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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über den Antrag der C AG in L, vertreten durch Dr. Alfred Hawel und Dr. Ernst Eypeltauer, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Museumstraße 17, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom 15. Oktober 2003, Zl. 220.284/3-6/2003, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. Christina H in L; 2. Oberösterreichische Gebietskrankenkasse in 4021 Linz, Gruberstraße 77;
3. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1; 4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65; 5. Arbeitsmarktservice Oberösterreich, Landesgeschäftsstelle, 4020 Linz, Europaplatz 9), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.
Begründung
Am 16. Dezember 2003 langten beim Verwaltungsgerichtshof die am 15. Dezember 2003 von der Antragstellerin zur Post gegebenen Schriftsätze ein, mit denen einerseits Beschwerde (datiert mit 3. Dezember 2003) gegen den genannten Bescheid des Bundesministers erhoben wurde (hg. Zl. 2003/08/0264) und andererseits der Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gestellt wurde (hg. Zl. 2003/08/0263).
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages führte die Beschwerdeführerin aus, der anzufechtende Bescheid des genannten Bundesministers sei ihr am 23. Oktober 2003 zugestellt worden, sodass die Frist für die Einbringung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof am 4. Dezember 2003 abgelaufen sei. Die Beschwerde sei am 3. Dezember 2003 diktiert und geschrieben und am 4. Dezember 2003 zur Postaufgabe fertig gemacht worden. Die Postaufgabe in der Kanzlei ihrer Vertreter besorge ein emeritierter Rechtsanwalt. Dieser sei ein zuverlässiger Mitarbeiter. Er sei am 4. Dezember 2003 angewiesen worden, u.a. die für die Aufgabe an den Verwaltungsgerichtshof fertig gemachte Beschwerde zur Post zu bringen. Dieses Poststück sei wie die anderen auf seinen Schreibtisch gelegt worden. Der Mitarbeiter habe die auf seinem Schreibtisch vorgefundenen Poststücke zur Aufgabe gebracht. Am 5. Dezember 2003 habe er nicht gearbeitet. An seinem nächsten Arbeitstag, dem 9. Dezember 2003, habe er auf seinem Schreibtisch die von ihm irrtümlich nicht zur Post gebrachte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof vorgefunden. Das Kuvert mit dieser Beschwerde sei unter ein anderes Schriftstück geraten und so von ihm am 4. Dezember 2003 übersehen worden. Ein derartiges Versehen sei dem emeritierten Rechtsanwalt noch nie unterlaufen.
Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, nicht jedoch ein Verschulden anderer Personen. Führt das Fehlverhalten anderer Personen, etwa das von Angestellten des Vertreters, zu einer Fristversäumung, so ist zu prüfen, ob der Vertreter bzw. die Partei selbst dadurch ein schuldhaftes Verhalten gesetzt hat, dass er bzw. sie eine ihr auferlegte Sorgfaltspflicht außer Acht gelassen hat (z.B. Auswahlverschulden, mangelnde Überwachungstätigkeit oder sonstiges Organisationsverschulden; vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa den Beschluss vom 27. Februar 1996, 95/08/0309, 0314). Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken darf der Rechtsanwalt jedoch ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 24. Oktober 1989, 89/08/0259, und vom 21. März 1996, 95/18/1265, jeweils betreffend Unterlassung der Postaufgabe nach Kuvertierung, sowie vom 23. Juni 1998, 98/08/0084, betreffend Versehen im Zuge der Beförderung der Schriftstücke zum Verwaltungsgerichtshof).
Im vorliegenden Fall ist, ausgehend vom (durch die Vorlage einer eidesstattlichen Erklärung) glaubhaft gemachten Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag, dem Vertreter der Antragstellerin keine für die Versäumung der Beschwerdefrist kausale Verletzung der Überwachungspflicht anzulasten. Der Vertreter hat die Postaufgabe der vorbereiteten Unterlagen einem verlässlichen Angestellten überlassen. Von diesem wurde der Auftrag weisungswidrig nicht durchgeführt. Dieses Versehen ist dem Angestellten im Zuge der Beförderung der Unterlagen zur Post unterlaufen. Die Kontrolle, ob eine zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zumutbar. Dieses weisungswidrige Verhalten des Angestellten des
Rechtsanwaltes ist der Partei unter den gegebenen Umständen nicht zuzurechnen. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher stattzugeben.
Wien, am 14. Jänner 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003080263.X00Im RIS seit
12.03.2004