Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde der M in Wien, geboren 1966, vertreten durch Dr. Norbert Gugerbauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Opernring 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. August 2002, Zl. 208.859/5- XII/37/00, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine ägyptische Staatsangehörige, reiste gemäß ihren Angaben im Juli 1998 in das Bundesgebiet ein. Am 24. Juli 1998 stellte sie einen Asylerstreckungsantrag nach § 10 AsylG, uzw. bezogen auf ihren (damaligen) Ehegatten. Dieser - gleichfalls ein ägyptischer Staatsangehöriger - hatte seinerseits im März 1998 die Gewährung von Asyl beantragt und diesen Antrag damit begründet, dass er vom Islam zum Christentum konvertiert sei, weshalb er bei einer Rückkehr nach Ägypten mit dem Tod zu rechnen habe (siehe näher zum Asylverfahren des Ehegatten der Beschwerdeführerin das hg. Erkenntnis vom 18. April 2002, Zl. 99/01/0103).
Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt vom 14. Dezember 1998 gab die Beschwerdeführerin zu ihrem Asylerstreckungsantrag auszugsweise Folgendes an:
"Ich möchte für mich einen Asylerstreckungsantrag gem. § 10 AsylG 1997 stellen. Ich möchte aber keine Fluchtgründe angeben, ...
Mein Mann verließ Ägypten im August oder September 1997, wobei er mir sagte, dass er geschäftlich nach Syrien müsse, hat mir jedoch weder was von einem Asylantrag noch von einer Weiterreise nach Europa erzählt. ... Im Dezember 1997 ... bat ich meinen Mann eindringlich, zurückzukommen. Ich wusste auch nicht, dass mein Mann beabsichtigte, den christlichen Glauben anzunehmen.
...
Im April 1998 bat ich meinen Mann nochmals zurückzukommen, da ich den Eindruck hatte, dass er mit seiner Abwesenheit, ... das Leben von mir und den Kindern zerstören würde. Inzwischen hat er mir zwar gesagt, dass er in Österreich ist, sagte wieder nicht zurückkehren zu können, gab mir aber dafür keine Gründe an. Ich wandte mich nun an seinen Bruder M, der beim Flughafen arbeitet, und bat diesen zu intervenieren. Er gab mir die Auskunft, dass mein Mann am Flughafen auf der Fahndungsliste stehen würde. ... Zirka Ende April klopfte es eines Tages, als ich an der Tür fragte, wer da sei, sagte man mir Staatssicherheitspolizei. ... Ich öffnete dann die Tür es waren drei Männer, die eintraten und zwei fingen an alles zu durchsuchen. Sie beschlagnahmten Bücher meines Mannes, alle Geschäftskorrespondenz (Faxe), und alle Computerdisketten. Es waren auch sie, die mir zum ersten Mal sagten, dass mein Mann in Österreich um Asyl angesucht habe. ... Ich musste mit den Beamten mitgehen und wurde in die Zentrale des Staatssicherheitsdienstes in 'la Zoughli' in Kairo gebracht, dort hielt man mich 2 Tage fest, verhörte mich und wollte wissen, warum mein Mann um Asyl angesucht hat, wer seine Kontakte und Freunde sind. Ich konnte keine Angaben dazu machen, da ich davon nichts wusste. Während dieser 2 Tage wurde ich geschlagen, das Kopftuch wurde mir heruntergerissen und letztendlich vergewaltigt. ..."
Nach rechtskräftiger Abweisung ihres Asylerstreckungsantrages stellte die Beschwerdeführerin einen eigenständigen Asylantrag, den sie im Wesentlichen damit begründete, dass sie nach dem Religionswechsel ihres Ehegatten von Angehörigen des ägyptischen Geheimdienstes aufgesucht, vergewaltigt und auf schlimmste Weise bedroht worden sei, und dass sie bei einer Rückkehr nach Ägypten weitere Verfolgung zu befürchten habe. Im Rahmen ihrer Befragung durch das Bundesasylamt am 3. Dezember 1999 verwies sie zunächst darauf, dass sie mit ihren Kindern ohne ihr Wissen auf dem Titelblatt von zwei Broschüren des evangelischen Flüchtlingsdienstes Österreich abgebildet sei. Sie sei damit in Gefahr gebracht worden, weil infolge dessen nunmehr auch die ägyptischen Behörden über ihren "Fall" Bescheid wüssten. Weiter führte sie ua. aus:
"... Ende April 1998 klopfte es um ca. 09.30 Uhr an meine Tür und sah ich durch den Spion zwei Männer draußen stehen. Einer war in Zivil, der andere in Uniform. ... Als ich aufmachte, stellte sich heraus, dass es insgesamt drei Männer waren, die in die Wohnung stürmten, alles durchsuchten und Disketten, Faxe, Bücher und Unterlagen meines Mannes beschlagnahmten. Sie forderten auch mich auf, mitzukommen. Von den Kindern war nur A der Kleinste zu Hause, die anderen waren in der Schule.
Die Beamten nahmen mich zur Zentrale für Staatssicherheit und Geheimdienst in der Innenstadt von Kairo mit. Dort brachte man mich in ein Büro und wurde ich vorerst zu meinen persönlichen Daten befragt. Sie fragten mich auch, wie ich meinen Mann kennen gelernt hatte und wann ich nach Ägypten gekommen sei. Ich habe dort die ganze Wahrheit angegeben.
Anmerkung (seitens der einvernehmenden Beamtin) : Die Asylwerberin weint und sagt unter Tränen, dass die Erinnerungen an diese Vorkommnisse so furchtbar seien.
...
Sie befragten mich genauestens zu den Kontakten meines Mannes und zwar geschäftlicher sowie auch privater Natur. Fragten mich auch, wen er trifft bzw. anrief, warum er verreist sei, wie viel Haushaltsgeld ich hätte und so ging die Fragerei weiter. Von ca. 10.00 Uhr Früh bis 24.00 Nachts. A befand sich zu dieser Zeit bei mir, er war am Boden eingeschlafen und einmal hob einer der Beamten den Fuß und drohte auf A hinzutreten, wenn ich nicht alles wahrheitsgemäß angeben würde. Ich konnte die Fragen zu den Geschäften meines Mannes oder zu seinen Kontakten nur mit 'ich weiß nicht' beantworten. Ich war letztendlich dann schon bereit, alles zuzugeben und sagte den Beamten auch, ich würde mit allem einverstanden sein. ...
Sie haben mich gefragt, warum mein Mann im Ausland um Asyl angesucht hat, und da gab ich zur Antwort, da ich nervlich schon so fertig war, dass ich mit allem einverstanden wäre, was die Beamten angeben wollen. ...
... gebe ich an, dass ich vergewaltigt wurde zu dem Zeitpunkt als ich ihm nur mehr zur Antwort geben konnte, er solle mir doch sagen, was er von mir hören möchte, da ich keine Antworten wusste. Dann passierte mir die Vergewaltigung ..."
Im Folgenden schilderte die Beschwerdeführerin detailliert - die Protokollierung umfasst zwei engzeilig beschriebene A 4 - Seiten - die erlittene Vergewaltigung.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 16. August 2002 wies die belangte Behörde den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab. Außerdem stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Ägypten zulässig sei.
In ihrem Bescheid traf die belangte Behörde bezüglich der Beschwerdeführerin folgende Feststellungen:
"Die Asylwerberin ist Muslimin und seit dem 1.8.2000 von ihrem Ehegatten, der vom Islam zum Christentum übergetreten ist, geschieden. Die Asylwerberin wurde mit einem Kind bzw. mit drei von ihren Kindern auf der Titelseite von zwei Broschüren des evangelischen Flüchtlingsdienstes Österreichs abgebildet. Der Jahresbericht des evangelischen Flüchtlingsdienstes erscheint in einer Auflage von etwa 14.000 Stück. Dieser wird an Spender und 'Freunde' des Flüchtlingsdienstes verteilt, aber nicht an Haushalte verschickt. Zur Auflage der Diakonischen Information konnten keine Angaben gemacht werden. Es kann nicht festgestellt werden, dass Staatsangehörige von Ägypten bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatland auf Grund eines im Ausland gestellten Asylantrages Probleme hatten.
Die Asylwerberin konnte keine pro futuro konkret gegen sie gerichtete religiöse oder politische Verfolgungsgefahr glaubhaft machen."
Darüber hinaus enthält der Bescheid vom 16. August 2002 Ausführungen über die Situation in Ägypten, insbesondere zur Lage der koptischen Christen. Zu den Konsequenzen der Konversion eines Muslims zum Christentum wird dabei ausgeführt, dass eine solche Konversion rechtlich nicht vorgesehen sei; sie sei zwar im geltenden ägyptischen Recht nicht mehr mit der Todesstrafe bedroht wie im klassisch-islamischen Recht, verstoße aber gegen den ordre public eines muslimischen Landes. "Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes" ergebe sich - so die belangte Behörde abschließend im Rahmen ihrer rechtlichen Erwägungen -, dass die Beschwerdeführerin "weder eine politische noch eine religiöse Verfolgung pro futuro zu erwarten" habe. Zur Begründung des § 8-Ausspruches heißt es weiter, dass die Beschwerdeführerin "keine Indizien aufgezeigt" habe, welche die Annahme rechtfertigen könnten, dass sie Gefahr liefe, in Ägypten für den Fall der Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden; es bestünden "keine Anhaltspunkte dafür", dass sie in Ägypten einer konkret ihre Person betreffenden Gefährdung ausgesetzt sein könne.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Das Bundesasylamt hatte im erstinstanzlichen Bescheid die Auffassung vertreten, dass es sich bei den - oben auszugsweise wiedergegebenen - Behauptungen der Beschwerdeführerin nicht um Schilderungen "von tatsächlichen Gegebenheiten" gehandelt habe. Das gesamte Vorbringen der Beschwerdeführerin sei "allgemein gehalten, vage und substanzlos" gewesen.
Wie das Bundesasylamt angesichts der dargestellten Äußerungen der Beschwerdeführerin zu dem Ergebnis gelangen konnte, deren Angaben seien "allgemein gehalten, vage und substanzlos", ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar (zur Problematik des richtigen Umgangs mit vergleichbaren Verfolgungsbehauptungen siehe im Übrigen allgemein UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Geschlechtsspezifische Verfolgung im Zusammenhang mit
Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Punkt 36, wiedergegeben in NVwZ-Beilage I 2003, 69; vgl. auch Feller/Türk/Nicholson (Hrsg.), Refugee Protection in International Law (2003), 349 f mwN.). Die erstinstanzliche Beweiswürdigung erweist sich damit jedenfalls als mangelhaft. Schon allein deshalb war die belangte Behörde verpflichtet, auf Grund der Berufung der Beschwerdeführerin, in der die erstinstanzliche Beweiswürdigung bekämpft worden war, eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Juni 2003, Zl. 2002/20/0336, iVm dem hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0111). Dieser Verpflichtung hat die belangte Behörde zwar entsprochen, sie hat sich aber im Rahmen der Berufungsverhandlung nicht erkennbar mit den von der Beschwerdeführerin geschilderten Vorfällen vom April 1998 beschäftigt. Auch der bekämpfte Bescheid setzt sich, wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt, mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin betreffend ihre Verbringung in die Zentrale des Staatssicherheitsdienstes in Kairo und das ihr dort Widerfahrene nicht ansatzweise auseinander. Vielmehr beschränkt er sich auf die oben zitierten Feststellungen, welche die die Beschwerdeführerin betreffenden Vorfälle in Ägypten völlig ausblenden und die daher in keiner Weise eine adäquate Behandlung des von der Beschwerdeführerin geschilderten Verfolgungsgeschehens - welches gemäß den niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin nicht auf den Religionswechsel ihres (seinerzeitigen) Ehegatten, sondern auf dessen Asylantragstellung in Österreich zurückzuführen war - darstellen. Der bekämpfte Bescheid erweist sich daher in einem wesentlichen Punkt als unvollständig, zumal er nicht offen legt, welche Überlegungen die belangte Behörde davon Abstand nehmen ließen, in eine Auseinandersetzung mit den spezifischen Verfolgungsbehauptungen der Beschwerdeführerin einzutreten. Er ist daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet und war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Kostenmehrbegehren (20 % USt bezüglich des Schriftsatzaufwandes und Ersatz der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG) war abzuweisen, weil neben dem Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand ein weiterer Kostenersatz unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht zusteht und weil die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die ihr bewilligte Verfahrenshilfe von der Entrichtung der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG befreit war.
Wien, am 20. Jänner 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002010602.X00Im RIS seit
18.02.2004