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67 Versorgungsrecht;Norm
BEinstG §14 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Pallitsch, Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. Bernhard Weissborn, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Praterstraße 68, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 26. März 2002, Zl. MA 15-II-BEG 103/2000, betreffend Neufestsetzung des Grades der Behinderung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 19. September 1984 stellte das Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland gemäß § 14 Abs. 2 des Invalideneinstellungsgesetzes 1969 (IEinstG) - nunmehr:
Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) - fest, dass der Beschwerdeführer ab 1. Jänner 1982 dem Kreis der begünstigten Invaliden (§ 2 Abs. 1 IEinstG) angehöre; die Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage 50 v.H.
Mit Schreiben vom 25. April 1993 beantragte der Beschwerdeführer die Neufestsetzung des Grades der Behinderung, weil sich sein Gesundheitszustand aufgrund eines Dienstunfalls verschlechtert habe.
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 30. November 1994 stellte der Landeshauptmann von Wien fest, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Grades der Behinderung von 50 v.H. den in § 2 Abs. 1 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG) genannten begünstigten Behinderten weiterhin zuzuzählen sei.
Mit Schreiben vom 8. August 1999 beantragte der Beschwerdeführer neuerlich die Neufestsetzung des Grades der Behinderung, weil sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe.
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 26. März 2002 stellte der Landeshauptmann von Wien fest, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines seit 1. Jänner 1982 bestehenden Grades der Behinderung von 50 v.H. den in § 2 Abs. 1 BEinstG genannten begünstigten Behinderten weiterhin zuzuzählen sei. In der Begründung wurde auf die wesentlichen Ergebnisse der ärztlichen Begutachtung verwiesen. Im vorliegenden Fall sei der Grad der Behinderung im zuletzt erstellten Gutachten des Gesundheitsamtes der Stadt Wien vom 1. März 2002, das als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung dem Bescheid zugrunde gelegt werde, mit 50 v.H. eingeschätzt worden. Die wesentlichen Ergebnisse dieses ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien dem 5. Beiblatt, das einen Bestandteil der Begründung dieses Bescheides bilde, zu entnehmen. Laut dem erwähnten 5. Beiblatt kam die Amtsärztin Dr. K. zu folgendem Ergebnis:
"Einschätzung des GdB gemäß § 7 KOVG:
1) degenerative Veränderungen der Wirbelsäule
(URS, da nur geringgradige Funktionsbeeinträchtigung)
I/f/190
20 v. 100
2) Halswirbelsäulensyndrom mit Kopf-
schmerzen
(MRS, entsprechend der funktionellen Beeinträchtigung)
gz. IV/n/533
10 v. 100
3) ausgeprägte Ödeme an beiden Unterschenkeln
(2 Stufen über dem URS, da deutliche Schwellung und Auswirkung auf die Beweglichkeit in den Sprunggelenken)
IX/b/701
40 v. 100
4) chronische Entzündung der Nase und der Nasennebenhöhlen
(URS, da nur eine geringgradige Beeinträchtigung vorliegt)
gz. VII/b/656
10 v. 100
5) geringe Innenohrläsion beidseits
(ORS, entsprechend der funktionellen Einschränkung)
VII/a/643
Tab. 1.1
10 v. 100
6) Stabsichtigkeit und Amblyopie beidseits (URS, entsprechend der funktionellen Beeinträchtigung)
VI/c/637
Tab. 2.2
10 v. 100
Die chronische Nasensekretion sowie die Beschwerden von Seiten der Nasennebenhöhlen bilden eine Krankheitseinheit und werden nicht gesondert eingeschätzt. Hinweise für ein allergisches Geschehen liegen derzeit nicht vor.
Begründung:
Der führende Wert der Position 3 mit 40 v. 100 (ausgeprägte Ödeme an beiden Unterschenkeln) wird durch das Hinzukommen der übrigen Leidenskomponenten von einmal 20 v. 100 und viermal 10 v. 100 um eine Stufe erhöht, da eine wechselseitige Leidensbeeinflussung des GdB 1 mit dem GdB 2 und dem GdB 3 besteht.
Der Gesamt-GdB beträgt somit 50 v. 100 und ist ab Antragstellung anzunehmen."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
1.1. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des BEinstG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 60/2001) lauten (auszugsweise):
"§ 2. (1) Begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH. ...
...
§ 3. Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder psychischen Zustand beruht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
...
§ 14. ...
(2) Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Behinderten das örtlich zuständige Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung (Abs. 3) festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden. Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim örtlich zuständigen Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, mit dem der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird.
(3) Der Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist ermächtigt, nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates gemäß § 8 BBG durch Verordnung nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung festzulegen. Diese Bestimmungen haben die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf das allgemeine Erwerbsleben zu berücksichtigen und auf den Stand der medizinischen Wissenschaft Bedacht zu nehmen.
...
§ 27. (1) Bis zum Inkrafttreten der Verordnung gemäß § 14 Abs. 3 sind für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
..."
1.2. Da eine Verordnung gemäß § 14 Abs. 3 BEinstG noch nicht erlassen wurde, hat die belangte Behörde zu Recht die aufgrund des § 7 Abs. 2 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 ergangene Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150, über die Richtsätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Vorschriften des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 und die in der Anlage zu dieser Verordnung genannten Richtsätze herangezogen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. September 2003, Zl. 2001/11/0344).
2.1. Soweit der Beschwerdeführer zunächst rügt, der angefochtene Bescheid sei ihm nur unvollständig (ohne die fünf Beiblätter) zugestellt worden, ist ihm sein eigenes Vorbringen entgegenzuhalten, wonach der angefochtene Bescheid samt den fünf Beiblättern seiner im Verwaltungsverfahren ausgewiesenen Vertreterin zugestellt worden sei. Aus der im Verwaltungsakt erliegenden Vollmacht vom 20. März 2002 geht hervor, dass die Vertreterin des Beschwerdeführers auch zum Empfang von Bescheiden bevollmächtigt war. Es ist daher nicht ersichtlich, inwieweit ein Zustellmangel vorliegen soll.
2.2. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Manuduktionspflicht nach § 13a AVG rügt, weil ihn die belangte Behörde dazu hätte anleiten müssen, eine inhaltlich sinnvolle Stellungnahme zu den Gutachten abzugeben, ist ihm zu erwidern, dass sich nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Manuduktionspflicht des § 13a AVG auf Verfahrenshandlungen und deren Rechtsfolgen bezieht; hingegen sind die Behörden des Verwaltungsverfahrens nicht verhalten, den Parteien Unterweisungen zu erteilen, wie sie ihr Vorbringen zu gestalten haben, um einen von ihnen angestrebten Erfolg zu erreichen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2002, Zl. 99/07/0022).
2.3. Der Beschwerdeführer macht als Begründungsmangel geltend, der angefochtene Bescheid enthalte nur scheinbar eine Begründung, indem er betreffend die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens auf insgesamt fünf Beiblätter verweise, die einen Bestandteil der Begründung dieses Bescheides bilden sollen. Die belangte Behörde unterlasse es aber darzulegen, warum die vom Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens beigebrachten "Gutachten" nichts am bereits im ersten Gutachten ermittelten Grad der Behinderung von 50 v.H. zu ändern vermöchten. Auch den Beiblättern lasse sich eine Begründung bzw. ein Eingehen auf die vom Beschwerdeführer vorgelegten neuen Befunde nicht entnehmen. Im angefochtenen Bescheid werde lediglich ausgeführt, dass das zuletzt erstellte Gutachten des Gesundheitsamtes der Stadt Wien vom 1. März 2002 als schlüssig erkannt werde. Darin könne eine nachvollziehbare Beweiswürdigung nicht erblickt werden.
Diesen Ausführungen ist zunächst zu erwidern, dass die belangte Behörde ausdrücklich den Inhalt der Gutachten, die dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht worden waren und dem angefochtenen Bescheid angeschlossen wurden, übernommen und ihrem Bescheid zugrunde gelegt hat. Damit ist auch nachvollziehbar, welche Gesundheitsschädigungen sie als erwiesen angenommen und wie sie den Grad der Behinderung eingeschätzt hat. Es ist daher nicht ersichtlich, inwieweit der Beschwerdeführer durch die beschriebene Vorgangsweise der belangten Behörde an der Verfolgung seiner Rechte gehindert sein sollte (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 24. September 2003, Zl. 2001/11/0344).
Die Gesamtbeurteilung mehrerer Leidenszustände hat nicht im Wege einer Addition der aus den Richtsatzpositionen sich ergebenden Hundertsätze der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu erfolgen, sondern nach § 3 der oben genannten Richtsatzverordnung. Nach dieser Bestimmung ist dann, wenn mehrere Leiden zusammentreffen, bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht. Sodann ist zu prüfen, ob und inwieweit der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Gesamtleidenszustand infolge des Zusammenwirkens aller gemäß § 4 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtfertigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2001, Zl. 2000/11/0191, mwN).
Der Beschwerdeführer hat im gesamten Verwaltungsverfahren die Feststellung der von der Erstbehörde und der belangten Behörde herangezogenen ärztlichen Sachverständigen, dass es sich bei den ausgeprägten Ödemen an beiden Unterschenkeln ( Position IX/b/701) um das führende Leiden handle, nicht bestritten. Die Amtsärztin der belangten Behörde Dr. K. hat die Einschätzung dieses Leidens mit einem Grad der Behinderung von 40 v.H. (2 Stufen über dem unteren Rahmensatz) damit begründet, dass eine deutliche Schwellung und Auswirkung auf die Beweglichkeit in den Sprunggelenken bestünden. Sie stützte sich dabei insbesondere auf das Gutachten der Amtsärztin Dr. R., Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten, vom 14. März 2001, welchem wiederum der vom Beschwerdeführer beigebrachte Befund des Facharztes für Innere Medizin Dr. W. vom 1. Februar 2001 und der ebenfalls vom Beschwerdeführer beigebrachte Phlebographiebefund des Diagnosezentrums U. vom 30. Jänner 2001 zugrunde lagen. Der nicht als unschlüssig zu erkennenden Einschätzung des führenden Leidens durch die Amtsärztin der belangten Behörde ist der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren, obwohl er dazu im Rahmen des Parteiengehörs ausreichend Gelegenheit hatte, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Ein Sachverständigengutachten des Inhalts, dass dieses Leiden einen höheren Grad der Behinderung als 40 v.H. zur Folge habe, hat der Beschwerdeführer nicht vorgelegt.
Die Gesamteinschätzung der Amtsärztin der belangten Behörde, dass der führende Wert der Position 3 mit 40 v.H. (ausgeprägte Ödeme an beiden Unterschenkeln) durch das Hinzukommen der übrigen Leidenskomponenten von einmal 20 v.H. und viermal 10 v.H. um eine Stufe erhöht werde, da eine wechselseitige Leidensbeeinflussung des Grades der Behinderung 1 (degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, GdB 20 v.H.) mit dem Grad der Behinderung 2 (Halswirbelsäulensyndrom mit Kopfschmerzen, GdB 10 v.H.) und dem Grad der Behinderung 3 (ausgeprägte Ödeme an beiden Unterschenkeln) bestehe, wurde vom Beschwerdeführer ebenfalls nicht mit substanziellem Vorbringen bestritten. Er hat zunächst nicht konkret aufgezeigt, dass die Amtsärztin aufgrund der von ihm vorgelegten Befunde zu einer höheren Einschätzung der übrigen Leiden hätte kommen müssen. Ein Sachverständigengutachten, aus dem sich ergäbe, dass durch das Zusammenwirken der behaupteten Leiden ein Gesamtgrad der Behinderung von mehr als 50 v.H. erreicht werde, hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren ebenfalls nicht vorgelegt.
Der Beschwerdeführer hat daher schon im Verwaltungsverfahren nicht in ausreichend substanzierter Weise vorgebracht, dass die von ihm behaupteten Leiden - für sich betrachtet oder durch Verstärkung eines führenden Leidens - einen Gesamtgrad der Behinderung von mehr als 50 v.H. zur Folge hätten. Die in der Beschwerde behaupteten Verfahrensfehler der belangten Behörde liegen daher nicht vor.
2.4. Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 19. Dezember 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002110186.X00Im RIS seit
28.01.2004