitung verbundenen), für die diese speziellen Erfordernisse nicht in diesem Ausmaß erforderlich sind. Für administrative Tätigkeiten - außerhalb der Leiterfunktion - oder einer Tätigkeit als Bibliothekarin finden sich nach den Ergebnissen der ha. Untersuchung und dem Gutachten des Facharztes für Neurologie keine Einschränkungen von Seiten der psychischen Verfassung der Frau ... (Beschwerdeführerin).

Für die Ruhestandsversetzung war die psychische Beeinträchtigung der Frau ... (Beschwerdeführerin) ausschlaggebend. Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates, die sie in ihrer Tätigkeit als Schulleiterin oder Lehrerin erheblich beeinträchtigen konnten, bestanden nicht. Auch im weiteren Verlauf wurde bei Frau ... (Beschwerdeführerin) keine gravierende Beeinträchtigung des Bewegungs- und Stützapparates festgestellt. Aufgrund des Schulter-Arm-Syndroms und der von ihr in der Berufung angegebenen Abnutzung der Wirbelsäule, sollten ihr keine körperlich schweren Arbeiten, wie ständiges Tragen oder Heben oder ständiges Arbeiten über Kopf oder in gebückter Haltung zugemutet werden. Für die, im Rahmen einer administrativen Tätigkeit zu verrichtende Arbeit ergibt sich aber keine Einschränkung."

Zu diesem Gutachten nahm die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 5. Jänner 1999 Stellung und brachte vor, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die zu ihrer Versetzung in den Ruhestand geführt hätten, fielen primär in das Fachgebiet eines Nervenarztes, sodass es unerklärlich sei, weshalb der praktische Arzt Dr. S. als Amtssachverständiger beigezogen worden sei. Wie aus dem beiliegenden nervenärztlichen Befund von Dr. W. vom 27. Oktober 1998 hervorgehe, habe sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin von nervenärztlicher Seite gegenüber dem Vorbefund vom 17. Juli 1992 nicht wesentlich geändert. Sie erscheine für geregelte Arbeiten nicht mehr einsetzbar und vermittelbar. Weshalb Dr. S. in seiner Beurteilung zu dem Ergebnis komme, dass sie zwar nicht mehr für die Tätigkeit der Direktorin einer Schule oder für die Unterrichtserteilung in Schulklassen geeignet gewesen sei, wohl aber für administrative Tätigkeiten oder eine Tätigkeit als Bibliothekarin, sei nicht nachvollziehbar. Weiters bleibe unbeantwortet, für welche konkreten administrativen Tätigkeiten (abgesehen von den mit der Schulleitung verbundenen) sie noch geeignet sei. Denn um überhaupt eine Tätigkeit im administrativen Bereich ausüben zu können, müsste sie diese erst erlernen, was eine Belastbarkeit erfordere, die bei ihr auf Grund ihres Gesundheitszustandes nicht gegeben sei. Ebenso müsse sie einen Beruf im Bibliothekarsdienst erst erlernen, was auf Grund ihres Gesundheitszustandes ebenfalls nicht möglich sei. Im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin zuletzt im öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis innegehabte leitende Stellung sei ihr eine Tätigkeit als Bibliothekarin bzw. im administrativen Bereich nicht zumutbar. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgestellt habe, seien Tätigkeiten, die der Lehrer vom medizinischen Standpunkt aus beurteilt noch auszuüben vermöge, diesem dann zumutbar, wenn sie seiner sozialen Stellung und der Fortbildung des Lehrers annähernd gleichkämen und wenn die Aufnahme der Tätigkeit auch nach seinen sonstigen persönlichen Lebensumständen billigerweise erwartet werden könne. Dies sei bei der Beschwerdeführerin nicht der Fall. Es sei auch Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen, die verbleibende Leistungsfähigkeit darzustellen, jedoch könne davon ausgehend nur der berufskundliche Sachverständige noch ausreichend verlässliche Angaben machen, ob oder welche Berufsmöglichkeiten noch bestünden. Sollte die belangte Behörde der Ansicht sein, dass der nervenärztliche Befund von Dr. W., wonach die Beschwerdeführerin für geregelte Arbeiten nicht mehr einsetzbar und vermittelbar sei, nicht ausreiche, um der Berufung der Beschwerdeführerin stattzugeben, so beantrage sie die Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Neurologie sowie die Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens.

Die belangte Behörde ersuchte sodann die Landessanitätsdirektion, zur Eingabe der Beschwerdeführerin vom 5. Jänner 1999 sowie zum beigeschlossenen nervenärztlichen Befund des Facharztes Dr. W. aus medizinischer Sicht ergänzend Stellung zu nehmen.

In seiner Gutachtensergänzung vom 25. Jänner 1999 führte Dr. S aus, dass aus dem Befund des Dr. W vom 27. Oktober 1998 nur ableitbar sei, dass die Beschwerdeführerin auf Grund der verminderten Belastbarkeit nicht mehr für jede Tätigkeit, sondern nur mehr für einen eingeschränkten Tätigkeitsbereich geeignet sei. Zur Frage der verbleibenden Leistungsfähigkeit sei auszuführen, dass an administrativen Tätigkeiten, für die die Beschwerdeführerin noch geeignet sei, insbesondere eine Aktenbearbeitung in Betracht komme und zwar vornehmlich von Akten aus dem fachlichen Bereich, der ihrer bisherigen Tätigkeit nahe komme. In Frage komme insbesondere eine Tätigkeit beim Landesschulrat oder in der Jugendwohlfahrt. Die Eignung für diese Form der administrativen Tätigkeit im Gegensatz zu der mit der Schulleitung verbundenen ergebe sich aus den unterschiedlichen persönlichen Voraussetzungen, die dafür erforderlich seien. Dr. H beschreibe in seinem Gutachten die Beschwerdeführerin als orientiert, kooperativ, sehr kontaktbereit, der Denkablauf sei flüssig, die Gedanken seien formell und inhaltlich unauffällig, logisch; Merkfähigkeit und Intelligenz sowie der Antrieb seien unbeeinträchtigt. Es fänden sich also keine Anzeichen dafür, dass die Beschwerdeführerin für die beschriebenen administrativen Tätigkeiten nicht geeignet wäre.

In ihrer Stellungnahme zur Gutachtensergänzung wies die Beschwerdeführerin am 10. Februar 1999 darauf hin, dass der Gutachter ausführe, dass für sie noch administrative Tätigkeiten, insbesondere Aktenbearbeitung beim Landeschulrat oder etwa in der Jugendwohlfahrt in Frage kämen. Es sei jedoch darauf hinzuweisen, dass es Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen sei, die verbleibende Leistungsfähigkeit darzustellen und davon ausgehend nur der berufskundliche Sachverständige die noch ausreichende verlässliche Angabe machen könne, ob und welche Berufsmöglichkeiten noch bestünden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Landesschulrates für Oberösterreich vom 12. März 1993 gemäß § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 (PG 1965) in Verbindung mit § 106 Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz (LDG 1984) sowie § 66 Abs. 4 AVG iVm § 1 DVG neuerlich ab.

Nach Darstellung der Rechtslage und der Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens führte die belangte Behörde im Wesentlichen begründend aus, dass im Sinne der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom 2. September 1998 ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und ein amtsärztliches bzw. berufskundliches Gutachten zur Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführerin zu ihrer ruhegenussfähigen Dienstzeit ein weiterer Zeitraum im Sinne des § 9 Abs. 1 PG 1965 hinzuzurechnen sei, eingeholt worden sei. Der beigezogene medizinische Amtssachverständige habe sich in seinen Gutachten vom 3. Dezember 1998 und vom 25. Jänner 1999 unter Einbeziehung sämtlicher aktenkundiger medizinischer Befunde sehr ausführlich mit dem Leidenszustand der Beschwerdeführerin und mit der Frage, welche Betätigungen sie im maßgeblichen Beurteilungszeitraum noch zu verrichten im Stande gewesen sei, auseinander gesetzt.

Nach Wiedergabe des zitierten Gutachtens im engeren Sinn führte die belangte Behörde weiter aus, sie erachte die Sachverständigengutachten für entsprechend begründet und schlüssig. Daraus ergebe sich zweifelsfrei, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung trotz ihrer bestehenden Leiden zu einer Erwerbstätigkeit außerhalb des Lehr- beziehungsweise Leiterberufes fähig gewesen sei. Dies vor allem deshalb, weil sich in medizinischer Hinsicht für administrative Tätigkeiten außerhalb der Leiterfunktion oder für Tätigkeiten als Bibliothekarin keine Einschränkungen von Seiten der psychischen Verfassung der Beschwerdeführerin fänden. Im Übrigen habe man auch keine Einschränkungen für die im Rahmen der administrativen Tätigkeiten zu verrichtenden körperlichen Arbeiten in medizinischer Hinsicht objektivieren können.

Hingegen handle es sich bei dem Befund des Facharztes Dr. W. nach Ansicht der belangten Behörde um kein schlüssiges Gutachten, weil die im letzten Satz gezogene Schlussfolgerung, dass die Patientin für geregelte Arbeiten nicht mehr einsetzbar und vermittelbar sei, nicht nachvollziehbar begründet werde und aus dem Befund in schlüssiger Weise auch nicht abgeleitet werden könne. Letztendlich werde in diesem Gutachten nicht dargelegt, auf welchem Weg der genannte Facharzt zu seiner Schlussfolgerung gekommen sei und es könne das Gutachten nicht auf seine Schlüssigkeit überprüft werden. Auch könne das Gutachten eines Amtssachverständigen nicht durch eine bloß gegenteilige Behauptung, die einer sachverständigen Grundlage entbehre, entkräftet werden.

Hingegen sei auf Grund der Ausführungen in den Amtssachverständigengutachten davon auszugehen, dass die Einsatzfähigkeit der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die üblichen Erfordernisse in der Arbeitswelt (z.B. Einhaltung der Arbeitszeit oder Fähigkeit zur Selbstorganisation) im maßgeblichen Beurteilungszeitraum jedenfalls gegeben gewesen sei.

Weiters sei zu klären, ob der Beschwerdeführerin jene Erwerbstätigkeit, die sie nach ihrer körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit vom medizinischen Standpunkt noch ausüben könne, auch zugemutet werden könne. Zur Frage der Zumutbarkeit von Erwerbstätigkeiten habe der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgeführt, dass die beispielsweise angenommene Tätigkeit als Bibliothekarin auch für eine Lehrerin sozial zumutbar sei. Gleiches müsse auch für administrative Tätigkeiten in einem dem Lehrberuf verwandten Bereich (Landesschulrat, Jugendwohlfahrt) angenommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Zurechnung eines Zeitraumes zur ruhegenussfähigen Gesamtdienstzeit nach § 9 Abs. 1 PG 1965 durch unrichtige Anwendung dieser Norm sowie der Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung (§§ 1, 8 DVG; §§ 37, 39, 60 AVG) verletzt.

Unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides bringt die Beschwerdeführerin vor, dass die belangte Behörde die rechtliche Beurteilung dem praktischen Arzt Dr. S. überlassen habe. Dies gelte insbesondere auch für die zur Beurteilung der für die zumutbaren Berufe angewendeten Kriterien. Den erforderlichen Sozialstatus hätten allenfalls die höchstqualifizierten B-Berufe; die Beschwerdeführerin sei nicht Lehrerin, sondern Volksschuldirektorin und aus dieser Position sei daher der anzuwendende Maßstab zu gewinnen.

Insoweit komme in der Begründung des angefochtenen Bescheides mittelbar eine unrichtige Rechtsansicht zum Ausdruck. Die belangte Behörde sei nämlich offensichtlich im Einklang mit Dr. S. davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführerin jede beliebige Tätigkeit in der Verwaltung (mit Aktenbearbeitung), beziehungsweise als Bibliothekarin zumutbar sei und zwar selbst dann, wenn es sich dabei um nur C-wertige Tätigkeiten handle.

Zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bringt die Beschwerdeführerin vor, dass der Amtssachverständige Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 25. Jänner 1999 die Richtigkeit der Angaben des Facharztes Dr. W. nicht bezweifelt und auch nicht behauptet habe, dass damit ein Zustand beschrieben worden sei, der zum Pensionierungszeitpunkt noch nicht vorgelegen sei. Vielmehr habe sich Dr. S. auf extrem vage und unbestimmte Bemerkungen beschränkt. Es werde in der Tat aus dem Befund von Dr. W. nicht abzuleiten sein, dass die Beschwerdeführerin zu keinerlei Tätigkeit im Stande sei. Die Beschreibung ihres gesundheitlichen Zustandes, insbesondere ihrer schnellen Erschöpfung schon bei geringer Belastung, decke jedoch fraglos die Schlussfolgerung von Dr. W., dass die Beschwerdeführerin für geregelte Arbeiten nicht einsetzbar und vermittelbar sei. Die gegenteilige Behauptung des Amtssachverständigen sei offensichtlich falsch und es bedürfe keiner besonderen Fachkenntnisse, um diese Unrichtigkeit zweifelsfrei feststellen zu können.

Es seien daher auch alle weiteren Angaben des Amtssachverständigen verfehlt. Dies gelte insbesondere für seine Ausführungen in der Stellungnahme vom 25. Jänner 1999, wonach die Beschwerdeführerin die für die "Aktenbearbeitung" erforderliche Leistungsfähigkeit noch besitze. Diese Angabe sei aber auch deshalb völlig wertlos, weil sie zu unbestimmt sei. Dies sei auch darauf zurückzuführen, dass die belangte Behörde vermeint habe, dass die Kenntnisse von Dr. S. so universal seien, dass die Beiziehung eines berufskundlichen Sachverständigen unterlassen werden könne.

Zudem sei die rechtliche Beurteilung im angefochtenen Bescheid de facto dem Amtssachverständigen überlassen worden. Dieser habe die Entscheidung der belangten Behörde insoferne vorgegeben, als er in seinem Gutachten vom 29. Dezember 1992 abschließend erklärt habe, dass die Beschwerdeführerin zu einem zumutbaren Erwerb nicht unfähig geworden wäre. An dieser Meinung halte der Sachverständige auch im beschwerdegegenständlichen Verfahren fest, bleibe jedoch auch im fortgesetzten Verfahren eine schlüssige Begründung gänzlich schuldig, insbesondere eine solche, die mit dem Gutachten der Fachärzte übereinstimme.

"Aktenbearbeitung" sei keine Berufsbezeichnung, auch wenn man sie einer bestimmten Sparte (Jugendwohlfahrt) zuordne. Von welchen Anforderungen an den Dienst einer Bibliothekarin der Sachverständige ausgehe, sei nicht ersichtlich. Es wäre zunächst eine konkrete und unmittelbare Beschreibung der verbleibenden Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin durch die medizinischen Gutachter erforderlich gewesen. Der Sachverständige hätte nicht nebulose Ansichten über mögliche Verwendungsbereiche äußern, sondern angeben müssen, auf welchem Niveau von intellektuellen Anforderungen, Konzentration, Entscheidungs- und Konfliktbereinigungsfähigkeit ("Frustrationstoleranz") und unter welchen zeitlichen Perspektiven Leistungen von der Beschwerdeführerin erbracht werden könnten und zwar so, dass damit überhaupt keine weiteren zusätzlichen Beeinträchtigungen (Schlafstörungen, etc.) verbunden wären oder aber in welchem Ausmaß Krankenstände zu erwarten seien. Davon ausgehend - wenn nicht schon unmittelbar auf Grund des medizinischen Kalküls völlige Klarheit entstanden wäre - hätte ein berufskundlicher Sachverständiger darzulegen gehabt, welche Berufsbilder für die Beschwerdeführerin noch in Frage kämen.

Nach Ansicht der Beschwerdeführerin wäre aber schon auf Grund der vorliegenden fachärztlichen Beurteilungen eindeutig feststellbar gewesen, dass sie zu einem zumutbaren Erwerb nicht mehr fähig gewesen sei. Da sie nach den Angaben der Fachärzte an einer Erschöpfungsdepression leide, auf Grund derer sie schon bei geringer Belastung erschöpft sei, könne man bereits unter Zugrundelegung der allgemeinen Lebenserfahrung jegliche Berufsausübungsmöglichkeit verneinen. Es gebe keinen Beruf, bei welchem nicht einmal geringe Belastungen aufträten und der es gestatte, dass schon nach kurzer Zeit eine ausgedehnte Erholungspause eingelegt werde.

Zudem sei das Problem einer Umschulung, welches von der belangten Behörde bislang hartnäckig ignoriert worden sei, zu berücksichtigen. In Übereinstimmung mit dem Amtssachverständigen gehe die belangte Behörde davon aus, dass die Beschwerdeführerin weder als Lehrerin noch als Schulleiterin verwendbar sei. Daher müsste ihr ein grundsätzlich neuer Aufgabenbereich zugewiesen werden. Es wäre eine umfangreiche Erarbeitung eines neuen Wissensgebietes für die Ausübung einer zumindest B-wertigen Tätigkeit erforderlich. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei diese Verwendungsgruppe dadurch gekennzeichnet, dass zur Allgemeinbildung, wie sie durch eine höhere Schule vermittelt werde, noch ein beträchtliches Spezialwissen (gewöhnlich durch eine Spezialausbildung und durch Ablegung von Dienstprüfungen vermittelt) hinzukomme. Es sei daher fraglich, ob man der Beschwerdeführerin trotz ihrer Erkrankung an einer Erschöpfungsdepression einen neuen Berufsstart zutraue, für welchen sie sich auch erst das erforderliche Spezialwissen aneignen müsse. Im Gegensatz zu der vom Amtssachverständigen anscheinend laienhaft vertretenen Meinung sei nämlich auch eine administrative Tätigkeit etwa auf dem Gebiet der Jugendwohlfahrt primär eine rechtliche Vollzugstätigkeit, welche mit den für einen Lehrer oder Schulleiter maßgebenden Rechtsnormen wenig gemeinsam habe. Dass der Dienst einer Bibliothekarin andere wissensmäßige Anforderungen stelle als die Tätigkeit einer Lehrerin oder Schulleiterin, bedürfe keiner Erörterung. Als Lehrer weise man eine Ausbildung für einige wenige Fächer auf, während aber der Beruf einer Bibliothekarin regelmäßig ein unvergleichlich breiteres Spektrum an Wissen erfordere. Jedoch sei die Beschwerdeführerin nicht nur einer Einschulung und Einarbeitung nicht mehr gewachsen, sondern sie sei auch schon im Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand nicht mehr zur Erbringung einer Dauerleistung fähig gewesen. Dies sei aber Voraussetzung für die Ausübung jedes Berufes.

Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet:

Betreffend die Darstellung der Rechtslage und die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den formell- und materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung des § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 - in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung der 8. Pensionsgesetz-Novelle, BGBl. Nr. 426/1985 - wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das in der vorliegenden Sache ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. September 1998, Zl. 93/12/0175, verwiesen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt, hat die belangte Behörde in Anwendung des § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 auf Grund eines nachvollziehbaren und schlüssigen Sachverständigengutachtens festzustellen, welche Erwerbstätigkeiten (Berufe) der Beamte auf Grund der ihm verbliebenen - medizinisch festzustellenden - Leistungsfähigkeit noch hätte ausüben können. Dies setzt eine berufskundliche Beurteilung voraus und muss ausreichend, in einer die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ermöglichenden Art und Weise, begründet werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1992, Zl. 91/12/0243, mwN).

In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem zitierten Erkenntnis vom 2. September 1998 unter anderem auch die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens für notwendig erachtet; dies hat die belangte Behörde jedoch - ohne dass sie es im angefochtenen Bescheid begründet hätte oder dem vorgelegten Verwaltungsakt nähere Umstände hiefür zu entnehmen wären - unterlassen.

Zur Beantwortung der Frage, ob der Beamte im Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand noch zu einem zumutbaren Erwerb fähig ist, hat die belangte Behörde zunächst auf der Grundlage eines mängelfreien und schlüssigen ärztlichen Gutachtens die Frage zu beantworten, ob der Beamte überhaupt noch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit befähigt ist; bejahendenfalls hat sie sodann auf der Grundlage dieses sowie eines mängelfreien und schlüssigen berufskundlichen Gutachtens die Frage zu klären, ob dem Beamten jene Erwerbstätigkeiten, die er nach seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit vom medizinischen Standpunkt aus noch auszuüben vermag, zugemutet werden können (vgl. auch dazu das Vorerkenntnis vom 2. September 1998, Zl. 93/12/0175). In diesem Zusammenhang wird zu prüfen sein, ob die bisher herangezogenen Verweisungsberufe im Hinblick auf die Leitungsfunktion der Beschwerdeführerin im Sinne des § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 zumutbar sind.

Mag auch die belangte Behörde in einem weiteren Verfahrensschritt durch die Einholung des amtsärztlichen Gutachtens der Landessanitätsdirektion die Frage geklärt haben, dass der Beamte noch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit befähigt ist, so hat sie im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nunmehr im weiteren Verfahrensschritt durch Einholung eines berufskundlichen Gutachtens zu klären, ob und welche konkrete Tätigkeit für die Beschwerdeführerin, insbesondere in Anbetracht der auch vom Amtssachverständigen zu Grunde gelegten reaktiven Depression, zumutbar ist.

Da die belangte Behörde die ausständige Erhebung entgegen der im zitierten Erkenntnis vom 2. September 1998 dargelegten Rechtsansicht unterließ, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 18. Dezember 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:1999120092.X00

Im RIS seit

28.01.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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