TE Vwgh Erkenntnis 2004/1/27 2002/21/0138

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Veröffentlicht am 27.01.2004
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §10;
FrG 1997 §14 Abs2;
FrG 1997 §14;
MRK Art6 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2002/21/0139 2002/21/0140

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde 1. der BA, 2. der ÜA, und 3. der HA, alle vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 22. November 2001, Zlen. 130.732/2 bis 4-III/11/01, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund je zu gleichen Teilen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerinnen. Alle sind türkische Staatsangehörige.

Mit den vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführerinnen vom 6. September 2001 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 und § 14 Abs. 2 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ab.

Diese Bescheide begründete die belangte Behörde im Wesentlichen gleichlautend damit, dass die Beschwerdeführerinnen mit einem Visum "C", ausgestellt von der Österreichischen Botschaft Ankara, gültig vom 8. Juni 2001 bis 7. September 2001, nach Österreich gereist seien und sich seither durchgehend im Bundesgebiet aufhielten. Demnach liege ein zwingender Versagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 FrG vor. Gemäß § 14 Abs. 2 FrG seien Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag könne im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits niedergelassen sei und entweder bisher für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigt oder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt habe. Die Beschwerdeführer seien noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für Österreich gewesen, weshalb die Anträge als solche auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zu werten seien. Diese hätten gemäß § 14 Abs. 2 FrG vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus gestellt werden müssen. Die Anträge seien daher auch gemäß § 14 Abs. 2 FrG abzuweisen gewesen. Da die Antragstellung vor der Einreise von wesentlicher Bedeutung sei und der Gesetzgeber bereits bei Erlassung dieser Bestimmung auf die persönlichen Verhältnisse solcher Antragsteller Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über deren persönliche Verhältnisse gestellt habe, sei ein weiteres Eingehen auf die privaten Verhältnisse der Beschwerdeführerinnen, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich. Der Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z 2 FrG stelle einen zulässigen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Grundrecht dar. Die Bezugnahme auf das Assoziationsabkommen (den Beschluss Nr. 1/80 des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation - ARB) sei nicht zielführend, weil dieses Abkommen nur dann Anwendung finde, wenn die Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des Mitgliedstaates stünde, die Beschwerdeführerinnen als Angehörige eines türkischen Staatsangehörigen aber noch keine Aufenthaltstitel erhalten hätten und überdies das Abkommen nur auf jene Angehörigen anwendbar sei, die die Genehmigung erhalten hätten, zu dem türkischen Arbeitnehmer zu ziehen.

Die gegen diese Bescheide an den Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde hat dieser nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 22. Juli 2002, B 452-454/02-5, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Unstrittig ist, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und Vater der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen seit elf Jahren durchgehend beschäftigt in Österreich lebt, aufenthaltsberechtigt und im Besitz eines Befreiungsscheines ist. Die Beschwerdeführerinnen sind mit einem für drei Monate gültigen "Visum C" (Reisevisum, Visum für den kurzfristigen Aufenthalt, § 6 Abs. 1 Z 3 FrG) nach Österreich gereist und halten sich seither durchgehend im Inland auf.

Die Abweisung der vorliegenden Anträge stützte die belangte Behörde auf die Versagungsgründe des § 10 Abs. 1 Z 2 FrG und des § 14 Abs. 2 FrG.

Gemäß § 8 Abs. 1 FrG können Einreise- und Aufenthaltstitel Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern diese ein gültiges Reisedokument besitzen und kein Versagungsgrund wirksam wird (§§ 10 bis 12). Ein Versagungsgrund liegt nach § 10 Abs. 1 Z 2 FrG vor, wenn der Aufenthaltstitel zeitlich an den durch ein Reise- oder Durchreisevisum ermöglichten Aufenthalt anschließen und nach der Einreise erteilt werden soll. Bei Vorliegen dieses absoluten Versagungsgrundes hat eine Ermessensübung nicht zu erfolgen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1999, Zl. 99/19/0221).

Gemäß § 14 Abs. 2 FrG ist - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Der Verwaltungsgerichtshof sprach wiederholt aus (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. September 1999, Zl. 98/19/0286 mwN), dass diese Norm als Anordnung an die entscheidende Behörde aufzufassen sei, die beantragte Rechtsgestaltung durch Erteilung eines Aufenthaltstitels nur dann vorzunehmen, wenn der Antrag vor der Einreise des Antragstellers in das Bundesgebiet vom Ausland aus gestellt wurde, wobei die Erledigung grundsätzlich vom Ausland aus abzuwarten sei. Die Nichterfüllung dieser Erfolgsvoraussetzung habe die Abweisung des Antrages zur Folge und es komme eine Ermessensentscheidung nach § 8 Abs. 1 FrG unter Bedachtnahme auf die in Abs. 3 leg. cit. genannten Kriterien nicht in Betracht.

Nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das jüngst ergangene Erkenntnis vom 19. November 2003, Zl. 2003/21/0049) ist somit die Abweisung eines Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung eines mit einem Reisevisum eingereisten und im Inland gebliebenen Angehörigen einer "Ankerperson" unter Heranziehung des § 10 Abs. 1 Z 2 und § 14 Abs. 2 FrG nicht als rechtswidrig zu beanstanden.

Zu keinem anderen Ergebnis führt die Einbeziehung des gemeinschaftlichen Assoziationsrechts.

Nach Art. 7 des bereits zitierten ARB haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorranges das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben (erster Gedankenstrich). Der ARB regelt nicht den Familiennachzug, sondern nur die beschäftigungsrechtliche Stellung der Familienangehörigen, die auf anderen Rechtsgrundlagen der Mitgliedstaaten die Genehmigung erhalten haben, zu einem türkischen Arbeitnehmer zu ziehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2003, Zl. 2003/18/0139). Dem gemäß stellte der EuGH etwa in seinem Urteil vom 17. April 1997, C- 351/95 "Kadiman", Rnr. 32, nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten in Frage, einem Familienangehörigen eine Zuzugsgenehmigung zu versagen. Nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. auch dazu das zit. Erkenntnis Zl. 2003/18/0139) ist ein Reisevisum keine Grundlage für eine Genehmigung des Zuzuges im Sinn des Art. 7 ARB. Eine gegenteilige Beurteilung wird bereits durch den Wortlaut des § 6 Abs. 1 Z 3 FrG ("Visum für den kurzfristigen Aufenthalt") ausgeschlossen.

Da die Beschwerdeführerinnen entgegen ihrer Ansicht nicht "assoziationsintegriert" sind, ist den Beschwerdeausführungen zum Umfang der Berechtigungen aus dem ARB ebenso der Boden entzogen wie den daraus abgeleiteten und auf das Gemeinschaftsrecht bezogenen Schlussfolgerungen. Eine unmittelbare Anwendung des Gemeinschaftsrechts kommt auf die Beschwerdeführerinnen als Staatsangehörige der Türkei nicht in Betracht.

Wie in dem dem bereits zitierten Erkenntnis Zl. 2003/21/0049 zu Grunde liegenden Verfahren vermag auch hier der im Schriftsatz vom 31. Oktober 2003 vorgetragene Hinweis der Beschwerdeführerinnen auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 2003, G 119, 120/03, und die darin zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nichts zu ändern. In diesem Erkenntnis (das primär die - im vorliegenden Fall nicht zur Debatte stehende - Quotenpflicht für den Familiennachzug bei der Erteilung von Niederlassungsbewilligungen behandelt) unterscheidet nämlich der Verfassungsgerichtshof unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinsichtlich der Dichte des Eingriffs in das Privat- und Familienleben zwischen den Fällen der beabsichtigten Einwanderung einerseits und den Fällen aufenthaltsbeendender Maßnahmen andererseits und geht von einem weiten Ermessensspielraum der Konventionsstaaten bei der Festlegung der Bedingungen für die Einwanderung aus. Dabei dürfen die Voraussetzungen für die Einwanderung allerdings nicht so gestaltet sein, dass sie den Familiennachzug in Fällen ausschließen, in denen entweder dem gemeinsamen Familienleben im Heimatstaat des Fremden wesentliche Hindernisse entgegenstehen oder der Aufenthalt eines Teiles der Familie in einem Staat derart gefestigt ist, dass die Übersiedlung in den Heimatstaat unzumutbar ist. Ein solcher Fall liegt gegenständlich einerseits wegen des Fehlens von Anhaltspunkten für Hindernisse zur Führung eines gemeinsamen Familienlebens im Heimatstaat der Beschwerdeführerinnen und andererseits deshalb nicht vor, weil im Verwaltungsverfahren - und übrigens auch in der Beschwerde - nicht aufgezeigt wird, dass für den Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführerinnen die (gemeinsame) Rückkehr in den Heimatstaat unzumutbar wäre. Die bloße - in der Berufung behauptete - Aufgabe des dortigen Wohnsitzes reicht keinesfalls aus, um das nur in Ausnahmefällen in Anwendung des Art. 8 EMRK zu gewährende Recht auf Familienzusammenführung in Österreich zu begründen. Demzufolge ist mit der gegenständlichen Abweisung der Anträge auf Niederlassungsbewilligung kein unzulässiger Eingriff in ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Recht verbunden.

Letztlich ist dem Beschwerdevorbringen zu Art. 6 EMRK zu entgegnen, dass ein Verfahren auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung keine Entscheidung über zivile Rechte oder strafrechtliche Anschuldigungen betrifft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. September 1999, Zl. 98/19/0170). In das in der Beschwerde angesprochene Recht der Kinder, "bei beiden Eltern zu leben, von diesen gepflegt und erzogen zu werden", wurde vorliegend nicht unzulässig eingegriffen, ist doch - wie bereits dargelegt - das Führen eines gemeinsamen Familienlebens im Heimatstaat der Beschwerdeführerinnen mit dem Ehemann bzw. Vater auch für diesen zumutbar.

Da somit den angefochtenen Bescheiden die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG konnte die Durchführung der beantragten Verhandlung unterbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 27. Jänner 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002210138.X00

Im RIS seit

04.03.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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