RS OGH 1989/12/15 16Os45/89, 11Os96/91, 14Os126/92, 13Os77/92, 11Os3/94, 13Os166/94, 15Os112/94, 15O

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 15.12.1989
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Norm

StPO §151 Z3
StPO §281 Abs1 Z4 B

Rechtssatz

Von der beantragten Vernehmung eines Kindes, das Opfer eines Sexualdelikts war, als Zeuge in der Hauptverhandlung (hier: zur Tatzeit 7 1/2-jähriges und zur Zeit der Hauptverhandlung 8 1/2-jähriges, geistig minderbegabtes Mädchen) kann - im Interesse der Wahrung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit, aber auch des in Art 6 Abs 3 lit d MRK jedem Angeklagten zustehenden Rechts, Fragen an einen Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen - nur dann ohne einen Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 4 StPO bewirkenden Verfahrensmangel Abstand genommen werden, wenn das erkennende Gericht auf Grund konkreter, im der Regel von einem jugendpsychiatrischen Sachverständigen zu attestierender Umstände die Überzeugung gewinnt, daß diese Vernehmung auch bei einer entsprechenden Fragestellung eine fortdauernde psychische Schädigung des Kindes befürchten läßt, die durch die eigentümliche psychische Beschaffenheit eben dieses Kindes bedingt ist. Nur unter dieser Voraussetzung hat - im Interesse des unmündigen Tatopfers - das Gebot der Unmittelbarkeit und des tunlichst uneingeschränkten Fragerechts des Angeklagten zurückzutreten.

Entscheidungstexte

  • 16 Os 45/89
    Entscheidungstext OGH 15.12.1989 16 Os 45/89
    Veröff: SSt 60/87 = EvBl 1990/72 S 311 = RZ 1990/69 S 153
  • 11 Os 96/91
    Entscheidungstext OGH 10.09.1991 11 Os 96/91
  • 14 Os 126/92
    Entscheidungstext OGH 13.10.1992 14 Os 126/92
  • 13 Os 77/92
    Entscheidungstext OGH 21.10.1992 13 Os 77/92
    Vgl auch; Veröff: EvBl 1993/48 S 209
  • 11 Os 3/94
    Entscheidungstext OGH 08.02.1994 11 Os 3/94
    Beisatz: Bei der Vernehmung von Unmündigen, insbesondere solchen, die Opfer eines Sexualdeliktes waren, muß dem Interesse an der Wahrheitsfindung stets das Wohl des Kindes gegenübergestellt werden. Dies erfordert zwangsläufig eine Interessenabwägung zwischen der gebotenen Rücksichtnahme auf das Kinderwohl und den aus Art 6 MRK erfließenden Verteidigungsrechten. (T1)
  • 13 Os 166/94
    Entscheidungstext OGH 30.11.1994 13 Os 166/94
    Vgl auch
  • 15 Os 112/94
    Entscheidungstext OGH 15.12.1994 15 Os 112/94
    Beisatz: Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d MRK gibt dem Angeklagten kein uneingeschränktes Recht, die Vorladung von Zeugen vor Gericht zu erreichen und Fragen zu stellen; genug daran, daß hinreichende Kontrollbeweise zur Verifizierung der Angaben jener Personen, die nicht unmittelbar vernommen werden können, aufgenommen wurden. (T2)
  • 15 Os 21/97
    Entscheidungstext OGH 20.03.1997 15 Os 21/97
  • 15 Os 58/97
    Entscheidungstext OGH 15.05.1997 15 Os 58/97
  • 15 Os 164/97
    Entscheidungstext OGH 19.02.1998 15 Os 164/97
    Vgl auch; Beisatz: Von der beantragten Ladung und Vernehmung einer Unmündigen, die Opfer eines Sexualdeliktes geworden ist, kann abgesehen werden, wenn das erkennende Gericht auf Grund konkreter (entweder sich schon aus der Aktenlage klar ergebender und/oder von einem jugendpsychiatrischen Sachverständigen aufgezeigter), sorgfältig abgewogener Tatsachen zur Überzeugung gelangt, daß die Einvernahme auch bei einer entsprechend behutsamen, die kindliche Psyche berücksichtigten Einvernahme eine fortdauernde psychische Schädigung der Unmündigen ernstlich befürchten läßt, die durch deren besondere psychische Beschaffenheit bedingt ist. Unter diesen Voraussetzungen hat das Gebot der Unmittelbarkeit und das (sonst tunlichst keiner Beschränkung zu unterwerfende) Fragerecht des Angeklagten (Art 6 Abs 3 lit d MRK) im Interesse des unmündigen Tatopfers - ausnahmsweise - zurückzutreten. (T3)
  • 14 Os 17/99
    Entscheidungstext OGH 06.04.1999 14 Os 17/99
    Vgl auch; Beisatz: Vernehmungsunfähigkeit - Verlesungszulässigkeit. Mußte eine vom Untersuchungsrichter als kontradiktorisch geplante Vernehmung des unmündigen Tatopfers wegen eines anhaltenden Weinkampfes des Kindes abgebrochen werden, noch bevor die Parteien Gelegenheit zur Befragung hatten, und steht nach dem Gutachten eines Sachverständigen fest, dass eine weitere Vernehmung des Kindes ohne dessen psychische Schädigung in absehbarer Zeit nicht möglich ist, dann kann sein Erscheinen zur Hauptverhandlung zwecks Ablegung einer Aussage aus einem erheblichen Grund füglich nicht bewerkstelligt werden. Die Verlesung des rudimentären Vernehmungsprotokolls aus dem Vorverfahren ist daher gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO zulässig. (T4)
  • 14 Os 143/99
    Entscheidungstext OGH 30.11.1999 14 Os 143/99
    Auch; Beisatz: Die Angaben des sexuell missbrauchten Mädchens gegenüber der Kriminalbeamtin dürfen nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO verlesen werden, weil es - nach dem Gutachten des Sachverständigen einem Angst-Schutzmechanismus folgend - schon bei der gerichtlichen Zeugenvernehmung nicht mehr bereit war, "in neuer Situation in verbalen Austausch zu treten", sich bei einem ähnlichen Anlass durch Schlaf der Befragung entzog, sodass ein Erscheinen des (zur Zeit der Tat dreieinhalbjährigen) Kindes bei der Hauptverhandlung zwecks weiterer Vernehmung füglich nicht zu bewerkstelligen war. (T5)
  • 11 Os 95/01
    Entscheidungstext OGH 02.10.2001 11 Os 95/01
    Vgl auch; Beisatz: 1.) Das Entschlagungsrecht nach § 152 Abs 2 Z 2a StPO kommt dem in seiner Geschlechtssphäre verletzten Zeugen nur dann zu, wenn die Parteien im Sinne des § 162a StPO ausreichende Gelegenheit hatten, sich an einer vorausgegangenen gerichtlichen Vernehmung zu beteiligen. 2. Eine "erhebliche" psychische Belastung eines (mittlerweile 20-jährigen) Tatopfers eines Sexualdelikts stellt keinen gesetzlichen Grund für die Unterlassung der Vernehmung dar. (T6)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:RS0097947

Dokumentnummer

JJR_19891215_OGH0002_0160OS00045_8900000_001
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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