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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richterdurch einen Bescheid der Landesschiedskommission betreffend dieVerpflichtung der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichenWirtschaft zum Abschluß von Einzelverträgen mit bestimmten Ärzten;kein subjektives öffentliches Recht der Ärztekammer auf Abschlußsolcher Verträge; keine Zuständigkeit der Landesschiedskommision zurVornahme einer Änderung oder Ergänzung des GesamtvertragesSpruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit und Generationen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 27.000,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Ärztekammer für Tirol beantragte mit Schriftsatz vom 22. Juli 1997, die Landesschiedskommission für Tirol möge die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft verpflichten, mit neunundzwanzig namentlich genannten Ärzten, die sich bei der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt um einen Einzelvertrag beworben hätten und die die Voraussetzungen für eine vertragsärztliche Tätigkeit erfüllten, gemäß §3 Abs1 des Gesamtvertrags einen unbefristeten Einzelvertrag abzuschließen.
§3 Abs1 des zwischen der Österreichischen Ärztekammer und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger mit Zustimmung der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft abgeschlossenen Gesamtvertrags (in Kraft getreten am 1. Jänner 1963) hat folgenden Wortlaut:
"Mit jedem für die vertragsärztliche Tätigkeit geeigneten Arzt ist, sofern er sich darum bewirbt, ein Einzelvertrag abzuschließen."
Die Ärztekammer für Tirol führt dazu näher aus, bei Abschluß dieses Gesamtvertrags sei zwischen den vertragschließenden Teilen festgelegt worden, daß jeder Arzt in Vertrag genommen werde, der sich darum bewerbe. Ein Stellenplan, wie ihn jene Gesamtverträge aufwiesen, die von den Gebietskrankenkassen geschlossen worden seien, sei im Gesamtvertrag nicht enthalten.
2. Die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt erstattete als Antragsgegnerin eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Landesschiedskommission möge den Antrag der Ärztekammer für Tirol wegen Unzuständigkeit zurückweisen, in eventu als unbegründet abweisen:
Gegenstand einer Entscheidung der Landesschiedskommission könne zwar die Frage sein, unter welchen Voraussetzungen die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt verpflichtet sei, generell Einzelverträge abzuschließen, nicht aber auch Fragen, die mit dem Abschluß konkreter Einzelverträge zusammenhängen. In solchen Fällen sei vielmehr die paritätische Schiedskommission zuständig.
Dem Begehren sei überdies die sachliche Berechtigung abzusprechen: Zwar sei es richtig, daß der für den Bereich des GSVG einschlägige Gesamtvertrag - entgegen §342 Abs1 Z1 ASVG - keinen Stellenplan enthalte. Dies erkläre sich jedoch daraus, daß dieser Gesamtvertrag bereits im Jahr 1962 abgeschlossen worden und das Sachleistungsprinzip im Leistungsrecht des GSVG zum damaligen Zeitpunkt noch von untergeordneter Bedeutung gewesen sei. Seither habe sich die Situation jedoch auf Grund der Anhebung der Sachleistungsgrenze bis zur GSVG-Höchstbeitragsgrundlage entscheidend geändert, sodaß derzeit 90 vH der nach dem GSVG Krankenversicherten auch sachleistungsberechtigt seien.
Eine gesetzeskonforme Interpretation des §3 Abs1 des Gesamtvertrags müsse daher zu dem Ergebnis führen, daß die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt zwar verpflichtet sei, Einzelverträge mit jenen Ärzten, die sich um den Abschluß eines solchen Vertrags bewerben und die jeweiligen Voraussetzungen erfüllen, abzuschließen; dies jedoch nur bis zu jenem Punkt, in dem eine ausreichende medizinische Versorgung der Bevölkerung gewährleistet sei, nicht darüber hinaus.
3. Mit Schreiben vom 16. September 1997 schränkte die Ärztekammer für Tirol ihren Antrag um einen der darin genannten Ärzte ein, weil die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt mit diesem Arzt zwischenzeitig einen Einzelvertrag abgeschlossen habe.
4. Mit Bescheid vom 25. November 1997 befand die Landesschiedskommission, daß die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt verpflichtet sei, mit den im Antrag der Ärztekammer für Tirol genannten achtundzwanzig Ärzten einen Einzelvertrag abzuschließen; die von der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt erhobene Einrede der Unzuständigkeit wurde abgewiesen.
Begründend wird dazu im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Die Landesschiedskommission sei allgemein zur Entscheidung von Streitigkeiten (ua.) über die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrags berufen. Eine solche Streitigkeit sei im vorliegenden Fall gegeben: Es gehe nämlich darum, ob die Bestimmung des §3 Abs1 des Gesamtvertrags wirksam und auf die Bewerbungsgesuche der im Antrag genannten Ärzte anzuwenden sei. Es sei zwar zutreffend, daß die Entscheidung von Streitigkeiten, die mit einem Einzelvertrag zusammenhängen, in die Kompetenz der paritätischen Schiedskommission falle: Daraus sei jedoch für die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt schon deshalb nichts zu gewinnen, weil solche Einzelverträge eben noch nicht bestünden.
Das rechtswissenschaftliche Schrifttum vertrete zwar überwiegend die Meinung, ein Gesamtvertrag, der keinen Stellenplan enthalte oder eine Bestimmung aufweise, wonach mit jedem (fachlich geeigneten) Arzt auf dessen Verlangen ein Einzelvertrag abzuschließen sei, sei nicht rechtswirksam. Zumindest für den letztgenannten Fall sei dem jedoch nicht zu folgen: Dem von der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt ins Treffen geführten Argument, es müsse auch einer ärztlichen Überversorgung vorgebeugt werden, sei zwar eine gewisse Berechtigung zuzusprechen. Der Gesetzgeber habe dem jedoch bei seinen Bestimmungen über die Gesamtverträge nicht Rechnung getragen, sondern bloß einen Mindeststandard normiert. Im Lichte der Besonderheiten im Bereich des GSVG, in dem das Sachleistungsprinzip nicht durchgängig verwirklicht sei, sei - entsprechend dem Zweck des §342 Abs1 Z1 ASVG - nicht feststellbar, daß der Gesamtvertrag wegen des Fehlens eines Stellenplans gesetzwidrig und daher rechtsunwirksam sei.
Das Begehren der Ärztekammer für Tirol sei daher - auch angesichts des eindeutigen Wortlauts des §3 Abs1 des Gesamtvertrags - begründet.
5. Die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt bekämpfte diesen Bescheid mit Berufung an die Bundesschiedskommission, die dieses Rechtsmittel jedoch mit Bescheid vom 25. November 1998 als unbegründet abwies und den angefochtenen Bescheid vollinhaltlich bestätigte.
6. Gegen diesen - letztinstanzlichen - Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt behauptet, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 1. ZP-EMRK) verletzt zu sein. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.
Auf das Wesentliche zusammengefaßt, wirft die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt der belangten Behörde vor, die Bestimmungen des einschlägigen Gesamtvertrags unrichtig, insbesondere nicht gesetzeskonform, gehandhabt zu haben: Die belangte Behörde lege der angegriffenen Regelung des §3 Abs1 des Gesamtvertrags das Verständnis bei, gleichsam einen Kontrahierungszwang der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt anzuordnen. Ein derartiges Verständnis widerspreche jedoch nicht nur der bisher geübten Praxis, wonach die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt bei jedem Ansuchen eine Bedarfsprüfung durchgeführt und Ansuchen vielfach mangels Bedarfs vorläufig nicht positiv erledigt, sondern bloß in Evidenz genommen habe, was wiederum von den beteiligten Ärztekammern hingenommen worden sei; es stehe überdies in einem Gegensatz zu jenem Gesetzesgebot, wonach jede ärztliche Überversorgung - mit dem damit verbundenen finanziellen Mehraufwand für den Krankenversicherungsträger - zu vermeiden sei. Schließlich lasse sich die Annahme eines Kontrahierungszwangs des Krankenversicherungsträgers auch nicht mit Art4 Abs1 der Bund/Länder-Vereinbarung gemäß Art15a B-VG über die Reform des Gesundheitswesens und der Krankenanstaltenfinanzierung für die Jahre 1997 bis 2000, BGBl. I 1997/111, in Einklang bringen, demzufolge im Rahmen eines nationalen Gesundheitsplanes auch ein Niederlassungsplan für Kassenvertragsärzte aufzustellen sei. Durch die Auferlegung eines Kontrahierungszwangs sei es der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt nämlich verwehrt, diesen Plan einzuhalten; dies obwohl für den Fall der Nichteinhaltung des Plans ein Sanktionsmechanismus bestehe.
7. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.
Die Ärztekammer für Tirol erstattete als beteiligte Partei eine Äußerung, in der sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. §193 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes - GSVG, BGBl. 1978/560 idgF, hat samt Überschriften folgenden Wortlaut:
"ABSCHNITT IV
Beziehungen zu den Vertragspartnern
§193. Hinsichtlich der Beziehungen des Versicherungsträgers zuden Ärzten, Dentisten, Hebammen, Apothekern, freiberuflich tätigen klinischen Psychologen bzw. freiberuflich tätigen Psychotherapeuten, Krankenanstalten und anderen Vertragspartnern gelten die Bestimmungen des Sechsten Teiles des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes mit der Maßgabe, daß
1. der gemäß §340 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes eingerichtete Bundesärzteausschuß auch grundsätzliche Fragen, welche die Beziehungen zwischen dem Versicherungsträger und den freiberuflich tätigen Ärzten betreffen, insbesondere die abzuschließenden Gesamtverträge, zu beraten hat;
2. die Beziehungen des Versicherungsträgers zu den freiberuflich tätigen Ärzten durch einen Gesamtvertrag geregelt werden, der für den Versicherungsträger durch den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger mit der Österreichischen Ärztekammer abzuschließen ist und der Zustimmung des Versicherungsträgers bedarf;
3. die gemäß §342 Abs2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes zu treffenden Vereinbarungen über die Vergütung der ärztlichen Tätigkeit nach Einzelleistungen nach einem bundeseinheitlichen Tarif zu erfolgen haben;
4. die Bestimmungen des §343a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes entsprechend auch auf die Durchführung der Untersuchungen bzw. Maßnahmen gemäß den §§88, 89 und 89a anzuwenden sind;
5. die für jedes Land gemäß den §§345 und 345a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes errichteten Kommissionen bzw. die gemäß §346 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes errichtete Bundesschiedskommission auch zuständig ist, wenn am Verfahren der Versicherungsträger beteiligt ist;
6. die Bestimmungen des §350 Abs2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes auch auf Verschreibungen von Heilmitteln in den Fällen des §85 Abs2 litb anzuwenden sind."
1.2. Die in §193 GSVG verwiesenen Bestimmungen des Sechsten Teiles des des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. 1955/189 idgF, haben - soweit für den vorliegenden Fall relevant - samt Überschriften folgenden Wortlaut:
"SECHSTER TEIL
Beziehungen der Träger der Sozialversicherung (des Hauptverbandes)
zu den Ärzten, Dentisten, Hebammen, Apothekern, Krankenanstalten
und anderen Vertragspartnern
ABSCHNITT I
Gemeinsame Bestimmungen
§338. (1) Die Beziehungen der Träger der Sozialversicherung
(des Hauptverbandes) zu den freiberuflich tätigen Ärzten, Dentisten, Hebammen, Apothekern, freiberuflich tätigen klinischen Psychologen, freiberuflich tätigen Psychotherapeuten, Pflegepersonen, die medizinische Hauskrankenpflege gemäß §151 erbringen, und anderen Vertragspartnern werden durch privatrechtliche Verträge nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen geregelt. Die Verträge bedürfen zu ihrer Rechtsgültigkeit der schriftlichen Form.
(2) Durch die Verträge nach Abs1 ist die ausreichende Versorgung der Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen mit den gesetzlich und satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen sicherzustellen. Eigene Einrichtungen der Versicherungsträger dürfen für die Versorgung mit diesen Leistungen nur nach Maßgabe der hiefür geltenden gesetzlichen Vorschriften herangezogen werden.
(2a) Die Versicherungsträger haben sich beim Abschluß von Verträgen nach Abs1 an einen vom Bund nach Abstimmung mit der Sozialversicherung und im Einvernehmen mit den Ländern festzulegenden Großgeräteplan zu halten. Verträge, die dem widersprechen, sind ungültig.
...
Gesamtverträge
§341. (1) Die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten werden durch Gesamtverträge geregelt, die für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen sind. Die Gesamtverträge bedürfen der Zustimmung des Trägers der Krankenversicherung, für den der Gesamtvertrag abgeschlossen wird. Die Österreichische Ärztekammer kann mit Zustimmung der beteiligten Ärztekammer den Gesamtvertrag mit Wirkung für diese abschließen.
...
(3) Der Inhalt des Gesamtvertrages ist auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt abzuschließenden Einzelvertrages. Vereinbarungen zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt im Einzelvertrag sind rechtsunwirksam, insoweit sie gegen den Inhalt eines für den Niederlassungsort des Arztes geltenden Gesamtvertrages verstoßen.
...
Inhalt der Gesamtverträge
§342. (1) Die zwischen dem Hauptverband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträge haben nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen insbesondere folgende Gegenstände zu regeln:
1. Die Festsetzung der Zahl und der örtlichen Verteilung der Vertragsärzte mit dem Ziel, daß unter Berücksichtigung der örtlichen und Verkehrsverhältnisse sowie der Bevölkerungsdichte und -struktur eine ausreichende ärztliche Versorgung im Sinne des §338 Abs2 erster Satz der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten gesichert ist; in der Regel soll die Auswahl zwischen mindestens zwei in angemessener Zeit erreichbaren Vertragsärzten freigestellt sein;
2. die Auswahl der Vertragsärzte, Abschluß und Lösung der mit diesen zu treffenden Abmachungen (Einzelverträge);
3. die Rechte und Pflichten der Vertragsärzte, insbesondere auch ihre Ansprüche auf Vergütung der ärztlichen Leistung;
...
(2) Die Vergütung der vertragsärztlichen Tätigkeit ist grundsätzlich nach Einzelleistungen zu vereinbaren. Die Vereinbarungen über die Vergütung der ärztlichen Leistungen sind in Honorarordnungen zusammenzufassen; diese bilden einen Bestandteil der Gesamtverträge. Die Gesamtverträge sollen eine Begrenzung der Ausgaben der Träger der Krankenversicherung für die vertragsärztliche Tätigkeit (einschließlich der Rückvergütungen bei Inanspruchnahme der wahlärztlichen Hilfe (§131)) enthalten.
Aufnahme der Ärzte in den Vertrag
und Auflösung des Vertragsverhältnisses
§343. (1) Die Auswahl der Vertragsärzte und der Abschluß der Einzelverträge zwischen dem zuständigen Träger der Krankenversicherung und dem Arzt erfolgt nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer. Diese Einzelverträge sind sodann für alle Gebiets- und Betriebskrankenkassen sowie für die Versicherungsanstalt des österreichischen Bergbaues und für die Sozialversicherungsanstalt der Bauern wirksam. Einzelverträge, die nicht im Rahmen der jeweils nach §342 Abs1 Z1 vereinbarten Zahl und örtlichen Verteilung abgeschlossen werden, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Hauptverbandes und der zuständigen Ärztekammer, bei Nichteinigung der Zustimmung des Hauptverbandes und der Österreichischen Ärztekammer.
...
...
Landesschiedskommission
§345a. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesschiedskommission zu errichten. ...
(2) Die Landesschiedskommission ist zuständig:
1. zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages und
2. zur Entscheidung über die Wirksamkeit einer Kündigung gemäß §343 Abs4.
(3) Gegen die Entscheidungen der Landesschiedskommission kann Berufung an die Bundesschiedskommission erhoben werden."
2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde ua. dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 8692/1979).
Ein solcher Fehler ist der belangten Behörde in der Tat anzulasten:
2.1. Gemäß dem zwischen der Österreichischen Ärztekammer und der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft am 20. Dezember 1962 abgeschlossenen Gesamtvertrag ist diese verpflichtet, "(m)it jedem für die vertragsärztliche Tätigkeit geeigneten Arzt (...), sofern er sich darum bewirbt, ein(en) Einzelvertrag abzuschließen" (§3 Abs1). Einen Stellenplan, dem entnommen werden kann, wieviele Ärzte vom Sozialversicherungsträger höchstens in Vertrag genommen werden, weist dieser Gesamtvertrag hingegen nicht auf.
2.2. Die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt vertritt die Auffassung, gemäß §342 Abs1 Einleitungssatz iVm Z1 ASVG gehöre zu den verpflichtenden Regelungsgegenständen eines Gesamtvertrages ua. die Festsetzung der Zahl und der örtlichen Verteilung der Vertragsärzte mit dem Ziel, eine ausreichende ärztliche Versorgung zu gewährleisten.
Das überwiegende Schrifttum zählt einen Stellenplan bzw. die darin implizierte Zugangsbeschränkung für freiberuflich tätige Ärzte zu Kassenverträgen zu den unerläßlichen Mindestinhalten ("essentialia negotii") eines Gesamtvertrages (vgl. Mosler, in: Strasser (Hrsg.), Arzt und gesetzliche Krankenversicherung (1995), 187 ff. mwN, 199, 237 ff.; ebenso Krejci, Untergang der Kassenärzte? (1998) 41; vgl. auch VfSlg. 8692/1979, S 312), und zieht daraus die Konsequenz, daß das Fehlen eines solchen Stellenplans den Gesamtvertrag rechtsunwirksam macht (vgl. Mosler, aaO, 199).
Der Rechtsmeinung der belangten Behörde, die gesamtvertragliche Festlegung eines Stellenplans sei im Bereich des GSVG entbehrlich, weil das Sachleistungsprinzip hier bloß zum Teil verwirklicht sei, sodaß die Verweisungsnorm des §193 GSVG insofern einschränkend zu verstehen sei, ist angesichts der eindeutigen Rechtslage sowie deshalb nicht zu folgen, weil die Prämissen der belangten Behörde überdies nach dem - im Verfahren unwidersprochen gebliebenen - Vorbringen der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt, wonach nunmehr ca. 90 vH der nach dem GSVG Krankenversicherten Anspruch auf die Erbringung von Sachleistungen haben, falsch sind.
2.3. Im Ergebnis ist der belangten Behörde freilich beizupflichten:
§98 des Gewerblichen
Selbständigen-Krankenversicherungsgesetzes - GSKVG, BGBl. 1966/167, lautete samt Überschrift nämlich:
"Inhalt der Gesamtverträge
§98. (1) Die zwischen dem Verband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträge haben nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen insbesondere folgende Gegenstände zu regeln:
1. Abschluß und Lösung der mit den Vertragsärzten zu treffenden Abmachungen (Einzelverträge);
2. die Rechte und Pflichten der Vertragsärzte, insbesondere auch ihre Ansprüche auf Vergütung der ärztlichen Leistung (Vertragstarife);
..."
und enthielt somit keine dem §342 Abs1 Z1 ASVG korrespondierende Bestimmung, welche die Festlegung eines Stellenplans zum Mindestinhalt eines Gesamtvertrages erhoben hätte; auch in §89 GSKVG 1971, BGBl. 1971/287, findet sich keine solche Bestimmung. Die angegriffene Regelung des §3 Abs1 des aus dem Jahre 1962 stammenden Gesamtvertrages hat somit dem §98 GSKVG 1966 (bzw. dem §89 GSKVG 1971) entsprochen.
Mit dem Inkrafttreten des - ua. das GSKVG 1971 aufhebenden - GSVG, das in seinem §193 generell auf den Sechsten Teil des ASVG verweist, ohne eine hier relevante Einschränkung zu treffen, ist eine Änderung dieser Rechtslage insoweit eingetreten, als nunmehr auch ein Gesamtvertrag nach dem GSVG verpflichtend einen Stellenplan zu enthalten hat. Frühere Gesamtverträge wurden jedoch durch die Übergangsbestimmung des §249 GSVG aF (jetzt: §251 GSVG idF der 1. GSVG-Novelle, BGBl. 1978/684) übergeleitet; diese Bestimmung lautet samt Überschrift:
"Regelung der Beziehungen des Versicherungsträgers zu den
Vertragspartnern
§249. Die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in Geltung stehenden Verträge mit den Ärzten und anderen Vertragspartnern zur Erbringung der Leistungen der Krankenversicherung gelten als Verträge im Sinne der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes."
Unter "Regelungen der Beziehungen des Versicherungsträgers zu den Vertragspartnern" sind nach der sozialversicherungsrechtlichen Systematik solche durch Gesamtvertrag und solche durch Einzelvertrag zu verstehen (vgl. die Überschrift des Sechsten Teils des ASVG und die einleitende Bestimmung des §338 ASVG in Abschnitt I des Sechsten Teils "Regelung durch Verträge"). Daraus folgt, daß der in Rede stehende Gesamtvertrag weiterhin als Gesamtvertrag gültig ist, auch wenn er - weiterhin - keinen Stellenplan enthält.
2.4. Die in §3 Abs1 des Gesamtvertrages getroffene Regelung, die der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt im Ergebnis gleichsam einen Kontrahierungszwang mit all jenen - fachlich qualifizierten - Ärzten, die den Abschluß eines Einzelvertrages wünschen, auferlegt, steht zu der Anordnung des §342 Abs1 Z1 ASVG (§193 GSVG) somit nicht im Widerspruch.
2.5. Davon ist jedoch die Frage zu unterscheiden, ob der antragstellenden Ärztekammer ein subjektives öffentliches Recht auf den Abschluß von Einzelverträgen zwischen der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt und bestimmten Ärzten zukommt, dh., ob sie berechtigt ist, in jenen Fällen, in denen der Sozialversicherungsträger es ablehnt, mit Ärzten Einzelverträge abzuschließen, obwohl diese die einschlägigen fachlichen Voraussetzungen für eine Vertragsarzttätigkeit erfüllen, ein subjektives Recht auf Vertragsabschluß als eigenes Recht gegenüber dem Sozialversicherungsträger vor der Landes- und Bundesschiedskommission zu verfolgen. Eine solche Berechtigung kommt der Ärztekammer jedoch - mangels einer entsprechenden Grundlage in Gesetz oder Gesamtvertrag - offenkundig nicht zu.
2.6. Aber auch die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung in der Sache ist zu verneinen:
Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 8692/1979 ausgeführt hat, enthält das Gesetz keine Zuständigkeit der Landes- bzw. Bundesschiedskommission, eine Änderung oder Ergänzung des Gesamtvertrages vorzunehmen. Eine solche Zuständigkeit könnte auch durch Gesamtvertrag nicht begründet werden (§6 Abs2 AVG). In dem zit. Erkenntnis entschied der Gerichtshof, daß der Landesschiedskommission nicht die Befugnis zukomme, im Fall der Uneinigkeit der Parteien des Gesamtvertrages über eine Erweiterung des Stellenplanes zusätzliche Planstellen zu schaffen.
Der Verfassungsgerichtshof ist der Meinung, daß diese Rechtsauffassung kraft Größenschlusses auch für den - hier vorliegenden - Fall Gültigkeit beanspruchen kann, daß ein Stellenplan nicht besteht: Eine Entscheidung der Landes- bzw. Bundesschiedskommission, womit die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt verpflichtet wird, mit bestimmten Ärzten Einzelverträge abzuschließen, hätte nämlich zum Ergebnis, den fehlenden Stellenplan und damit einen Teil des Gesamtvertrages zu substituieren. Damit nimmt die Kommission jedoch eine Kompetenz in Anspruch, die - nach den obigen Darlegungen - der gesetzlichen Grundlage entbehrt.
2.7. Es kann daher auf sich beruhen, ob die Entscheidung der belangten Behörde in der ihr stillschweigend zugrunde liegenden Annahme, der Abschluß von Einzelverträgen sei vom Zusammenwirken lediglich der Ärztekammer und des beschwerdeführenden Sozialversicherungsträgers abhängig, nicht überdies §343 Abs1 dritter Satz ASVG (§193 GSVG) widerspricht, wonach Einzelverträge, die nicht im Rahmen der jeweils nach §342 Abs1 Z1 ASVG - dh.: im Stellenplan - vereinbarten Zahl und örtlichen Verteilung abgeschlossen werden, zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger und der zuständigen Drztekammer, im Falle der Nichteinigung der Zustimmung des Hauptverbandes und der Österreichischen Ärztekammer, bedürfen.
3. Die Landesschiedskommission hat eine Entscheidung gefällt, die der gesetzlichen Deckung völlig entbehrt. Die belangte Behörde hätte diese Entscheidung daher im Berufungsweg aufheben und den verfahrenseinleitenden Antrag zurückweisen müssen. Dadurch, daß sie dies unterlassen, sondern vielmehr die Entscheidung der Landesschiedskommission bestätigt und somit eine Entscheidung in der Sache selbst getroffen hat, hat sie die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. das bereits genannte Erkenntnis VfSlg. 8692/1979 mwN).
Der Bescheid war daher aufzuheben.
Bei diesem Ergebnis war auf das übrige Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist S 4.500,-- an Umsatzsteuer enthalten.
4. Diese Entscheidung konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden (§19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953).
Schlagworte
Behördenzuständigkeit, Übergangsbestimmung, Sozialversicherung,Ärzte, Ärztekammer, Rechte subjektiveEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B425.1999Zuletzt aktualisiert am
26.02.2013