TE Vfgh Erkenntnis 2000/9/25 B2066/99

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Veröffentlicht am 25.09.2000
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Index

L3 Finanzrecht
L3701 Getränkeabgabe, Speiseeissteuer

Norm

StGG Art5
Mehrwertsteuerrichtlinie des Rates vom 17.05.77. 77/388/EWG Art33 Abs1
Oö Gemeinde-GetränkesteuerG
WAO §2, §5
Verbrauchsteuerrichtlinie des Rates vom 25.02.92. 92/12/EWG Art3 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht durch Vorschreibung von Getränkesteuer aufgrund Anwendung einer dem Gemeinschaftsrecht offenkundig widersprechenden innerstaatlichen gesetzlichen Vorschrift

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Oberösterreich ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 29.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Zusammen mit der Abgabe der Getränkesteuererklärung für das Jahr 1997 beantragte die beschwerdeführende Gesellschaft die bescheidmäßige Festsetzung der Getränkesteuer für das Jahr 1997, da "die Rechtsgrundlage für die Einhebung der Getränkesteuer offenbar nicht ausreichend" sei. Diese Anträge wies der Magistrat der Landeshauptstadt Linz mit Bescheid vom 8. September 1998 als unbegründet ab. Dagegen erhob die beschwerdeführende Gesellschaft Berufung, welcher mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz vom 28. April 1999 keine Folge gegeben wurde. Begründend wurde ausgeführt, daß der Abgabepflichtige die Getränkesteuer-Jahreserklärung 1997 formalrechtlich vollständig vorgelegt habe, sodaß ein Festsetzungsgrund lediglich gegeben wäre, wenn sich die Selbstberechnung als nicht richtig erwiesen hätte; dies sei aber nicht der Fall gewesen.

Die dagegen erhobene Vorstellung wurde mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 4. November 1999 als unbegründet abgewiesen.

2. Gegen den eben erwähnten aufsichtsbehördlichen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Unversehrtheit des Eigentums wegen Anwendung eines verfassungs- sowie gemeinschaftsrechtswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

4. Die Landeshauptstadt Linz als beteiligte Partei dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens erstattete ebenfalls eine Äußerung, in welcher sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Zur Rechtslage:

Der die Selbstbemessung regelnde §150 OÖ Landesabgabenordnung (im folgenden: OÖ LAO) hat folgenden Wortlaut:

"(1) Wenn die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen ohne abgabenbehördliche Festsetzung der Abgabe zulassen, gilt die Abgabe durch die Einreichung der Erklärung über die Selbstberechnung als festgesetzt.

(2) Die Abgabenbehörde hat die Abgabe mit Bescheid festzusetzen, wenn der Abgabepflichtige die Einreichung der Erklärung unterläßt oder wenn sich die Erklärung als unvollständig oder die Selbstberechnung als nicht richtig erweist. Innerhalb derselben Abgabenart kann die Festsetzung mehrerer Abgaben in einem Bescheid zusammengefaßt erfolgen.

(3) Solang die Abgabenbehörde nicht gemäß Abs2 mit Bescheid die Abgabe festgesetzt hat, kann der Abgabepflichtige

1. die Erklärung innerhalb eines Monats ab deren Einreichung ändern;

2. in der Abgabenerklärung unterlaufene Schreib- und Rechenfehler oder andere offenbar auf einem ähnlichen Versehen beruhende tatsächliche Unrichtigkeiten innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Einreichung der Erklärung berichtigen.

(4) Die Abs1 bis 3 gelten sinngemäß, wenn nach den Abgabenvorschriften die Selbstberechnung der Abgabe einem abgabenrechtlich Haftungspflichtigen obliegt. Dabei sind Nachforderungen mittels Haftungsbescheides (§172) geltend zu machen."

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wird der Antrag auf bescheidmäßige Festsetzung einer Abgabe abgewiesen. Gemäß §150 Abs2 OÖ LAO hat die Abgabenbehörde die Abgabe u.a. dann mit Bescheid festzusetzen, wenn sich die Selbstberechnung als nicht richtig erweist. Die Abgabenbehörde mußte demnach, um über den Antrag absprechen zu können, die Selbstberechnung des Abgabepflichtigen überprüfen, somit die materiell-rechtlichen Abgabenvorschriften anwenden.

3. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. 12.563/1990) durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde jedenfalls dann verletzt, wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat. Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.337/1985, 11.436/1987).

Ein derartiger Widerspruch ist im vorliegenden Fall gegeben:

4. Aus Anlaß zweier Beschwerden stellte der Verwaltungsgerichtshof an den EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen ua. hinsichtlich der Beurteilung der Frage, ob Art33 Abs1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG), im folgenden: 6. MwSt-RL, der Beibehaltung einer Abgabe entgegenstehe, welche auf die entgeltliche Lieferung von Speiseeis einschließlich darin verarbeiteter oder dazu verabreichter Früchte und von Getränken, jeweils einschließlich der mitverkauften Umschließung und des mitverkauften Zubehörs, erhoben wird, bzw. ob einer derartigen Abgabe Art3 Abs2 bzw. Abs3, zweiter Satz der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (im folgenden: Verbrauchsteuerrichtlinie) entgegenstehe.

Mit am 9. März 2000 ergangenem Urteil (Rs C-437/97) sprach der EuGH diesbezüglich u.a. aus, daß Art3 Abs2 der Verbrauchsteuerrichtlinie der Beibehaltung einer auf alkoholische Getränke erhobenen Steuer wie die der Anlaßfälle (es handelte sich hiebei um die Vorschreibung der Getränkesteuer gemäß dem OÖ Gemeinde-Getränkesteuergesetz bzw. dem Wiener Getränkesteuergesetz und der Wiener Getränkesteuerverordnung) entgegenstehe, verneinte aber einen Widerspruch zu Art33 der 6. MwSt-RL. In weiterer Folge führte der EuGH aus, daß sich niemand auf Art3 Abs2 der Verbrauchsteuerrichtlinie berufen könne, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die vor Erlaß des Urteils entrichtet wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt.

5. Mit dem angefochtenen aufsichtsbehördlichen Bescheid wurden u.a. - bei Überprüfung der Richtigkeit der Selbstbemessung - die Bestimmungen betreffend die Festsetzung einer Steuer auf alkoholische Getränke gemäß dem OÖ Gemeinde-Getränkesteuergesetz angewendet. Die belangte Behörde hat demnach eine innerstaatliche gesetzliche Vorschrift, die offenkundig einer unmittelbar anwendbaren Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, nämlich dem Art3 Abs2 der Verbrauchsteuerrichtlinie, widerspricht, deren Anwendung also der Anwendungsvorrang unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts entgegensteht, angewendet. Eine derartige Gesetzesanwendung steht in einem solchen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch, daß der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt ist.

6. Nun ist der belangten Behörde zwar nicht subjektiv vorwerfbar, daß sie die Unanwendbarkeit der von ihr dem Bescheid zugrundegelegten innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht erkannt hat, da deren Unanwendbarkeit erst mit dem Urteil des EuGH vom 9. März 2000, Rs C-437/97, offenkundig wurde. Doch kann sich der Beschwerdeführer - wie aus dem zitierten EuGH-Urteil hervorgeht - zu Recht auf Art3 Abs2 der Verbrauchsteuerrichtlinie berufen, da er vor Erlaß des bereits genannten EuGH-Urteiles Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof erhoben hat. Der Verfassungsgerichtshof hat daher den nunmehr deutlich gewordenen Fehler aufzugreifen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 5. März 1999, B3073/96, VfSlg. 15.448/1999 und vom 16. Juni 2000, B1966/99).

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Verletzung des durch Art7 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes aufzuheben.

III. 1. Der Kostenzuspruch gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 4.500,-- sowie eine Eingabegebühr gemäß §17a VerfGG von S 2.500,-- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

EU-Recht Richtlinie, Getränkesteuer Oberösterreich, Finanzverfahren, Haftung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B2066.1999

Dokumentnummer

JFT_09999075_99B02066_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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