TE Vfgh Erkenntnis 2000/9/25 B1714/98

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Veröffentlicht am 25.09.2000
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art10
RAO §9 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, insbesondere nicht im Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit, durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über eine Rechtsanwältin wegen einer beleidigenden Äußerung gegenüber einer Richterin; ausreichende Tatsachenfeststellungen aufgrund von Zeugenaussagen; ausreichend konkretisierter Tatvorwurf; im übrigen bloß Fragen der einfachgesetzlichen Richtigkeit, insbesondere im Bereich der Beweiswürdigung

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist Rechtsanwältin mit Kanzleisitz in Klagenfurt. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Kärntner Rechtsanwaltskammer (im folgenden: Disziplinarrat) vom 15. Dezember 1997 wurde sie für schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß sie in der Streitverhandlung vom 6. März 1997 vor dem Bezirksgericht Klagenfurt im Verfahren zu 22 C1209/96v unter Verletzung des §9 Abs1 RAO die erkennende Richterin Mag. A H beleidigt habe, indem sie erklärte, "Mag. A H wäre als Zivilrichterin völlig ungeeignet und habe kein Gefühl". Sie habe der Richterin darüber hinaus vorgeworfen, "bei sämtlichen Verhandlungen, in welchen die Beschwerdeführerin als Vertreterin beteiligt gewesen sei, sich unqualifiziert verhalten zu haben". Über die Beschwerdeführerin wurde hiefür gemäß §16 Abs1 Z2 Disziplinarstatut 1990, BGBl. 1990/474, eine Geldbuße in der Höhe von

S 10.000,- verhängt.

Dem Erkenntnis des Disziplinarrates lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Vorfall ereignete sich im Zuge einer mündlichen Streitverhandlung vor dem Bezirksgericht Klagenfurt am 6. März 1997. Bei der Einvernahme der Beklagten H O durch die erkennende Richterin Mag. A H wurde die Beklagte ua. auch zu ihren finanziellen Verhältnissen befragt, worauf diese ihr Einkommen mit S 30.000,- pro Monat bezifferte. Diese Angabe veranlaßte die Richterin zur Feststellung, daß es der Beklagten damit "besser als ihr gehe". In weiterer Folge kam es zu der im Spruch des Disziplinarrates inhaltlich wiedergegeben Äußerung der Beschwerdeführerin, welche neben der Richterin auch in Anwesenheit der weiteren Zeugen H O (als Beklagte im zivilgerichtlichen Verfahren), Mag. K S (als Kläger) und Dr. F Z(als Klagsvertreter) abgegeben wurde.

2. Der Berufung der Beschwerdeführerin gegen dieses Erkenntnis gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) mit Erkenntnis vom 22. Juni 1998 keine Folge, wobei sie ihrem Erkenntnis die Tatsachenfeststellungen des Disziplinarrates zugrundelegte.

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein "faires Verfahren" sowie des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

4. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die Beschwerdeführerin bringt gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften keine Bedenken ob ihrer Verfassungsmäßigkeit vor. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind solche Bedenken aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden.

2. Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:

2.1.1. Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde vor, Willkür geübt zu haben, weil der angefochtene Bescheid sie aus unsachlichen Gründen benachteilige und "in einem besonderen Maß mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch stehe". Auch verletze er die Beschwerdeführerin in dem durch Art6 EMRK gewährleisteten Recht auf ein "fair trial".

Die Beschwerdeführerin stützt ihre Beschwerde in diesem Zusammenhang auf den Umstand, daß die ihr im Spruch des Disziplinarrates vorgeworfene Äußerung nicht mit dem Wortlaut des gerichtlichen Verhandlungsprotokolls übereinstimme, sodaß der in Rede stehenden Äußerung ein nicht den Tatsachen entsprechender Inhalt unterstellt werde. Nach dem gerichtlichen Verhandlungsprotokoll, das vollen Beweis für den Verlauf und Inhalt der Verhandlung und damit vollen Beweis über die von der Beschwerdeführerin abgegebenen Äußerungen gegenüber der Richterin gebe, habe die Beschwerdeführerin lediglich eine zulässige Kritik an der Verhandlungsführung der Richterin geübt. Der Wortlaut des gerichtlichen Protokolls ist folgender:

"Die Richterin hält fest, daß Frau (es folgt der Name der Beschwerdeführerin) angibt, daß die Richterin zwar eine sehr gute Untersuchungsrichterin wäre, es ihr jedoch als Zivilrichterin an jeglichem Gefühl fehle. Frau (es folgt der Name der Beschwerdeführerin) gibt an, daß, wann immer sie in einer Verhandlung auftaucht, die Verhandlungsrichterin einen Ton an den Tag legt, der ihrer Ansicht nach nicht zielführend ist."

Entgegen den Ausführungen der OBDK habe es sich dabei nicht um ein "Resümeeprotokoll" gehandelt, sondern um ein "mittels Schallträger aufgenommenes Verhandlungsprotokoll". Aus dem Wortlaut dieses Protokolls sei zu entnehmen, daß die Beschwerdeführerin nicht die uneingeschränkte Eignung für den Richterberuf in Frage gestellt und damit keineswegs in beleidigender Absicht gehandelt habe. Ihr diesbezügliches Vorbringen sei von den Disziplinarbehörden jedoch unberücksichtigt geblieben. Die belangte Behörde habe sich insbesondere auch nicht mit dem Umstand der widersprüchlichen Zeugenaussagen im Beweisverfahren vor dem Disziplinarrat auseinandergesetzt. Die OBDK habe etwa die Aussage der Zeugin H O, welche den Wortlaut der "Protokollversion" bestätigte, nicht gewürdigt.

2.1.2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem auch dann vorgeworfen werden, wenn sie die Beschwerdeführerin aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).

All dies liegt nicht vor.

Soweit die Beschwerdeführerin die Richtigkeit ihrer im Spruch des Disziplinarrates wiedergegebenen Äußerung bezweifelt, ist ihr entgegenzuhalten, daß sie damit bloß einfachgesetzliche Fragen der Beweiswürdigung vor den Disziplinarbehörden anspricht, nicht aber Verletzungen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz aufzuzeigen vermag (es ist in diesem Zusammenhang auch auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hinzuweisen, wonach der Gegenbeweis auf Unvollständigkeit des Verhandlungsprotokolls ungeachtet der Bestimmung des §215 Abs1 ZPO gemäß §292 Abs2 ZPO als zulässig erachtet wird: OGH 5.3.1986, 3 Ob 524/86; EvBl. 1964, 231; vgl. auch Gitschthaler in Rechberger, Kommentar zur ZPO2, Rz 3 zu §215 und Fasching, Lehrbuch2 Rz 633. Die Frage, welche Art der Protokollierung im konkreten Fall gewählt wurde, ist dabei nicht von Bedeutung).

Die Tatsachenfeststellungen gründen sich auf Zeugenaussagen, die - dem Unmittelbarkeitsgrundsatz entsprechend - in einer mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinarrat gewonnen wurden. Da auch die Disziplinarbehörden in sachlicher Weise darlegen, aus welchen Gründen das Vorliegen der im Spruch inhaltlich wiedergegebenen Äußerung angenommen wurde - insbesondere warum den Zeugenaussagen der Richterin und des Dr. F Z gefolgt wurde - liegen auch keine Anhaltspunkte für eine Benachteiligung der Beschwerdeführerin aus unsachlichen Gründen bzw. für die Verletzung des Rechts auf ein "fair trial" vor.

Die Beschwerdeführerin ist sohin weder im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz noch in ihrem gemäß Art6 EMRK gewährleisteten Recht auf ein "fair trial" verletzt worden.

2.2.1. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid weiters im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.

2.2.2. Ein Verwaltungsakt, der sich gegen die Meinungsäußerungsfreiheit richtet, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unter anderem dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde. Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch dann vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt (vgl. VfSlg. 10700/1985, 12086/1989, 13612/1993).

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes erfordert das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf freie Meinungsäußerung zwar eine besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung eines Rechtsanwaltes als strafbares Disziplinarvergehen (vgl. 13122/1992, 13612/1993, 14006/1995, 14233/1995, VfGH 4.10.1999, B2447/97). Die Ansicht der belangten Behörde, daß das Verhalten der Beschwerdeführerin den Rahmen dessen, was durch das Recht auf freie Meinungsäußerung noch geschützt ist, überschreitet, ist jedoch vertretbar. Der Verfassungsgerichtshof vermag auch nicht zu erkennen, daß das - überschießende - Verhalten der Beschwerdeführerin für die Vertretung ihrer Partei dienlich sein kann. (Schon deshalb unterscheidet sich der vorliegende Fall in entscheidender Weise von dem der Beschwerde zu VfSlg. 14006/1995 zugrundeliegenden Sachverhalt, wo ein scharf formulierter Ablehnungsantrag vom Verfassungsgerichtshof als zulässiges Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne der RAO gewertet wurde.) Wenn die belangte Behörde §9 Abs1 RAO dahin versteht, daß der Vertretung der Partei nicht dienliche beleidigende und unsachliche Äußerungen den Anordnungen dieser Gesetzesstelle widersprechen, wird damit dem Gesetz weder ein verfassungswidriger, gegen Art10 EMRK verstoßender Inhalt unterstellt (vgl. VfSlg. 14233/1995) noch denkunmöglich vorgegangen.

Die Beschwerdeführerin wurde daher nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.

2.3. Die Beschwerdeführerin macht schließlich geltend, daß im Erkenntnis der belangten Behörde ein entsprechend konkretisierter Vorwurf der Verletzung von Berufspflichten bzw. des Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes fehle. Davon kann angesichts der im Erkenntnis des Disziplinarrates getroffenen - und von der OBDK bestätigten - rechtlichen Würdigung, worin mit ausreichender Begründung festgehalten wurde, daß derartige nicht vom Recht der freien Meinungsäußerung umfaßte beleidigende Äußerungen gegen die Bestimmung des §9 Abs1 RAO verstoßen und als Disziplinarvergehen zu werten sind, schon vom Ansatz her keine Rede sein.

2.4. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10659/1985, 12915/1991, 13419/1993, 14408/1996, 15323/1998).

3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Beschwerdeführerin in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß sie in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Der Antrag der Beschwerdeführerin, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art144 Abs3 B-VG abzutreten, war abzuweisen, weil die OBDK als Kollegialbehörde im Sinne des Art133 Z4 B-VG eingerichtet (vgl. zB VfSlg. 11512/1987 und 12462/1990) und ein Rechtszug an den Verwaltungsgerichtshof einfachgesetzlich nicht vorgesehen ist.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Meinungsäußerungsfreiheit, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, fair trial

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B1714.1998

Dokumentnummer

JFT_09999075_98B01714_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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